Leitsatz (amtlich)

Das FA darf bei einer Veranlagung unter Nachprüfungsvorbehalt von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen abweichen.

 

Normenkette

AO 1977 § 164 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer 1980 veranlagt worden. Der Kläger ist Ingenieur mit einem Fachhochschulabschluß und war im Streitjahr für ein Betriebsforschungsinstitut tätig. In seiner Einkommensteuererklärung bezeichnete der Kläger den Einnahmenüberschuß aus dieser Tätigkeit als Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah darin eine gewerbliche Betätigung und veranlagte ihn gemeinsam mit seiner Ehefrau entsprechend zur Einkommensteuer; der Steuerbescheid war unter Nachprüfungsvorbehalt gestellt. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage wurde geltend gemacht, daß der Kläger eine selbständige Arbeit i. S. von § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeübt habe. Das FG wies das FA an, die Kläger nach Maßgabe der eingereichten Steuererklärung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer zu veranlagen. Es war der Auffassung, daß das FA im Falle der Veranlagung unter Nachprüfungsvorbehalt nur bei einer offensichtlichen Unrichtigkeit von den Angaben in der Einkommensteuererklärung abweichen dürfe.

Mit seiner vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 164 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG; das FA war verfahrensrechtlich nicht gehindert, die von der Einkommensteuererklärung abweichende Einkommensteuerveranlagung unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen.

Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist. Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine Vorbehaltsfestsetzung seitens des FA damit nur dann nicht zulässig, wenn der Steuerfall abschließend geprüft wurde; eine vorläufige, insbesondere eine auf einzelne Punkte beschränkte Nachprüfung des steuererheblichen Sachverhalts würde danach einer Vorbehaltsfestsetzung nicht im Wege stehen. Das entspricht auch dem Sinn der Vorschrift. Sie soll es dem FA ermöglichen, unter Zurückstellung seiner Pflicht zur umfassenden Ermittlung des Sachverhalts (§ 88 AO 1977) die Steuer alsbald festzusetzen; es kann sich dabei allein an die Angaben des Steuerpflichtigen halten (vgl. die Regierungsbegründung zur AO 1977, BT-Drucks. VI/1982 S. 148 zu § 145). Das bedeutet aber nicht, wie das angeführte Urteil im Anschluß an das FG Münster (Urteil vom 17. Februar 1981, Entscheidungen der Finanzgerichte 1981, 324) angenommen hat, daß das FA aufgrund dieser Vorschrift nur diejenige Steuerschuld festsetzen dürfe, zu der sich der Steuerpflichtige durch seine tatsächlichen Angaben in der Steuererklärung selbst bekennt.

Für eine solche Einschränkung geben Wortlaut und Zweck der Vorschrift keinen Anhaltspunkt. Die Vorschrift ist vielmehr auch auf Steuerfestsetzungen anwendbar, denen keine Steuererklärung zugrunde liegt; davon ist der Senat bereits für den Fall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ausgegangen (vgl. Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 168-170/79, BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150). In diesen Fällen muß das FA vorläufige Ermittlungen anstellen, um zu einer Vorbehaltsfestsetzung zu gelangen. Ebensowenig ist das FA bei Abgabe einer Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen gehindert, vorläufige Ermittlungen zum Sachverhalt anzustellen und ihr Ergebnis der Vorbehaltsfestsetzung zugrunde zu legen. Dies kann erforderlich sein, wenn der Steuerpflichtige unvollständige, widersprüchliche oder sonst zweifelhafte Angaben macht. Der Senat ist bisher schon davon ausgegangen, daß das FA im Rahmen des § 164 AO 1977 auch nach Abgabe einer Steuererklärung Sachverhaltsermittlungen anstellen könne, ohne zu einer abschließenden Beurteilung und einer vorbehaltlosen Steuerfestsetzung zu gelangen. Er hat in seinem eine Gewinnfeststellung nach Erklärung betreffenden Urteil vom 12. Juni 1980 IV R 23/79 (BFHE 130, 370, BStBl II 1980, 527) ausgeführt, daß das FA im Einspruchsverfahren den Sachverhalt nicht abschließend aufzuklären brauche und den Nachprüfungsvorbehalt deswegen aufrechterhalten könne; das beinhaltet, daß das FA im Einspruchsverfahren und damit auch im voraufgehenden Steuerverwaltungsverfahren vorläufige Ermittlungen über den Umfang der Steuerpflicht anstellen kann. Daß diese Ermittlungsmöglichkeit nur im Falle offensichtlich unrichtiger Angaben in der Steuererklärung oder ihrer nicht vertretbaren rechtlichen Würdigung bestehen solle, wie das FG meint, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Die vom FG vertretene Auffassung würde dazu führen, daß der Steuerpflichtige durch unvollständige oder unzutreffende Angaben in der Steuererklärung abschließende Ermittlungen des FA und eine vorbehaltlose Steuerfestsetzung erreichen kann. Dies würde den Zielen des § 164 AO 1977 zuwiderlaufen. Der Senat hat wesentlich auch aus diesem Grunde die Verpflichtung des FA zur abschließenden Sachprüfung im Einspruchsverfahren gegen eine Vorbehaltsfestsetzung abgelehnt (BFHE 130, 370, BStBl II 1980, 527; ebenso Urteil vom 9. September 1980 VIII R 52/79, nicht veröffentlicht).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74817

BStBl II 1984, 6

BFHE 1984, 137

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge