Leitsatz (amtlich)

Eine Rückstellung kann auch gebildet werden, wenn die Erfüllung der ungewissen Verbindlichkeit für die Zeit nach dem Ableben des verpflichteten Betriebsinhabers vereinbart wird.

 

Normenkette

EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3; EStDV § 7 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Farbengroßhändler M. H. hatte nach Feststellung des FG einer Reihe seiner Kunden einen Umsatzbonus in Höhe von 10 % der Lieferungen versprochen, der nach seinem und seiner Ehefrau Tode ausgezahlt werden sollte. M. H. ist im November 1960, seine Ehefrau im Juli 1964 gestorben. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist alleinige, unbeschränkte Vorerbin der Ehefrau H., ihrer Schwester. Der Testamentsvollstrecker, dem es nach dem Testament der Ehefrau H. überlassen war, sich mit den früheren Kunden über die Zahlung eines Bonusses auseinanderzusetzen, zahlte insgesamt 66 681,11 DM aus. Die Steuerpflichtige bildete in der berichtigten Bilanz zum 31. Dezember 1962 eine Bonus-Rückstellung von 11 958 DM und in der Bilanz zum 31. Dezember 1963 eine solche in Höhe von 30 000 DM. Beide Bilanzen wurden im Frühjahr 1965 aufgestellt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erkannte diese Rückstellungen bei der Einkommensteuerveranlagung der Frau H. für die Streitjahre 1962 und 1963 nicht an, weil es sich nach einem für frühere Veranlagungszeiträume ergangenen Urteil des FG um Nachlaßverbindlichkeiten handele.

Die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus, es könne im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die Bonusse als Betriebsausgaben oder private Nachlaßverbindlichkeiten anzusehen seien. Denn die Rückstellungen hätten in den Bilanzen der Streitjahre jedenfalls deshalb nicht gebildet werden dürfen, weil an den Bilanzstichtagen 31. Dezember 1962 und 31. Dezember 1963 die Ehefrau H. noch gelebt habe, so daß die Erfüllung der erst nach ihrem Tode zu begleichenden Bonusverpflichtung ungewiß gewesen sei. Daß im Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanzen im Frühjahr 1965 infolge des Todes der Frau H. die Belastung des Betriebsvermögens mit den Bonusgutschriften eingetreten sei, habe als Erkenntnis wertbestimmender, nicht nur wertaufhellender Umstände (vgl. Littmann-Förger, Rückstellungen, S. 131 ff.) nicht berücksichtigt werden dürfen. Ein Todesfall sei, auf den Bilanzstichtag bezogen, regelmäßig als ungewisses Ereignis anzusehen. Außerdem seien beide Bilanzen zu spät aufgestellt worden (Littmann-Förger, a. a. O., S. 136).

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Zulässigkeit der in den Bilanzen zum 31. Dezember 1962 und 31. Dezember 1963 als Rückstellungen für Bonusverpflichtungen bezeichneten Verbindlichkeiten festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz.

I. Die Rückstellungsbildung dem Grunde nach

Das FG durfte nicht dahingestellt sein lassen, ob es sich bei der fraglichen Verpflichtung um einen betrieblich veranlaßten Rückstellungstatbestand oder um eine in der privaten Sphäre der Eheleute H. begründete Verbindlichkeit handelte. Denn je nachdem ist die einkommensteuerliche Behandlung unterschiedlich. Der Senat könnte jedenfalls der Vorinstanz nicht ohne weiteres darin folgen, daß eine durch den Betrieb veranlaßte Bonusverpflichtung deshalb eine Rückstellung nicht rechtfertigen würde, weil nicht mehr der Erblasser (M. H. oder dessen Ehefrau), sondern dessen Erben diese Verpflichtung zu erfüllen hätten.

Dies vorausgeschickt, ergeben sich für den Streitfall die folgenden Möglichkeiten. Wurde der "Bonus" als Vermächtnis durch verschleierte Verfügung von Todes wegen - vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 8 S. 23 [30] - zugesagt, wofür nach dem vom FA herangezogenen früheren Urteil der Vorinstanz vieles spricht, so liegt eine der privaten Vermögenssphäre zuzurechnende Nachlaßverbindlichkeit vor. Diese Verpflichtung durfte den Gewinn des Betriebs weder in der Hand der Eheleute H. noch in der Hand des Erben berühren. Die Rückstellungsbildung wäre von der Vorinstanz zu Recht versagt worden.

Nach dem von der Vorinstanz wiedergegebenen Sachverhalt läßt sich jedoch nicht ausschließen, daß die Beteiligten auf betrieblicher Ebene eine Vereinbarung unter Lebenden auf den Todesfall getroffen haben, die bürgerlich-rechtlich (vgl. noch Kommentar der Reichsgerichtsräte und Bundesrichter zum BGB - BGB-RGRK -, 11. Aufl., Vorbem. 3 vor § 1937, und Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 31. Aufl., § 1937 Anm. 4) anzuerkennen und demzufolge auch der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist. Ist diese Fallgestaltung gegeben, so ist es gleichgültig, ob der Tod der Eheleute H. lediglich als Fristbestimmung oder ob er als aufschiebende Bedingung (§§ 158, 163 BGB) zu verstehen ist. Bei Vereinbarung einer befristeten Schuld kommt eine Passivierung gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Rückstellung deshalb in Betracht, weil die Schuld am Bilanztag bereits rechtlich entstanden war (Urteil des BFH I R 22/66 vom 23. September 1969, BFH 97, 164, BStBl II 1970, 104), vorausgesetzt, daß sie auch wirtschaftlich in dem Wirtschaftsjahr durch hinreichende Konkretisierung bereits zu einer Vermögensminderung geführt hat (Urteil des BFH I R 121/69 vom 17. Februar 1971, BFH 101, 513, BStBl II 1971, 391). Die Schuld ist entsprechend der Lebenserwartung der Verpflichteten zu bewerten (Entscheidungen des BFH I 103/55 U vom 25. September 1956, BFH 63, 396, BStBl III 1956, 349; VI 262/63 U vom 3. Juli 1964, BFH 81, 225, BStBl III 1965, 83). Aber auch bei Annahme einer aufschiebend bedingten Schuld könnte eine Rückstellung zulässig sein. Denn nach ständiger Rechtsprechung dürfen Rückstellungen auch für Verbindlichkeiten gebildet werden, die rechtlich noch nicht entstanden sind, wenn mit ihrem Entstehen ernstlich gerechnet werden muß und sie wirtschaftlich im abgelaufenen Geschäftsjahr verursacht, d. h. mit Ereignissen dieses Geschäftsjahres ursächlich verknüpft sind (BFH-Entscheidungen I R 50/67 vom 24. April 1968, BFH 92, 224, BStBl II 1968, 544; I R 15/68 vom 24. Juni 1969, BFH 96, 101, BStBl II 1969, 581; IV R 58/70 vom 26. Mai 1971, BFH 102, 504, BStBl II 1971, 704).

Daß die Zahlungspflicht an das Ableben der Eheleute H. geknüpft war, stände der Rückstellungsbildung nicht entgegen. Denn es handelte sich um Verbindlichkeiten, die das Unternehmen als solches belasten (Entscheidung des BFH I R 50/67, a. a. O.), das durch den Tod des Unternehmers nicht erlischt. Denn einkommensteuerlich stellt der Erbfall jedenfalls bei Betriebsübergängen nach der positiv-gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 EStDV (über deren Rechtsgültigkeit vgl. Urteil des BFH IV 201/65 vom 23. April 1971, BFH 102, 488, BStBl II 1971, 686) keinen die Unternehmensidentität berührenden Vorgang dar. Der Erbe setzt auch einkommensteuerlich die Person des Erblassers fort (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen VI R 208/67 vom 21. März 1969, BFH 96, 19, BStBl II 1969, 520; IV R 238/66 vom 29. Mai 1969, BFH 96, 182, BStBl II 1969, 614; VIII R 76/70 vom 11. August 1971, BFH 103, 160, BStBl II 1972, 55). Es muß deshalb auch für die Frage der Rückstellungsbildung beim Erblasser berücksichtigt werden, daß der Erbe in die Rechtsstellung des Erblassers namentlich in bezug auf die Bilanzierung eintritt. Das Passivum ist daher, soweit der rückstellungsfähige Tatbestand zu Lebzeiten des Erblassers verwirklicht wurde, bereits bei diesem rückstellungsfähig. Im übrigen darf es nach Auffassung des Senats bei der steuerrechtlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise keinen Unterschied machen, ob sich ein Unternehmer - wie hier - auf den Todesfall oder so langfristig bzw. auf einen so späten Zeitpunkt verpflichtet, daß mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß nicht er, sondern seine Erben die geschuldete Leistung erbringen werden. Es ist aber bisher, soweit ersichtlich, noch niemand auf den Gedanken gekommen, in einem solchen Fall die Passivierung einer Verbindlichkeit, sei es auch unter dem Gesichtspunkt einer Rückstellung, durch den Unternehmer abzulehnen.

II. Zur Höhe einer eventuellen Rückstellung

Kommt unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsausführungen eine Rückstellungsbildung dem Grunde nach in Betracht, so bedarf es für ihre Bemessung noch der Feststellung, für welche Geschäftsjahre Bonuszusagen erteilt wurden. In den Bilanzen der Streitjahre wären zunächst die in diesen konkretisierten Verpflichtungen rückstellungsfähig. Die Nachholung von in früheren Jahren unterlassenen Rückstellungen wäre von dem Zeitpunkt an anzuerkennen, in dem ein Rückstellungsgebot bejaht würde. Im Falle der Annahme eines Rückstellungswahlrechts sind Nachholungen unzulässig (Urteil des RFH I A 110/36 vom 23. November 1937, RFH 42, 327, RStBl 1938, 85). Die Entscheidung, ob im Streitfall von einem Rückstellungszwang oder von einem Rückstellungswahlrecht auszugehen ist, hängt von der Beurteilung der Verhältnisse im einzelnen ab, die noch festzustellen wären. Für länger zurückliegende Zeiträume wären gegebenenfalls ein Abschlag bei Annahme einer Bedingtheit der Verbindlichkeiten (Entscheidung des BFH IV 108/58 U vom 14. Januar 1960, BFH 70, 365, BStBl III 1960, 137) und eine angemessene Abzinsung in Betracht zu ziehen (Entscheidungen des BFH VI 262/63 U vom 3. Juli 1964, a. a. O.; IV 5/65 U vom 4. November 1965, BFH 84, 183, BStBl III 1966, 67).

Daß die Bilanzen 1962 und 1963 verspätet aufgestellt wurden, spielt im Streitfall keine Rolle. Denn es geht nicht um die Frage, ob spätere Erkenntnisse bei dem Ansatz der Rückstellungen Berücksichtigung finden sollen. Nur hierfür aber kann der Zeitpunkt der Bilanzaufstellung von Bedeutung sein. Im übrigen sind auch bei verspätet aufgestellten Bilanzen alle Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen, die sie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse am Bilanztag haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70215

BStBl II 1973, 9

BFHE 1973, 195

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