Leitsatz (amtlich)

Eine Abfindung, die anläßlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, kann in besonderen Fällen auch dann eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG für einen unfreiwillig erlittenen Schaden sein, wenn das Arbeitsverhältnis ohne ausdrückliche Kündigung des Arbeitgebers aufgelöst worden ist.

 

Normenkette

EStG 1971 § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit dem 3. März 1954 als Verkaufsdisponent in der Verkaufsabteilung eines Unternehmens in M tätig. Das Unternehmen gliederte diese Abteilung zum 1. Juli 1972 in eine Tochtergesellschaft ein, die ihren Sitz in B hatte. Der Kläger erklärte sich aus persönlichen und sachlichen Gründen nicht bereit, dorthin umzuziehen. Das Unternehmen lehnte es ab, dem Kläger wegen seiner Weiterbeschäftigung in M eine Zusage zu machen. Es stellte für die von der Abteilungsverlegung betroffenen Betriebsangehörigen, denen gekündigt werden mußte, einen Sozialplan auf. Dieser sah für den Kläger bei seiner mehr als 18jährigen Betriebszugehörigkeit eine Abfindung von sechs Monatsgehältern, = 14 112 DM, vor.

Nachdem dem Kläger die beabsichtigte Verlegung seiner Abteilung bekanntgeworden war, bemühte er sich, einen neuen Arbeitsplatz im Raum von M zu finden. Als ihm dies gelungen war, verhandelte er längere Zeit mit seinem bisherigen Arbeitgeber über die Beendigung seines Arbeitsvertrags. Am 16. Mai 1972 schloß er mit ihm folgende schriftliche Vereinbarung:

"1. Ihr Anstellungsverhältnis endet im gegenseitigen Einvernehmen am 30. September 1972. In Ihrem Dienstzeugnis werden wir Ihnen bescheinigen, daß sie auf eigenen Wunsch aus unserem Unternehmen ausscheiden...

...

3. Sie erhalten eine Abfindung..., deren genaue Höhe in nächster Zeit errechnet wird. Die Abfindung wird Ihnen im Oktober 1972 zufließen..."

Nach den Statuten einer mit dem Unternehmen verbundenen Stiftung haben die in kündbaren Verträgen stehenden pensionsberechtigten Geschäftsangehörigen Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichs für den Verlust ihrer Pensionsanwartschaft, "wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses seitens der Firma erfolgt, ohne daß sie zur Fortsetzung der vertragsmäßigen Tätigkeit unfähig geworden sind oder ihrerseits schuldbare Veranlassung zur Vertragsauflösung ... gegeben haben".

Der Kläger beantragte bei der Einkommensteuerveranlagung 1972, die ihm gemäß Nr. 3 der Vereinbarung vom 16. Mai 1972 zugeflossene Abfindung von 34 344 DM steuerfrei zu lassen sowie hilfsweise, die Abfindung als außerordentliche Einkünfte zu behandeln und auf drei Jahre zu verteilen. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) unterwarf die Abfindung als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dem normalen Steuersatz. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab dem Klageantrag, die Abfindung dem begünstigten Steuersatz des § 34 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu unterwerfen, statt. Es führte aus, nach ständiger Rechtsprechung des BFH läge eine steuerbegünstigte Entschädigung i. S. dieser Vorschriften nur vor, wenn der Steuerpflichtige unfreiwillig, d. h. gegen oder ohne seinen Willen einen Schaden erlitten habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob dem zuzustimmen sei, da die Abfindung im Streitfall jedenfalls die vom BFH geforderten Voraussetzungen erfülle. Der Kläger habe zwar bei der einvernehmlichen Auflösung des Anstellungsverhältnisses zum 30. September 1972 mitgewirkt. Er habe dies aber nicht freiwillig, sondern unter dem Druck von Umständen getan, die nicht von ihm, sondern von seinem Arbeitgeber geschaffen worden und gegen seinen Willen auf ihn zugekommen seien, so daß er ihnen habe Rechnung tragen müssen. Sein bisheriger Arbeitsplatz im Betrieb in M sei weggefallen. Das Unternehmen habe ihm über eine Weiterbeschäftigung weder in M noch bei ihrem Tochterunternehmen in B eine bindende Zusage gemacht. Nach dem Schreiben des Unternehmens an das FA vom 18. April 1975 habe es eine Weiterbeschäftigung des Klägers in M nicht ins Auge gefaßt. Man habe den Kläger im unklaren über seine berufliche Verwendung gelassen, möglicherweise in der Absicht, ihn zu veranlassen, von sich aus das Arbeitsverhältnis zu beenden oder einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zuzustimmen. Der Kläger habe auch persönliche Gründe gehabt, nicht nach B umzuziehen; denn sein Sohn habe im Streitjahr 1972 die Unterprima eines Gymnasiums in der Nähe seines Wohnorts besucht, und ein Schulwechsel hätte das Bestehen des Abiturs in Frage gestellt. Die Höhe der Abfindung von 34 344 DM, die der Arbeitgeber an sich nur bei einer firmenseitigen Kündigung hätte zahlen müssen, lasse erkennen, daß er nicht von einer freiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger ausgegangen sei. Die Bestätigung im Dienstzeugnis vom 30. Juni 1972, daß der Kläger auf eigenen Wunsch das Unternehmen verlassen habe, beruhe auf der Vereinbarung vom 16. Mai 1972. Hiermit sollten dem Kläger neue Bewerbungen erleichtert werden. Der Wechsel des Arbeitgebers habe dem Kläger finanzielle Nachteile gebracht; denn sein monatliches Bruttoeinkommen sei von 2 352 DM auf 2 297 DM gesunken.

