Entscheidungsstichwort (Thema)

Angehöriger einer Religionsgemeinschaft - Bekenntnis zu einem Glauben - Revision gegen einen Kultussteuerbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach innerkirchlichem Recht bestimmt sich, wer Angehöriger einer Religionsgemeinschaft ist. Der BFH ist als Revisionsinstanz grundsätzlich an die Feststellungen des FG zum Inhalt innerkirchlichen Rechts gebunden.

2. Eine an Abstammung, Bekenntnis und Wohnsitz anknüpfende Mitgliedschaftsregelung ist nicht verfassungswidrig.

 

Orientierungssatz

1. Das Bekenntnis zu einem Glauben ist eine innere Tatsache, die wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgängen nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden kann. Zu einem bestimmten Glauben bekennt sich derjenige, der nach außen seine Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft erkennen läßt.

2. Die Bestimmungen des KiStG NW gelten auch für eine Jüdische Gemeinde. Hier: Zulässigkeit einer Revision gegen einen Kultussteuerbescheid einer Jüdischen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen.

 

Normenkette

KiStG NW §§ 3, 14-15; FGO § 118 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), Sohn jüdischer Eltern, wohnt seit 11.September 1950 in X. Im Melderegister der Stadt X ist unter Religionszugehörigkeit des Klägers "is." angegeben. Entsprechende Angaben machte der Kläger bei einer früheren Anmeldung gegenüber dem Oberstadtdirektor der Stadt Y und in seiner Heiratsurkunde. Nachdem die Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagte), die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, vom Eintrag im Melderegister der Stadt X erfahren hatte, veranlaßte sie, daß das Finanzamt (FA) für 1984 bis 1987 erstmals durch entsprechende Ergänzung der Einkommensteuerbescheide Bescheide über Kultussteuer erließ.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Erfolglos blieb auch eine Klage des Klägers gegen die Stadt X auf Löschung der Eintragung "is." im Melderegister.

Mit seiner Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Kultussteuerbescheide vom 11. und 13.Oktober 1989 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt Abweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist als unbegründet gemäß § 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

1. Die Revision ist zulässig.

Gemäß § 118 Abs.1 Satz 2 FGO i.V.m. § 14 Abs.4 Satz 2 des Kirchensteuergesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22.April 1975, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.Dezember 1985 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen --GVBl NW-- 1975, 438, 1985, 766 --KiStG NW--) kann die Revision auch darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruht, da die Vorschriften der FGO durch Landesgesetz für anwendbar erklärt worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11.Dezember 1985 I R 207/84, BFHE 146, 315, BStBl II 1986, 569). Die Bestimmungen des KiStG NW finden auf alle Religionsgemeinschaften, die die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, entsprechende Anwendung (vgl. § 15 Abs.1 KiStG NW). Sie gelten damit auch für die Beklagte, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.

2. Die Revision ist unbegründet.

Gemäß § 15 Abs.1 i.V.m. § 3 KiStG NW sind kirchensteuerpflichtig alle Angehörigen öffentlich rechtlicher Religionsgemeinschaften, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Land Nordrhein-Westfalen haben.

Die Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft bestimmt sich nach innerkirchlichem Recht (vgl. z.B. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 31.März 1971 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415, 422; BFH in BFHE 146, 315, BStBl II 1986, 569). Nach § 4 Abs.1 der vom Finanzgericht (FG) festgestellten Satzung der Beklagten sind Mitglieder der Beklagten alle Personen,

- die dem jüdischen Glaubensbekenntnis angehören,

- sich zur jüdischen Religion bekennen und

- im Gemeindegebiet wohnen.

Der Kläger ist nach diesen Regeln des Satzungsrechts der Beklagten im streitigen Zeitraum deren Mitglied gewesen.

a) Nach jüdischem Recht ist Jude/Jüdin und gehört damit dem jüdischen Glaubensbekenntnis an, wer von einer jüdischen Mutter abstammt oder zum Judentum konvertiert ist (vgl. Meyer's Enzyklopädisches Lexikon, Band 13, Stichwort "Judentum"; Maier, Das Judentum, Kindler, S.657). Die Anknüpfung an die Abstammung folgt daraus, daß sich das Judentum (auch) als ethnische Gemeinschaft versteht. Dem jüdischen Glaubensbekenntnis können auch Personen weiblichen Geschlechts angehören.

