Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte bei wechselnden Einsatzstellen

 

Leitsatz (NV)

1. Entgegen Abschnitt 25 Abs. 2 Satz 11 LStR 1978 ist der Betrieb nicht deshalb eine regelmäßige Arbeitsstätte, weil der Arbeitnehmer nicht täglich von der jeweiligen Einsatzstelle zu seiner Wohnung zurückkehrt. (Anschluß an BFH-Urteil vom 3. Oktober 1985 - VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369).

2. Soweit Billigkeitsregelungen der Verwaltung die Anwendung dieser Anweisung der LStR für frühere Lohnzahlungszeiträume gestatten, kann dies von den Steuergerichten nicht in einem Anfechtungsverfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid berücksichtigt werden.

 

Normenkette

EStG 1979 § 9 Abs. 1 S. 1; LStR 1978 Abschn. 25

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist bei einem Bauunternehmen in S beschäftigt. Er wohnt mit seiner Familie in O. Während der Woche (von montags bis freitags) wohnt er kostenlos in einer firmeneigenen Wohnung in S, wo er ein Zimmer mit Kochgelegenheit mit einem Kollegen teilt. Von dieser Wohnung aus fuhr der Kläger im Streitjahr 1979 arbeitstäglich mit dem eigenen Pkw zu den Baustellen in der Nähe von S. Abends kehrte er in die Firmenunterkunft zurück.

In seiner Einkommensteuererklärung 1979 begehrte der Kläger, Mehraufwendungen für Verpflegung und Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen als Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach Bescheinigungen seines Arbeitgebers war der Kläger im Streitjahr an 213 Arbeitstagen auf Baustellen eingesetzt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) lehnte die Berücksichtigung der geltend gemachten Reisekosten ab und berücksichtigte statt dessen Aufwendungen anläßlich einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung in folgender Höhe:

213 Tage a 14 DM (Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 3 b der

Lohnsteuer-Richtlinien 1978 LStR ) 2 982 DM

5 458 gefahrene km a 0,36 DM

(Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 2 LStR) = 1 965 DM

abzüglich steuerfreier Arbeitgeberersatz von 2 262 DM.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Die von den Eheleuten erhobene Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus:

Die arbeitstäglichen Fahrten des Klägers zu den wechselnden Baustellen seien keine Dienstreisen gewesen. Eine Dienstreise setze voraus, daß der Arbeitnehmer von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend abwesend sei. Bei Arbeitnehmern, die ständig auf auswärtigen Bau- oder Montagestellen tätig seien, sei der Firmensitz nur dann eine regelmäßige Arbeitsstätte, wenn der Arbeitnehmer dort wenigstens vorübergehend Tätigkeiten verrichte, die mit denen seiner jeweiligen Einsatzstelle im Zusammenhang ständen. Der Kläger habe im Streitjahr seine tatsächliche Arbeitsstätte nur auf den Baustellen gehabt. Am Betriebssitz seines Arbeitgebers sei der Kläger nicht tätig gewesen.

Die Voraussetzungen des Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR lägen nicht vor. Nach dieser Regelung werde zugunsten der Arbeitnehmer, die auf ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigt seien, unterstellt, ihre regelmäßige Arbeitsstätte sei der Betrieb des Arbeitgebers, wenn sie nicht täglich zu ihrer Wohnung zurückkehrten. Der Kläger sei jedoch arbeitstäglich in seine Wohnung in S zurückgekehrt. Wohnen i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 8 der Abgabenordnung (AO 1977) bedeute, daß der Arbeitnehmer in einer zum Wohnen geeigneten Unterkunft am Beschäftigungsort zwischen den Arbeitstagen übernachte, er diese Bleibe für eine gewisse Zeit beibehalte und regelmäßig benutze. Entsprechend diesen Grundsätzen sei die Firmenunterkunft des Klägers in S, die mit Kochgelegenheit und sanitären Anlagen ausgestattet sei, als Wohnung i. S. des Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR anzusehen.

Neben den vom FA gewährten Pauschbeträgen für Verpflegungsmehraufwand bei doppelter Haushaltsführung könnten jedoch auch Verpflegungsmehraufwendungen wegen langer Abwesenheit des Arbeitnehmers von der Unterkunft am Beschäftigungsort nach Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 LStR zusätzlich als Werbungskosten berücksichtigt werden. Im Streitfall seien solche Mehrkosten in Höhe von 5 DM für 213 Arbeitstage, mithin ein Betrag von 1 065 DM, zusätzlich als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit abzusetzen.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Revision ein. Er rügt die unzutreffende Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.

