Leitsatz (amtlich)

Der nach dem Beschluß des Großen Senats Gr. S. 2/71 vom 8. November 1971 (BFH 103, 440, BStBl II 1972, 63) für die Annahme einer Betriebsaufspaltung geforderte "einheitliche geschäftliche Betätigungswille" der hinter dem Besitz- und dem Betriebsunternehmen stehenden Personen ist in der Regel gegeben, wenn an den beiden Unternehmen dieselben Personen beteiligt sind.

 

Normenkette

EStG § 15 Nr. 1, § 21 Abs. 1; GewStG § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkünfte aus der Vermietungstätigkeit der Klägerin und Revisionsklägerin als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder aus Gewerbebetrieb zu beurteilen sind.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, deren Gesamthandsvermögen aus Grundstücken mit Fabrik- und Bürogebäuden besteht; diese Grundstükke werden an die W-GmbH (im folgenden: GmbH) vermietet und bilden für diese eine notwendige und wesentliche Betriebsgrundlage. Im Streitjahr 1966 waren an der Klägerin als Gesellschafter beteiligt: E. W. mit 17 v. H., W. W. mit 23 v. H., E.-J. W. mit 57 v. H., K. W. mit 1,5 v. H., H. K. mit 1,5 v. H.

Zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Klägerin sind die Gesellschafter E. W. und W. W. einzeln berechtigt; die übrigen Gesellschafter sind von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Zu Entscheidungen, die die Grundlagen der Gesellschaft oder ihrer Organisation zum Gegenstand haben, ist nach § 15 des Gesellschaftsvertrages ein Beschluß der Gesellschafterversammlung erforderlich, wobei je 100 DM der auf den Kapitalkonten der Gesellschafter verbuchten Beträge eine Stimme gewähren. Zur Wirksamkeit eines solchen Beschlusses ist eine Mehrheit von 75 v. H. der abgegebenen Stimmen erforderlich; gegen die Stimme des Gesellschafters E. W. und nach dessen Ableben gegen die Stimme des Gesellschafters W. W. können Beschlüsse nicht wirksam gefaßt werden. Die Klägerin ist aus einer OHG hervorgegangen, an der E. W. und W. W. als Gesellschafter zu je 50 v. H. beteiligt waren.

Die Tätigkeit der GmbH ist auf die Herstellung, den Vertrieb und die Reparatur von Kraftwagen sowie auf die Übernahme von Handelsvertretungen gerichtet. Gesellschafter der GmbH waren bis zum Jahre 1963 E. W. zu 10 v. H., W. W. zu 5 v. H. und die W-OHG zu 85 v. H. Im Jahre 1963 wurde das Stammkapital der GmbH erhöht und von den bisherigen Gesellschaftern - E. W., W. W. und der (früher als OHG, nunmehr als GdbR verfaßten) Grundbesitzgesellschaft - übernommen. Danach sind die Gesellschafter der Klägerin an der GmbH rechnerisch wie folgt beteiligt:

E. W. 10 v. H. + 14,45 v. H. über die Beteiligung an der GdbR = 24,45 v. H.

W. W. 5 v. H. + 19,55 v. H. über die Beteiligung an der GdbR =24,55 v. H.

E.-J. W. (über die Beteiligung an der GdbR) = 48,45 v. H.

K. W. (über die Beteiligung an der GdbR) =1,275 v. H.

H. K. (über die Beteiligung an der GdbR) =1,275 v. H.

Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der GmbH sind E. W. und W. W. Über Angelegenheiten der Gesellschaft entscheidet die Mehreheit der abgegebenen Stimmen der Gesellschafter.

Bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für das Jahr 1966 beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) die Einkünfte, die die Klägerin aus der Vermietung des Grundbesitzes an die GmbH erzielte, als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Bescheid vom 4. April 1968). Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend gemacht hatte, sie übe keine gewerbliche Tätigkeit aus, ihre Tätigkeit sei vielmehr als Vermietung und Verpachtung zu beurteilen, hatte keinen Erfolg.

