Entscheidungsstichwort (Thema)

Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen als steuerliches Fremdkapital

 

Leitsatz (NV)

1. Eigenkapitalersetzende Darlehen sind in der Handelsbilanz grundsätzlich als Fremdkapital zu passivieren. Sie sind geeignet, eine Zinsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter entstehen zu lassen, die ebenfalls in der Handelsbilanz zu Lasten des Gewinns zu passivieren ist.

2. Für den Ansatz eigenkapitalersetzender Darlehen und der dadurch ausgelösten Zinsverbindlichkeit in der Steuerbilanz gilt der Maßgeblichkeitsgrundsatz.

3. Eine steuerliche Gleichbehandlung von eigenkapitalersetzenden Darlehen mit Eigenkapital kann derzeit nicht erreicht werden, auch nicht mit Hilfe des § 42 AO 1977. Soweit das BMF-Schreiben vom 16. März 1987 IV B 7 - S 2742 - 3/87 (BStBl I 1987, 373) von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, fehlt ihm die Rechtsgrundlage.

 

Normenkette

KStG 1984 § 8 Abs. 1, 3 S. 2, § 27 Abs. 1, 3 S. 2, §§ 50-52; EStG § 4 Abs. 1 S. 5, § 5 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nrn. 1, 7; AO 1977 § 42; GmbHG §§ 30-31, 32a a.F., § 32b

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1986 eine inländische GmbH. Ihr Stammkapital betrug zunächst 50 000 DM. Es wurde am 11. 6. 1986 auf 100 000 DM erhöht. Gesellschafter waren zunächst die Eheleute A zu je 50 v. H. Die am 11. 6. 1986 gebildeten neuen Geschäftsanteile wurden mit Einverständnis der Eheleute A in Höhe von 40 000 DM der B-SA, einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Luxemburg überlassen.

Die B-SA hatte der Klägerin wenige Tage vor dem 11. 6. 1986 einen Kredit in Höhe von . . . DM eingeräumt. Davon nahm die Klägerin in 1986 einen Betrag von rd. . . . DM in Anspruch. Die vereinbarten Zinsen behandelte sie in Höhe von . . . DM als Betriebsausgaben.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte das Darlehen als Eigenkapital der Klägerin. Er setzte die Zinsen als verdeckte Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 an und errechnete ein negatives zu versteuerndes Einkommen in Höhe von ./. . . . DM, das durch Bescheid vom 24. März 1988 fingiert festgestellt wurde. Gleichzeitig wurde die Körperschaftsteuer 1986 auf 0 DM festgesetzt.

Der Klage der Klägerin gab das Finanzgericht (FG) statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 198 veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 8 Abs. 3 KStG 1977.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Er hält an der im BMF-Schreiben vom 16. März 1987 IV B 7 - S 2742 - 3/87 (BStBl I 1987, 373) vertretenen Rechtsauffassung fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

A. Verfahrensfragen

1. Im Körperschaftsteuerbescheid 1986 vom 24. März 1988, auf den das FG Bezug genommen hat und dessen Inhalt deshalb als festgestellt gilt (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285), wurde die Körperschaftsteuer auf 0 DM festgesetzt. Die Ausschüttungsbelastung wurde nicht hergestellt. Da es das Klageziel der Klägerin ist, eine verdeckte Gewinnausschüttung zu bestreiten, kann sie durch die Steuerfestsetzung auf 0 DM in ihren Rechten nicht verletzt sein. Sie wird durch den Ansatz einer tariflichen Körperschaftsteuer von 0 DM nicht belastet. Zwar könnte die Herstellung der Ausschüttungsbelastung theoretisch zu einer negativen Steuerschuld führen. Dies setzt aber eine Ausschüttung i. S. des § 27 KStG 1984 voraus, die die Klägerin gerade bestreitet. Deshalb ist die Festsetzung einer negativen Körperschaftsteuer nicht vom Klageantrag der Klägerin abgedeckt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