Er führt u. a. aus:

Nach der Fiktion des Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR habe er an den 213 Arbeitstagen jeweils Dienstreisen vorgenommen. Er sei täglich im Auftrage seines Arbeitgebers unterwegs gewesen und innerhalb der Woche nicht in seine Wohnung nach O zurückgekehrt. Seine firmeneigene Unterkunft in S sei ebensowenig eine Wohnung wie ein Hotel oder eine Pension.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die beantragten Werbungskosten von 6 692 DM zum Abzug zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Denn das FG hat die vom Kläger geltend gemachten Mehrverpflegungsaufwendungen zu Recht nicht nach Dienstreisegrundsätzen zum Abzug als Werbungskosten zugelassen.

1. Unternimmt ein Arbeitnehmer Dienstreisen i. S. des Abschn. 25 Abs. 2 LStR, so kann er die ausschließlich für dienstliche Zwecke entstandenen Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten geltend machen. Sie werden von der Finanzverwaltung in der Regel ohne Einzelnachweis in Höhe der in Abschn. 26 Abs. 6 Nr. 3 LStR genannten Pauschbeträge zum Abzug zugelassen.

Nach Abschn. 25 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LStR liegt eine Dienstreise in diesem Sinne vor, wenn der Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig ist. Diesen von der Finanzverwaltung entwickelten Grundsätzen ist der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. Urteil des Senats vom 3. Oktober 1985 VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369, und die dort erwähnte Rechtsprechung).

Eine Dienstreise setzt somit voraus, daß eine von der tatsächlichen Arbeitsstätte abweichende regelmäßige Arbeitsstätte vorhanden ist (vgl. BFH-Urteile vom 5. November 1971 VI R 207/68, BFHE 103, 472, BStBl II 1972, 137, und vom 24. August 1973 VI R 189/71, BFHE 110, 344, BStBl II 1974, 11). Gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG kann bei Arbeitnehmern, die ständig auf auswärtigen Bau- oder Montagestellen tätig sind, der Firmensitz nur dann als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden, wenn der Arbeitnehmer dort vorübergehende Tätigkeiten verrichtet, die mit einer jeweiligen Einsatzstelle im Zusammenhang stehen (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130).

Diese Voraussetzungen sind nach den vom FG getroffenen Feststellungen im Streitfall nicht erfüllt, da der Kläger im Jahr 1979 seine tatsächliche Arbeitsstätte nur auf den jeweiligen Baustellen hatte und am Betriebssitz des Arbeitgebers nicht tätig geworden ist. Der Senat ist an diese Feststellungen gebunden, da der Kläger hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

2. Der Kläger hat seine Fahrten zwischen der Firmenunterkunft in S und seinen jeweiligen Einsatzstellen deshalb als Dienstreisen geltend gemacht, weil nach Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR in Fällen, in denen der Arbeitnehmer nicht täglich von der Einsatzstelle zu seiner Wohnung zurückkehrt, der Betrieb des Arbeitgebers als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden soll.

Es kann dahingestellt bleiben, ob Wohnung in diesem Sinne nur die Familienwohnung des Arbeitnehmers und nicht auch die - ggf. primitivere - firmeneigene Unterkunft am Betriebssitz des Arbeitgebers ist. Wie der Senat jedenfalls im vorgenannten Urteil in BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369 ausgeführt hat, kann er der Anweisung in Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR nicht darin folgen, daß bei nicht täglicher Rückkehr von der Einsatzstelle zur Wohnung der Betrieb als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist und daher insoweit Dienstreisen vorliegen.

Dieser Entscheidung des Senats ist der Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 16. Oktober 1986 IV B 6 - S 2351 - 37/86 (BStBl I 1986, 548) beigetreten; eine entsprechende Anweisung ist daher in den LStR 1987 nicht mehr enthalten. Soweit im vorgenannten Schreiben bestimmt ist, daß die Anweisung in Abschn. 25 Abs. 2 Satz 11 LStR 1978 (Abschn. 25 Abs. 2 Satz 12 LStR 1984) noch für Lohnzahlungszeiträume anzuwenden ist, die vor dem 1. Januar 1987 enden, handelt es sich um eine Billigkeitsregelung der Verwaltung. Über die Frage, ob sie im Streitfall anwendbar ist, hat der Senat im vorliegenden Verfahren, das die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1979 betrifft, nicht zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1977 I R 247/74, BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415879

BFH/NV 1989, 105

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