Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines während des gerichtlichen Verfahrens erlassenen Änderungsbescheides an Bevollmächtigten

 

Leitsatz (amtlich)

Ändert das FA einen mit der Klage angefochtenen Steuerbescheid während des gerichtlichen Verfahrens, in welchem der Kläger durch einen Prozeßbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten ist, so ist seit dem 1. Januar 1993 der Änderungsbescheid dem Prozeßbevollmächtigten bekanntzugeben.

 

Orientierungssatz

1. Eine formlose Bekanntgabe des Steuerbescheids reicht auch für der Fall aus, daß während eines anhängigen Klageverfahrens ein Steuerbescheid ergeht, der den klagebefangenen Steuerbescheid ändert.

2. Die Prozeßvollmacht umfaßt auch die Zustellung und Bekanntgabe von Bescheiden, die den Klagegegenstand betreffen.

3. Parallelentscheidung: BFH, 5.5.1994, VI R 97/93, NV.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1, 5; FGO § 62 Abs. 1, 3, § 53 Abs. 1, § 68 Fassung: 1992-12-21, § 155; VwZG § 8 Abs. 4; ZPO § 81

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 10.09.1993; Aktenzeichen 3 K 2192/91)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte mit seiner Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 weitere Werbungskosten geltend. Er war im Klageverfahren durch Prozeßbevollmächtigte vertreten, die beim Finanzgericht (FG) eine Prozeßvollmacht eingereicht hatten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ während des Klageverfahrens einen geänderten Steuerbescheid für das Streitjahr 1990. Darin wurde die Steuerfestsetzung der Höhe nach nicht geändert; sie wurde lediglich wegen verschiedener Positionen für vorläufig i.S. des § 165 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) erklärt. Der Bescheid enthielt die Erläuterung, daß er die mit der Klage angefochtene Steuerfestsetzung in Form der Einspruchsentscheidung ändere und der Kläger beim FG unter Berufung auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beantragen könne, diesen Bescheid zum Gegenstand des dort anhängigen Klageverfahrens zu machen.

Der geänderte Bescheid wurde ausschließlich dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Der Kläger legte weder Einspruch ein noch stellte er einen Antrag nach § 68 FGO. Er beantragte mit der Klage, festzustellen, daß der geänderte Einkommensteuerbescheid 1990 unwirksam sei, und den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid dahin zu ändern, daß die geltend gemachten Werbungskosten steuermindernd berücksichtigt würden.

Das FG wies die Klage ab. Es vertrat die Ansicht, der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1990 sei dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 231 veröffentlicht.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). Das FG hat zu Unrecht angenommen, der während des Klageverfahrens erlassene Änderungsbescheid sei wirksam bekanntgegeben (§ 122 Abs.1 Satz 1 AO 1977) und die mit dem unveränderten Klageantrag aufrechterhaltene Klage dadurch unzulässig geworden.

1. Der Annahme des FG, der geänderte Einkommensteuerbescheid sei wirksam bekanntgegeben worden, steht allerdings nicht bereits entgegen, daß der Bescheid nicht gemäß § 122 Abs.5 AO 1977 nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) förmlich zugestellt worden ist. Denn eine förmliche Zustellung war nicht erforderlich. Bei Steuerbescheiden reicht grundsätzlich die formlose Bekanntgabe aus (§ 155 Abs.1 Satz 2, § 122 Abs.1 AO 1977). Eine (förmliche) Zustellung ist auch nicht für den Fall gesetzlich vorgeschrieben (vgl. § 122 Abs.5 Satz 1 AO 1977), daß während eines anhängigen Klageverfahrens ein Steuerbescheid ergeht, der den klagebefangenen Steuerbescheid ändert. Aus dem Wortlaut des § 68 FGO geht klar hervor, daß selbst in einem solchen Fall eine formlose Bekanntgabe des Steuerbescheids i.S. des § 122 Abs.1 AO 1977 genügt. Denn nach § 68 Satz 2 FGO ist der Antrag, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts zu stellen.

Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 68 Satz 2 FGO, der die formlose Bekanntgabe des Verwaltungsakts ausreichen läßt, ist für eine analoge Anwendung des § 53 Abs.1 FGO, wonach Anordnungen und Entscheidungen des Gerichts, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sowie Terminbestimmungen und Ladungen den Beteiligten zuzustellen sind, kein Raum.

