Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ablehnung der Berichtigung eines rechtskräftigen, Eingangsabgaben betreffenden Steuerbescheides zugunsten eines Steuerpflichtigen ist dann nicht ermessensmißbräuchlich, wenn der Steuerpflichtige die Gründe für die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides rechtzeitig erfahren hat und Gründe für eine Nachsichtgewährung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen den Steuerbescheid nicht vorliegen.

 

Normenkette

AO § 94 Abs. 1 Nr. 1, § 86 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Bgin. beantragte am 25. August 1959 beim Zollamt L. durch die Firma A., in B. und L., Baumwollgewebe zum freien Verkehr abzufertigen, das aus dem freien Verkehr des Zollgebiets stammte und im Rahmen eines genehmigten passiven Veredelungsverkehrs in der Schweiz ausgerüstet worden war. Die Ware wurde vom Zollamt gemäß § 69 Abs. 1 Ziff. 41 des Zollgesetzes (ZG) in Verbindung mit § 7 der Ausgleichsteuerordnung (AStO) zoll- und umsatzausgleichsteuerfrei geschrieben mit Ausnahme der Wertsteigerung, die durch die Veredelung eingetreten war (ß 144 der Allgemeinen Zollordnung - AZO -, § 29 der Wertzollordnung - WertZO -). Die Firma A. meldete in der Zoll- und in der Zollwertanmeldung als Veredelungslohn den Betrag von ... DM an, der in der Rechnung der Firma N vom 21. August 1959 ausgewiesen war. Von diesem Betrag von ... DM schrieb das Zollamt antragsgemäß auf Grund des Kontingentscheines Nr. II/21 vom 7. Januar 1959 (Vorschrift 9 B zu Abschnitt XI des Deutschen Zolltarifs 1959) einen Teilbetrag zollfrei. Der Restbetrag konnte nicht zollfrei belassen werden, weil der Kontingentschein erschöpft war. Das Zollamt erhob mithin von dem Teilbetrag 6 v. H. Umsatzausgleichsteuer und vom Restbetrag 6 v. H. Umsatzausgleichsteuer und 10 v. H. Zoll.

Der Zollbescheid wurde der Firma A. am 28. August 1959 mündlich bekanntgegeben. Da er innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht angefochten wurde, wurde er mit Ablauf des 28. September 1959 rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 1959, eingegangen beim Zollamt am 29. Oktober 1959, beantragte die Firma A. im Auftrag der Bgin. den Erlaß eines Berichtigungsbescheides unter Zugrundelegung von Veredelungskosten von nur ... sfrs., da der Firma N. bei der Ausstellung der Rechnung vom 21. August 1959 ein Fehler unterlaufen sei. Zum Beweis dieser Tatsache fügte sie ein Schreiben dieser Firma an die Firma A. in B. vom 14. September 1959 bei, das bei dieser offenbar am 16. September 1959 eingegangen ist, ferner ein Schreiben der Bgin. an die Firma A. in L. vom 18. September 1959, laut Eingangsstempel eingegangen am 19. September 1959, sowie eine neue Rechnung der ausländischen Veredlerin über ... sfrs. In den beiden Schreiben wurde die Firma A. gebeten, die Sache beim Zollamt in Ordnung zu bringen.

Das Zollamt lehnte den Berichtigungsantrag am 29. Oktober 1959 mit der Begründung ab, daß die Bgin. ihre Anträge vor Eintritt der Rechtskraft hätte stellen müssen.

Die gegen diesen Bescheid des Zollamts eingelegte Sprungberufung führte zu seiner Aufhebung und zu einer Neufestsetzung der Eingangsabgaben durch einen nach § 94 Abs. 1, Ziff. 1 AO berichtigten Bescheid durch das Finanzgericht, das in seinem Urteil (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 1960 S. 486) die Auffassung vertritt, daß die Ablehnung einer Berichtigung im Streitfall eine mißbräuchliche Ausübung des Ermessens darstelle.

