Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung der Dienstreisegrundsätze bei über dreimonatiger Abordnung eines Steueranwärters; mehrere auswärtige Lehrgänge als Einheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Steueranwärter von seinem als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehenden Ausbildungsfinanzamt vorübergehend an einen auswärtigen Lehrgang abgeordnet, so stehen ihm für die ersten drei Monate Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen zu (Abgrenzung zu dem Urteil des Senats vom 4.Mai 1990 VI R 144/85, BFHE 160, 532).

2. Mehrere auswärtige Lehrgänge sind jedenfalls dann nicht als Einheit zu behandeln, wenn die Ausbildung zwischenzeitlich an anderer Stelle länger als vier Wochen planmäßig fortgesetzt wird.

 

Orientierungssatz

Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Der ledige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr 1983 und im Folgejahr als Steueranwärter beim Finanzamt A ausgebildet. In der Zeit vom 3.Januar bis 11.Februar 1983 (sechs Wochen) und vom 1.Dezember bis 23.Dezember 1983 (drei Wochen) war er zu Lehrgängen an die Landesfinanzschule in B abgeordnet. Während der Lehrgangsdauer bewohnte er ein möbliertes Zimmer in B. Seine Wohnung in C behielt er bei. Von den im Antrag auf Lohnsteuer- Jahresausgleich 1983 vom Kläger u.a. zu den Lehrgängen als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zuletzt die in Abschn.27 Abs.6 der Lohnsteuer-Richtlinien 1981 (LStR) vorgesehenen Beträge abzüglich der Erstattungen des Arbeitgebers zum Abzug zu (Antritts- bzw. Schlußfahrt mit 0,42 DM/km, Zwischenheimfahrten mit 0,18 DM/km, Verpflegungsmehraufwand für die ersten zwei Wochen 35 DM und für die Folgezeit geschätzt 12 DM täglich und Unterkunftskosten).

Mit der nach insoweit erfolglosem Einspruch erhobenen Klage beantragte der Kläger, die acht Zwischenheimfahrten mit 0,42 DM/km statt mit 0,36 DM je Entfernungskilometer anzuerkennen und deshalb weitere 691,20 DM zu berücksichtigen. Dem gab das Finanzgericht (FG) in einem abgekürzten Urteil (§ 105 Abs.5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) statt. Es meinte, wegen der jeweils nur kurzzeitigen Tätigkeiten des Klägers außerhalb seines Ausbildungsfinanzamts --bei zweimaliger Abordnung nur insgesamt 47 Arbeitstage-- sei dieses nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8.Juli 1983 VI R 156/79 (BFHE 139, 67, BStBl II 1983, 679) seine regelmäßige Arbeitsstätte geblieben. Die Fahrtkosten seien daher wie beantragt nach Dienstreisegrundsätzen zu berücksichtigen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 9 Abs.1 Sätze 1 und 3 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es hält einerseits das Ausbildungsfinanzamt für eine regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers, da er dorthin einberufen werde, sich dort seine Stammdienststelle befinde, ihm von dort die Teilnahme an auswärtigen Ausbildungslehrgängen zugewiesen werde und er dorthin jeweils wieder zurückkehre. Andererseits trägt es vor, da mit den Lehrgängen ein Gesamtstoff in mehreren Abschnitten vermittelt werde, hätte in die Beurteilung auch der dritte, von Anfang an feststehende Lehrgang (einschließlich schriftlicher Prüfung) vom 16.Februar bis 24.Juli 1984 einbezogen werden müssen. Durch die sich danach ergebende Gesamtlehrzeit von fast 30 Wochen werde die Finanzschule während der Lehrgänge zur regelmäßigen Arbeitsstätte, nämlich zum Mittelpunkt der auf Dauer abgestellten Tätigkeit des Arbeitnehmers. Hiervon sei der BFH auch in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 24.November 1978 VI R 29/76 ausgegangen. Im dort entschiedenen Fall sei der Lehrgang eines Steueranwärters nach zweieinhalb Monaten durch vierwöchige Ferien unterbrochen und danach einen Monat weitergeführt worden. Nach weiteren sechs Wochen sei die Schule zur Prüfung aufgesucht worden. Während dieser Zeit wie schon während der Schulferien sei der Steueranwärter bei seinem Ausbildungsfinanzamt beschäftigt gewesen. Der BFH habe die gesamte Lehrgangszeit als einheitliche Tätigkeit beurteilt und Verpflegungsmehraufwand nur nach den Grundsätzen einer doppelten Haushaltsführung zugebilligt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Er ist der Auffassung, die vom FA vorgenommene Einbeziehung des 1984 besuchten Lehrgangs in den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 sei mit dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung nicht vereinbar, zumal eine Ausbildung auch vorzeitig abgebrochen werden könne. Es gehe nicht an, durch Zusammenfassung verschiedener voneinander unabhängiger dienstlicher Abordnungen ein Dauerelement zu schaffen. Nach dem Urteil in BFHE 139, 67, BStBl II 1983, 679 führe nur eine Abordnungsdauer von mehreren Monaten zu den vom FA angenommenen Rechtsfolgen. Im Streitjahr habe die Abordnungszeit aber nur 47 Tage betragen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den dienstlich veranlaßten Werbungskosten i.S. von § 9 Abs.1 Satz 1 EStG.

