Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide wegen widerstreitender Steuerfestsetzung (§ 174 Abs. 1 und 3 AO 1977) und aufgrund § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

  1. § 174 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 erfordert das Vorliegen von (positiv) widerstreitenden Steuerfestsetzungen zu Lasten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger. Ein "Widerstreiten" in diesem Sinne setzt voraus, dass die in den (kollidierenden) Bescheiden getroffenen Regelungen aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar und daher widersprüchlich sind, weil nur eine der festgesetzten oder angeordneten Rechtsfolgen zutreffen kann. Die in der mehrfachen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts liegenden Unrichtigkeiten müssen einander nach materiellem Recht zwingend ausschließen.
  2. § 174 Abs. 3 AO 1977 erfordert das Vorliegen eines "negativen Widerstreits". Ein "bestimmter Sachverhalt" darf in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuer- oder Feststellungsbescheiden berücksichtigt worden sein, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen. Dabei muss die Berücksichtigung des bestimmten Sachverhalts in einem Bescheid gerade in der (erkennbaren) Annahme unterblieben sein, dass er in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen sei. Die Annahme der Finanzbehörde, der Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid (Feststellungsbescheid) zu erfassen, muss für die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts im Steuerbescheid kausal gewesen sein. Diese erforderliche Kausalität fehlt insbesondere dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts auf der (wenn auch möglicherweise fehlerhaften) rechtlichen Beurteilung der Finanzbehörde beruht, der Sachverhalt sei weder in diesem noch in einem anderen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu berücksichtigen.
  3. Die Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 reicht grundsätzlich nur so weit, wie die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids es verlangt. Diese Bindungswirkung beschränkt sich dabei nicht auf eine bloß mechanische Übernahme von Zahlen. Sie steht vielmehr ‐ weitergehend ‐ jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheids widersprechen würde.
 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 1, 3, § 175 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (EFG 2000, 1159)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre (1980 bis 1983) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie sind seit 1972 Gesellschafter der X-KG. Das Unternehmen existiert seit 1890 und war zunächst als OHG organisiert. Seit 1930 bis zum 1. November 1977 war an der Gesellschaft auch der Vater des Klägers, E.X, als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt. Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des zu dieser Zeit 79 Jahre alten E.X aus der X-KG zum 1. November 1977 bestätigte ihm die Gesellschaft folgende Versorgungszusage:

"Herr E.X und seine Ehefrau erhalten eine lebenslängliche Versorgungsrente i.H. von 2 200 DM monatlich, erstmalig für den Monat November 1977. Nach dem Ableben eines Ehegatten ermäßigt sich die Versorgungsrente … auf 1 500 DM monatlich."

In den Streitjahren 1980 und 1981 erhielten E.X und seine Ehefrau Versorgungszahlungen in Höhe von jährlich 22 800 DM. Im Jahr 1981 verstarb E.X. Die X-KG zahlte daraufhin an dessen Witwe 18 400 DM im Streitjahr 1982 und 18 000 DM im Streitjahr 1983. Diese Versorgungsleistungen wurden auch in den Folgejahren fortgesetzt.

Die X-KG machte die entsprechenden Zahlungen in ihren Gewinnfeststellungserklärungen für die Streitjahre ebenso wie für die Folgejahre als Betriebsausgaben (betriebliche Versorgungsrente) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte die Zahlungen zunächst erklärungsgemäß, erkannte sie aber im Anschluss an eine bei der X-KG durchgeführte Außenprüfung mit der Begründung nicht mehr an, dass eine betriebliche Versorgungsrente nicht vorliege. Dementsprechend erhöhte das FA sowohl in den Gewinnfeststellungsbescheiden für 1980 bis 1983 als auch für die Folgejahre die Gewinne um die besagten Rentenzahlungen.

Die nach erfolglosen Einsprüchen gegen die Gewinnfeststellungsbescheide für 1980 bis 1983 vom 16. Mai 1986 erhobene Klage blieb erfolglos. Das klagabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 14. Mai 1993 I 27/89 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1993, 774) wurde rechtskräftig. Demgegenüber hatte die Klage der X-KG gegen die Gewinnfeststellungsbescheide der Folgejahre 1985 bis 1987 letztlich Erfolg. Zwar hatte das FG Hamburg die Klage auch hier mit Urteil vom 18. Juni 1996 I 185/93 abgewiesen. Jedoch hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteilen vom 7. Oktober 1997 VIII R 56/96 (BFH/NV 1998, 820) und VIII R 64/97 (BFH/NV 1998, 825) die Vorentscheidung auf und erkannte die Rentenzahlungen wegen deren Charakters als betriebliche Versorgungsrente als Betriebsausgaben der X-KG an.

Infolge der Feststellungsbescheide 1980 bis 1983 vom 16. Mai 1986 änderte das FA am 6., 18. und 24. Juni 1986 auch die die Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1980 bis 1983 und wies dabei auf den Betriebsprüfungsbericht vom 14. Februar 1986 hin. In diesem Bericht heißt es, dass die Rentenzahlungen nicht nur keine Betriebsausgaben bei der X-KG darstellten, also keine betriebliche Versorgungsrente vorliege, sondern auch keine Sonderausgaben der Gesellschafter seien, weil eine nach § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht abziehbare Unterhaltsrente vorliege. Die geänderten Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1983 wurden bestandskräftig.

Am 8. Juli 1993 beantragten die Kläger, die (bestandskräftigen) Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 vom 6., 18. und 24. Juni 1986 wegen widerstreitender Steuerfestsetzung gemäß § 174 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern. Sie bezogen sich dabei auf das zwischenzeitlich erlassene Urteil des FG Hamburg vom 14. Mai 1993 I 27/89. Wenn danach keine betriebliche Versorgungsrente vorliege, müsse es sich um eine private Versorgungsrente und dauernde Last i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG handeln. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 AO 1977 seien gegeben. Die Rente sei in mehreren Bescheiden zu ihren Ungunsten nicht berücksichtigt worden.

Das FA lehnte die begehrten Änderungen mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. August 1993 ab. Die dagegen erhobene Klage hat das FG als unbegründet abgewiesen. Das Urteil ist veröffentlicht in EFG 2000, 1159.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen (sinngemäß),

die Vorentscheidung sowie den Ablehnungsbescheid des FA vom 24. August 1993 und die Einspruchsentscheidung vom 1. April 1999 aufzuheben sowie das FA zu verpflichten, die Einkommensteueränderungsbescheide 1980 und 1981 vom 6. Juni 1986, den Einkommensteueränderungsbescheid 1982 vom 18. Juni 1986 und den Einkommensteueränderungsbescheid 1983 vom 24. Juni 1986 in der Weise zu ändern, dass die von der X-KG in den betreffenden Streitjahren an den ausgeschiedenen Gesellschafter E.X und dessen Ehefrau bzw. Witwe geleisteten Versorgungszahlungen als Sonderausgaben (dauernde Last) abgezogen werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Recht hat das FG angenommen, dass eine Rechtsgrundlage für die von den Klägern erstrebte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteueränderungsbescheide für 1980 bis 1983 nicht besteht.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das FG entschieden, dass die Voraussetzungen des von den Klägern zur Stützung ihres Änderungsbegehrens in erster Linie herangezogenen § 174 Abs. 1 AO 1977 im Streitfall nicht vorlagen.

a) § 174 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden (ist), obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen …".

Die Anwendung dieser Vorschrift erfordert nach einhelliger Auffassung das Vorliegen von (positiv) widerstreitenden Steuerfestsetzungen zu Lasten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. Mai 2001 VIII R 19/00, BFHE 195, 23, BStBl II 2001, 743, unter II. 2., und VIII R 20/00, BFH/NV 2001, 1372, unter II. 2.; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, Kommentar, § 174 Rz. 2 und 11; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 174 AO 1977 Rz. 2, 3 und 12; von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 174 AO 1977 Rz. 2 und 32). Dabei ist § 174 Abs. 1 AO 1977 auch dann anwendbar, wenn sich mehrere Feststellungsbescheide oder ―wie im Streitfall zu erwägen ist― Feststellungsbescheide und Folgebescheide widerstreiten (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 8; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 24).

Ein "Widerstreiten" in diesem Sinne setzt voraus, dass die in den (kollidierenden) Bescheiden getroffenen Regelungen (Steuerfestsetzungen oder Feststellungen) aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar und daher widersprüchlich sind, weil nur eine der festgesetzten oder angeordneten Rechtsfolgen zutreffen kann (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 2 und 12, m.w.N. aus der Rechtsprechung; vgl. auch von Wedelstädt in Beermann, a.a.O.; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 174 AO 1977 Rz. 100). Die in der mehrfachen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts liegenden Unrichtigkeiten müssen einander nach materiellem Recht zwingend (denknotwendig) ausschließen (Senatsurteil vom 26. Januar 1994 X R 57/89, BFHE 174, 1, BStBl II 1994, 597, unter 1. b der Gründe, m.w.N.; vgl. z.B. auch BFH-Urteil vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264, unter 2. a, aa der Gründe: "denkgesetzlicher" Ausschluss).

b) Diese Voraussetzungen sind hier schon deswegen nicht gegeben, weil sich ―entgegen den Vorstellungen der Kläger― die den Grundlagenbescheiden (Gewinnfeststellungsbescheiden 1980 bis 1983) zugrunde liegende rechtliche Beurteilung, die streitigen wiederkehrenden Bezüge stellten keine betriebliche Versorgungsrente und daher keine Betriebsausgaben dar, und die in den Folgebescheiden (Einkommensteuerbescheiden 1980 bis 1983) vom FA vertretene Rechtsauffassung, es liege keine als Sonderausgabe i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG abziehbare Rente oder dauernde Last, sondern eine nach § 12 Nr. 2 EStG nicht steuermindernd berücksichtigungsfähige Unterhaltsrente vor, nach materiellem Recht nicht zwingend ausschließen. Mit dem in den Gewinnfeststellungsbescheiden eingenommenen Standpunkt, die in Rede stehenden wiederkehrenden Bezüge seien nicht betrieblich, sondern privat veranlasst gewesen, waren noch nicht "die Würfel" darüber "gefallen", ob die vom Betriebsprüfer und FA als privat veranlasst qualifizierten wiederkehrenden Leistungen Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG oder dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG unterliegende Unterhaltszahlungen darstellten (zur Abgrenzung der als Sonderausgaben abziehbaren, privat veranlassten wiederkehrenden Bezüge von den nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abziehbaren Unterhaltszahlungen vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 4. der Gründe, und Senatsurteil vom 15. Juli 1992 X R 142/88, BFH/NV 1992, 816, unter 3. der Gründe). Über diese Abgrenzungsfrage war nach dem im Streitfall gemäß Art. 97 § 10b des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) noch anwendbaren § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BStBl I 1994, 50, 86, Art. 26 Nr. 19) allein in den Einkommensteuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 23. September 1992 X R 156/90, BFHE 169, 113, BStBl II 1993, 11, und vom 8. August 1990 X R 149/88, BFHE 162, 251, BStBl II 1991, 70, unter 1. der Gründe; vgl. ferner Tipke/Kruse, a.a.O., § 180 AO 1977 Rz. 64).

2. Den Klägern kann auch nicht darin beigepflichtet werden, dass § 174 Abs. 3 AO 1977 die von ihnen erstrebte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 vom 6., 18. und 24. Juni 1986 gebiete. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden (ist), dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und … sich diese Annahme als unrichtig heraus(stellt) …".

a) § 174 Abs. 3 AO 1977 erfordert hiernach das Vorliegen eines "negativen Widerstreits". Ein "bestimmter Sachverhalt" darf in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuer- oder Feststellungsbescheiden (zur Gleichstellung Letzterer mit Steuerbescheiden vgl. z.B. Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 174 Rz. 51 a) berücksichtigt worden sein, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. Mai 1993 IV R 65/91, BFHE 172, 5, BStBl II 1994, 76, unter 1. der Gründe; und in BFHE 195, 23, BStBl II 2001, 743, unter II. 3. a der Gründe). Dabei muss die Berücksichtigung des bestimmten Sachverhalts in einem Bescheid nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gerade in der (erkennbaren) Annahme unterblieben sein, dass er in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen sei. Die Annahme der Finanzbehörde, der Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid (Feststellungsbescheid) zu erfassen, muss für die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts im Steuerbescheid kausal gewesen sein. Diese erforderliche, der sinnvollen Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 174 Abs. 3 AO 1977 dienende Kausalität fehlt insbesondere dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts (hier: die Nichtberücksichtigung der in Rede stehenden Versorgungsleistungen als Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG in den Einkommensteueränderungsbescheiden 1980 bis 1983) auf der (wenn auch möglicherweise fehlerhaften) rechtlichen Beurteilung des FA beruht, der Sachverhalt sei weder in diesem noch in einem anderen Steuer- oder Feststellungsbescheid steuermindernd zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 195, 23, BStBl II 2001, 743, unter II. 3. a der Gründe, m.w.N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 28 bis 30).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze lagen im Streitfall die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO 1977 nicht vor: Wie das FG in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass die zuständigen Bediensteten des FA bei Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 vom Juni 1986 die streitigen Versorgungsleistungen deshalb nicht als Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG berücksichtigt haben, weil die nämlichen wiederkehrenden Leistungen in den die X-KG betreffenden Gewinnfeststellungen für die Streitjahre als Betriebsausgaben (betriebliche Versorgungsrente) abzuziehen seien. Im Gegenteil deutet ―worauf schon die Vorinstanz zu Recht hingewiesen hat― die Aktenlage eindeutig darauf hin, dass die zuständigen Bearbeiter des FA bei Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 ―der Auffassung des Betriebsprüfers folgend― den Standpunkt eingenommen hatten, es handle sich nicht um eine im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG abziehbare Rente oder dauernde Last, sondern um nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abzugsfähige Unterhaltsleistungen. Dementsprechend wird in den Erläuterungen zu den Einkommensteueränderungsbescheiden 1981 bis 1983 vom Juni 1986 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass den Steuerfestsetzungen die Ergebnisse der Betriebsprüfung zugrunde lägen, und auf den Prüfungsbericht vom 14. Februar 1986 Bezug genommen.