Der Vorsteher des Hauptzollamts hat hiergegen Rb. erhoben und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Sprungberufung als unbegründet zurückzuweisen. Er rügt in erster Linie unrichtige Anwendung des bestehenden Rechtes, insbesondere des § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO und des § 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG), in zweiter Linie wesentliche Verfahrensmängel. Die Auffassung des Finanzgerichts, daß die Zollverwaltung verpflichtet sei, Steuerbescheide im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO zugunsten der Steuerpflichtigen dann zu berichtigen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstünden, sei nicht gerechtfertigt. Nach dem Sinn der in der AO getroffenen gesetzlichen Regelung und der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs müsse bei einer im Rahmen des § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO zu treffenden Ermessensentscheidung davon ausgegangen werden, daß es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich, d. h. in der Regel verwehrt sein solle, über einen Berichtigungsantrag die Rechtskraft eines von ihm im Rechtsmittelverfahren nicht angegriffenen Steuerbescheides zu beseitigen. Nur beim Vorliegen besonderer Umstände werde von dieser Regel abzugehen sein. Solche hätten im Streitfall nicht vorgelegen.

Auch die Tatsache, daß durch die Nichtberichtigung des objektiv unrichtigen Zollbescheides eine vorzeitige Erschöpfung des Kontingents der Bgin. eingetreten sei, könne nicht als zusätzlicher Grund für eine Ermessensentscheidung zugunsten der Steuerpflichtigen herangezogen werden, da sie sonst hinsichtlich eines Berichtigungsantrages bessergestellt wäre als andere Steuerpflichtige.

Als wesentliche Verfahrensmängel, die zu einer Aufhebung des Urteils führen müßten, wurde gerügt, daß das Finanzgericht auf keinen Fall sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Zollstelle hätte setzen und selbst eine Entscheidung hätte treffen dürfen, und daß das Finanzgericht seine ihm nach § 243 Abs. 1 AO obliegende Ermittlungspflicht dadurch verletzt habe, daß es das tatsächliche Vorbringen der Bgin. über den Ausfall der beiden Angestellten ohne jegliche Nachprüfung als richtig angenommen und darauf seine Entscheidung aufgebaut habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Im Streitfalle geht es allein um die Entscheidung der Frage, ob die Ablehnung einer Berichtigung eines rechtskräftigen , Eingangsabgaben betreffenden Steuerbescheids - nur von solchen ist im folgenden die Rede -, dessen Fehlerhaftigkeit dem Steuerpflichtigen mindestens 10 Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bekanntgeworden ist, eine mißbräuchliche Ausübung des Ermessens darstellt oder nicht.

