Leitsatz (amtlich)

Die Beseitigung des Schuldzinsenabzugs als Sonderausgabe mit Ablauf des Kalenderjahres 1973 durch das StÄndG 1973 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

EStG 1974 § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 13.03.1979; Aktenzeichen 2 BvR 72/76)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er hat im Jahre 1962 bei einer Versicherungsgesellschaft einen Kredit für private Anschaffungen aufgenommen. Im Streitjahr 1974 zahlte er dafür ca. 2 300 DM Schuldzinsen. Das Darlehen soll mit einem Lebensversicherungsvertrag getilgt werden, der bis zum Jahre 1984 läuft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat bisher die gezahlten Zinsen als Sonderausgaben anerkannt, aber den mit einem Antrag auf Lohnsteuerermäßigung begehrten Abzug für das Jahr 1974 abgelehnt, weil die Zinsen nach dem durch das Steueränderungsgesetz 1973 vom 26. Juni 1973 (BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) neu gefaßten § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ab 1. Januar 1974 keine Sonderausgaben mehr seien.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus, die Neuregelung gelte für alle Schuldzinsen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG a. F., die nach dem 31. Dezember 1973 gezahlt werden, auch wenn die zugrunde liegende Schuld vorher begründet worden sei. Diese Regelung verstoße nicht gegen Grundrechte. Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt, weil der Abzug dieser Schuldzinsen für alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise eingeschränkt sei. Auch der im Rechtsstaatsprinzip begründete Vertrauensschutz auf eine bestehende gesetzliche Regelung sei nicht verletzt; denn der Schuldszinsenabzug sei nicht für die in der Vergangenheit aufgewendeten Zinsen beseitigt worden, sondern nur für die ab 1. Januar 1974 gezahlten. Eine echte verbösernde Rückwirkung liege daher nicht vor. Der Kläger habe auch keinen Anspruch darauf, daß der Gesetzgeber eine den Steuerpflichtigen günstige Regelung nicht mit Wirkung für die Zukunft beseitige, und zwar selbst dann nicht, wenn er in Erwartung des Bestehenbleibens einer günstigen Regelung einen langfristigen Vertrag geschlossen habe. Der Gesetzgeber habe ohne Willkür aus vernünftigen Gründen die im Streitfall einschlägige Neuregelung für die Zukunft getroffen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger als Verletzung materiellen Rechts Verstöße gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip. Die Beseitigung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben widerspreche dem Gleichheitssatz, weil weiterhin die Berücksichtigung von Schuldzinsen als Betriebsausgaben bestehenbleibe. Gewerbetreibende könnten mittelbar steuerbegünstige Kredite für private Anschaffungen verwenden, indem sie privat benötigtes Kapital aus dem Betrieb zögen und dafür einen betrieblichen Kredit aufnähmen. Die Benachteiligung der Nichtgewerbetreibenden sei sogar eine doppelte, da jene betrieblich und zugleich privat nutzbare Gegenstände, z. B. Pkw, Bürogegenstände, Telefon und dergleichen, für den Betrieb anschaffen und neben dem Schuldzinsenabzug auch noch eine steuerliche Gewinnminderung erreichen könnten. Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt, weil die Neuregelung in die weitere Laufzeit seines Versicherungsvertrags bis zum Ablauf des Jahres 1984 eingreife. Ihm sei es wegen der §§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b EStG a. F. oder 10 Abs. 1 Nr. 2 dd EStG n. F. nicht möglich, den Versicherungsvertrag vorzeitig zu erfüllen, sondern er müsse weitere 12 Jahre den steuerlich entwerteten Vertrag beachten. Einerseits nehme die gesetzliche Neuregelung bestehende Steuervorteile weg, andererseits binde ihn das Steuerrecht weiter an den Versicherungsvertrag. Er könne den Lebensversicherungsvertrag wegen fehlender Mittel nicht auffüllen.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die geltend gemachten Schuldzinsen als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Zwar ist infolge des Zeitablaufs die vom Kläger im Lohnsteuerermäßigungsverfahren begehrte Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte nicht mehr möglich, jedoch hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 8. November 1972 VI R 115/71 (BFHE 108, 92, BStBl II 1973, 223) entschieden, daß ein Rechtsschutzinteresse für eine Revision in einem solchen Fall nicht verneint werden kann, wenn dem Lohnsteuerabzugsverfahren ein Veranlagungsverfahren folgt.

