Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Unterhaltsleistungen (Apanagen), die auf Grund des Hausgesetzes einer ehemals standesherrlichen Familie an die von der Nachfolge in das frühere Familienstammgut ausgeschlossenen Familienmitglieder aus dem Ertrage eines landwirtschaftlichen Betriebes erbracht werden, sind als Sonderausgaben abzugsfähig. Werden diese Unterhaltsleistungen durch einen Hundertsatz des Reinertrags des Betriebes sowie dadurch begrenzt, daß sie den standesgemäßen oder den angemessenen Unterhalt sicherstellen sollen, so sind sie keine Leibrenten, sondern dauernde Lasten. EStG 1958 § 4 Abs. 4, § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Ziff. 2.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Nr. 2; BGB § 759

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1958, ob und in welcher Höhe Unterhaltsleistungen (Apanagen) für Mitglieder einer ehemals standesherrlichen Familie als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft oder als Sonderausgaben (Leibrenten oder dauernde Lasten) abzugsfähig sind.

Die Bfin. hat seit dem Tode ihres Ehemannes, des Oberhauptes einer ehemals standesherrlichen Familie, die X'sche Forst- und Domänenverwaltung in X inne. Aus den Erträgnissen der Grundstücke in X., die früher zu dem Stammgut des Hauses gehörten, waren seit dem Tode des früheren Besitzers ein sogenanntes Wittum an dessen Witwe, eine Apanage an A. Prinzen zu X. und ein Unterhaltsgeld an B. Prinzessin zu X. zu zahlen. Die Empfänger waren nach den Vorschriften des Hausgesetzes für das Haus X. zugunsten des Ehemannes der Bfin. als des erstgeborenen Sohnes von der Nachfolge in das Stammgut ausgeschlossen.

A. hatte nach dem Hausgesetz einen Anspruch auf standesgemäße Apanage. Der Stammgutbesitzer setzte die Apanage nach Maßgabe der Umstände fest. Aus der Apanage hatte der Empfänger außer seinem eigenen Unterhalt auch den seines Zweiges zu bestreiten. Die B. konnte, solange sie unverheiratet blieb, ein angemessenes Unterhaltsgeld beanspruchen. Weiter war bestimmt: "Wenn die auf dem Stammgut haftenden Abgaben an Apanagen, Unterhaltungsaufwand, Taschen- und Unterhaltsgelder und Wittümern die Summe von . . . v. H. des Reinertrags aus ihm übersteigen, ist der Stammgutsbesitzer befugt, solange den Bezugsberechtigten verhältnismäßige Abzüge zu machen, bis die Summe der Abgaben durch Veränderungen im Kreis der Bezugsberechtigten wieder auf . . . v. H. des Reinertrags zurückgeht". Hinsichtlich der Apanagen war bestimmt, daß sich ihre Höhe nach dem Reinertrag des Stammguts bemaß. In der dem Hausgesetz beigegebenen Begründung war ausgeführt: "Die Höhe der Apanage auf eine feste Summe zu bemessen, verbietet bei einem Hause mit vielen Agnaten das Interesse an der Erhaltung der Hausmacht. Die Individualinteressen der Agnaten sind dadurch besser gesichert worden, daß der Familienrat ..., eventuell das Schiedsgericht ... angerufen und von dem Familienrate bei Erhöhung der Stammguteinkünfte eine Erhöhung der Apanagen erbeten . . . werden kann. Ein Recht hierauf läßt sich nicht einräumen".

Die Höhe der Apanagen und sonstigen Unterhaltsleistungen wurde zuletzt durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts in Y. (Fideikommißsenat) geregelt.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1958 beantragte die Bfin. den Abzug der Apanagen und sonstigen Unterhaltsleistungen, davon 60 v. H. als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft und 40 v. H. als Sonderausgaben.

Das Finanzamt gestattete den Abzug von Betriebsausgaben in Höhe von . . . . DM unter Hinweis auf die übergangsregelung des § 25 EStDV 1958, die statt des Ertragsanteils nach § 22 Ziff. 1 Buchst. a EStG 1958 den Abzug von 60 v. H. bei Leibrenten vorsah. Den Abzug von Sonderausgaben lehnte das Finanzamt ab.

Der Einspruch blieb erfolglos. Der Steuerausschuß ging unter Hinweis auf ein einen der Empfänger der Leistungen betreffendes nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesfinanzhofs davon aus, daß die Unterhaltsleistungen als unentgeltliche Leibrenten anzusehen und nach Maßgabe der Vorschriften über Sonderausgaben abzugsfähig seien.

