Entscheidungsstichwort (Thema)

Offenbare Unrichtigkeit

 

Leitsatz (NV)

Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.

 

Normenkette

AO §§ 129, 177; EStG § 4 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Sächsisches FG (Urteil vom 02.10.2006; Aktenzeichen 2 K 143/06; EFG 2008, 658)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erklärte in der Anlage V zur Einkommensteuererklärung für 1999 Einnahmen aus der Vermietung des Objekts X-straße 5 in P in Höhe von 12 240 DM. Ihre Einkünfte aus Gewerbebetrieb --Vermögensberatung-- betrugen 112 394 DM. In der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gab sie u.a. Mieterlöse in Höhe von 12 240 DM an. Diese erläuterte sie wie folgt:

"Mieterlöse aus innerhalb der Etage vermieteten Räumen, wobei eine Aufteilung wie nachstehend erläutert, vorgenommen wurde, da die eigengenutzten Räume von Frau A als notwendiges Betriebsvermögen behandelt wurden, während alle übrigen Räume im Privatvermögen bleiben."

In der Anmerkung zur Gewinnermittlung teilte die Klägerin zudem die Raumkosten in einen gewerblichen und einen privaten Teil auf.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) legte dem Einkommensteuerbescheid 1999 vom 25. September 2001 die Angaben der Klägerin zugrunde und setzte die Steuer auf 22 109 DM fest.

In der Einkommensteuererklärung für 2000 erklärte die Klägerin Einnahmen aus der Vermietung des Objekts X-straße 5 in P in Höhe von 12 900 DM sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 79 782 DM. Aus der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ergibt sich, dass hierbei Mieterlöse in Höhe von 12 900 DM berücksichtigt wurden. Diese wurden wie im Jahr 1999 erläutert und die Raumkosten in einen gewerblichen und einen privaten Teil aufgeteilt. Das FA setzte mit Bescheid vom 1. Juli 2002 die Einkommensteuer 2000 erklärungsgemäß auf 2 274 DM fest.

Am 17. Dezember 2004 beantragte die Klägerin die Änderung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 mit der Begründung, die Mieteinnahmen für die X-straße 5 seien versehentlich doppelt erfasst worden. Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 14. Januar 2005 ab.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 658 veröffentlichten Urteil ab. Zwar liege eine Unrichtigkeit vor, weil die Mieteinnahmen sowohl in der Anlage V als auch in der Gewinnermittlung erklärt worden seien. Dies sei für das FA jedoch nicht offenbar gewesen. Es hätte weitere Prüfungen vornehmen müssen, ob nicht Einnahmen aus der Vermietung der im Betriebsvermögen befindlichen Räume erzielt worden seien. Es handele sich nicht um ein sog. mechanisches Versehen der Klägerin oder ihres steuerlichen Vertreters, sondern um einen Rechtsirrtum. Zumindest sei die theoretische Möglichkeit eines solchen Irrtums nicht ausgeschlossen.

Mit der Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung von § 129 der Abgabenordnung (AO). Bei der doppelten Erfassung der Mieteinnahmen handele es sich um ein rein mechanisches Versehen, dass das FA bei Erlass der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 übernommen habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 1999 vom 19. März 2002 und 2000 vom 1. Juli 2002 dahingehend zu berichtigen, dass die darin angesetzten Gewinne aus Gewerbebetrieb um die doppelt erfassten Mieteinnahmen in Höhe von 12 240 DM (1999) bzw. 12 900 DM (2000) gemindert werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Ein mechanisches Versehen der Klägerin liege nicht vor. Die Verbuchung der Mieteinnahmen und Gesamtkosten im Rahmen der Buchführung für den Gewerbebetrieb stelle einen Rechtsanwendungsfehler dar; zumindest lasse sich ein solcher nicht ausschließen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen lassen eine abschließende Beurteilung der Rechtslage nicht zu.

1. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass das beklagte FA nicht dazu verpflichtet gewesen sei, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 zu berichtigen.

a) Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BFHE 162, 115). Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist, der Fehler auf bloße mechanische Versehen zurückzuführen und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505, m.w.N.). Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss (BFH-Urteil vom 17. November 1998 III R 2/97, BFHE 187, 148, BStBl II 1999, 62), ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (BFH-Urteil vom 3. Juni 1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342).

b) Im Streitfall sind die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 offenbar unrichtig i.S. von § 129 AO. Der damalige steuerliche Berater der Klägerin hat Mieterlöse sowohl als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung als auch in der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als gewerbliche Einnahmen berücksichtigt. In der Anlage zur Gewinnermittlung hat er darauf hingewiesen, dass die Mieterlöse aus innerhalb der Etage vermieteten Räumen resultieren und hat die Raumkosten in einen gewerblichen und einen privaten Anteil mit der Begründung aufgeschlüsselt, die eigengenutzten Räume der Klägerin seien notwendiges Betriebsvermögen. Ein die Berichtigung nach § 129 AO verhindernder Tatsachen- oder Rechtsirrtum ist insoweit ausgeschlossen. Diesen Fehler hat das FA bei der Prüfung der Steuererklärungen der Klägerin für die Jahre 1999 und 2000 als eigenen übernommen. Die doppelte Erfassung der Mieterlöse war angesichts der identischen Höhe und der Erläuterung sowie der Aufteilung der Raumkosten für das FA leicht als offensichtliches Versehen erkennbar. Entgegen der Auffassung des FG konnte das FA nicht davon ausgehen, dass die Klägerin Einnahmen aus der Vermietung der im Betriebsvermögen gehaltenen Räume erzielt. Aus der Anmerkung zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG und der Aufteilung der Raumkosten ergibt sich eindeutig, dass nur die eigengenutzten Räume als Betriebsvermögen behandelt wurden.

2. Unter Beachtung der unter II.1. dargestellten Grundsätze wird das FG im zweiten Rechtsgang die Besteuerungsgrundlagen --insbesondere die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung-- in den Streitjahren 1999 und 2000 festzustellen haben. Materielle Fehler sind in diesem Zusammenhang --entgegen der Auffassung der Klägerin im Schriftsatz vom 17. Dezember 2004 an das FA-- jedoch nicht nach § 177 AO zu berichtigen. Vielmehr sind die durch die Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen 1999 und 2000 eröffneten Saldierungsmöglichkeiten im Rahmen des § 129 AO im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2047993

BFH/NV 2008, 1801

HFR 2008, 1115

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