Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen für einen den Anspruch auf die Berliner Steuerpräferenz ausschließenden zweiten Wohnsitz sind erfüllt, wenn der Steuerpflichtige außerhalb von Berlin (West) eine Wohnung, z. B. in Gestalt eines massiven, heizbaren, den sozialen Wohnungsbaumaßnahmen entsprechend eingerichteten Einfamilienhauses innehat und dieses ihm und seiner Ehefrau mit Unterbrechungen etwa vier Monate lang zum Aufenthalt dient. Der Annahme eines zweiten Wohnsitzes steht nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige den Mittelpunkt seines gewerblichen Betriebs und seiner familiären und gesellschaftlichen Beziehungen in Berlin (West) beibehält.

 

Normenkette

StPräfG Abs. 1 S. 1; StAnpG § 13; BHG § 21/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Steuerpflichtigen die Berliner Steuerpräferenz für das Jahr 1961 zusteht.

Der Steuerpflichtige betrieb im Streitjahr 1961 in Berlin (West) einen Garagen- und Tankstellenbetrieb mit Autovermietung. Er errichtete im Jahr 1960 in Oberbayern (R.) ein Einfamilienhaus, das er, seine Ehefrau und Betriebsangehörige zu Urlaubs- und Erholungszwecken benutzten.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 und in der Einspruchsentscheidung wurde die Anwendung des Berliner Steuerpräferenzgesetzes (Steuerpräferenzgesetz - StPräfG -) vom 4. Juli 1955 (BGBl 1955 I S. 384, BStBl 1955 I S. 245) abgelehnt, weil der Steuerpflichtige in R. einen zweiten Wohnsitz unterhalte.

Die Berufung hatte Erfolg. Die Vorinstanz führte aus. Der Steuerpflichtige habe im Streitjahr seinen ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) gehabt. Dort liege trotz des Erwerbs eines Grundstücks in R. der Mittelpunkt seines gewerblichen Betriebs und seiner familiären und gesellschaftlichen Beziehungen. Daß der Steuerpflichtige sich mehrfach im Sommer und Winter jeweils kurzfristig in R. aufgehalten und das Grundstück auch seinen Betriebsangehörigen zur Verfügung gestellt habe, könne die Ausschließlichkeit des Berliner Wohnsitzes nicht in Frage stellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 StPräfG steht die Vergünstigung natürlichen Personen u. a. zu, wenn sie seit mindestens vier Monaten vor dem Ende des Veranlagungszeitraums ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben. Verfügen sie außerhalb von Berlin (West) über einen weiteren Wohnsitz, so haben sie Anspruch auf die Präferenz, wenn sie seit 1953 ununterbrochen in Berlin (West) veranlagt werden und die mit ihnen zusammenveranlagten Angehörigen seit mindestens vier Monaten vor dem Ende des Veranlagungszeitraums ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben (ß 1 Abs. 1 Satz 2 StPräfG). Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle nicht erfüllt, weil im Jahr 1961 der Steuerpflichtige und seine mit ihm zusammenveranlagte Ehefrau mehrere Wohnsitze, nämlich in Berlin (West) und in R., hatten.

Während im bürgerlichen Recht (§§ 7 und 8 BGB) die Begründung eines Wohnsitzes eine rechtsgeschäftliche Handlung ist (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 23. Aufl., Anm. 2 zu § 7), kommt es für den Wohnsitzbegriff des Steuerrechts (ß 13 StAnpG) auf die tatsächliche Gestaltung der Dinge an (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs III 252/39 vom 16. November 1939, RStBl 1939 S. 1209). Sind für einen Ort die Voraussetzungen des § 13 StAnpG objektiv erfüllt, so kommt einem etwaigen Willen des Steuerpflichtigen, an diesem Platz keinen Wohnsitz zu begründen, keine Bedeutung zu.

Der Wohnsitzbegriff des § 13 StAnpG setzt zunächst eine Wohnung voraus. Es muß sich um Räumlichkeiten handeln, die zum Wohnen geeignet sind; sie müssen den Verhältnissen des Steuerpflichtigen angemessen sein. Räume, die nur vorübergehend und notdürftig Unterkunft gewähren, können in der Regel nicht als Wohnung gelten (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs III A 218/36 vom 8. Januar 1937, RStBl 1937 S. 108, und III A 202/36 vom 28. Januar 1937, RStBl 1937 S. 336). Handelt es sich jedoch um eine zweite Wohnung, so ist es nicht erforderlich, daß diese ausstattungsmäßig der ersten Wohnung in jeder Beziehung gleichrangig ist, so daß auch ein Ferien- und Wochenendhaus, ein Jagdhaus Wohnung im Sinne des § 13 StAnpG sein kann (vgl. Urteile und Beschlüsse des Reichsfinanzhofs IV A 29/36 vom 24. Juni 1936, RStBl 1936 S. 796; IV A 39/36 vom 24. Juni 1936, RStBl 1936 S. 762; IV B 14/40 vom 29. Mai 1940, RStBl 1940 S. 578; IV B 32/40 vom 14. November 1940, RStBl 1940 S. 972; IV B 1/41 vom 3. April 1941, RStBl 1941 S. 290).