Das Finanzgericht führt einleitend aus, daß nach § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO die Behörde einen Steuerbescheid, den sie erlassen hat, zurücknehmen oder ändern könne, und zwar sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Abgabepflichtigen und ohne Rücksicht darauf, ob der Bescheid rechtskräftig sei oder nicht, daß die Berichtigung im pflichtgemäßen Ermessen der Zollbehörde liege und dem Steuerpflichtigen ein Rechtsanspruch auf Berichtigung der Steuerfestsetzung nicht zustehe. Diese Ausführungen sind, da § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO nicht isoliert betrachtet werden darf, nur teilweise richtig; denn die Berichtigung zuungunsten von Steuerpflichtigen liegt, wie das Finanzgericht anschließend auch selbst ausführt, nicht im Ermessen der Zollbehörden; diese sind vielmehr, wie der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, nach § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO in Verbindung mit § 223 AO verpflichtet, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist nicht oder zu wenig erhobene Eingangsabgaben nachzufordern (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 11, Bundeszollblatt - BZBl - 1959 S. 51, Slg. Bd. 68 S. 27). Gleichwohl glaubt das Finanzgericht aus dieser Regelung - Abänderung zuungunsten des Steuerpflichtigen - einen Maßstab dafür gewinnen zu können, wie die Verwaltung von ihrem Ermessen in den Fällen einer Berichtigung zugunsten der Steuerpflichtigen Gebrauch machen müsse, und kommt im Gegensatz zu der von der Zollverwaltung vertretenen Auffassung, daß eine Berichtigung zugunsten des Zollbeteiligten grundsätzlich abzulehnen sei und nur in Ausnahmefällen in Betracht komme, seinerseits zu der Auffassung, daß die Zollverwaltung verpflichtet sei, auch Abgabenbescheide zugunsten der Abgabepflichtigen zu berichtigen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstünden. Der Senat hält schon die Wahl des Ausgangspunktes der überlegungen des Finanzgerichts für verfehlt und daher auch die auf Grund dieser überlegungen gewonnene Auffassung für unzutreffend, dagegen die von dem Vorsteher des Hauptzollamts in seiner Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragene Auffassung für zutreffend. Ermessensentscheidungen müssen sich nach § 2 StAnpG innerhalb der Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Entscheidungen nach Recht und Billigkeit zu treffen (Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277). Um zu erkennen, was im einzelnen Falle recht und billig ist, ist daher zunächst zu prüfen, wie der Gesetzgeber selbst in der Abgabenordnung die änderung von Steuerbescheiden geregelt hat. Diese Prüfung ergibt eine unterschiedliche Regelung je nachdem, ob es sich um eine änderung zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen handelt. Während eine änderung von Steuerbescheiden zuungunsten des Steuerpflichtigen nach § 223 AO innerhalb der Verjährungsfrist nicht nur nicht in das Ermessen der Behörde gestellt, ihr vielmehr vorgeschrieben ist, soweit nicht im Einzelfall der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht, hat der Steuerpflichtige, wenn nicht die Aufsichtsbehörde nach § 224 AO einen Fehler aufgedeckt hat, keine Möglichkeit, die änderung eines rechtskräftigen Steuerbescheids zu seinen Gunsten zu erzwingen. Der Grund für diese unterschiedliche Regelung ist, daß auch im Steuerrecht das Prinzip der Rechtskraft gilt, daß dieses aber gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen und richtigen Versteuerung zurücktreten muß, und zwar am weitesten da, wo, wie bei der notwendigerweise schnell durchzuführenden Abfertigung von eingeführten Waren, von den Abfertigungsbeamten auch beim besten Willen Fehler nicht vermieden werden können. Der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit, binnen Monatsfrist eine nach seiner Ansicht fehlerhafte Steuerfestsetzung mit den gegebenen Rechtsmitteln anzufechten, und es ist ihm grundsätzlich zuzumuten, daß er es, wenn er die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig erkennt, auch rechtzeitig tut. Demgegenüber ist es der Zollverwaltung nicht möglich und kann ihr daher auch nicht zugemutet werden, die unübersehbare Zahl von Eingangsabgabebescheiden ebenfalls binnen Monatsfrist nachzuprüfen. Sie hat daher eine längere, im Hinblick auf die kurze, nur ein Jahr betragende Verjährungsfrist, aber auch nicht unbegrenzte Zeit.

Als Sinngehalt der gesetzlichen Regelung ist zu erkennen, daß sie den Steuerpflichtigen grundsätzlich auf die rechtzeitige Einlegung von Rechtsmitteln verweist, daß ihm also der § 94 AO keine Vorteile bieten will, die er auf dem vom Gesetz gewollten Weg über das Rechtsmittel nicht oder nicht mehr erreichen kann (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 94 Anm. 12), und das ist auch bei der Ausübung des Ermessens bei der Berichtigung von Steuerbescheiden zu beachten. Die Auffassung des Finanzgerichts, daß die Zollverwaltung immer dann verpflichtet sei, Abgabenbescheide zugunsten der Abgabepflichtigen zu berichtigen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen und daß, wenn bei Versäumung der Rechtsmittelfrist Umstände vorliegen, die dem Steuerpflichtigen nicht zum Verschulden angerechnet werden könnten, eine Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Ziff. 1 AO in Betracht komme ohne Rücksicht darauf, ob diese Umstände eine Nachsicht im Sinne des § 86 AO rechtfertigen könnten oder nicht (so auch Vogel in Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1960 S. 233 ff.), steht dazu in Widerspruch, ist auch in sich widerspruchsvoll und daher abzulehnen.