2. Die Klägerin leitet eine Rechtsverletzung i. S. des § 40 Abs. 2 FGO nur daraus ab, daß das FA in dem Körperschaftsteuerbescheid 1986 vom 24. März 1988 das Einkommen gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1977 mit ./. . . . DM und nicht - wie erklärt - mit ./. . . . DM fingiert feststellte. Entsprechend mußte das FG das Klagebegehren der Klägerin im Sinne eines Antrags auf anderweitige fingierte Feststellung des Einkommens 1986 in Höhe von ./. . . . DM verstehen. Das FG konnte das festzustellende Einkommen auch selbst ermitteln, weil das bisher festgestellte Einkommen lediglich um die verneinte verdeckte Gewinnausschüttung zu mindern war. Die Voraussetzungen für ein Vorgehen gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) waren insoweit nicht erfüllt. Das FG hätte deshalb - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung im übrigen - nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO verfahren und das Einkommen mit ./. . . . DM feststellen müssen. Für das Revisionsverfahren kann der erkennende Senat von einem entsprechenden Klageantrag der Klägerin ausgehen, weil der Klageantrag eine Prozeßhandlung ist und die Nachprüfung von Inhalt und Bedeutung der Prozeßhandlungen zu den Aufgaben des Revisionsgerichts gehört, bei denen es nicht an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden ist (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rdnr. 36). Über den so verstandenen Klageantrag der Klägerin kann der Senat im Revisionsverfahren sachlich abschließend entscheiden.

B. Fingierte Feststellung des Einkommens

1. Einkommen i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 KStG 1984

Die Beantwortung der Frage, ob das Einkommen der Klägerin mit ./. . . . DM oder mit ./. . . . DM oder mit einem Zwischenbetrag fingiert festzustellen ist, hängt vorrangig davon ab, ob der von der Klägerin angesetzte Zinsaufwand als solcher zu berücksichtigen ist. Dazu ist darüber zu entscheiden, ob zivilrechtlich gesehen eine Zinsverbindlichkeit der Klägerin gegenüber der B-SA am Bilanzstichtag bestand, die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 8 Abs. 1 KStG 1977, § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) zu passivieren war.

2. Bilanzrechtliche Beurteilung eigenkapitalersetzender Darlehen

a) Aus den vom FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellten Bilanzpositionen ergibt sich, daß die Klägerin zum 31. Dezember 1986 überschuldet war. Die Gesellschafterdarlehen hatten zumindest teilweise eigenkapitalersetzenden Charakter. Zu der Frage, ob die Zinsverbindlichkeit der Klägerin gegenüber ihrem Gesellschafter schon aus diesem Grund nicht hätte zu Lasten des Gewinns passiviert werden dürfen, haben alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, eigenkapitalersetzende Darlehen seien zivilrechtlich grundsätzlich als Fremdkapital der das Darlehen empfangenden Kapitalgesellschaft zu behandeln. Bei einer entsprechend abgeschlossenen Zinsvereinbarung seien die Darlehen grundsätzlich geeignet, eine Zinsverbindlichkeit der Kapitalgesellschaft auszulösen, die zu passivieren sei. Dieser Auffassung pflichtet der erkennende Senat bei. Sie entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (vgl. Urteil vom 11. Mai 1987 II ZR 266/86, Der Betrieb - DB - 1987, 1781 = Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 139 = Betriebs-Berater - BB - 1987, 1533 = GmbH-Rundschau - GmbHR - 1987, 390) und der sog. herrschenden Meinung im zivilrechtlichen Schrifttum (vgl. Hachenburg / Ulmer, GmbH-Gesetz, 8. Aufl., § 32 a b, Rdnr. 176; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 37 III 2 b; Scholz / Westermann, GmbH-Gesetz, 7. Aufl., § 31 Rdnr. 4, Baumbach / Hueck, GmbH-Gesetz, 15. Aufl., § 31 Rdnr. 6; Rümker / Westermann, Eigenkapitalersetzende Darlehen, 1987, S. 53 ff.; Joost, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht - ZHR - 1984, 27 ff.; Fleck, in Döllerer-Festschrift, S. 109 ff.; Priester, DB 1991, 1917; Thiel, GmbHR 1992, 20). Auf der Grundlage dieser herrschenden Meinung ist zwischen den Rechtsfolgen zu unterscheiden, die sich aus der Neuregelung der §§ 32 a, 32 b des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), § 32 a der Konkursordnung (KO) und § 3 b des Anfechtungsgesetzes (AnfG) durch die GmbH-Novelle 1980 (BGBl I 1980, 836) einerseits und aus den zu §§ 30, 31 GmbHG entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen andererseits ergeben (vgl. dazu Hachenburg / Ulmer, a. a. O., Rdnr. 14 m. w. N.). Die Rechtsfolge der §§ 32 a und 32 b GmbHG ist im Streitfall schon deshalb nicht einschlägig, weil über das Vermögen der Klägerin im Streitjahr 1986 kein Insolvenzverfahren eröffnet war. Die Rechtslage ist deshalb ausschließlich nach den zu §§ 30, 31 GmbHG entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen zu beurteilen.