3. Zutreffend hat das FG entschieden, dass das Änderungsbegehren der Kläger auch nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt werden kann.

Die genannte Norm gebietet die Änderung eines Steuerbescheids, "soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird". § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 greift im Streitfall schon deswegen nicht ein, weil die Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 vom 6., 18. und 24. Juni 1986 die im Anschluss an die Betriebsprüfung erlassenen und später durch rechtskräftiges Urteil des FG Hamburg in EFG 1993, 774 bestätigten Änderungsgewinnfeststellungsbescheide 1980 bis 1983 vom 16. Mai 1986 für die X-KG zutreffend "umgesetzt" hatten.

Die Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid reicht grundsätzlich nur so weit, wie die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids es verlangt. Diese Bindungswirkung beschränkt sich dabei nicht auf eine bloß mechanische Übernahme von Zahlen. Sie steht vielmehr ―weiter gehend― jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheids widersprechen würde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 25/98, BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545, unter 2. der Gründe; Tipke/Kruse, a.a.O., § 175 AO 1977 Rz. 11, m.w.N.).

Im Streitfall widersprach es der Bindungswirkung der Änderungsgewinnfeststellungsbescheide 1980 bis 1983 vom 16. Mai 1986 nicht, dass das FA die streitigen Versorgungsleistungen in den Einkommensteueränderungsbescheiden 1980 bis 1983 nicht als Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG, sondern als nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abziehbare Unterhaltszahlungen wertete; denn zu dieser Streitfrage war in den Änderungsgewinnfeststellungsbescheiden 1980 bis 1983 gerade keine Regelung getroffen worden und durfte nach Maßgabe der im vorliegenden Fall noch anwendbaren Vorschrift des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 i.d.F. vor In-Kraft-Treten des StMBG vom 21. Dezember 1993 (BStBl I 1994, 50, 86, Art. 26 Nr. 19) auch nicht getroffen werden.

4. Auch soweit die Kläger im Revisionsverfahren ohne nähere Begründung "hilfsweise" begehrt haben, das FA zu verpflichten, die Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1983 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, kann dem nicht entsprochen werden. Nach dieser Vorschrift ist ein "Steuerbescheid … zu ändern, … soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis)".

Die Kläger haben nicht ausgeführt, welchem nachträglich eingetreten sein sollenden "Ereignis" sie die Wirkung beimessen wollen, den vom FA den Einkommensteueränderungsfestsetzungen 1980 bis 1983 zugrunde gelegten rechtserheblichen Sachverhalt rückwirkend anders gestaltet zu haben (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. b).

Soweit sie hierbei die die Gewinnfeststellungen 1985 bis 1987 für die X-KG betreffenden BFH-Urteile in BFH/NV 1998, 820 und in BFH/NV 1998, 825 ins Auge gefasst haben sollten, geht ihr auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gestütztes Änderungsbegehren schon deswegen fehl, weil der in den genannten BFH-Urteilen geäußerten Rechtsansicht, es handle sich um eine betriebliche Versorgungsrente, keine (rückbezügliche) "sachverhaltsgestaltende" Wirkung für Einkommensteuerfestsetzungen 1980 bis 1983 zukommt. Im Übrigen bestätigt die in den genannten BFH-Urteilen geäußerte Rechtsauffassung vom Vorliegen einer betrieblichen Versorgungsrente ―wenn auch aus anderen Gründen als vom FA angenommen― gerade die materiell-rechtliche Richtigkeit der den Einkommensteueränderungsbescheiden 1980 bis 1983 zugrunde liegenden Annahme, dass ein Abzug der Versorgungsleistungen als Sonderausgaben nicht in Betracht komme.

Kein anderes Ergebnis ergibt sich auch dann, wenn die Kläger ein nachträgliches Ereignis in dem zu den Gewinnfeststellungssachen 1980 bis 1983 der X-KG ergangenen rechtskräftigen Urteil des FG Hamburg in EFG 1993, 774 erblicken sollten. Die in diesem Urteil vertretene Rechtsansicht, dass eine betriebliche Versorgungsrente ausscheide, zeitigt ebenfalls keine (zurückzubeziehende) "sachverhaltsgestaltende" Wirkung auf die Einkommensteuerfestsetzungen 1980 bis 1983. Im Übrigen ließ die in diesem Urteil getroffene rechtliche Aussage, es lägen privat veranlasste Versorgungsleistungen vor, keine Rückschlüsse darauf zu, ob die betreffenden Leistungen Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG oder nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abziehbare Unterhaltszahlungen darstellten (vgl. dazu schon unter II. 1. b).

5. Der Antrag der Kläger, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), kann im Revisionsverfahren nicht zulässig gestellt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 825, 826, rechte Spalte, letzter Absatz; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 139 Rz. 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 946402

BFH/NV 2003, 1035

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