In der Sache selbst mußte der Revision der Erfolg versagt werden. Das FG hat zu Recht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn für eine gesetzliche Differenzierung ein sachlich einleuchtender Grund nicht vorhanden ist und deshalb die Gesetzesbestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (ständige Rechtsprechung des BVerfG, z. B. Beschluß vom 15. Januar 1969 1 BvR 723/65, BVerfGE 25, 101 [105], BStBl II 1969, 253). Das ist bei dem Steueränderungsgesetz 1973, soweit es die Abziehbarkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben beseitigt hat, nicht der Fall, da alle Steuerpflichtigen davon in gleicher Weise betroffen werden. Zwischen dem Schuldzinsenabzug als Sonderausgaben, der private Schulden betrifft, und dem Schuldzinsenabzug bei betrieblich oder beruflich veranlaßten Schuldzinsen bestehen so gewichtige Unterschiede, daß beide Fälle nicht miteinander verglichen werden können. Es handelt sich dabei um ungleiche Sachverhalte, die der Gesetzgeber ungleich behandeln konnte. Es liegt insbesondere keine den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verletzende ungleiche Behandlung der Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gegenüber den Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb vor. Sie kann auch nicht darin gesehen werden, daß Betriebsinhaber Schuldzinsen für private Darlehen im Ergebnis dann steuerlich abziehen können, wenn sie Kapital aus dem Betrieb entnehmen und es durch die Aufnahme eines betrieblichen Darlehns ersetzen, dessen Zinsen sie als Betriebsausgaben geltend machen. Diese Fälle sind selten und im Gesamtbild von untergeordneter Bedeutung; sie müssen hingenommen werden, ohne daß der Gleichheitssatz als verletzt anzusehen ist (vgl. Beschluß des BVerfG 1 BvR 723/65). Da ein Unternehmer bei der Herausnahme von Kapital aus seinem Betrieb auch eine Reihe anderer wirtschaftlicher Gesichtspunkte berücksichtigen muß, ist das Verfahren keineswegs ohne weiteres durchführbar. Zudem ist die Verwendung von Betriebsmitteln für den privaten Verbrauch in der Regel erst nach Versteuerung als Einkommen möglich. Wird Kapital zur privaten Verwendung aus dem Betrieb gezogen und das betrieblich notwendige Geld durch ein Darlehen ersetzt, kann das FA die Anerkennung der Zinsen für das betriebliche Darlehen als Betriebsausgaben möglicherweise auch mit der Begründung versagen, es handele sich bei diesem Vorgang um eine Steuerumgehung.

Der Senat hält die vom Kläger gerügte gesetzliche Neuregelung auch für verfassungsmäßig, soweit sie in bestehende Verträge eingreift. Die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974, die gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1974 den Wegfall des Schuldzinsenabzugs als Sonderausgaben gebracht hat, bedeutet keine echte Rückwirkung, da sie erst die nach der Gesetzesänderung anfallenden und keine in der Vergangenheit gezahlten Schuldzinsen betrifft. Aber auch wenn keine echte Rückwirkung vorliegt, kann allerdings eine Norm gegen die im Wesen des Rechtsstaates liegenden Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen. Das kann der Fall sein, wenn die Norm auf gegenwärtig noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich im ganzen entwertet (Beschluß des BVerfG vom 23. März 1971 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392, BStBl II 1971, 439 [442]). Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit hängt dann davon ab, ob der Bürger im Vertrauen auf den Bestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung billigerweise eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber erwarten durfte. Bei dieser Entscheidung ist zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits abzuwägen (vgl. Beschluß des BVerfG 2 BvL 17/69). Im Streitfall ergibt diese Abwägung, daß das Interesse der Allgemeinheit Vorrang haben muß. Dem Kläger ist zwar ein gewisser Vertrauensschutz zuzubilligen. Dieser entfällt auch nicht etwa wegen der Vorhersehbarkeit der Neuregelung (vgl. Beschluß des BVerfG vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272 [286], BStBl II 1973, 431 [435]); denn beim Abschluß des langfristigen Vertrages des Klägers im Jahre 1962 war nicht vorhersehbar, daß der Gesetzgeber die Abzugsmöglichkeit beseitigen würde. Der Kläger hat bis zum Jahre 1973 einschließlich durch die Verbindung eines Darlehnsvertrages mit einem Lebensversicherungsvertrag Steuerersparnisse durch den Abzug von Versicherungsbeiträgen und von Schuldzinsen als Sonderausgaben erzielt. Bei der abwägenden Prüfung muß der Versicherungsvertrag außer Betracht bleiben, da ihn die steuerliche Änderung nicht betrifft. Es ist daher unerheblich, ob er diesen Vertrag ohne steuerliche Nachteile kündigen kann. Der Wegfall des Schuldzinsenabzugs verteuert zwar für den Kläger den Kredit. Eine Existenzgefährdung ist jedoch damit für ihn nicht verbunden. Durch die privaten Anschaffungen hat der Kläger zudem auch Gegenwerte erlangt. Der Schaden des Klägers ist zwar einerseits um so höher, je länger die Laufzeit des Darlehns noch ist. Je länger aber die Vertragsdauer ist, desto weniger verdient das Vertrauen des Klägers aber andererseits geschützt zu werden, weil der Spielraum des Steuergesetzgebers nicht durch in die Zukunft reichende Verträge der Steuerpflichtigen zu sehr eingeschränkt werden darf. Gerade bei Sonderausgaben darf der Vertrauensschutz nicht zu hoch bewertet werden. Sonderausgaben sind ihrem Wesen nach nicht abziehbare Ausgaben der Lebenshaltung, die ausnahmsweise aus sozialen oder steuerpolitischen Gründen bei der Einkommensermittlung abzuziehen sind (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., § 10 EStG Anm. 1). Sie haben den Charakter von Steuervergünstigungen. Je nach Veränderung der sozialen Verhältnisse, insbesondere auch mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der öffentlichen Finanzwirtschaft, sind die Sonderausgabenvorschriften demgemäß schon wiederholt geändert worden (vgl. die Aufzählung bei Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 10 EStG Anm. 1).