Soweit die Finanzbehörden gemäß § 122 Abs.5 Satz 1 AO 1977 anstelle der formlosen Bekanntgabe die Zustellung schriftlicher Verwaltungsakte anordnen "können", ist es nicht ermessensfehlerhaft (§ 5 AO 1977, § 102 FGO), wenn sie davon bei Erlaß von Änderungsbescheiden, die den Klagegegenstand eines anhängigen Klageverfahrens betreffen, in der Regel keinen Gebrauch machen. Denn der Gesetzgeber hat durch § 68 Satz 2 FGO, wonach die Frist durch die (formlose) Bekanntgabe in Lauf gesetzt wird, zu erkennen gegeben, daß er dies grundsätzlich auch bei Änderungsbescheiden während eines Klageverfahrens genügen lassen will. Dann kann es aber nicht als ermessensfehlerhaft beurteilt werden, wenn die Behörden entsprechend verfahren und die (förmliche) Zustellung auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränken (zweifelnd: Rößler in Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1993, 685, 687; im Ergebnis ebenso: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Mai 1993 3 K 107/87, KFR Fach 2 FGO § 68, I/93, S.211 mit Anmerkung von Gürsching; von Groll in Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1994, 117, 121, zu 4.1.2; Bilsdorfer in Information für Steuer und Wirtschaft --INF-- 1993, 431; von Wedelstädt, INF 1993, 563, 564).

2. Der während des Klageverfahrens erlassene Änderungsbescheid war jedoch dem durch eine Prozeßvollmacht (§ 62 Abs.3 Satz 1 FGO) ausgewiesenen Prozeßbevollmächtigten des Klägers bekanntzugeben. Die Bekanntgabe dieses Bescheides nur gegenüber dem Kläger war ermessensfehlerhaft (§ 5 AO 1977, § 102 FGO).

a) Die Entscheidung, ob die Finanzbehörde einen Verwaltungsakt dem Steuerpflichtigen persönlich oder dem Bevollmächtigten bekanntgibt, steht gemäß § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Voraussetzung für eine entsprechende Ermessensausübung ist jedoch, daß überhaupt für den zu regelnden Sachverhalt ein Bevollmächtigter bestellt ist. Dies trifft entgegen der Auffassung der Vorinstanz jedenfalls zu, wenn ein durch eine schriftliche Vollmacht ausgewiesener Prozeßbevollmächtigter mit der Erhebung einer Klage beauftragt ist und der mit der Klage angefochtene Steuerbescheid während des Klageverfahrens geändert wird.

Durch die schriftliche Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten hat der Kläger auch gegenüber der Finanzbehörde zu erkennen gegeben, daß alle den Prozeß betreffenden Angelegenheiten durch den Prozeßbevollmächtigten geregelt werden sollen. Auch wenn die Vollmachtsurkunde (§ 62 Abs.3 Satz 1 FGO) dem FG und nicht der Finanzbehörde vorgelegt wird, ist der Finanzbehörde als dem Beklagten des Klageverfahrens die Tatsache der Bevollmächtigung bekannt. Dies reicht für eine wirksame Bevollmächtigung auch der Behörde gegenüber aus. Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er --allerdings nur für den Fall der förmlichen Zustellung-- in § 8 Abs. 4 VwZG bestimmt, daß (förmliche) Zustellungen in einem anhängigen verwaltungs-, sozial- oder finanzgerichtlichen Verfahren an den "bestellten Prozeßbevollmächtigten" bewirkt werden müssen. Bestellter Prozeßbevollmächtigter in diesem Sinne ist derjenige, der sich durch Einreichung einer Vollmachtsurkunde beim Gericht (§ 62 Abs.3 FGO) als solcher ausgewiesen hat.

Der Umfang der Prozeßvollmacht bestimmt sich nach §§ 62, 155 FGO, § 81 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Danach umfaßt die Prozeßvollmacht auch die Zustellung und Bekanntgabe von Bescheiden, die den Klagegegenstand betreffen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Dezember 1985 I R 207/84, BFHE 146, 315, BStBl II 1986, 569). Ein Bescheid, der den mit der Klage angefochtenen Bescheid ändert, betrifft den Klagegegenstand in seinem Kern, weil nunmehr der neue Steuerbescheid die alleinige Grundlage für die Erhebung der Steuer bildet (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1970 IV 162/65, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623, 624). Die Prozeßvollmacht erstreckt sich daher auch auf seine Bekanntgabe.

b) Liegt danach eine Bevollmächtigung für die Bekanntgabe des Änderungsbescheides vor, so hat die Finanzbehörde das ihr gemäß § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben (§ 5 AO 1977) und dabei alle ihr bekannten und erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Soweit ein Steuerbescheid ergeht, der einen Steuerbescheid ändert, gegen den eine Klage anhängig ist, ist seit Inkrafttreten des § 68 FGO i.d.F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109), also seit dem 1. Januar 1993 (vgl. Art.7 und Art.9 des FGO-Änderungsgesetzes), das Ermessen der Finanzbehörde in der Regel dahin eingeengt, daß nur die Bekanntgabe des Änderungsbescheides gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten ermessensfehlerfrei ist (so auch FG Baden-Württemberg mit Anmerkung von Gürsching, a.a.O.; Bilsdorfer, a.a.O. und in INF 1993, 564 f.; von Groll, a.a.O.; a.A.: von Wedelstädt, Der Betrieb --DB-- 1993, 1261; INF 1993, 563; Oberfinanzdirektion --OFD-- Düsseldorf, Verfügung vom 18. Juni 1993 FG 2026 A-St 31, DB 1993, 1395).

Denn während nach § 68 FGO alter Fassung der Antrag, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zu machen, unbefristet gestellt werden konnte, ist dieser Antrag gemäß § 68 Satz 2 FGO in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Bescheides zu stellen. Es wird durch die Bekanntgabe des Änderungsbescheides nicht nur --wie bisher-- die verwaltungsverfahrensrechtliche Einspruchsfrist (§§ 355, 356 AO 1977), sondern außerdem auch die prozessuale Antragsfrist in Lauf gesetzt. Die Bekanntgabe des Änderungsbescheides erfordert also ein fristgebundenes Tätigwerden des Klägers in dem anhängigen Klageverfahren. Für diese Tätigkeit hat der Kläger den Prozeßbevollmächtigten bestellt. Dann erscheint es auch erforderlich, daß die Finanzbehörde durch Bekanntgabe des Bescheides diesem gegenüber die Frist in Lauf setzt.

Abgesehen von dem Gesichtspunkt, daß nur bei einer Bekanntgabe gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten die Antragsfrist von einem Monat (§ 68 Satz 2 FGO) voll ausgenutzt werden kann, lassen sich auch nur so Mißverständnisse vermeiden, von deren Auftreten im Falle der ausschließlichen Bekanntgabe an den Kläger persönlich die Finanzbehörden bei realistischer Einschätzung der Situation ausgehen müssen. Der Kläger kann und wird auch häufig aufgrund der Erteilung der Prozeßvollmacht darauf vertrauen, daß alle prozeßrelevanten Erklärungen und Verfügungen --entsprechend der in § 62 Abs.3 Satz 5 FGO getroffenen Regelung und entsprechend dem in § 8 Abs.4 VwZG für den Fall der Zustellung durch die Finanzbehörde vorgeschriebenen Weg-- an seinen Prozeßbevollmächtigten gerichtet werden. Es kann von einem Kläger nicht die Kenntnis erwartet werden, daß etwas anderes dann gelten soll, wenn eine prozessuale Frist nicht durch eine Maßnahme des Gerichts, sondern ausnahmsweise durch die (formlose) Bekanntgabe eines Verwaltungsakts durch die Finanzbehörde in Lauf gesetzt wird. Bei einer ausschließlichen Bekanntgabe an den Kläger persönlich muß die Finanzbehörde deshalb damit rechnen, daß der Kläger wie selbstverständlich davon ausgehen wird, seinem Prozeßbevollmächtigten sei ein gleichlautender Bescheid von der Finanzbehörde bekanntgegeben worden, und daß er deshalb die Notwendigkeit, den Bescheid an seinen Prozeßbevollmächtigten weiterleiten zu müssen, überhaupt nicht erkennt. Wäre bei dieser Fallgestaltung die ausschließliche Bekanntgabe des Änderungsbescheides gegenüber dem Kläger persönlich ermessensgerecht, könnte später wegen der versäumten Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO häufig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO deshalb nicht gewährt werden, weil die Jahresfrist des § 56 Abs.3 FGO versäumt wäre.

Das erklärte Ziel der Neuregelung des § 68 FGO, innerhalb der Monatsfrist Klarheit über das weitere Verfahren zu schaffen (vgl. BTDrucks 12/1061, S.15), wird effizient nur durch eine Bekanntgabe des Änderungsbescheides mitsamt seiner Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 68 Satz 2 FGO gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten erreicht. Nur durch eine Bekanntgabe diesem gegenüber können die ansonsten in nicht geringer Zahl zu erwartenden Streitigkeiten über Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand vermieden werden. Diesen Umständen hat die Finanzbehörde bei ihrer Ermessensausübung Rechnung zu tragen.

c) Demgegenüber ist das Argument, die Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten sei nicht geboten, weil § 8 Abs.4 VwZG nicht einschlägig sei, da ein Steuerbescheid nicht förmlich zuzustellen sei (vgl. von Wedelstädt, INF 1993, 563, 564), zwar richtig, soweit es um die Frage der Notwendigkeit einer (förmlichen) Zustellung eines derartigen Steuerbescheides geht. Es ändert aber nichts daran, daß diese Vorschrift über ihren unmittelbaren Regelungsbereich hinaus die Interessenlage eines durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretenen Klägers gegenüber einer Verwaltungsbehörde in einem anhängigen Klageverfahren zutreffend widerspiegelt und die Finanzbehörde dieses für sie ohne weiteres erkennbare Interesse des Klägers bei der Ausübung ihres Ermessens i.S. des § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 berücksichtigen muß. Die besondere Interessenlage des Klägers angesichts der Doppelnatur eines während des Klageverfahrens ergehenden Änderungsbescheides wird für die Finanzbehörde auch durch die in § 68 Satz 3 FGO vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung verdeutlicht. Denn die Finanzbehörde muß bei einem solchen Änderungsbescheid nicht nur auf die verwaltungsverfahrensrechtliche Einspruchsfrist (§§ 355, 356 AO 1977), sondern kraft ausdrücklicher Anordnung in § 68 Satz 3 FGO auch auf den Lauf der prozessualen Antragsfrist des Satzes 2 dieser Vorschrift hinweisen. Auf die Wahrung eben dieser Antragsfrist erstreckt sich aber die dem Prozeßbevollmächtigten erteilte Vollmacht i.S. des § 62 FGO.

d) Gegen die Auffassung, Änderungsbescheide während eines anhängigen Klageverfahrens sollten gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten bekanntgegeben werden, kann auch nicht mit Erfolg eingewendet werden, der Kläger habe es in der Hand, seinem Prozeßbevollmächtigten eine Zustellungsvollmacht für das Verwaltungsverfahren gemäß § 80 AO 1977 durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde gegenüber der Finanzbehörde zu erteilen. Es ist zwar richtig, daß diese Möglichkeit besteht. Wenn ein Kläger davon aber keinen Gebrauch gemacht hat, kann aus diesem Unterlassen nicht sein Wille abgeleitet werden, auch solche Steuerbescheide, durch die in einem anhängigen Klageverfahren prozessuale Fristen in Lauf gesetzt werden, sollten nicht gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten, sondern ihm persönlich bekanntgegeben werden. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt nicht ausreichend, daß die verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung des geänderten Bescheides (vgl. §§ 355, 356 AO 1977) überlagert wird durch seine prozessualen Wirkungen, nämlich den Beginn der in § 68 Satz 2 FGO geregelten Antragsfrist und den daraus resultierenden Zwang zur Abgabe prozessualer Erklärungen.

e) Gegenüber der dargestellten und auch für die Finanzbehörde ohne weiteres erkennbaren Interessenlage des Klägers sind keine hinreichend schutzwürdigen Belange der Finanzbehörde ersichtlich, die bei der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 5, § 122 Abs.1 Satz 3 AO 1977 gebotenen Abwägung dafür sprechen könnten, eine ausschließliche Bekanntgabe gegenüber dem Kläger persönlich als ermessensgerecht zu beurteilen.

3. Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, daß ein Änderungsbescheid bisher nicht wirksam bekanntgegeben und mithin auch die Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO nicht in Lauf gesetzt worden ist. Die Frage, ob eine Heilung der bislang unwirksamen Bekanntgabe eingetreten sein könnte, stellt sich im Streitfall nicht. Denn das FG hat nicht festgestellt, daß den Prozeßbevollmächtigten des Klägers der geänderte Steuerbescheid im Laufe des Klageverfahrens von anderer Seite, z.B. dem Kläger oder dem Gericht, zugeleitet worden ist.

Da die Vorentscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Klage ist entgegen der Auffassung des FG weiterhin mit dem ursprünglichen Antrag zulässig. Die Sache ist aber nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz reichen nicht aus, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über das Begehren des Klägers auf Änderung des ursprünglich erlassenen Einkommensteuerbescheides zu ermöglichen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65375

BStBl II 1994, 806

BFHE 174, 208

BB 1994, 1488-1489 (LT)

DB 1994, 1556 (L)

DStR 1994, 1117-1118 (KT)

DStZ 1994, 759 (KT)

HFR 1994, 517-518 (LT)

StE 1994, 432 (K)

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