Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzamt bei einer mangels zeitgerechter Kassenführung nach § 217 AO gebotenen Schätzung das Buchergebnis des Steuerpflichtigen nahezu unverändert als Schätzungsgrundlage übernommen, so genügt es nicht, wenn sich der Steuerpflichtige in dem zunächst aus anderen Gründen anhängig gemachten Rechtsmittelverfahren erstmals nach 1 3/4 Jahren gegen das Schätzungsergebnis mit dem allgemeinen Einwand wendet, es seien nicht alle baren Betriebsausgaben verbucht worden. Dieser Einwand braucht dem Finanzgericht keinen Anlaß zu geben, weitere Ermittlungen nach § 243 Abs. 1 AO anzustellen oder den Steuerpflichtigen zu weiterer Darlegung zu veranlassen.

 

Normenkette

AO § 243 Abs. 1, § 204 Abs. 1, § 246; FGO § 76

 

Tatbestand

Der Bf. - ein Dachdeckermeister -, der von einem Helfer in Steuersachen beraten ist, wurde für die Veranlagungszeiträume 1953 und 1954 zur Einkommensteuer mit gewerblichen Einkünften veranlagt, die gemäß § 217 AO nach Richtsätzen vom Umsatz geschätzt wurden. Für den Veranlagungszeitraum 1953 wurde der gewerbliche Gewinn bei einem Umsatz von 85.252 DM nach einem Richtsatz von 25 v. H. auf 21.300 DM geschätzt. Für den Veranlagungszeitraum 1954 ergab sich bei einem Umsatz von 69.294 DM und einem Richtsatz von 26 v. H. ein Gewinn von rund 18.000 DM. Für 1953 erfolgte die Schätzung, weil der Bf. weder bis zu dem bis 30. November 1954 verlängerten Erklärungstermin noch danach eine Einkommensteuererklärung abgab. Für 1954 erklärte der Bf. nach sechsmaliger Fristverlängerung seinen Gewinn mit 20 v. H. des Umsatzes = 13.858 DM.

Nach Durchführung der Schätzungen und Bekanntgabe der Bescheide wurde im September 1957 eine Betriebsprüfung durchgeführt, die dem Finanzamt Veranlassung gab, unter Aufgabe seiner bisherigen Schätzungen die gewerblichen Gewinne nunmehr anderweitig auf Grund der Feststellungen zu ermitteln, die sich nach der Betriebsprüfung ergaben, und demgemäß die Veranlagungen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zu berichtigen. Der Betriebsprüfer fand im Betrieb des Bf. je eine Bilanz und je eine Verlust- und Gewinnrechnung nebst Hauptabschlußübersicht zum 31. Dezember 1953 bzw. zum 31. Dezember 1954 vor. Danach ergab sich für 1953 statt eines geschätzten Gewinns von 21.300 DM ein Gewinn von 25.629,88 DM und für 1954 statt eines geschätzten Gewinns von 18.000 DM ein Gewinn von 19.344,45 DM. Bilanzen und Verlust- und Gewinnrechnungen sowie die entsprechenden Hauptabschlußübersichten hatte der Berater des Bf. ab 1953 aus der seit diesem Jahre angelegten Durchschreibebuchführung entwickelt.

Der Prüfer sprach zwar der Buchführung die Beweiskraft ab, weil die Verbuchung der Bareingänge und der Barausgänge, die bis zum 8. Dezember 1954 nur in der Kassenspalte des Journals und erst danach in einem Kassenbuch erfolgte, nicht laufend vorgenommen worden war. Er schlug aber - nach Berichtigung des Passivpostens "Delkredere" - vor, das Ergebnis der Buchführung als neue Schätzungsgrundlage zu übernehmen. Die Berichtigung wirkte sich im übrigen für die hier in Betracht kommenden Veranlagungszeiträume 1953 und 1954 gewinnmindernd aus, da sich nach Berichtigung der Vorjahresbilanzen geringere Zuführungen zur Delkredererückstellung ergaben. Das Finanzamt folgte dem Vorschlag des Betriebsprüfers.

Der Bf. griff die am 3. Februar 1958 zur Post gegebenen Berichtigungsbescheide mit dem Einspruch und zunächst auch mit der - nach erfolglosem Einspruch - am 7. Mai 1958 eingelegten Berufung lediglich mit dem Antrag an, für seine mit ihm antragsgemäß zusammen veranlagte Ehefrau wegen deren Mitarbeit einen besonderen Steuertarif anzuwenden oder den in § 26 d Abs. 2 EStG 1957 vorgesehenen Ehegattenfreibetrag auch für die Veranlagungszeiträume 1953 und 1954 zu gewähren. Erst mit Schriftsätzen vom 17./21. Oktober 1958 und vom 14. November 1958 bestritt er die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, indem er zunächst lediglich geltend machte, die "ursprünglich rohen Schätzungen" könnten nicht durch eine neue Schätzung, auch wenn diese neue Schätzung auf einem Abschluß des Bf. beruhe, ersetzt werden, da der Betriebsprüfer ausdrücklich festgestellt habe, daß die Buchführung - mithin auch der Abschluß - nicht beweiskräftig sei. Außerdem habe das Finanzamt seine Ermittlungspflicht verletzt.