Der Kläger stammt nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs.2 FGO), von einer jüdischen Mutter ab.

Nicht entscheidungserheblich ist, daß der Kläger nicht beschnitten ist. Der Ritus der Beschneidung ist nach den Feststellungen des FG nach innerkirchlichem Recht nicht Voraussetzung für die Zugehörigkeit einer männlichen Person zum jüdischen Glaubensbekenntnis. An diese Feststellung ist der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden (§ 118 Abs.2 FGO). Zwar unterliegt im Streitfall gemäß § 118 Abs.1 Satz 2 FGO i.V.m. § 14 Abs.3 KiStG NW Landesrecht der revisionsrechtlichen Überprüfung. Insoweit ist der Senat bezüglich Bestandes und Inhalts landesrechtlicher Vorschriften nicht an die Feststellung des FG gebunden. Die Zugehörigkeit zum jüdischen Glaubensbekenntnis richtet sich aber nicht nach Landes-, sondern ausschließlich nach Kirchenrecht. Gemäß Art.140 des Grundgesetzes (GG) sind die Art.136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) Bestandteil des GG. Gemäß Art.137 Abs.3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheit selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Innerkirchliche Rechtsetzungsakte entspringen einer originären Rechtsetzungsbefugnis der Religionsgemeinschaften. Der Staat und damit auch die staatlichen Gerichte sind hieran grundsätzlich gebunden (vgl. Beschluß des BVerfG vom 17.Februar 1965 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385, 386; von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, 3.Aufl., Art.137 Abs.3 WRV Rdnr.43). Innerkirchliche Rechtsetzungsakte sind daher nicht Landesgesetz i.S. des § 118 Abs.1 Satz 2 FGO (vgl. ähnlich Beschluß des BVerfG vom 23.Oktober 1986 2 BvL 7, 8/84, BVerfGE 73, 388, 400). An die Feststellung des FG zum Bestand und Inhalt innerkirchlicher Glaubensinhalte und Rechtsetzungsakte ist daher der Senat gebunden.

b) Der Kläger hat sich auch zur jüdischen Religion bekannt.

Das Bekenntnis zu einem Glauben ist eine innere Tatsache, die wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgängen nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden kann (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25.Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 unter C IV 3 c bb; vgl. auch von Campenhausen, a.a.O., Art.137 Abs.3 WRV Rdnr.44). Zu einem bestimmten Glauben bekennt sich derjenige, der nach außen seine Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft erkennen läßt. Der Dokumentation eines besonderen Willens, die Beklagte unterstützen zu wollen, bedarf es nach dem Inhalt der festgestellten Satzung nicht (anders: FG Düsseldorf, Senate in Köln, Beschluß vom 28.Mai 1973 VI 185/72 A, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1973, 510). Nicht entscheidungserheblich ist, wer Empfänger derartiger Bekenntniserklärungen ist. Dies können auch staatliche Behörden sein. Dementsprechend hat auch das BVerfG die Angaben über die Bekenntniszugehörigkeit in den Einkommensteuererklärungen als Wille zur Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gewertet (BVerfG in BVerfGE 30, 415, 425; ebenso Beschluß des BFH vom 26.September 1979 VI R 74/77, nicht veröffentlicht --NV--). Ebenso ist die rituelle Beschneidung als Bekenntniserklärung zu verstehen (so FG München, Urteil vom 10.April 1989 XIII 314/87 Ki, EFG 1989, 593). Sie ist aber nicht die alleinige Form eines Bekenntnisses zum jüdischen Glauben. Zur Begründung der Kirchensteuerpflicht ist auch nicht erforderlich, daß der Steuerpflichtige sich für jeden Veranlagungszeitraum gesondert zu einer Religionsgemeinschaft bekennt. Nach innerkirchlichem Recht bleibt die durch Bekenntnis dokumentierte Glaubenszugehörigkeit bestehen. Sie kann grundsätzlich nur durch Austritt, Ausschluß oder Tod beendet werden (vgl. § 6 Abs.2, 3 der Satzung der Beklagten).