a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird (BFH- Urteil vom 3.Oktober 1985 VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369). Danach muß eine von der tatsächlichen Arbeitsstätte abweichende regelmäßige Arbeitsstätte vorhanden sein bzw. es darf der neue Einsatzort nicht seinerseits zur alleinigen oder weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte geworden sein (BFH-Urteil vom 9.Dezember 1988 VI R 199/84, BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296).

b) Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.

c) Auch die LStR gehen bis heute von diesen Grundsätzen aus, was sich insbesondere aus der Regelung zum Begriff der vorübergehenden Auswärtstätigkeit in Abschn.37 Abs.3 Nr.2 LStR 1990, zur Abgrenzung von Dienstreisen zur Fahrtätigkeit in Abschn.37 Abs.2 Nr.1 LStR 1990 und zur Einsatzwechseltätigkeit in Abschn.37 Abs.2 Nr.2 LStR 1990 ergibt.

Allerdings wird für Ausbildungsdienstverhältnisse erstmals in dem für das Streitjahr 1983 nicht anwendbaren Abschn.37 Abs.3 Nr.2 Satz 2 LStR 1990 einschränkend bestimmt, daß eine Auswärtstätigkeit keine vorübergehende sei, wenn mit ihr ein Wechsel der Ausbildungsstätte für mindestens drei Monate verbunden sei. Abschn.34 Abs.3 Satz 7 LStR 1990 ordnet das gleiche für die Fälle an, in denen die Dienstleistung zum Zwecke der Ausbildung mit einem planmäßigen Wechsel der Arbeitsstätten verbunden ist. Abgesehen davon, daß eine solche Regelung für 1983 nicht bestand, kommt ihr im Streitfall auch deshalb keine Bedeutung zu, weil der Kläger die zu beurteilenden Lehrgänge jeweils für einen kürzeren Zeitraum als drei Monate besucht hatte. Unter welchen Voraussetzungen Kurse, die höchstens vier Wochen (vgl. Abschn.25 Abs.3 Nr.1 Satz 2 LStR 1981) unterbrochen worden sind, als Einheit anzusehen sind, mit der Folge, daß der Dreimonatszeitraum überschritten wird, kann ebenfalls dahinstehen, da die zwischenzeitliche Tätigkeit am Ausbildungsfinanzamt jeweils länger als vier Wochen gedauert hat.

2. Wendet man die oben unter 1. b) erwähnten Kriterien auf den Streitfall an, ist dem Grunde nach das Vorliegen von Dienstreisen zu bejahen.

a) Der Kläger wurde als Steueranwärter ausgebildet und hatte somit eine zweijährige Ausbildung zu durchlaufen, wobei eine in Teilabschnitte aufgeteilte sechsmonatige fachtheoretische Ausbildung (§ 14 Nr.2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Steuerbeamte --StBAPO-- vom 6.September 1982, BStBl I 1982, 704) und eine 18-monatige Ausbildung mit dienstbegleitenden Lehrveranstaltungen (§ 15 StBAPO) zu absolvieren war. Im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung wurde er einem Ausbildungsfinanzamt zugewiesen (§ 2 Abs.3 StBAPO). An diesem fanden die Einübung in die steuerliche Praxis und dienstbegleitende Lehrveranstaltungen statt, sofern nicht ausnahmsweise eine Abordnung an eine andere Ausbildungsbehörde erfolgte. Am Ausbildungsfinanzamt war ein Ausbildungsleiter bestellt, der sich laufend vom Stand der Ausbildung zu überzeugen und eine sorgfältige Ausbildung sicherzustellen hatte (§ 3 Abs.3 StBAPO).

Danach hatte der Kläger jedenfalls einen maßgebenden Teil seiner Ausbildung an seinem Ausbildungsfinanzamt erhalten. Dorthin kehrte er, was auch das FA betont, nach jedem Lehrgang an der Landesfinanzschule zurück und von dort wurde er über den Verlauf der gesamten Ausbildung betreut. Diese Umstände rechtfertigen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Annahme, daß das Ausbildungsfinanzamt über die gesamte Ausbildungszeit als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit --hier der Ausbildung-- des Klägers und damit als seine regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen war. Daraus folgt, daß bei einer vorübergehenden Tätigkeit in einer Entfernung von mindestens 15 km außerhalb des Ausbildungsfinanzamts Dienstreisegrundsätze anzuwenden sind.

b) Hiervon ist zu Recht auch das FG ausgegangen. Da die Höhe der vom FG zugesprochenen Fahrtkosten unstreitig ist, war das angefochtene Urteil zu bestätigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63100

BFH/NV 1990, 68

BStBl II 1990, 859

BFHE 160, 542

BFHE 1991, 542

BB 1990, 2168

BB 1990, 2168-2169 (LT)

DB 1990, 2098 (LT)

DStR 1991, 184 (K)

HFR 1990, 688 (LT)

StE 1990, 314 (K)

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