Mit der Berufung wurde geltend gemacht, daß die Unterhaltsleistungen keine Renten darstellten, da sie nicht auf einem Stammrechte beruhten, und deshalb entweder als Betriebsausgaben oder als Sonderausgaben in voller Höhe abzugsfähig seien.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus, daß es sich um private Versorgungsrenten handele. Sie stünden nicht im Zusammenhang mit den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft. Sie seien nicht durch den Betrieb, sondern durch erbschafts- und vermögensrechtliche Erwägungen bedingt. Die Renten stellten kein Entgelt dar, da ein Vermögensübergang zwischen den Berechtigten und den Verpflichteten nicht stattgefunden habe. Es lägen Leibrenten im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG vor. Das Stammrecht ergebe sich aus den Vorschriften des Hausgesetzes. Da es sich um Leibrenten handele, könnten die Vorschriften über sonstige dauernde Lasten, nach denen allein ein Abzug in voller Höhe in Betracht komme, nicht angewendet werden.

Mit der Rb. rügt die Bfin. im wesentlichen unter Wiederholung des früheren Vorbringens unrichtige Rechtsanwendung. Es wird noch folgendes ausgeführt. Die rechtliche Stellung des Apanagebeziehers sei vergleichbar mit der eines Nießbrauchers oder eines stillen Gesellschafters, eines Landwirts im Altenteil oder eines Pensionärs des Betriebes. In allen diesen Fällen lägen betriebliche Versorgungsrenten oder sonstige betriebliche Bezüge vor. Die Leistungspflicht stehe im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem übergang der Nutznießung auf den Stammguterwerber. Sehe man die Leistungen als unentgeltliche private Versorgungsrenten an, dann müsse volle Steuerpflicht beim Empfänger und volle Abzugsfähigkeit beim Verpflichteten angenommen werden, da die Beschränkung der Steuerpflicht und der Abzugsfähigkeit auf einen Ertragsanteil sinnwidrig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Bei den Unterhaltsleistungen der Bfin. an die von der Nachfolge in das Stammgut ausgeschlossenen Mitglieder des Hauses handelte es sich um dauernde Lasten im Sinn des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG, die in voller Höhe abzugsfähig sind. Die für Leibrenten geltenden Vorschriften über den Abzug nur eines Ertragsanteils (ß 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG) oder des sich nach § 25 EStDV 1958 ergebenden Betrages sind nicht anzuwenden, da keine Leibrenten vorliegen.

Der Begriff "Leibrente" ist nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts zu bestimmen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 105/61 U vom 29. März 1962 BStBl 1962 III S. 304, Slg. Bd. 75 S. 96). Maßgebend ist der Begriff, wie er nach § 759 BGB zu verstehen ist. Danach liegt eine Leibrente nur vor, wenn auf Grund eines dem Berechtigten eingeräumten Stammrechts Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in regelmäßiger Wiederkehr und bestimmter Höhe erbracht werden (vgl. Kommentar der Reichsgerichtsräte zum BGB, § 759 Anm. 3). Daher liegt auch im steuerrechtlichen Sinn eine Leibrente nicht vor, wenn die Leistungen von den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen des Gebers oder des Empfängers abhängig und damit veränderlich sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 115/61 U vom 10. Oktober 1963, BStBl 1963 III S. 592, Slg. Bd. 77 S. 738; VI 53/61 U vom 11. Oktober 1963, BStBl 1963 III S. 594, Slg. Bd. 77 S. 745; VI 59/62 U vom 11. Oktober 1963, BStBl 1963 III S. 594, Slg. Bd. 77 S. 747).