Nach den für den Senat mangels Revisionsrügen bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger gegenüber der Meldebehörde in X seine Religionszugehörigkeit mit "israelitisch" angegeben. Wenn der Kläger im Revisionsverfahren darlegt, daß diese Erklärung als Bekenntnis der Zugehörigkeit zum Volk der Juden, nicht aber zur jüdischen Religionsgemeinschaft zu verstehen sei, so rügt er eine unrichtige Würdigung seiner Erklärung vor der Meldebehörde durch das FG. Die Feststellung des Inhalts von Willenserklärungen ist jedoch eine Frage der Tatsachenwürdigung, die revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden kann, ob die Auffassung des FG gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 118 Rdnr.17). Einen derartigen Widerspruch läßt die Würdigung des FG nicht erkennen.

c) Es verstößt auch nicht gegen das GG, wenn Religionsgemeinschaften die Mitgliedschaft von Abstammung und Bekenntnis abhängig machen und hieran die Kirchensteuerpflicht anknüpft.

Das Grundrecht der Glaubensfreiheit gemäß Art.4 Abs.1 GG verbietet zwar, eine Person einseitig und ohne Rücksicht auf ihren Willen der Kirchengewalt zu unterwerfen (BVerfG in BVerfGE 30, 415, 423). Es verlangt aber nicht, daß der Beitritt zu einer Religionsgemeinschaft durch eine ausdrückliche Beitrittserklärung, wie z.B. im Christentum durch die Taufe, bestätigt wird, sofern der Wille des Betroffenen in geeigneter Form Berücksichtigung findet oder finden kann. Diesen Anforderungen entspricht die Satzung der Beklagten, da sie die Mitgliedschaft an das Bekenntnis zum jüdischen Glauben, also an eine Willensäußerung anknüpft. Ein Mitglied der Beklagten wird auch nicht gegen seinen Willen in der Religionsgemeinschaft festgehalten. Dem Grundrecht auf (negative) Glaubensfreiheit und zugleich dem Grundrecht auf negative Vereinigungsfreiheit (Art.2, 9 GG) wird durch die Möglichkeit des Kirchenaustritts Rechnung getragen. Nach § 1 des Gesetzes zur Regelung des Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Kirchenaustrittsgesetz) vom 26.Mai 1981 (GVBl NW 1981, 260) kann das Mitglied jederzeit durch Erklärung vor dem Amtsgericht aus einer Religionsgemeinschaft austreten. Hieran knüpft auch die Mitgliedschaftsregelung der Beklagten an (vgl. § 6 Abs.2 der Satzung). Die Tatsache, daß der Kläger in der Annahme, der Beklagten nicht anzugehören, von der Austrittsmöglichkeit in den Streitjahren keinen Gebrauch gemacht hat, berührt die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Kirchensteuergesetzes nicht.

Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob er der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) uneingeschränkt folgen könnte, wonach Abstammung und Wohnsitz allein zur Begründung der Mitgliedschaft genügen (vgl. Urteil des BVerwG vom 9.Juli 1965 VII C 16.62, BVerwGE 21, 330; vgl. auch von Campenhausen, a.a.O., Art.137 Abs.3 WRV, Rdnr.48). Da der Kläger seine Bekenntniszugehörigkeit nach außen hin dokumentiert hat, bestehen jedenfalls im Streitfall keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Kirchensteuerpflicht des Klägers.

d) Daß der Kläger in den Streitjahren im Gemeindegebiet der Beklagten wohnte, ist unstreitig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64824

BStBl II 1994, 253

BFHE 172, 570

BFHE 1994, 570

BB 1994, 132

BB 1994, 132 (L)

DB 1994, 357 (L)

DStZ 1994, 159 (KT)

HFR 1994, 150-151 (LT)

StE 1994, 29 (K)

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