b) Bei der Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist in Übereinstimmung mit der o. g. herrschenden Meinung davon auszugehen, daß die Beurteilung eines Gesellschafterdarlehens als eigenkapitalersetzendes weder die Umwandlung des Darlehens in haftendes Kapital noch dessen interne Gleichstellung mit Eigenkapital bedeutet. Die sich aus der analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG ergebende Rechtsfolge beschränkt sich darauf, die Geltendmachung der Verbindlichkeit in der Krise auszuschließen. Es werden die Ansprüche des Gesellschafters gegen die Gesellschaft im Verhältnis zu den Ansprüchen anderer Gläubiger zurückgestuft. Für das Innenrecht einer GmbH bleibt damit das eigenkapitalersetzende Darlehen Fremdkapital. Als Fremdkapital ist es grundsätzlich geeignet, eine Zinsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter entstehen zu lassen (vgl. BGH-Urteil in DB 1987, 1781 = NJW 1988, 139 = BB 1987, 1553 = GmbHR 1987, 390).

c) Zwar wird im zivilrechtlichen Schrifttum auch eine andere Auffassung vertreten. Insbesondere sind Lutter / Hommelhoff (GmbH-Gesetz, 13. Aufl., §§ 32 a/b, Rdnr. 70) der Meinung, daß der Darlehensrückzahlungsanspruch und der Zinsanspruch des Gesellschafters vorläufig nicht entstünden. Der Senat schließt sich jedoch dieser Auffassung nicht an. Abgesehen davon, daß die genannten Autoren in ihrer Kommentierung zu § 30 GmbHG (vgl. a. a. O., Rdnr. 32) von einem entstandenen, aber gehemmten Anspruch sprechen, ist nicht zu erkennen, wie der Darlehensrückzahlungsanspruch eines Gesellschafters entfallen soll, wenn das Darlehen bereits vor Eintritt der Krise gewährt und in der Krise lediglich stehengelassen wurde. Vor allem aber verbietet § 30 GmbHG nur die Auszahlung von Zinsen, soweit dadurch eine Unterbilanz herbeigeführt oder verschärft wird. Wird gegen das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG verstoßen, so sieht § 31 Abs. 1 GmbHG als Sanktion die Entstehung eines gesellschaftsrechtlichen Erstattungsanspruchs voraus. Es verstößt daher die Entstehung einer bestimmten Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter noch nicht gegen § 30 GmbHG (so auch BGH-Urteil in DB 1987, 1781 = NJW 1988, 129 = BB 1987, 1553 = GmbHR 1987, 390; Karsten Schmidt, a. a. O., § 37 III 2 b; Hommelhoff, in: Kellermann-Festschrift, S. 165 ff.).

d) Von der Frage der zivilrechtlichen Entstehung der Zinsverbindlichkeit ist zwar die nach ihrer Passivierung zu trennen. Denn nach § 8 Abs. 1 KStG 1984, § 5 Abs. 1 EStG kann eine zivilrechtlich entstandene Zinsverbindlichkeit bei der Ermittlung des fingiert festzustellenden Einkommens nur dann berücksichtigt werden, wenn ihre Passivierung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, daß Verbindlichkeiten, die - wie z. B. solche aus Genußrechten und Besserungsscheinen - von der Entstehung künftiger Gewinne abhängig sind, in der Handelsbilanz nicht passiviert werden müssen (vgl. Adler / Düring / Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 149 des Aktiengesetzes - AktG - Rdnr. 46; Knobbe-Keuk, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1983, 127, 130). Der Grundsatz greift jedoch im Streitfall nicht durch. Die Zinsverbindlichkeit ist keine gewinnabhängige Vergütung. Aus der analogen Anwendung des § 30 GmbHG ergibt sich, daß die Zinsverbindlichkeit unabhängig davon entsteht, ob die Kapitalgesellschaft einen Gewinn erzielt oder nicht. § 30 GmbHG verbietet nur die Erfüllung der Zinsverbindlichkeit. Er berührt jedoch ihre Passivierung nicht. Deshalb ist davon auszugehen, daß eine auf einem eigenkapitalersetzenden Darlehen beruhende Zinsverbindlichkeit in der Handelsbilanz zu Lasten des Gewinns zu passivieren ist.

