Leitsatz (amtlich)

Ist dem Arbeitnehmer im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung der vereinbarte Nettolohn ausgezahlt worden, so gilt die auf den Lohn entfallende Lohnsteuer auch dann als eine durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer i.S. des § 36 Abs.2 Nr.2 EStG, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht angemeldet (und damit auch nicht abgeführt) hat, sofern der Arbeitnehmer nicht weiß, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht angemeldet hat.

 

Orientierungssatz

Ein Einkommensteuerbescheid kann zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung angefochten werden, es seien Lohnsteuerabzugsbeträge nicht zutreffend angerechnet worden, da die Anrechnung einbehaltener Steuerabzugsbeträge nicht Teil der Steuerfestsetzung, sondern ein sich an die Steuerfestsetzung anschließender Akt des Steuererhebungsverfahrens (§§ 218 ff. AO 1977) ist (vgl. BFH-Urteil vom 26.2.1982 VI R 123/78); eine gegen die Steuerfestsetzung als solche gerichtete Klage wäre unzulässig. Behauptet der Kläger aber die Lohnsteuereinbehaltung im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung und hat das FA aus der Sicht des Klägers im Einkommensteuerbescheid nur den Nettolohn angesetzt, kann der Kläger sein Ziel --die Anrechnung sämtlicher im Rahmen der behaupteten Nettolohnvereinbarung einbehaltener Lohnsteuerabzugsbeträge-- lediglich durch die Änderung des Einkommensteuerbescheids erreichen. Die durch den Ansatz eines Bruttolohns bedingte Heraufsetzung der Einkommensteuer steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

 

Normenkette

EStG 1975 § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 2; FGO § 40 Abs. 2; AO 1977 §§ 218, 218 ff.

 

Verfahrensgang

FG Bremen (Entscheidung vom 12.09.1980; Aktenzeichen I 15/80 K)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Monaten Januar bis August oder September 1975 in einer Gaststätte angestellt. Daneben war er noch in weiteren hier nicht interessierenden Arbeitsverhältnissen tätig. Auf der das Gaststättenarbeitsverhältnis betreffenden Lohnsteuerkarte ist ein Lohn in Höhe von 2 712 DM bescheinigt. Angaben über einbehaltene Lohnsteuer enthält die Lohnsteuerkarte nicht. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1975 gab der Kläger neben seinen Lohnbezügen aus den übrigen Arbeitsverhältnissen den Lohn aus dem Gaststättenarbeitsverhältnis mit 2 712 DM an. Ferner übertrug er die Lohnsteuerabzüge aus den übrigen Arbeitsverhältnissen von den Lohnsteuerkarten in die Einkommensteuererklärung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) führte die Einkommensteuerveranlagung 1975 antragsgemäß durch.

Mit Schreiben vom 15.März 1977 beantragte der Kläger, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1975 gemäß § 172 der Abgabenordnung (AO 1977) zu seinen Ungunsten zu ändern. Dazu behauptete er, er habe mit dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen. Ausgezahlt worden seien ihm nicht die auf der Lohnsteuerkarte bescheinigten 2 712 DM, sondern ein Nettolohn von 2 828 DM. Der Bruttolohn habe demgemäß 3 406,51 DM betragen. Die Differenz in Höhe von 578,51 DM (535,95 DM Lohnsteuer, 42,56 DM Kirchensteuer) habe der Arbeitgeber berechnet und einbehalten, jedoch nicht an das FA abgeführt.

