Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabe von Speiseeis in Verzehrkino unterliegt dem Regelsteuersatz

 

Leitsatz (NV)

1. Der Verkauf von Speiseeis an die Besucher eines Lichtspieltheaters ist keine unselbständige Nebenleistung zur Filmvorführung (Weiterführung der BFH-Urteile vom 7. März 1995 XI R 46/93, BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429 und vom 1. Juni 1995 V R 90/93, BFHE 178, 248, BStBl II 1995, 914).

2. Die Lieferung erfolgt zum sofortigen Verzehr an Ort und Stelle und war deshalb bis zum Jahre 1984 nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 begünstigt.

3. Dies gilt auch für die Folgejahre, wenn besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.

4. Abstellplätze und Abstellborde in einem Verzehrkino können solche Vorrichtungen sein.

 

Normenkette

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nrn. 1, 7 Buchst. b

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Streitjahren (1983 bis 1987) Filmtheater in X und Y. Hierbei handelt es sich um sog. Verzehrkinos. Das Bedienungspersonal bietet während der Filmvorführung u. a. verpacktes Speiseeis an. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) befinden sich im jeweiligen Kinosaal entweder neben den Sitzen Abstellplätze oder vor den Sitzen Abstellborde, auf denen regelmäßig -- in Abständen -- jeweils eine Lampe und ein Aschenbecher stehen.

Aufgrund einer Außenprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die in der Zeit vom 1. Juli 1983 bis Ende 1987 bewirkten Speiseeisumsätze dem Regelsteuersatz; das FA sah hierin die Lieferung von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle i. S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980).

Der nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klage gab das FG unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Mai 1988 X R 11/82 (BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799) statt, da es in der Verabreichung des Speiseeises eine unselbständige Nebenleistung zu den Filmvorführungen sah; die Verabreichung, so führte das FG aus, werde von der Begünstigung der Filmvorführung (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG 1980) miterfaßt. "Nebenbei" machte das FG die Bemerkung, daß es Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 2 und 3 UStG 1980 für gegeben hielte -- falls dies entscheidungserheblich wäre --.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es führt im einzelnen aus, die Verabreichung des Speiseeises sei keine Nebenleistung zur Filmvorführung; die Entscheidung des FG weiche von dem Urteil des BFH vom 7. März 1995 XI R 46/93 (BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429) ab.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Das FG hat die Speiseeislieferungen zu Unrecht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG 1980 (i. d. F. des Art. 5 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes -- HBeglG -- 1983 vom 20. Dezember 1982, BGBl I 1982, 1857, 1866, BStBl I 1982, 972, 981) unterworfen. Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich die Steuer für Filmvorführungen auf 7 v. H.

Die Abgabe von Speiseeis ist kein Teil einer Filmvorführung und auch keine unselbständige Nebenleistung zu einer Filmvorführung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das bereits zitierte Urteil in BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429 und das Senatsurteil vom 1. Juni 1995 V R 90/93 (BFHE 178, 248, BStBl II 1995, 914) verwiesen. Wie der XI. Senat des BFH in BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429 ausgeführt hat, bedarf es einer Anrufung des Großen Senats wegen möglicher Abweichung von dem Urteil in BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799 nicht.

2. Die Steuer für die Lieferung des Speiseeises ermäßigt sich auch nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980.

a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 (i. d. F. des Art. 5 Nr. 1 HBeglG 1983) ermäßigt sich die Steuer für die Lieferung der in der Anlage bezeichneten Gegenstände auf 7 v. H. Die entgeltliche Abgabe des Speiseeises ist eine Lieferung i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980. Begünstigt ist die Lieferung der in Nr. 28 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 genannten Lebensmittelzubereitungen (Kap. 21 des Zolltarifs). Zu diesen gehört auch Speiseeis (vgl. Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz, München 1975, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Tz. 76; Husmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz [Mehrwertsteuer] Kommentar, Lfg. August 1983, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Anm. 386).

b) Die Begünstigung gilt nicht für die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1980).