Erstmals mit Schriftsatz vom 14. April 1959 (eingegangen am 3. Juli 1959) machte er geltend, die Hauptabschlußübersichten seien dem Finanzamt nicht übersandt worden, weil sie auf nachträglicher Korrektur der Buchführung beruhten, die hauptsächlich darin bestanden habe, das Buchführungswerk buchtechnisch zu ordnen und abzustimmen. Diese nachträglichen Berichtigungen hätten nicht zu einer ordnungsmäßigen Buchführung und damit auch nicht zu einer brauchbaren Besteuerungsgrundlage geführt. Der Prüfer habe das anerkannt, indem er der Buchführung die Beweiskraft abgesprochen habe. Die Betriebseinnahmen seien zwar alle erfaßt, weil sie "meist über Bankkonto" gingen und von den Ausgangsrechnungen Durchschriften vorlägen. Dagegen seien die baren Betriebsausgaben mangels Kassenführung nicht alle erfaßt worden. Diese nicht erfaßten Ausgaben seien dann als Privatentnahmen verbucht worden.

Das Finanzgericht hat die Berufung des Bf. zurückgewiesen, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung:

Der Antrag des Bf., für die Mitarbeiter der Ehefrau einen besonderen Steuertarif anzuwenden oder Ehegattenfreibeträge zu gewähren, wie sie das EStG 1957 im § 26 d Abs. 2 vorsehe, sei nach dem Gesetz nicht berechtigt; denn die genannte Vorschrift gelte nur für den Veranlagungszeitraum 1957. Es bestehe kein Anlaß, an der Rechtswirksamkeit der Vorschriften des EStG 1957 insoweit zu zweifeln.

Zur Schätzung sei das Finanzamt nach dem Verhalten des Bf. berechtigt gewesen. Es habe seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Wer sich so wie der Bf. verhalte, müsse das Ergebnis seiner eigenen nachträglich erstellten Buchführung als Schätzungsgrundlage gegen sich gelten lassen. Die Tatsache, daß Hauptabschlußübersichten, Vermögensübersichten und Verlust- und Gewinnrechnungen vom Bf. bzw. von seinem Berater erstellt worden seien, sei für das Finanzamt eine neue, erst auf Grund der Betriebsprüfung festgestellte Tatsache, die unter der weiteren Voraussetzung, daß das Ergebnis der Buchführung trotz deren Mängel nach entsprechender Berichtigung als Schätzungsgrundlage übernommen werden könne, eine neuerliche Schätzung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO rechtfertige. Diese weitere Voraussetzung aber sei gegeben. Das Finanzamt habe auf Grund der Feststellungen des Prüfers in übereinstimmung mit der Entscheidung des erkennenden Senats IV 40/51 U vom 3. Oktober 1951 (BStBl 1951 III S. 202, Slg. Bd. 55 S. 494) davon ausgehen können, daß neue Tatsachen bzw. neue Schätzungsunterlagen festgestellt seien, die eine neue, d. h. eine anderweitige Schätzung rechtfertigten. Der Bf. habe nichts dafür vorgetragen, daß die nachträglich in der Buchführung ermittelten Ergebnisse der Höhe nach unzutreffend seien. Daß die Betriebseinnahmen vollständig erfaßt seien, habe er ausdrücklich bestätigt. Dafür, daß nicht alle Betriebsausgaben erfaßt worden seien, habe er nichts dargetan. Hierbei sei von Bedeutung, daß er noch mit Schriftsatz vom 13. Januar 1959 durch seinen Berater habe bestätigen lassen, es seien bei der Schlußbesprechung keine wesentlichen Einwendungen erhoben worden. Unter diesen Umständen könne er sich auf die bloße Feststellung des Prüfers, die Buchführung sei nicht beweiskräftig, nicht berufen.

Mit der Rb. wendet sich der Bf. nur noch gegen die Verwertung seines Buchergebnisses, indem er nunmehr in tatsächlicher Hinsicht u. a. vorträgt: Buchmäßig habe sich zum 31. Dezember 1953 ein Kassenbestand von 9.428,63 DM ergeben. Da der tatsächliche Bestand aber weit niedriger gewesen sei, seien 6.000 DM auf Privatkonto gebucht worden. In gleicher Weise sei zum 31. Dezember 1954 ein Betrag von 1.143,89 DM auf Privatkonto umgebucht worden. Wahrscheinlich habe es sich bei den auf Privatkonto umgebuchten Beträgen um nicht verbuchte Betriebsausgaben gehandelt. Eine Erklärung dafür könne darin gefunden werden, daß wahrscheinlich zwar Kundenforderungen des Bf., die von den Kunden durch Gegenleistungen für den Betrieb des Bf. (Kraftstoff, Reparaturen usw.) getilgt worden seien, als bar bezahlt gebucht worden seien, während die entsprechenden Gegenrechnungen der Kunden nicht als Ausgaben verbucht worden seien. Infolge der ab 1953 erfolgten Umstellung der Buchführung auf das System der Durchschreibebuchführung sei die Buchhalterin, die mit dem neuen System nicht zurechtgekommen sei, mit den Buchungen in Rückstand geraten und habe schließlich die übersicht ganz verloren. Kontrolle und Berichtigungen der Buchführung für 1953 und 1954 hätten sich bis 1957 erstreckt. Weitere und weitergehende Ausführungen hierzu hat der Bf. mit Schriftsatz vom 5. August 1960 gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt:

Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern das Finanzamt - wie der Bf. meint - bei Durchführung der ursprünglichen Veranlagungen seine Ermittlungspflicht durch die von ihm vorgenommenen Schätzungen nach Richtsätzen verletzt haben sollte. Aus dem Vorbringen des Bf. ergibt sich eindeutig, daß er zu dieser Zeit selbst nur in der Lage war, seinen Gewinn zu schätzen. Er hat deshalb für 1953 keine Einkommensteuererklärung abgegeben und es auf die Schätzung des Finanzamts ankommen lassen. Für 1954 hat er deshalb - trotz wiederholter Fristverlängerung - seine Einkommensteuererklärung nur mit einem geschätzten gewerblichen Gewinn abgeben können. Die Voraussetzungen des § 217 AO waren für das Finanzamt gegeben.

Sodann kann dem Bf. auch darin nicht gefolgt werden, daß dem von seinem Berater für 1953 und für 1954 nachträglich erstellten Buchabschluß und dem darauf beruhenden Buchergebnis schon deshalb jede steuerliche Anerkennung abzusprechen sei, weil die Buchführung nach der Feststellung des Prüfers nicht als ordnungsgemäß anzuerkennen sei. Der Prüfer und ihm folgend das Finanzamt haben der Buchführung des Bf. die volle Beweiskraft lediglich mangels zeitgerechter, d. h. laufender bzw. täglicher Verbuchung der Bareingänge und der Barausgänge nicht zugesprochen. Die nicht zeitgerechte Verbuchung dieser Eingänge und Ausgänge bedeutet nicht nur einen formalen, sondern auch einen sachlichen Mangel der Buchführung (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 244/52 U vom 9. Oktober 1952 und IV 63/53 U vom 10. Juni 1954, BStBl 1954 III S. 71 bzw. 298, Slg. Bd. 58 S. 414 bzw. Bd. 59 S. 227). Erfolgt ihre Verbuchung nicht laufend, so ist keine Gewähr für ihre vollständige Erfassung gegeben. Das schließt aber - wovon auch die Vorinstanzen ausgegangen sind - nicht aus, das Buchergebnis als das nach den Umständen mögliche und wahrscheinliche Ergebnis, mithin als Schätzungsergebnis mit den sich daraus für alle Beteiligten ergebenden Risiken anzuerkennen und zu verwerten, sofern nicht weitere Umstände dagegen sprechen. Solche Umstände waren aber für die Vorinstanzen nicht ersichtlich. Erstmals mit seinem am 3. Juli 1959 - also 1 3/4 Jahre nach der Betriebsprüfung - eingegangenen Schriftsatz hat der Bf. darauf hingewiesen, daß nicht alle Barausgänge erfaßt worden seien. Dieser einzige nicht näher substantiierte Hinweis - mit dem sich der Bf. offenbar gegen das Buchergebnis als solches und damit gegen seine Verwertung als Schätzungsgrundlage wenden will - brauchte aber dem Finanzgericht keinen Anlaß zu geben, weitere Ermittlungen im Sinne des § 243 Abs. 1 AO anzustellen oder den Bf. zu weiterer Darlegung zu veranlassen. Die nicht zeitgerechte bzw. laufende Verbuchung der baren Ein- und Ausgänge und die dadurch begründete Vermutung ihrer möglicherweise unvollständigen Erfassung war gerade der Ausgangspunkt dafür, das vom Bd. selbst bislang nicht mit substantiierten Einwendungen in Frage gestellte Buchergebnis nur als Schätzungsergebnis zu verwerten.

Die in der Rb. vorgebrachten Einwendungen stellen neues tatsächliches Vorbringen dar, auf das der Senat bei der in Anbetracht der §§ 288, 296 AO beschränkten Rechtsnatur der Rb. nichtmehr eingehen kann, so daß dahingestellt bleiben kann, ob diese Einwendungen durchgreifen könnten.

Schließlich kann auch der weitere Einwand des Bf. nicht durchgreifen, das Finanzamt habe in unzulässiger Weise eine Schätzung durch eine andere Schätzung ersetzt. Die neuerliche Schätzung des Finanzamts beruht auf der für das Finanzamt neuen Tatsache der nachträglich erstellten Buchunterlage und damit auf neuen tatsächlichen Feststellungen, die zu einer neuen und anderweitigen Schätzungsgrundlage geführt haben (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 515/56 U vom 5. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 52, Slg. Bd. 66 S. 132).

 

Fundstellen

Haufe-Index 410095

BStBl III 1961, 321

BFHE 1962, 146

BFHE 73, 146

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