Nach den Feststellungen einer Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber soll dieser vom Arbeitslohn des Klägers keine Lohnsteuer einbehalten, angemeldet und (unstreitig) auch nicht an das FA abgeführt haben. Hierauf lehnte das FA mit Schreiben vom 15.Januar 1979 eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1975 ab.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger die Heraufsetzung des auf das Gaststättenarbeitsverhältnis entfallenden Lohns auf 3 406,51 DM begehrt, mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 24 veröffentlichten Gründen wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig ab, da der Kläger sein Ziel --nämlich die Anrechnung der im Rahmen der Nettolohnvereinbarung einbehaltenen Lohnsteuerbeträge-- nicht erreichen könne. Denn bei einer Nettolohnvereinbarung sei die Einkommensteuer (Lohnsteuer) nur dann durch Steuerabzug erhoben (§ 36 Abs.2 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--), wenn der Arbeitgeber sie gegenüber dem FA angemeldet habe.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Sowohl bei einer Brutto- wie auch bei einer Nettolohnvereinbarung müsse die einbehaltene Steuer nach gleichen Grundsätzen im Rahmen des § 36 Abs.2 Nr.2 EStG angerechnet werden. Grundgedanke des Lohnsteuerabzugs sei es, daß vereinbarter und ausgezahlter Arbeitslohn mit der gesetzlich vorgesehenen Einkommensteuer belegt werde, die vom Arbeitgeber anzumelden und abzuführen sei. Allein durch zivilrechtliche Gestaltung des Arbeitsvertrages ergäben sich zwei Formen der Steuerberechnung, die aber beide in der Anmeldung und Abführung der Steuer endeten. Werde bei einer Bruttolohnvereinbarung die berechnete Steuer vom Bruttolohn abgezogen und ergebe sich so der Nettolohn, so werde bei einer Nettolohnvereinbarung die zu berechnende Steuer auf den ausgezahlten Nettobetrag heraufgerechnet, so daß sich dadurch rechnerisch der "Bruttolohn" ergebe. Sowohl die "abgezogene" als auch die "heraufgerechnete" Steuer seien bei der Jahressteuerfestsetzung anzurechnen. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertige, die bei der Bruttolohnvereinbarung durch Steuerabzug einbehaltene Einkommensteuer anders zu behandeln als die bei einer Nettolohnvereinbarung durch Steuerheraufrechnung einbehaltene Einkommensteuer.

Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen. Ferner weist es darauf hin, der Arbeitgeber habe bei der Lohnsteuer-Außenprüfung glaubhaft versichert, daß ein Bruttolohn vereinbart worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Klage ist zulässig.

Gemäß § 40 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch einen Steuerbescheid oder die Ablehnung des Erlasses eines Steuerbescheides in seinen Rechten verletzt zu sein. An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall nicht etwa deshalb, weil es dem Kläger darum geht, daß die im Rahmen der von ihm behaupteten Nettolohnvereinbarung einbehaltene Einkommensteuer zur Anrechnung gebracht wird. Zwar ist die Anrechnung entrichteter Vorauszahlungen oder einbehaltener Steuerabzugsbeträge nicht Teil der Steuerfestsetzung, sondern ein sich an die Steuerfestsetzung anschließender Akt des Steuererhebungsverfahrens (§§ 218 ff. der Abgabenordnung --AO 1977--; siehe auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.Februar 1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403). Daher kann grundsätzlich ein Einkommensteuerbescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, es seien Lohnsteuerabzugsbeträge nicht zutreffend angerechnet worden; eine gegen die Steuerfestsetzung als solche gerichtete Klage wäre unzulässig.

Im Streitfall besteht aber die Besonderheit, daß der Kläger die Lohnsteuereinbehaltung im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung behauptet. Da das FA aus der Sicht des Klägers im Einkommensteuerbescheid nur den Nettolohn angesetzt hat, kann der Kläger sein Ziel --die Anrechnung sämtlicher im Rahmen der behaupteten Nettolohnvereinbarung einbehaltener Lohnsteuerabzugsbeträge-- lediglich durch eine Änderung des Einkommensteuerbescheids erreichen. Denn nach § 36 Abs.2 Nr.2 EStG wird die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer nur angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfällt. Daher können die bei einer Nettolohnvereinbarung einbehaltenen Einkommensteuern lediglich dann in vollem Umfang angerechnet werden, wenn der auf den Bruttolohn hochgerechnete Nettolohn bei der Veranlagung erfaßt wird. Da der Kläger die Erstattung sämtlicher behaupteter Lohnsteuerabzugsbeträge nur über eine Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides erreichen kann, steht die durch den Ansatz eines Bruttolohns bedingte Heraufsetzung der Einkommensteuer der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Der Kläger hat damit entgegen der Auffassung des FG hinreichend im Sinn des § 40 Abs.2 FGO geltend gemacht, durch die abgelehnte Änderung des bisherigen Einkommensteuerbescheides in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Frage, ob bei der Nettolohnvereinbarung die nicht angemeldete (und damit nicht abgeführte) Lohnsteuer als eine durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer i.S. des § 36 Abs.2 Nr.2 EStG anzusehen ist, stellt sich erst bei der Prüfung der Begründetheit der Klage.

2. Ob die Klage begründet ist, hängt neben dem Vorliegen der Voraussetzung der Änderungsvorschriften der AO 1977 (§§ 172 ff. AO 1977) davon ab, ob der Kläger mit seinem Arbeitgeber eine Nettolohnvereinbarung getroffen hatte. Das FG hatte auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Veranlassung, die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen. Diese wird es nunmehr nachholen müssen.

Der Senat hat zu den bis Ende 1974 geltenden Vorschriften des § 38 Abs.4 Nr.1 und 2 und des § 47 Abs.1 Nr.2 EStG wiederholt ausgesprochen, daß der Arbeitgeber bei einer Nettolohnvereinbarung mit der Auszahlung des Nettolohns den Bruttolohn aus der Sicht des Arbeitnehmers vorschriftsmäßig gekürzt hat und daher die Lohnsteuerabzugsbeträge auch dann auf die Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers anzurechnen sind, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt hat (BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403; BFH-Beschluß vom 12.Dezember 1975 VI B 124/75, BFHE 117, 553, BStBl II 1976, 543; BFH-Urteil vom 18.April 1969 VI R 312/67, BFHE 96, 2, BStBl II 1969, 525). Insoweit hat sich die Rechtslage seit dem EStG 1975 nicht geändert.

Hat der Arbeitgeber die auf den ausgezahlten Lohn entfallende Lohnsteuer einbehalten, so hat der Arbeitnehmer grundsätzlich seine Zahlungspflicht erfüllt. Das weitere Risiko trägt insoweit in der Regel das FA. Dies folgt aus § 42d Abs.3 Nr.2 EStG. Hiernach kann der Arbeitnehmer auch im Fall vorschriftsmäßiger Lohnsteuereinbehaltung in Anspruch genommen werden, wenn er weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Im Umkehrschluß folgt aus dieser Vorschrift, daß der Arbeitnehmer dann nicht --auch nicht im Erhebungsverfahren nach einer durchgeführten Einkommensteuerveranlagung (BFH-Urteil vom 18.Mai 1972 IV R 168/68, BFHE 106, 192, BStBl II 1972, 816, zu dem bis 1974 geltenden § 38 Abs.4 Satz 3 Nr.2 EStG)-- in Anspruch genommen werden kann, wenn er nicht weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Dies hat zur Folge, daß die aus der Sicht des Arbeitnehmers einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge in dem der Jahressteuerfestsetzung nachfolgenden Steuererhebungsverfahren auch dann anzurechnen sind, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuerbeträge weder gegenüber dem FA angemeldet noch an das FA abgeführt hat, sofern der Arbeitnehmer keine Kenntnis von der unterlassenen Anmeldung der Lohnsteuerabzugsbeträge hat. Auch diese nicht angemeldeten und nicht abgeführten Lohnsteuerbeträge sind eine gegenüber dem Arbeitnehmer im Sinne des § 36 Abs.2 Nr.2 EStG erhobene Einkommensteuer. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Lohn im Rahmen einer im Normalfall gegebenen Bruttolohnvereinbarung oder im Rahmen einer den Ausnahmefall darstellenden Nettolohnvereinbarung ausgezahlt worden ist (Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, 19.Aufl., § 39b EStG, Seite 12, Grüne Blätter; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., § 39b Anm.5 i.V.m. § 42d Anm.5 b).

 

Fundstellen

Haufe-Index 60910

BStBl II 1986, 186

BFHE 145, 198

BFHE 1986, 198

BB 1986, 647-648 (ST)

DB 1986, 784-784 (ST)

HFR 1986, 279-279 (S)

FR 1986, 160-161 (ST)

DStZ/E 1986, 94-94 (S)

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