Hierzu bestimmte § 29 der Umsatzsteuer- Durchführungsverordnung (UStDV 1980) für die Streitjahre 1983 und 1984: Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem besonderen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Bestimmung des § 29 UStDV 1980 -- ebenso wie die frühere inhaltsgleiche Regelung des § 5 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) (3. UStDV) -- mangels zureichender Ermächtigungsgrundlage unwirksam (BFH- Urteil vom 27. April 1995 V R 120/89, BFH/NV 1996, 87). Durch Art. 18 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 (StBereinG 1985) vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493, 1507, BStBl I 1984, 659, 673) ist § 29 UStDV 1980 aufgehoben worden. Gleichzeitig ist die Abgrenzungsregelung mit dem gleichen Wortlaut als Satz 3 in den § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 aufgenommen worden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 1985 in Kraft (Art. 32 Abs. 1 StBereinG 1985).

aa) Umsatzsteuer 1983 und 1984

Wegen der Unwirksamkeit des § 29 UStDV 1980 ist der Regelungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1980 allein durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln. Wie der Senat in seinem Urteil in BFH/NV 1996, 87 unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967/1973 ausgeführt hat, kommt es darauf an, ob eine Tätigkeit des Lebensmittel handels bzw. -handwerks beim Verkauf von Lebensmitteln vorliegt, die üblicherweise vorhanden ist, wenn handelsfertig hergerichtete Lebensmittel zur Mitnahme durch den Kunden abgegeben werden, oder ob es sich um die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr an Ort und Stelle handelt, wie sie für Gaststätten und ähnliche Restaurationsbetriebe üblich ist. Wesentlich ist, daß die für den Verzehr an Ort und Stelle liefernden Unternehmer sich regelmäßig nicht auf die Verteilerfunktion beschränken, sondern Dienstleistungen erbringen, die einen sofortigen Verzehr der Speisen und Getränke durch Zubereitung (Eßfertigmachen) und/oder die Art und Weise der Darreichung (Anbieten bzw. Erleichtern des Verzehrs an Ort und Stelle) ermöglichen. Die Dienstleistungen können sowohl die Zubereitung der Speisen und Getränke als auch die Darreichung zum Gegenstand haben. Jede dieser Dienstleistungen bedeutet eine Überschreitung der begünstigten Handels- und Verteilerfunktion des Lebensmittelhandels und -handwerks im Verhältnis zu der dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden gaststättenmäßigen oder gaststättenähnlichen Betätigung.

Das während der Filmvorführung gelieferte Speiseeis war zum sofortigen Verzehr an Ort und Stelle bestimmt; es sollte nicht erst nach der Vorführung auf der Straße verzehrt werden. Indem der Kläger das Eis während der Vorführung durch sein Bedienungspersonal anbieten ließ, erbrachte er zusammen mit der Lieferung des Eises Dienstleistungen, ähnlich wie sie auch in Cafés erbracht werden. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1980 in der bis zum Streitjahr 1984 geltenden Fassung sind also erfüllt. Die Steuerermäßigung nach Satz 1 kommt demgemäß nicht zur Anwendung.

bb) Umsatzsteuer 1985 bis 1987

Für die Jahre 1985 bis 1987 ist § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 UStG 1980 i. d. F. des Art. 17 Nr. 7 StBereinG 1985 maßgebend. Danach werden Speisen und Getränke nur dann zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn besondere Vorrichtungen zum Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.

Besondere Vorrichtungen in diesem Sinne sind Sachen, die bestimmungsgemäß regelmäßig den Verzehr am Ort der Lieferung ermöglichen oder wenigstens erleichtern und den Verzehr an diesen Ort binden sollen (so bereits BFH-Urteil vom 7. Mai 1975 V R 136/72, BFHE 116, 294, BStBl II 1975, 796 zu § 5 der 3. UStDV). Die Kinobestuhlung ist zwar an und für sich keine besondere Verzehrvorrichtung (vgl. Husmann, a. a. O., § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Anm. 116). Im Streitfall liegen aber wegen der integrierten Abstellplätze oder -borde besondere Vorrichtungen zum Verzehr an Ort und Stelle vor. Diese Abstellvorrichtungen sollen den Verzehr der gekauften Speisen und Getränke im Kino erleichtern und an diesen Ort binden. Demnach entfällt die Begünstigung der Speiseeislieferungen auch für die Jahre 1985 bis 1987.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421496

BFH/NV 1997, 70

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