Das FA rügt mit der Revision fehlerhafte Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Es meint, im Streitfall sei das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber im gegenseitigen Einvernehmen zum 30. September 1972 aufgelöst worden. Der Kläger habe durch sein Zutun die Pensionsansprüche verloren und das Ausscheiden somit selbst zu vertreten. Das FG könne sich nicht auf das BFH-Urteil vom 9. August 1974 VI R 142/72 (BFHE 113, 239, BStBl II 1974, 714) berufen; denn in diesem vom BFH entschiedenen Fall sei dem Steuerpflichtigen fristlos gekündigt worden. Es sei vielmehr auf das BFH-Urteil vom 19. Januar 1976 VI R 67/75 (BFHE 118, 17, BStBl II 1976, 286) hinzuweisen. Danach könne sich ein Steuerpflichtiger für die erstrebte Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1 EStG nicht auf den Zwang einer wirtschaftlichen Entwicklung berufen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 34 Abs. 1 EStG sind die im Einkommen enthaltenen außerordentlichen Einkünfte auf Antrag einem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen. Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG u. a. Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Hierzu zählen nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.

Die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG liegen vor, wenn der Schaden, hier der Wegfall künftiger Pensionsansprüche, auf einem unfreiwilligen, d. h. ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen eintretenden Ereignis beruht (vgl. BFH-Urteile vom 17. Dezember 1959 IV 223/58 S, BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72; vom 17. Juli 1970 VI R 66/67, BFHE 99, 381, BStBl II 1970, 683; vom 20. November 1970 VI R 183/68, BFHE 101, 237, BStBl II 1971, 263, wenn auch mit wechselnder Begründung).

Der BFH hat andererseits mehrfach darauf hingewiesen, daß auch im Falle eines Ausscheidens nach einer formalen Kündigung durch den Arbeitnehmer oder einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in besonderen Fällen ein unfreiwillig erlittener Schaden vorliegen könne (vgl. Urteile des BFH vom 16. September 1966 VI 381/65, BFHE 86, 760, BStBl III 1967, 2; vom 13. April 1962 VI R 255/59 U, BFHE 75, 100, BStBl III 1962, 306; vom 20. März 1974 I R 198/72, BFHE 112, 157, BStBl II 1974, 486, und vom 9. August 1974 VI R 142/72, BFHE 113, 239, BStBl II 1974, 714). So hat der BFH insbesondere bereits bisher die Auffassung vertreten, daß ein unfreiwilliges Ausscheiden auch dann vorliege, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vertraglich vereinbart sei, diese Vereinbarung aber unter dem Eindruck einer mit Sicherheit zu erwartenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Firma gestanden habe und der Vereinbarung daher nur formale Bedeutung zukomme (Urteil I R 198/72) oder wenn dem Arbeitnehmer nicht mehr zugemutet werden könne, bei der gegebenen Situation das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (Urteil VI R 142/72).

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der Senat bei der Auslegung der Vorschriften des § 24 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG künftig die formale Gestaltung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (durch Kündigung oder Vereinbarung) völlig außer Betracht lassen und lediglich wie die neue Fassung der Vorschrift des § 3 Nr. 9 EStG durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 darauf abstellen wird, ob die Auflösung durch den Arbeitgeber veranlaßt ist; denn bereits nach den bisher vom BFH vertretenen Grundsätzen ist dem Kläger unter den besonderen Umständen dieses Falles der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG zu gewähren.

Das FG hat in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß der Kläger unfreiwillig aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und ausgeführt, der Kläger habe bei der "einvernehmlichen" Auflösung nur unter dem Druck der Verhältnisse mitgewirkt, die nicht von ihm, sondern von seinem Arbeitgeber geschaffen und gegen seinen Willen auf ihn zugekommen seien. Sein Arbeitsplatz in M sollte auf Grund von Rationalisierungsgründen wegfallen, und es wurde ihm vom Arbeitgeber für eine sonstige Weiterbeschäftigung in M keine bindende Zusage gegeben. Es war ihm nach den zutreffenden Ausführungen des FG nicht zuzumuten, nach B umzuziehen und das bisherige Arbeitsverhältnis in M noch fortzusetzen, nachdem er im Hinblick auf eine zu erwartende Kündigung des Arbeitgebers einen neuen Arbeitsplatz in der Umgebung von M gefunden hatte. Daß auch der Arbeitgeber nicht von einer freiwilligen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger ausgegangen ist, hat das FG ohne Rechtsverstoß der Tatsache entnommen, daß der Arbeitgeber eine Abfindung für Pensionsansprüche gezahlt hat, obwohl ein solcher Anspruch nur bei Auflösung des Dienstverhältnisses "seitens der Firma" bestand.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72425

BStBl II 1977, 718

BFHE 1978, 474

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