3. Steuerrechtliche Beurteilung eigenkapitalersetzender Darlehen

a) Wegen des in § 5 Abs. 1 EStG verankerten Maßgeblichkeitsgrundsatzes schlägt die handelsbilanzrechtliche Behandlung sowohl des eigenkapitalersetzenden Darlehens als auch der Zinsverbindlichkeit auf die steuerrechtliche Beurteilung durch. Zwar erfährt der Maßgeblichkeitsgrundsatz in § 5 Abs. 5 EStG 1985 Durchbrechungen. Auch schließen die Durchbrechungen die Einlage i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG ausdrücklich ein. Jedoch hat der erkennende Senat schon in seinem Urteil vom 30. Mai 1990 I R 97/88 (BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875) die Auffassung vertreten, daß § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG nur regelt, welche Vermögenswerte die Eignung haben, im Wege einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen übertragen werden zu können. Das Steuerrecht enthält jedoch keine Regelung darüber, ob die Nutzungsüberlassung eines an sich einlagefähigen Vermögenswertes Eigen- oder Fremdkapital bei der die Nutzung empfangenden Gesellschaft auslöst. Die Durchbrechung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes umfaßt deshalb diese Frage nicht. Ihre Beantwortung hängt vielmehr davon ab, ob bezüglich des zur Nutzung überlassenen Vermögenswertes eine Rückgewährverbindlichkeit besteht oder nicht. Diese Frage ist entsprechend dem Maßgeblichkeitsgrundsatz nach Handelsbilanzrecht zu entscheiden. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht auf die im Steuerrecht geltende wirtschaftliche Betrachtungsweise gestützt werden. Zwischen der im Handelsbilanzrecht und der im Steuerrecht geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise besteht insoweit kein Unterschied.

b) Auch aus einem Umkehrschluß zu § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 läßt sich keine nur steuerlich wirkende Rechtsgrundlage für die Umqualifizierung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen in Eigenkapital ableiten. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 ist eine Vorschrift, die es erlaubt, eine bei der Kapitalgesellschaft eingetretene Vermögensminderung entsprechend ihrer Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis zu besteuern und ggf. als Ausschüttung zu qualifizieren. Das Darlehen, das ein Gesellschafter seiner Gesellschaft gewährt, bleibt aber auch dann Fremdkapital der Gesellschaft, wenn die Darlehensgewährung als solche nur durch das Geselschaftsverhältnis veranlaßt sein sollte. Die durch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 eröffnete Möglichkeit, auf die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis abzustellen, begründet deshalb keine Rechtsgrundlage dafür, um Fremdkapital in Eigenkapital umzuqualifizieren. Dies gilt nicht nur für Gesellschafterdarlehen, sondern gleichermaßen für andere Wirtschaftsgüter (Patente, Grundstücke, Gebäude u. a. m.), die ein Gesellschafter seiner Gesellschaft zur Nutzung überlassen kann.

4. Anwendung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977)

a) Für den Fall enthält auch § 42 AO 1977 keine ausreichende Rechtsgrundlage, um die von der Klägerin gezahlten Zinsen steuerrechtlich in verdeckte Gewinnausschüttungen i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 umzuqualifizieren. Der BFH hat in der Vergangenheit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 AO 1977 (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) unterschiedlich umschrieben (vgl. BFH-Großer Senat, Beschluß vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, 277; BFH-Urteile vom 6. November 1980 IV R 182/77, BFHE 132, 93, BStBl II 1981, 220; vom 20. November 1980 IV R 81/77, BFHE 132, 89, BStBl II 1981, 223, 225; vom 13. Dezember 1983 VIII R 64/83, BFHE 140, 437, BStBl II 1984, 426; vom 6. März 1985 II R 240/83, BFHE 143, 393, BStBl II 1985, 494; vom 19. Juni 1985 I R 115/82, BFHE 144, 264, BStBl II 1985, 680; vom 28. April 1987 IX R 7/83, BFHE 150, 406, BStBl II 1987, 814; vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604; vom 16. März 1988 X R 27/86, BFHE 153, 46 BStBl II 1988, 629; vom 1. Februar 1989 I R 2/85, BFHE 156, 150, BStBl II 1989, 473). An den unterschiedlichen Formulierungen ist in jüngster Zeit von Tipke (in Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977, Rdnrn. 10 ff.) und von Fischer (in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977, Rdnrn. 31 ff.) Kritik geübt worden. Auf diese Kritik kommt es jedoch letztlich nicht an. Die Rechtsprechung des BFH, an der der erkennende Senat grundsätzlich festhält, läßt sich dahin zusammenfassen, daß der Mißbrauch i. S. des § 42 AO 1977 eine zweckgerichtete Handlung zur Umgehung eines Steuergesetzes erfordert. Die unangemessene rechtliche Gestaltung muß gewählt worden sein, um das Steuergesetz zu umgehen. Deshalb ist ggf. in jedem Einzelfall die Umgehungsabsicht festzustellen. Zwar kann dabei ein Indizienbeweis verwendet werden, wenn eine bestimmte gewählte Gestaltung regelmäßig den Schluß auf eine bestimmte Umgehungsabsicht zuläßt. Im Streitfall ist ein solcher Rückschluß jedoch unmöglich.

b) Zwar läßt sich den §§ 27 ff., 50 bis 52 KStG 1984 i. V. m. § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG der Grundsatz entnehmen, daß der von einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft an einen Steuerausländer ausgeschüttete Gewinnanteil im Regelfall mit mindestens 9/16 Körperschaftsteuer ,,belastet" sein soll. Jedoch folgt aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG i. V. m. den Vorschriften der einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen, daß Zinsen, die eine inländische Kapitalgesellschaft an ihren ausländischen Gesellschafter bezahlt, Betriebsausgaben sind und in der Regel auch keiner zu Lasten des ausländischen Gesellschafters erhobenen inländischen Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen. Es besteht deshalb kein Grundsatz des deutschen Steuerrechts, daß die Vergütungen, die eine inländische Kapitalgesellschaft an ihren ausländischen Gesellschafter leistet, einer bestimmten inländischen Mindeststeuer unterliegen sollen. Der Grundsatz gilt nur für Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er macht deshalb eine Abgrenzung dieser Einnahmen von den nicht steuerfreien Zinsen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1985 erforderlich.Diese Abgrenzung richtet sich wiederum nach der Antwort auf die zivilrechtliche Vorfrage, ob die Kapitalgesellschaft Eigen- oder Fremdkapital nutzt.

c) Es kann auch keiner Bestimmung des KStG 1984 entnommen werden, daß eine Kapitalgesellschaft über das gezeichnete Kapital hinaus mit einer bestimmten Eigenkapitalquote ausgestattet sein müsse. Wird Fremdkapital in einem ungewöhnlichen Umfang von einem Nichtgesellschafter zur Verfügung gestellt, so hindert dies den Betriebsausgabenabzug von Zinsen nicht. Deshalb ist auch bei Anwendung des § 42 AO 1977 davon auszugehen, daß das Steuerrecht die Abgrenzung zwischen Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 EStG nach zivilrechtlichen Kriterien vornimmt. Entscheidend ist insoweit, daß die §§ 30, 31, 32 a und § 32 b GmbHG von der Freiheit des Gesellschafters ausgehen, seine Gesellschaft entweder mit Eigen- oder mit Fremdkapital zu finanzieren (vgl. Scholz / Karsten Schmidt, a. a. O., 7. Aufl., §§ 32 a, 32 b, Rdnr. 4; Hachenburg / Ulmer, a. a. O., Rdnr. 7; Baumbach / Hueck, a. a. O., Rdnr. 2; BGH-Urteil vom 26. März 1984 II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 388, jeweils m. w. N.). Die Finanzierungsfreiheit des Gesellschafters ist zivilrechtlich nur insoweit beschränkt, als er ggf. den Haftungsfolgen aus den §§ 30, 31 bzw. aus den §§ 32 a, 32 b GmbHG unterliegt. Darüber hinaus enthält das Zivilrecht kein Verbot der Zuführung von Fremdkapital anstelle von Eigenkapital. Die §§ 30, 31, 32 a und 32 b GmbHG enthalten auch kein Verbot fraudulöser Gläubigergefährdung (vgl. BGH-Urteile vom 24. März 1980 II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 330, und in BGHZ 90, 381, 390; Scholz / Karsten Schmidt, a. a. O., Rdnr. 8). Die Entscheidung eines Gesellschafters, nur Fremdkapital zur Verfügung stellen zu wollen, ist deshalb in der Regel auch unter dem Gesichtspunkts des § 42 AO 1977 hinzunehmen.