Wenn das Finanzgericht der Auffassung war, daß im Streitfalle bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist Umstände vorlagen, die der Bgin. nicht zum Verschulden angerechnet werden könnten, so hätte es ihr Nachsicht gewähren und den Antrag auf Berichtigung des Steuerbescheides als Einspruch behandeln müssen. Lagen aber Nachsichtgründe nicht vor, dann ist es auch nicht ermessensmißbräuchlich gewesen, den Antrag auf Berichtigung abzulehnen, da, wie oben bereits ausgeführt, der § 94 AO dem Steuerpflichtigen keine Vorteile bieten will, die er auf dem vom Gesetz gewollten Weg über das Rechtsmittel nicht oder nicht mehr erreichen kann.

Der Senat ist der Ansicht, daß nicht nur die Firma A., deren Verhalten die Bgin. gegen sich gelten lassen muß, sondern auch die Bgin. selbst es zu vertreten haben, daß die Rechtsmittelfrist nicht eingehalten wurde und daß daher eine Nachsichtgewährung nach § 86 AO nicht in Betracht kam. Die Bgin. hat im Laufe des Verfahrens vorgetragen, auch die Zollverwaltung hätte bei der Abfertigung erkennen müssen, daß die vorgelegte Rechnung nicht stimmen konnte. Es soll dahingestellt bleiben, ob das richtig ist; die Bgin. als Fachmann hätte dann jedenfalls den Fehler sofort erkennen und im Hinblick darauf, was für sie auf dem Spiele stand (u. a. auch die vorzeitige Erschöpfung ihres Kontingents), auch sofort handeln müssen. Sie hat aber erst am 18. September 1959 an ihre Beauftragte, die Firma A., geschrieben. Diese wiederum hat, obwohl sie das Schreiben am 19. September 1959 erhalten hat, erst am 28. Oktober 1959 an das Zollamt wegen Berichtigung geschrieben. Mit Recht hat der Vorsteher des Hauptzollamts den Standpunkt vertreten, daß diese Säumnis nicht damit entschuldigt werden kann, der Sachbearbeiter und sein Vertreter seien abwesend gewesen, und zwar selbst dann nicht, wenn man die Richtigkeit dieser Behauptung und auch unterstellt, daß die Abwesenheit beider bis zum 28. Oktober 1959 gedauert hat. Denn bei der Firma A. handelt es sich um ein bedeutendes Unternehmen, das auch während der Abwesenheit der beiden Angestellten laufend Verzollungen hat durchführen lassen. Aber auch jeder andere, mit Zollsachen nicht vertraute Angestellte hätte die kleine Arbeit, die Berichtigung des Steuerbescheides zu beantragen, für die mindestens 10 Tage, also 1/3 der Rechtsmittelfrist, zur Verfügung standen, erledigen können, da er, wenn er wegen Unkenntnis der Bestimmungen eines Rates bedurft hätte, sich jederzeit telefonisch oder mündlich mit dem am selben Ort befindlichen Zollamt hätte in Verbindung setzen können.

Nach allem ist die den Berichtigungsantrag ablehnende Entscheidung des Zollamts unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Hand und der der Steuerpflichtigen nach allgemeiner Auffassung mit den Grundsätzen von Recht und Billigkeit nicht unvereinbar. Sie liegt innerhalb der vom Gesetz gezogenen Ermessensgrenzen und ist daher rechtmäßig. Daran kann auch nichts ändern, daß durch die Nichtberichtigung des Steuerbescheides eine vorzeitige Erschöpfung des Kontingents eingetreten ist. Denn die Bgin. hat die Umstände, die eine Berichtigung des Steuerbescheides nicht zulassen, selbst zu vertreten und muß daher auch die sich hieraus ergebenden weiteren Folgen in Kauf nehmen.

Da das Finanzgericht sonach die Rechtslage verkannt hat, war seine Entscheidung aufzuheben, ohne daß es noch eines Eingehens auf die gerügten Verfahrensmängel bedurft hätte. Die Sache ist spruchreif. Da ein Ermessensverstoß nicht vorliegt, war die Sprungberufung gegen die Verfügung des Zollamts vom 29. Oktober 1959 als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409902

BStBl III 1961, 84

BFHE 1961, 225

BFHE 72, 225

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