Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG über die Frist für den Antrag auf Besteuerung wie eine Publikumsgesellschaft ist wirksam.

2. Einzelheiten zur Bestimmung dieser Frist.

 

Normenkette

KStG § 19 Abs. 4 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH i. L., erfüllte die Voraussetzungen einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft. Mit Schreiben vom 15. Juni 1971 beantragte die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt steuerlich nicht vertreten war, die Frist für die Abgabe der Steuererklärung 1970 bis 31. Oktober 1971 zu verlängern. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) entsprach diesem Antrag mit Verfügung vom 15. Juli 1971. Am 22. Oktober 1971 beauftragte die Klägerin ihre jetzige Prozeßbevollmächtigte mit der Wahrnehmung ihrer steuerlichen Angelegenheiten. Die Prozeßbevollmächtigte teilte dem FA am 25. Oktober 1971 unter Bezugnahme auf die Verfügung des FA vom 15. Juli 1971 mit, daß sie von der Klägerin mit der Beratung in steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten beauftragt worden sei. Ihre Tätigkeit umfasse zunächst die Mitwirkung bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1970 sowie die Ausarbeitung der Steuererklärungen für 1970. Das FA nahm dieses Schreiben, das bei ihm am 27. Oktober 1971 einging, zu den Akten.

Am 28. Dezember 1971 reichte die Klägerin durch ihre Prozeßbevollmächtigte die Körperschaftsteuererklärung 1970 ein. Darin beantragte sie, nach § 19 Abs. 4 KStG wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden. Das FA folgte diesem Antrag nicht, weil er verspätet gestellt worden sei.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Auf die Klage hat das FG Berlin mit Urteil vom 18. September 1973 IV 54-55/73 (EFG 1974, 119) den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung dahin geändert, daß die Körperschaftsteuer 1970 auf 10 579 DM festgesetzt wurde. Das FG hat die Steuersätze angewandt, die für Publikumsgesellschaften gelten. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, der Antrag der Klägerin auf Besteuerung wie eine Publikumsgesellschaft sei rechtzeitig gestellt worden, da die Vorschrift über die Frist zur Stellung dieses Antrags unwirksam sei. Die Vorschrift sei unwirksam, weil sich aus ihr nicht sofort eindeutig und klar erkennen lasse, wann sie ablaufe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG gerügt wird. Das FA hält diese Vorschrift für wirksam und meint, im Streitfall könne genau ermittelt werden, wann die Antragsfrist des § 19 Abs. 4 KStG abgelaufen sei. Nach den Feststellungen des FG seien die Körperschaftsteuererklärungen 1970 bis 31. Mai 1971, bei Anfertigung durch Angehörige der steuerberatenden Berufe bis 30. September 1971 abzugeben gewesen. Die Fristverlängerung bis zum 31. Oktober 1971 sei im Streitfall von der Klägerin nach dem Ablauf der allgemeinen Steuererklärungsfrist und zu einem Zeitpunkt beantragt worden, in dem sie steuerlich nicht vertreten gewesen sei. Die Antragsfrist des § 19 Abs. 4 KStG sei daher am 31. Mai 1971 abgelaufen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG bezüglich der Körperschaftsteuer 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des FG hinsichtlich der Körperschaftsteuer 1970 aufzuheben und die Sache insoweit an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin steht in erster Linie auf dem Standpunkt, daß die Vorschrift des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG über die Antragsfrist unwirksam sei. Hilfsweise macht sie - wie schon vor dem FG - geltend, das FA habe auf ihr Schreiben vom 25. Oktober 1971 die Frist zur Abgabe der Steuererklärung stillschweigend mindestens bis 31. Dezember 1971 verlängert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat den Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, nicht rechtzeitig gestellt.

1. Der Antrag einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, ist "schriftlich und unwiderruflich innerhalb der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für das Kalenderjahr (VZ) zu stellen, für das der Antrag erstmals gelten soll" (§ 19 Abs. 4 Satz 2 KStG). Diese Fristvorschrift ist wirksam. Nach der Rechtsprechung des BVerfG fehlt einer gesetzlichen Vorschrift, auch einer den Bürger belastenden Vorschrift des öffentlichen Rechts, die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit dann nicht, wenn die bei der Anwendung der Vorschrift auftauchenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten sind (BVertG-Urteil vom 4. April 1967 1 BvR 126/65, BVerfGE 21, 245, 261; BVerfG-Beschluß vom 14. März 1967 1 BvR 334/61, BVerfGE 21, 209, 215).

Diese Auffassung gilt nach Ansicht des erkennenden Senats grundsätzlich auch für Fristvorschriften. Das BVerfG hat allerdings in dem Urteil vom 11. August 1954 2 BvK 2/54 (BVerfGE 4, 31, 35) ausgeführt, Fristen müßten aus dem Gesetzestext sofort, eindeutig und klar erkennbar sein, sie dürften nicht erst aus Sinn und Zusammenhang der Gesetze durch ausdehnende und vielleicht auch sogar überraschende Auslegung zu finden sein. Diese Bemerkung darf jedoch nicht von dem entschiedenen Fall losgelöst und verallgemeinert werden. Das BVerfG hat damals entschieden, daß eine ausdehnende Anwendung der für verwandte Verfahren geltenden Fristvorschriften auf die Verfahren nach § 13 Nr. 10 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes) oder die Annahme eines allgemeinen Verfahrensgrundsatzes, daß Anträge in Verfassungsstreitsachen binnen sechs Monaten zu stellen seien, unzulässig ist. Damit hat das BVerfG nur gesagt, daß es nicht möglich ist, einen Antrag, für den das Gesetz nach seinem Wortlaut keine Frist vorsieht, im Wege der entsprechenden Anwendung anderer Rechtssätze zu einem befristeten Antrag umzugestalten (vgl. auch Beschluß des BFH vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219).

Dagegen kann nicht angenommen werden, daß das BVerfG jede Fristvorschrift als unwirksam ansieht, bei der Beginn und Ende der Frist nicht "sofort, eindeutig und klar" erkennbar, sondern erst im Wege der Auslegung zu ermitteln ist. Sonst wären die meisten Fristvorschriften, z. B. auch Vorschriften über die Verjährungsfristen und die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln, unwirksam. Denn ein Blick in die Erläuterungsbücher zeigt, daß zu diesen Vorschriften mehr oder weniger schwierige Auslegungsfragen bestanden und heute noch bestehen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO über die Revisionsbegründungsfrist. Diese Vorschrift hatten früher der BFH und das BVerwG so ausgelegt, daß die Frist zur Begründung der Revision zwei Monate nach Beginn der Revisionsfrist ende (BFH-Beschluß vom 20. September 1966 VI R 201/66, BFHE 86, 813, BStBl III 1967, 4; BVerwG-Urteil vom 17. Dezember 1969 VI C 70/58, BVerwGE 10, 75). Seit einiger Zeit vertreten dagegen der BFH, das BVerwG und das Bundessozialgericht (BSG) die Auffassung, die Revisionsbegründungsfrist sei eine Einmonatsfrist, die sich an die Frist zur Einlegung der Revision anschließe (BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957 mit weiteren Angaben über die Rechtsprechung des BVerwG und des BSG). Ungeklärt zwischen den genannten obersten Bundesgerichten ist dagegen noch die Frage, ob im Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist der Lauf der Revisionsbegründungsfrist mit der Zustellung des die Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses oder mit Einlegung der nachgeholten Revision oder mit dem Ablauf der Revisionsfrist beginnt (BFH-Urteil I R 206/70 mit weiteren Angaben). Angesichts dieser Zweifelsfragen läßt sich nicht sagen, daß die Revisionsbegründungsfrist "aus dem Gesetzestext sofort eindeutig und klar erkennbar" sei, wie es das BVerfG in dem angeführten Beschluß 2 BvK 2/54 angeblich verlangt. Gleichwohl hat, soweit ersichtlich, noch niemand die Rechtsgültigkeit des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist in Frage gestellt. Denn die angeführten Zweifelsfragen lassen sich im Wege der Auslegung klären.

2. Mit den herkömmlichen Mitteln der Auslegung lassen sich auch die Zweifelsfragen zu der Fristvorschrift des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG beantworten. Die Frist für den Antrag, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, ist an die Steuererklärungsfrist gekoppelt. Denn die personenbezogene Kapitalgesellschaft kann spätestens bei Aufstellung der Steuererklärung übersehen, ob es für sie günstig ist, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden. Daher ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats unter der "Frist zur Abgabe der Steuererklärung" im Sinn des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG die allgemeine oder die im Einzelfall verlängerte Frist für die Abgabe der Steuererklärung zu verstehen (BFH-Urteile vom 7. Juni 1966 I 66/64, BFHE 86, 371, BStBl III 1966, 514, und vom 11. Januar 1967 I 78/65, BFHE 87, 529, BStBl III 1967, 208). Dazu ist im einzelnen zu bemerken:

a) Die Steuererklärungen für die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer sind bis zum Ende des Monats Februar abzugeben, sofern nicht die obersten Finanzbehörden der Länder etwas anderes bestimmen (§ 167 Abs. 3 Satz 1 AO, § 56 Abs. 3 Satz 1 EStDV, § 20 Abs. 1 KStG). Von der Ermächtigung zur Bestimmung der Steuererklärungsfrist machen die obersten Finanzbehörden der Länder regelmäßig in der Weise Gebrauch, daß die Frist zur Abgabe der Steuererklärungen allgemein auf den 31. Mai des folgenden Jahres und für die Fälle, in denen die Erklärungen von Angehörigen der steuerberatenden Berufe aufgestellt werden, auf den 30. September des folgenden Jahres festgesetzt wird. So haben die obersten Finanzbehörden der Länder auch für das Streitjahr 1970 angeordnet, daß die Erklärungen zur Einkommensteuer, zur Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1970 bis zum 31. Mai 1971 bei den FÄ ab -zugeben sind (gleichlautende Erlasse - Entschließung - der obersten Finanzbehörden der Länder vom 20. April 1971, BStBl I 1971, 200). Diese Frist wurde durch gleichlautende Erlasse (Entschließung) der obersten Finanzbehörden der Länder vom 25. Juni 1971 (BStBl I 1971, 335) für die Fälle, in denen die genannten Erklärungen von Angehörigen der steuerberatenden Berufe aufgestellt werden, bis zum 30. September 1971 "verlängert". In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine "Verlängerung" der Steuererklärungsfrist, sondern um eine anderweitige Bestimmung der Steuererklärungsfrist aufgrund gesetzlicher Ermächtigung. Daher ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß die allgemeine Steuererklärungsfrist erst nach dem Ablauf der gesetzlichen Frist und die Steuererklärungsfrist für vertretene Steuerpflichtige erst nach dem Ablauf der anderweitig bestimmten allgemeinen Steuererklärungsfrist festgesetzt werden. Die obersten Finanzbehörden der Länder können aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 167 Abs. 3 Satz 1 AO, § 56 Abs. 3 Satz 1 EStDV, § 20 Abs. 1 KStG die Steuererklärungsfrist mit rückwirkender Kraft bestimmen. Da es sich um keine Rechtsverordnung handelt, bedarf es nicht der Verkündung im BGBl oder BAnz (Art. 80 GG; § 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30. Januar 1950, BGBl I, 23).

Die Voraussetzung, daß die Steuererklärungen von Angehörigen der steuerberatenden Berufe aufgestellt werden, ist nach dem Sinn und Zweck des Erlasses erfüllt, wenn der Steuerpflichtige zu irgendeinem Zeitpunkt bis zum Ablauf der Frist vom 30. September einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe mit der Wahrnehmung seiner steuerlichen Angelegenheiten beauftragt hat. Wollte man die Frist bis 30. September nicht gelten lassen, weil die Vertretung des Steuerpflichtigen erst nach dem 31. Mai begonnen oder vor dem 30. September wieder geendet habe, so hätte das eine unerträgliche Rechtsunsicherheit zur Folge.

b) Die gesetzliche oder die aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung von den obersten Finanzbehörden der Länder bestimmte Steuererklärungsfrist kann von den FÄ in einzelnen Fällen verlängert werden (§ 167 Abs. 4 AO). Es kann auf sich beruhen, ob eine Verlängerung auch nach Ablauf der Frist zulässig ist, wie Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, zu § 83 AO, annehmen. Denn eine Verlängerung durch das FA nach dem Ablauf der Frist wäre jedenfalls nicht nichtig und hätte zur Folge, daß das FA nicht berechtigt wäre, die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen wegen Versäumung der Steuererklärungsfrist - Auferlegung eines Verspätungszuschlags (§ 168 AO), Erzwingung der Abgabe der Steuererklärung (§ 202 AO), Schätzung (§ 217 Abs. 3 AO) - zu ergreifen. Da dann die Versäumung der Steuererklärungsfrist im wesentlichen ohne Folgen bleibt, entspricht es der vom Gesetzgeber gewollten Koppelung des Antrags nach § 19 Abs. 4 KStG an die Steuererklärung, daß auch keine nachteiligen Rechtsfolgen aus der Versäumung der Antragsfrist des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG hergeleitet werden dürfen.

c) Diese Ausführungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß im allgemeinen die Steuererklärungsfrist und damit auch die Frist für den Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG leicht ermittelt werden kann. Nur in Sonderfällen tauchen schwierige Einzelfragen auf, wie sie das FG aufgeworfen und der erkennende Senat zum Teil beantwortet hat. Auch diese Fragen sind im Wege der Auslegung lösbar. Die steuerpflichtige Kapitalgesellschaft kann sich in jedem Fall durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Steuererklärungsfrist vor dem Risiko der Versäumung der Antragsfrist nach § 19 Abs. 4 KStG schützen.

d) Die weitere Frage, ob die Antragsfrist des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG bei der Auslegung durch den erkennenden Senat noch eine Ausschlußfrist sei, ist zu bejahen. Denn das Wesen der Ausschlußfrist besteht darin, daß nach Ablauf der Frist die Geltendmachung eines Rechts nicht mehr zulässig ist (BFH-Urteil vom 21. November 1957 IV 206/56 U, BFHE 66, 124, BStBl III 1958, 49). Diese Rechtsfolge tritt auch ein, wenn die Antragsfrist des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG abgelaufen ist. Dieser Ablauf tritt aber erst ein, wenn die allgemeine oder im Einzelfall verlängerte Steuererklärungsfrist abgelaufen ist. "Verlängert" wird in diesen Fällen nicht die Antragsfrist, sondern die Steuererklärungsfrist.

3. Der Senat weicht mit der vorstehenden Auffassung nicht ab von den BFH-Urteilen vom 3. April 1973 VIII R 19/73 (BFHE 109, 130, BStBl II 1973, 484) und vom 23. Juli 1974 VIR 1/72 (BFHE 113, 355, BStBl II 1975, 11). Das Urteil VIII R 19/73 hat die Fristbestimmung des § 71 Abs. 2 EStDV, das Urteil VIR 1/72 hat die Fristbestimmung des § 71 Abs. 1 EStDV für rechtsunwirksam erklärt. Zur Begründung ist in den genannten Urteilen ausgeführt, daß die Fristbestimmungen durch keine gesetzliche Ermächtigung gedeckt seien. Als weiterer Grund für die Unwirksamkeit ist angeführt, daß die Frist nicht, wie es der BVerfG-Beschluß 2 BvK 2/54 erfordere, sofort eindeutig und klar erkennbar sei. Der erkennende Senat braucht nicht abschließend zu beurteilen, ob ihn die beiden Urteile VIII R 19/73 und VIR 1/72 schon deshalb nicht binden (§ 11 Abs. 3 FGO), weil die Unbestimmtheit der Frist nur eine zusätzliche Begründung neben dem Fehlen der gesetzlichen Ermächtigung war. Denn die Rechtsfrage, die er zu prüfen hat, unterscheidet sich von den Rechtsfragen, die der VIII. und der VI. Senat geprüft haben. Die Koppelung der Antragsfrist nach § 19 Abs. 4 KStG an die Steuererklärungsfrist ist, wie unter Nr. 2 ausgeführt, sachlich begründet. Von der Maßgeblichkeit der Steuererklärungsfrist nach § 71 Abs. 1 und 2 EStDV kann das nicht uneingeschränkt gesagt werden. Hier wird im Gegensatz zu § 19 Abs. 4 KStG für Steuerpflichtige, die an sich keine Steuererklärung abzugeben haben, die Antragsfrist an die Steuererklärungsfrist gekoppelt. Daher fehlte es auch an den Voraussetzungen dafür, daß die allgemeine oder die im Einzelfall verlängerte Steuererklärungsfrist zugrunde zu legen sei, wie dies der erkennende Senat zu § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG entschieden hat. Diese Koppelung der Antragsfrist an die allgemeine oder die im Einzelfall verlängerte Steuererklärungsfrist mildert die Schärfe der Ausschlußfrist des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG.

4. Auf den Streitfall angewandt bedeuten diese Grundsätze, daß die Klägerin die Frist für den Antrag, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, versäumt hat. Das FA hat auf Antrag der Klägerin die Steuererklärungsfrist bis 31. Oktober 1971 verlängert. Zu diesem Zeitpunkt - nicht am 31. Mai 1971, wie das FA meint - endete daher auch die Antragsfrist. Die Tatsache, daß die Klägerin die Verlängerung der Steuererklärungsfrist bis 31. Oktober 1971 erst nach dem Ablauf der allgemeinen Steuererklärungsfrist am 31. Mai 1971 beantragt hat, ist nach den Ausführungen des Senats zu 2. unschädlich. Eine weitere Fristverlängerung hat das FA nicht gewährt. Das Schreiben der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 25. Oktober 1971 enthält die Mitteilung, daß nunmehr die Aufstellung des Jahresabschlusses und die Ausarbeitung der Steuererklärung 1970 in Angriff genommen würden. Das Schweigen des FA auf diese Mitteilung kann jedoch angesichts der Tatsache, daß die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin keinen Antrag auf Verlängerung der Steuererklärungsfrist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt hat, nicht als stillschweigende Verlängerung der Steuererklärungsfrist verstanden werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71422

BStBl II 1975, 587

BFHE 1975, 384

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