Der Steuerpflichtige muß die Wohnung "innehaben", d. h., er muß tatsächlich über sie verfügen können. Sie muß ihm als Bleibe dienen, sei es, daß er sie ständig benutzt, sei es, daß er mit einer gewissen Regelmäßigkeit von ihr Gebrauch macht (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs III A 143/36 vom 24. September 1936, RStBl 1936 S. 997, und VI A 631/36 vom 10. März 1937, RStBl 1937 S. 498). Die Umstände des Einzelfalles müssen darauf schließen lassen, daß der Steuerpflichtige die Wohnung behalten und benutzen wird, wobei ein Anhalt sein kann, ob die Wohnung den Bedürfnissen des Steuerpflichtigen entspricht (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs IV B 1/38 vom 13. Oktober 1938, RStBl 1938 S. 1062).

Im allgemeinen kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige von der (zweiten) Wohnung aus seinen Beruf ausüben kann. Es ist der Sinn und Zweck eines Sommer-, Ferien-, Wochenend- oder Jagdhauses, die Atmosphäre der Großstadt und die Inanspruchnahme durch den Beruf hinter sich zu lassen und gegen die Ruhe auf dem Lande einzutauschen.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so verfügte der Steuerpflichtige außerhalb von Berlin (West) in R. über einen weiteren Wohnsitz. Nach seinen Angaben handelte es sich bei dem Einfamilienhaus in R. um ein massives heizbares Gebäude, das den sozialen Wohnungsbaumaßnahmen entsprechend eingerichtet und mit einem Kostenaufwand von 75.139 DM erstellt wurde. Diese Umstände sowie die Tatsache, daß das Haus dem Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau im Streitjahr mit Unterbrechungen etwa vier Monate lang, und zwar im Sommer und im Winter, zum Aufenthalt diente, beweisen, daß das Gebäude eine Wohnung darstellte, wie sie den Vorstellungen und dem Lebenszuschnitt des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau entsprach. Es ist anzunehmen, daß der Steuerpflichtige und seine Ehefrau immer wieder und mit gewisser Regelmäßigkeit im Sommer und im Winter nach R. zurückkehren werden. Das ergibt sich schon aus der Höhe der Aufwendungen von mehr als 75.000 DM. Der Steuerpflichtige und seine Ehefrau hatten also in R. eine Wohnung inne, die sie nach den Umständen beibehalten und benutzen werden.

Demgegenüber ist nicht von entscheidender Bedeutung, daß der Steuerpflichtige nach wie vor den Mittelpunkt seines gewerblichen Betriebs und seiner familiären und gesellschaftlichen Beziehungen in Berlin (West) beibehielt. Dies könnte u. U. zur Annahme eines ausschließlichen Wohnsitzes in Berlin (West) nur dann führen, wenn sich der Steuerpflichtige und seine Ehefrau ausschließlich zu Erholungszwecken in R. aufgehalten hätten. Davon aber kann bei einem sich über ein Drittel des Jahres erstreckenden Aufenthalt des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau nicht die Rede sein. Gerade aus der Dauer der Nutzung des Einfamilienhauses durch den Steuerpflichtigen und seine Ehefrau ist die Annahme eines mehrfachen Wohnsitzes nach Auffassung des Senats zwingend. Dem stehen auch nicht die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 236/62 U vom 24. April 1964, BStBl 1964 III S. 462, entgegen. In dem dort entschiedenen Fall handelte es sich nur um gelegentliche Aufenthalte des Steuerpflichtigen in einem abgelegenen Haus während der Schulferien der Kinder. Diese führten, wie in dieser Entscheidung zutreffend ausgeführt ist, nicht zu einer Wohnsitzbegründung an diesem Ort.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache ist zur Entscheidung reif. Unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wird die Berufung des Steuerpflichtigen gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411263

BStBl III 1964, 535

BFHE 1965, 169

BFHE 80, 169

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