d) Es kommt hinzu, daß der ausländische Gesellschafter regelmäßig für die Zuführung von Fremdkapital vernünftige wirtschaftliche Gründe wird geltend machen können. Sie bestehen in erster Linie darin, daß das Fremdkapital nach erfolgreicher Sanierung einfacher und schneller zurückgefordert werden kann. Häufig steht der das Kapital zur Verfügung stellende Gesellschafter auch vor der Situation, daß andere Gesellschafter nicht in gleicher Weise zur Sanierung der Kapitalgesellschaft beitragen wollen. In einem solchen Fall sind dem erstgenannten Gesellschafter mittelbare Zuwendungen an die übrigen nicht zuzumuten. Dies alles schließt die Regelannahme aus, die Zuführung von Fremdkapital werde nur zur Umgehung der inländischen ,,Dividendenbesteuerung" gewählt. Zwar kann im Einzelfall eine entsprechende Absicht ausschlaggebend sein. Auch mag in einem solchen Fall an die Anwendung des § 42 AO 1977 gedacht werden können. Die Absicht muß jedoch aus den o. g. Gründen für jeden Einzelfall konkret festgestellt werden. Für die Feststellung trägt das FA die sog. objektive Beweislast. Im Streitfall hat das FG keine Umgehungsabsicht festgestellt. Dagegen hat das FA keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Deshalb muß der erkennende Senat für das Revisionsverfahren davon ausgehen, daß die Absicht im Streitfall nicht festgestellt werden konnte.

e) Der Senat hält an seiner schon im Urteil vom 10. Dezember 1975 I R 135/74 (BFHE 117, 467, BStBl II 1976, 226) vertretenen Rechtsauffassung fest, wonach Darlehen, die ein Gesellschafter seiner überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, im Regelfall kein steuerliches Eigenkapital der Kapitalgesellschaft auslösen. Zwar ist es vom Ergebnis her unbefriedigend, daß als Folge dieser Rechtsprechung Gesellschafter, die Eigenkapital zuführen (und sich damit, wie § 32 a Abs. 1 GmbHG formuliert, als ,,ordentliche Kaufleute" erweisen), steuerlich schlechter behandelt werden als diejenigen, die nur Fremdkapital zuführen. Es erscheint dem Senat jedoch ausgeschlossen, eine Gleichbehandlung mit Hilfe des § 42 AO 1977 sicherzustellen. Insoweit hat das Schreiben des BMF vom 16. März 1987 IV B 7 - S 2742 - 3/87 (BStBl I 1987, 373) keine Rechtsgrundlage. Sollte rechtspolitisch die Gleichbehandlung gewünscht sein, so ist eine ausdrücklich gesetzliche Regelung erforderlich.

C. Vorentscheidung verletzt kein Bundesrecht

1. Die Vorentscheidung entspricht im Ergebnis den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Das FA durfte die Zinszahlungen steuerrechtlich weder als verdeckte Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 noch als andere Ausschüttung i. S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG 1984 qualifizieren. Insoweit ist der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid 1986 fehlerhaft. Beim Ansatz der Zinsen als Betriebsausgaben stellt sich auch nicht die Frage, ob das FA nicht ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt im übrigen die Ausschüttungsbelastung hätte herstellen müssen (§§ 27 ff. KStG 1984) und ob sich dadurch eine Körperschaftsteuererhöhung oder -minderung ergeben hätte.

2. Die Vorentscheidung ist allerdings insoweit fehlerhaft, als das FG nach Art. 3 § 4 VGFGEntlG verfahren ist. Diese Fehlerhaftigkeit war im Revisionsverfahren zu berichtigen, ohne daß dies einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zur Folge haben könnte.

3. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, daß es für die getroffene Entscheidung unerheblich war, ob die B-SA möglicherweise eine sog. Basis- oder Oasengesellschaft eines oder mehrerer Steuerinländer war. Sollte die Darlehensgewährung steuerrechtlich (§ 42 AO 1977) einem Steuerinländer zuzurechnen sein, so würde die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung schon nach dem BMF-Schreiben vom 16. März 1987, a. a. O., ausgeschlossen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418254

BFH/NV 1992, 629

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