Die Bedeutung des mit der Abschaffung des Schuldzinsenabzugs als Sonderausgaben verfolgten gesetzgeberischen Anliegens liegt auf dem Gebiet der Steuerreform; es hat ferner konjunkturelle Gründe. Die Steuerreform hat einerseits Steuervergünstigungen gebracht, andererseits auch zum finanziellen Ausgleich Steuervergünstigungen abgeschafft. Daß hierbei der Schuldzinsenabzug als Sonderausgabe betroffen wurde, hängt mit der Änderung der sozialen Verhältnisse und Anschauungen zusammen, die zu berücksichtigen Aufgabe des Gesetzgebers ist. Soweit der Schuldzinsenabzug bereits im Vorgriff auf die Steuerreform seit dem 1. Januar 1974 weggefallen ist, handelt es sich um ein Vorziehen aus konjunkturellen Gründen, das nicht als willkürlich zu bezeichnen ist. Die wirtschaftliche Entwicklung kann es rechtfertigen, bisher gewährte steuerliche Vergünstigungen abzubauen (vgl. Herrmann-Heuer, a. a. O., § 10 EStG Anm. 6 a). Es handelte sich um wesentliche Belange der öffentlichen Finanzwirtschaft, die im Streitfall Vorrang vor dem individuellen Vertrauensschutz haben müssen (vgl. Urteil des BVerfG vom 19. Dezember 1961 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274 [278], BStBl I 1962, 489).

Der Senat hält nach allem den Eingriff der Neuregelung in bestehende Verträge für verfassungsgerecht. Daran ändert auch das Fehlen einer Übergangsregelung für diese Fälle nichts. Es liegt grundsätzlich in der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er Überleitungsvorschriften erlassen will oder nicht. Der Senat meint, daß der Gesetzgeber von einer Übergangsregelung für Fälle wie dem hier vorliegenden absehen durfte. Privaten Darlehen steht stets ein Gegenwert oder ein anderer Vorteil gegenüber; die steuerliche Mehrbelastung ist bis auf ganz seltene Fälle, die nach § 131 AO geregelt werden können, nicht existenzgefährdend. Die längerfristigen Darlehnsverträge sind auch dank der Vorschrift des § 247 Abs. 1 BGB bei höheren Zinsen kraft Gesetzes kündbar. Soweit die Steuerpflichtigen dennoch gewisse Nachteile erleiden, sind diese im Interesse der Allgemeinheit als vertretbar anzusehen.

Da die Vorentscheidung demnach dem geltenden Recht entspricht, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71687

BStBl II 1976, 69

BFHE 1976, 72

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