Gegen den Leibrentencharakter sprechen im Streitfall mehrere Gesichtspunkte. Die Leistungen sind von den Erträgnissen des Gutes in X. abhängig, da sie insgesamt den Anteil von . . . v. H. des jeweiligen Reinertrages nicht übersteigen dürfen. Andererseits können die Unterhaltsleistungen erhöht werden, wenn die Erträge steigen. Sie können sich auch dadurch erhöhen, daß ein Berechtigter wegfällt. Auch innerhalb des allgemeinen Rahmens von . . . v. H. der Erträge des Gutes kommt eine änderung der Höhe der Bezüge in Betracht, wenn sich die sonstige persönlichen Verhältnisse der Empfänger ändern. Die Bezüge können dabei entweder nach den Vorschriften des Hausgesetzes vom Verpflichteten oder vom Familienrat oder durch ein Schiedsgericht oder auf Grund der Vorschrift des § 8 des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Fideikommißauflösung vom 26. Juni 1935 (RGBl 1935 I S.785) festgesetzt werden. Hinzu kommt, daß die Apanage für A. den standesgemäßen, das Unterhaltsgeld für die B. nur den angemessenen Unterhalt sicherstellen sollen. Die Begriffe Standesgemäßheit und Angemessenheit führen dazu, daß von Leistungen in stets gleichbleibender Höhe nicht gesprochen werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn sie mehrere Jahre hindurch in unveränderter Höhe erbracht werden. Bei dem Unterhaltsgeld der B. ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Leistungsverpflichtung nur solange besteht, als die Berechtigte sich nicht verheiratet. Hier liegt schon aus diesem Grunde keine Leibrente vor. Wegen der erörterten Möglichkeiten, zu einer änderung der Höhe der Unterhaltsleistungen zu gelangen, besteht eine ähnliche Rechtslage wie bei solchen Leistungen, die unter dem Vorbehalt einer Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung bedungen ist. In derartigen Fällen ist eine Leibrente grundsätzlich nicht gegeben (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 59/62 U).

Es liegen dauernde Lasten im Sinn des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG vor. Dauernde Lasten sind Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger für längere Zeit einem anderen gegenüber in Geld- oder Sachleistungen auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung zu erbringen hat, die nicht mit bestimmten Einkünften im Sinn des Einkommensteuerrechts zusammenhängen und die nicht Leibrenten darstellen. Das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung ist im Streitfall nicht bestritten. Auch das Oberlandesgericht hatte in dem Beschluß vom 18. Juni 1952 die Weitergeltung derjenigen Vorschriften des Hausgesetzes bejaht, die die Regelung der vermögensrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Vermögensverhältnisse betreffen.

Die Vorinstanzen verneinten zutreffend den Zusammenhang mit den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft. Die Unterhaltsleistungen beruhen auf den erb- und vermögensrechtlichen Vorschriften des Hausgesetzes, ähnlich den Unterhaltsleistungen, die auf Fideikommißrecht beruhen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 203/33 vom 18. Oktober 1933, Mrozek-Kartei zu § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1925, Rechtsspruch 85). Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie für Renten, die in Verfügungen von Todes wegen begründet sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 160, 161/54 U vom 17. November 1955, BStBl 1956 III S. 281, Slg. Bd. 63 S. 215).

Der Anerkennung der Abzugsfähigkeit der Unterhaltsleistungen in voller Höhe steht nicht die Vorschrift des § 12 Ziff. 2 EStG entgegen. "Gesetzlich unterhaltsberechtigt" im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen Personen, die einen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch auf Grund des bürgerlichen Rechts besitzen (vgl. Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 203/33; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 9 bis 10 zu § 12 EStG). Eine solche Unterhaltsverpflichtung besteht weder gegenüber A. noch gegenüber B. Dagegen hat die Bfin. die gesetzliche Unterhaltspflicht ihres verstorbenen Ehemannes gegenüber dessen Mutter zu erfüllen (§§ 1601, 1967 BGB). Insoweit greifen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ein, nach denen Zuwendungen an gesetzliche Unterhaltsberechtigte nach den allgemeinen Vorschriften (ß 10 EStG) abzugsfähig sind, wenn sie die Gegenleistung für Vorteile darstellen, die der Verpflichtete erlangt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 384/52 U vom 10. April 1953, BStBl 1953 III S. 157, Slg. Bd. 57 S. 400). Einen solchen Fall nahm der Reichsfinanzhof in der Entscheidung VI A 203/33 an, wo es sich um den Inhaber eines früheren Fideikommisses handelte, der kraft Fideikommißrechts zum Unterhalt von Familienangehörigen verpflichtet war. Der Senat folgt dieser Auffassung.

Die Vorschrift des § 12 EStG steht somit der Abzugsfähigkeit der Apanagen und sonstigen Unterhaltsleistungen der Bfin. als dauernde Lasten nicht entgegen.

Die Vorentscheidungen, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgingen, werden aufgehoben. Die Sache wird zur Steuerberechnung an das Finanzamt zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411465

BStBl III 1965, 166

BFHE 1965, 458

BFHE 81, 458

BB 1965, 318

DB 1965, 496

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge