Leitsatz (amtlich)

Erwirbt jemand die Rechte aus einem abgezinsten Sparkassenbrief während der Laufzeit des Sparkassenbriefs durch Vertrag zugunsten eines Dritten, so sind ihm die Zinsen für die gesamte Laufzeit als Einnahmen aus Kapitalvermögen zuzurechnen.

 

Normenkette

BGB §§ 328, 331; EStG § 20

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Veranlagungszeitraum 1978 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden und gegen die ein Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für den Veranlagungszeitraum 1979 erging.

M kaufte am 8. Mai 1974 von einer Sparkasse einen Sparkassenbrief über nominell 150 000 DM. Der Zinssatz betrug 9 v. H., die Laufzeit fünf Jahre, der Abzinsungsbetrag 52 510,50 DM, der Kaufpreis somit 97 489,50 DM. M vereinbarte mit der Sparkasse nach §§ 328, 331 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), daß die Leistung nach seinem Tod an den Kläger erfolgen soll. Diese Vereinbarung wurde nach dem Tatbestand des Urteils des Finanzgerichts (FG) beim Kauf des Sparkassenbriefs, also am 8. Mai 1974, nach der Behauptung der Kläger am 23. Juni 1976, getroffen.

Am 17. Dezember 1977 starb M.

Im Streitjahr 1979, als die Laufzeit des Sparkassenbriefs abgelaufen war, erhielt der Kläger 150 000 DM ausbezahlt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging davon aus, daß in diesem Betrag 150 000 DM minus 97 489,50 DM = 52 510,50 DM Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen enthalten seien, und setzte daher durch Bescheid vom 27. März 1980 unter Beachtung des § 35 des Einkommensteuergesetzes 1979 (EStG 1979) eine nachträgliche Einkommensteuervorauszahlung für den Veranlagungszeitraum 1979 von 8 654 DM fest.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das FG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Unterschied zwischen dem Nennwert und dem Ankaufpreis des Sparkassenbriefs (52 510,50 DM) gehöre zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Diese seien dem Kläger im Streitjahr 1979 zugeflossen. M und seinen Erben sei nichts zugeflossen. Ein Zufluß an M liege auch nicht in der Verfügung über den Sparkassenbrief, da M nicht über künftige Einnahmen, sondern über die Einkunftsquelle verfügt habe. In diesem Fall erziele der Zessionar die Einkünfte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger, die der Senat durch Beschluß vom 8. Juli 1981 VIII B 20/81 zugelassen hat.

Die Kläger rügen einen Verfahrensfehler und eine Verletzung des sachlichen Rechts. Den Verfahrensfehler sehen sie darin, daß das FG ohne die erforderliche Sachaufklärung unterstellt habe, daß der Vertrag zugunsten des Klägers nach §§ 328, 331 BGB am 8. Mai 1974 geschlossen worden sei. Tatsächlich sei dieser Vertrag am 23. Juni 1976 zustande gekommen. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt seien die Zinsen dem M zuzurechnen. Sachliches Recht sei verletzt, weil das FG den unentgeltlichen Erwerb unter Lebenden einem unentgeltlichen Erwerb von Todes wegen gleichgestellt habe. Die Kläger meinen, die Zinsen von 52 510,50 DM seien, soweit sie auf die Zeit bis zum Todestag des M entfielen, Einnahmen des M und damit seiner Erben. Der Sparkassenbrief habe im Zeitpunkt des Todes des M einen Kurswert von 132 879,60 DM gehabt. Der Unterschied zwischen diesem Betrag und dem Kaufpreis von 97 489,50 DM entfalle als Zinseinnahme auf M und damit auf seine Erben.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und den angefochtenen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid vom 27. März 1980 nebst der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 1980 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger sind die Zinsen von 52 510,50 DM, die in dem Rückzahlungsbetrag des Sparkassenbriefs von 150 000 DM enthalten sind, als Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG).

I. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Vom Rechtsstandpunkt des FG aus wie vom Rechtsstandpunkt des erkennenden Senats aus ist es gleichgültig, wann der Vertrag zugunsten eines Dritten geschlossen wurde, am 8. Mai 1974, bei Ausgabe des Sparkassenbriefs, wie das FG offenbar angenommen hat, oder erst am 23. Juni 1976, wie die Kläger behaupten. Die Frage braucht daher nicht untersucht zu werden. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

II. Auch die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ist nicht begründet.

1. Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß im Fall eines abgezinsten Sparkassenbriefs der Unterschied zwischen dem Kaufpreis (Ausgabepreis) und dem Nennbetrag (Rückzahlungsbetrag) Zins ist, der zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG gehört. Das Kapital ist dabei nicht etwa der Nennbetrag (Rückzahlungsbetrag), der im Streitfall 150 000 DM beträgt, sondern der abgezinste Betrag (Kaufpreis, Ausgabepreis), im Streitfall 97 489,50 DM (vgl. Moxter, Betriebswirtschaftliche Gewinnermittlung, 45 ff.). Daher wäre es rechtlich nicht möglich, in Anwendung der Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. November 1978 VIII R 183/75 (BFHE 126, 292, BStBl II 1979, 169) den Unterschied zwischen dem Kaufpreis (Ausgabepreis) und dem Nennbetrag (Rückzahlungsbetrag) des abgezinsten Sparkassenbriefs als vorweg bezahlten Zins in voller Höhe dem ursprünglichen Erwerber des Sparkassenbriefs zuzurechnen.

2. Gehen festverzinsliche Wertpapiere auf einen Erben über, sind die Zinsen, die nach dem Tod des Erblassers an den Erben bezahlt werden, bei diesem auch insoweit Einkünfte aus Kapitalvermögen, als sie auf die Zeit bis zum Tod des Erblassers entfallen (BFH-Urteil vom 11. August 1971 VIII R 76/70, BFHE 103, 160, BStBl II 1972, 55). Der Senat hat dies damit begründet, daß bei unentgeltlichem Erwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge der Erwerber in die gesamte Rechtsstellung des Rechtsvorgängers eintritt. Somit tritt auch der Erbe in die Rechtsstellung des Erblassers hinsichtlich der dem Erblasser bis zu seinem Tod zustehenden Zinsen ein.

3. Im Streitfall hat der Kläger das im Sparkassenbrief verbriefte Recht nicht als Erbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, sondern im Wege der Einzelrechtsnachfolge in der besonderen Rechtsform der §§ 328, 331 BGB (vgl. dazu Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Erster Teil, Die Personengesellschaft, 384) erworben. Das im Sparkassenbrief verbriefte Recht gehörte nicht zur Erbschaft nach M (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 41. Aufl., Einführung vor § 328 Anm. 3, § 331 Anm. 1a, § 2301 Anm. 4). Daher bestehen rechtliche Bedenken dagegen, daß das FG das Urteil in BFHE 103, 160, BStBl II 1972, 55 auch auf den Streitfall angewandt hat. Nur beim Erwerb durch Gesamtrechtsnachfolge tritt der Erwerber in die gesamte Rechtsstellung des Rechtsvorgängers ein, beim Erwerb durch Einzelrechtsnachfolge, auch nach §§ 328, 331 BGB, ist dies nicht der Fall. Daher bedarf die Gleichstellung beider Erwerbsformen im Steuerrecht jeweils einer besonderen Vorschrift (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG, §§ 7, 11 d der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -, § 21 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform - UmwStG 1977 -; zweifelhaft daher Abschn. 169 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR -).

4. Das Urteil des FG erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

a) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats sind Einkünfte demjenigen zuzurechnen, der den Tatbestand der Erzielung dieser Einkünfte erfüllt (vgl. Urteile vom 13. Mai 1980 VIII R 63/79, VIII R 128/78, VIII R 75/79, BFHE 131, 212, 216, 208, BStBl II 1981, 295, 299, 297). Dies ist bei Einkünften aus Kapitalvermögen nicht nur, wie es im Urteil des Senats vom 14. Dezember 1976 VIII R 146/73 (BFHE 121, 53, BStBl II 1977, 115) ausgedrückt wurde, "wer selbst Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt", sondern auch dessen Nachfolger in dem Rechtsverhältnis, das der Überlassung des Kapitals zur Nutzung zugrunde liegt, soweit ihm die Einnahmen aus Kapitalvermögen zivilrechtlich gebühren. Nach § 101 Nr. 2 2. Halbsatz BGB gebühren bei Übertragung einer Kapitalforderung die Zinsen des laufenden Zinszahlungszeitraums dem Rechtsvorgänger und dem Rechtsnachfolger nach dem Verhältnis der Dauer ihrer Berechtigung. Danach sind dem Kläger unstreitig die Zinsen zuzurechnen, die auf die Zeit nach dem Tod des M entfallen.

b) Aber auch die Zinsen, welche auf die Zeit bis zum Tod des M entfallen, sind dem Kläger zuzurechnen. Nach § 101 Nr. 2 2. Halbsatz BGB gebührten diese Zinsen allerdings dem M. Diese Vorschrift ist jedoch abdingbar ("sofern nicht ein anderes bestimmt ist"), sie ist im Streitfall abbedungen durch den Vertrag zugunsten des Klägers, den M mit der Sparkasse geschlossen hat. Dieser Vertrag hatte die Rechtswirung, daß der Kläger mit dem Tod des M unmittelbar das Recht erwarb, von der Sparkasse die vereinbarte Leistung zu fordern (§§ 328, 331 BGB). Die vereinbarte Leistung war die Zahlung von 150 000 DM nach Ablauf von fünf Jahren. Dieser Betrag enthielt das Kapital und die Zinsen für die gesamte Laufzeit des Sparkassenbriefs (siehe oben II 1). Das bedeutet, daß die Zinsen für die gesamte Laufzeit - für die Zeit bis zum Tod des M abweichend von § 101 Nr. 2 2. Halbsatz BGB - dem Kläger gebühren.

Die von der Regel des § 101 Nr. 2 2. Halbsatz BGB abweichende Vereinbarung ist steuerrechtlich ebenso zu beachten wie die Regel selbst (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1978 VIII R 168/73, BFHE 125, 532, BStBl II 1978, 674). Sie ist keine Verwendung bezogener Einnahmen durch Abtretung eines von der Kapitalforderung getrennten Zinsanspruchs, welche die Zurechnung der Zinsen an den Abtretenden zur Folge hätte (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 13. September 1932 VI A 805/32, RStBl 1932, 1023), sondern die bürgerlich-rechtliche Grundlage für die Zurechnung von Einnahmen in Gestalt der Zinsen an den Erwerber der Kapitalforderung. Dafür, daß auf diese Weise rechtsmißbräuchlich eine Steuerpflicht umgangen wurde (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -), sind im Streitfall Anhaltspunkte nicht ersichtlich.

c) Die Auffassung des Senats entspricht den Wertungen des Gesetzgebers, die in § 20 Abs. 2 Nr. 2, 3 EStG ihren Ausdruck gefunden haben.

Die Zinsen, die auf die Zeit nach dem Tod des M entfallen (oben II 4 a), wie auch die Zinsen, die auf die Zeit bis zum Tod des M entfallen (oben II 4 b), sind Zinsen des laufenden Zinszahlungszeitraums, der hier fünf Jahre beträgt. Sie sind weder besonders in Rechnung gestellt (§ 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG) noch ohne Mitveräußerung der dazugehörigen Kapitalforderung übertragen worden (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Gegenstand des Erwerbs durch den Vertrag zugunsten eines Dritten waren daher im Streitfall nach den rechtlichen Vorstellungen, die dem § 20 Abs. 2 Nr. 2, 3 EStG zugrunde liegen, nicht diese Zinsen als Kapitalertrag, sondern war eine Kapitalforderung (vgl. BFH-Urteil vom 3. August 1976 VIII R 101/71, BFHE 119, 574, BStBl II 1977, 65), deren Kurswert allerdings im Zeitpunkt des Erwerbs durch die Erwartung noch nicht fälliger Zinsen erhöht wurde und nach den unstreitigen Feststellungen des FG 132 879,60 DM betrug. Die Zuwendung dieses Werts durch M an den Kläger ist daher keine Verwendung des Einkommens.

d) Anders wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn es sich um Zinsen eines bereits abgelaufenen Zinszahlungszeitraums handelte. Solche Zinsen sind, auch wenn sie noch nicht bezahlt worden sind, dem Veräußerer der Kapitalforderung in der Regel durch Gutschrift zugeflossen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139) und haben bei ihm bereits zu Einkünften aus Kapitalvermögen geführt. Die Übertragung eines derartigen Zinsanspruchs, auch in der rechtlichen Form eines nachträglichen Vertrags zugunsten eines Dritten nach §§ 328, 331 BGB, ist daher steuerrechtlich eine unbeachtliche Einkommensverwendung, auch wenn sie zugleich mit der Übertragung der Kapitalforderung erfolgt.

Diese Unterscheidung zwischen Zinsen bereits abgelaufener Zinszahlungszeiträume und Zinsen der laufenden Zinszahlungszeiträume wird bestätigt durch das BFH-Urteil vom 11. Februar 1981 I R 98/76 (BFHE 133, 35, BStBl II 1981, 465). Nach diesem Urteil führt die Veräußerung einer typisch stillen Beteiligung an einen Dritten zu einem Preis, der über die Einlage hinausgeht, nicht zu Einkünften des Veräußerers aus Kapitalvermögen, "wenn darin keine Gewinnanteile aus einem schon abgelaufenen Wirtschaftsjahr enthalten sind" (vgl. dazu auch Littmann, Deutsches Steuerrecht 1981, 588).

5. Diese Rechtslage besteht unabhängig davon, ob der Vertrag zugunsten eines Dritten beim Kauf des Sparkassenbriefs am 8. Mai 1974 geschlossen wurde, wie das FG offenbar angenommen hat, oder erst am 23. Juni 1976, wie die Kläger behaupten. Denn die Rechtswirkung des Vertrags zugunsten des Klägers nach §§ 328, 331 BGB trat im Streitfall erst mit dem Tod des M ein, unabhängig davon, wann der Vertrag geschlossen wurde. Da der Vertrag zugunsten eines Dritten dem Kläger das Recht verschaffte, von der Sparkasse die vereinbarte Leistung von 150 000 DM zu fordern, und dieser Betrag auch die Zinsen für die gesamte Laufzeit des Sparkassenbriefs enthielt, sind auch die Zinsen, soweit sie auf die Zeit bis zum Abschluß des Vertrags zugunsten eines Dritten entfielen, dem Kläger zuzurechnen.

6. Die Zinsen für die gesamte Laufzeit des Sparkassenbriefs sind dem Kläger unstreitig durch Auszahlung der 150 000 DM zugeflossen (§ 11 EStG). Das FA hat sie daher zu Recht bei der Festsetzung der Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer 1979 angesetzt (§ 37 EStG). Auch der Betrag der Steuerermäßigung nach § 35 EStG, den das FA berücksichtigt hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74310

BStBl II 1982, 540

BFHE 1983, 72

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