Auch die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das FG aus, die Einkünfte der Klägerin seien nach den von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Rechtsgrundsätzen über die Betriebsaufspaltung als gewerbliche Einkünfte anzusehen. Die Klägerin beteilige sich über die GmbH am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Das vermietete Anlagevermögen bilde eine wesentliche Grundlage für den Betrieb der GmbH. An der Klägerin seien dieselben Personen maßgebend beteiligt, die auch an der GmbH beteiligt seien. Zwar habe keiner der Gesellschafter einen Anteil von über 50 v. H. Auf eine rein rechnerische Mehrheitsbeteiligung an der GmbH komme es indessen für die Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht an. Entscheidend sei vielmehr, ob die das Besitzunternehmen kontrollierenden Personen auch die Betriebsgesellschaft tatsächlich beherrschten. Das sei hier der Fall. Den Gesellschaftern E. W und W. W. seien Geschäftsführung und Vertretung sowohl der Klägerin als auch der GmbH übertragen. Beschlüsse, die die Grundlagen der Klägerin berührten, könnten nicht wirksam gegen die Stimmen von E. W. gefaßt werden. Dieses Vetorecht bei Beschlüssen der Klägerin wirke sich auch bei Beschlüssen der GmbH aus; denn nach den Bestimmungen des GmbH-Vertrages entscheide über Angelegenheiten der GmbH die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und damit wiederum die Stimmen der Klägerin. Dies sichere E. W. und W. W. in jedem Fall die Kontrolle sowohl über die Klägerin als auch über die GmbH.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts; insbesondere seien die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Rechtsgrundsätze zur Betriebsaufspaltung nicht hinreichend beachtet worden. Für die Annahme einer Betriebsaufspaltung sei erforderlich, daß an dem Besitzunternehmen und an dem Betriebsunternehmen dieselben Personen in demselben Verhältnis beteiligt seien. Daran fehle es hier. Die Beteiligungsverhältnisse an der Besitz- und der Betriebsgesellschaft seien verschieden. Auf die bloße Beherrschung der Betriebsgesellschaft komme es nicht an. Über die unterschiedliche Höhe der Beteiligungen könne auch nicht etwa deshalb hinweggegangen werden, weil die Gesellschafter miteinander verwandschaftlich verbunden seien. Eine Zusammenrechnung von Gesellschaftsanteilen von Eltern und volljährigen Kindern sei rechtlich unzulässig. Selbst wenn man aber eine Beteiligungsidentität nicht für erforderlich halte, sondern eine "Beherrschungsidentität" bei der Besitz- und Betriebsgesellschaft genügen ließe, läge im vorliegenden Fall keine Betriebsaufspaltung vor. Das Vetorecht von E. W. und W. W. gemäß § 15 des Gesellschaftsvertrages werde in seiner Bedeutung überschätzt. Infolge der unterschiedlichen Beteiligungsverhältnisse werde nämlich trotz des Vetorechts eine einheitliche Willensbildung in beiden Gesellschaften nicht gewährleistet. E.-J. W. könne mit seinem 57 v. H. betragenden Anteil an der Klägerin verhindern, daß durch die übrigen Gesellschafter, insbesondere E. W. und W. W., grundlegende Entscheidungen über die Gesellschaften und ihre Organisation getroffen werden; hierzu sei gemäß § 15 des Gesellschaftsvertrages eine Mehrheit von 75 v. H. erforderlich. Diese Sperrmöglichkeit habe zur Folge, daß keiner der Gesellschafter beide Gesellschaften im Rechtssinn beherrsche.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Feststellungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung insoweit abzuändern, als ihre Mieteinkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt wurden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Für die Entscheidung der Frage, ob im vorliegenden Fall die Mieteinkünfte der Klägerin als Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzusehen sind, ist von der Rechtsprechung des BFH zur Betriebsaufspaltung auszugehen (vgl. hierzu insbesondere Beschluß des Großen senats des BFH Gr. S. 2/71 vom 8. November 1971, BFH 103, 440, BStBl II 1972, 63; Urteile des BFH I R 15/70 vom 19. April 1972, BFH 105, 495, BStBl II 1972, 634; IV 87/65 vom 2. August 1972, BFH 106, 325, BStBl II 1972, 796; I R 184/70 vom 18. Oktober 1972, BFH 107, 142, BStBl II 1973, 27). Hiernach stellt die Vermietungs- oder Verpachtungstätigkeit eines Unternehmens (des Besitzunternehmens) eine gewerbliche Tätigkeit dar, wenn auf grund besonderer sachlicher und persönlicher Umstände eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen diesem Unternehmen einerseits und der mietenden oder pachtenden Kapitalgesellschaft (Betriebsunternehmen) andererseits besteht. Die enge wirtschaftliche Verflechtung setzt nicht voraus, daß wirtschaftlich ein einheitliches Unternehmen vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, daß die hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen "einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen" haben. Dazu genügt es, daß die Person oder die Personen, die das Besitzunternehmen tatsächlich beherrschen, in der Lage sind, auch in der Betriebsgesellschaft ihren Willen durchzusetzen. In diesem Fall stellt die Vermietung oder Verpachtung der wesentlichen Betriebsanlagen in Verbindung mit der Beherrschung der Betriebsgesellschaft die Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit des Besitzunternehmens dar.

Im Gegensatz zu der Auffassung der Klägerin war im Streitfall die personelle Voraussetzung eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens der hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen erfüllt. Bei der Entscheidung hierüber ist grundsätzlich davon auszugehen, daß bei ausschließlicher Beteiligung aller Gesellschafter der Besitgesellschaft an der Betriebsgesellschaft eine durch gleichgerichtete Interessen begründete enge wirtschaftliche Verflechtung entsteht, die die Gesellschafter in die Lage versetzt, beide Unternehmen faktisch zu beherrschen (vgl. BFH-Urteil IV 87/65, a. a. O.). Auch wenn es nach den Beteiligungsverhältnissen theoretisch möglich wäre, daß ein Gesellschafter gewisse Arten von Entscheidungen durch sein Stimmrecht verhindern kann, wird daran in der Regel nichts geändert. Die Möglichkeit etwaiger Meinungsverschiedenheiten unter den Gesellschaftern, die auch bei völliger Identität der Beteiligungen in den beiden Unternehmen auftreten können, kann nur ausnahmsweise die Gleichheit der Interessen in Frage stellen (BFH-Urteil IV 87/65, a. a. O.). Besondere Umstände, die die Interessengleichheit der Gesellschafter im vorliegenden Fall fraglich erscheinen lassen, sind indessen nicht erkennbar; es kann vielmehr angenommen werden, daß ein Auseinanderstreben der Interessen durch die dem Gesellschafter E. W. (W. W.) eingeräumte Sperrmöglichkeit verhindert wird.

Die Problematik, mit der sich der erkennende Senat in den Urteilen I R 15/70 (a. a. O.) und I R 184/70 (a. a. O.) auseinanderzusetzen hatte, berührt die hier zu entscheidenden Fragen nicht. Denn in den genannten Fällen befand sich das Besitzunternehmen in den Händen einer einzelnen Person, während an der Betriebsgesellschaft außer dem Inhaber des Besitzunternehmens noch eine oder mehrere weitere Personen beteiligt waren. Deshalb konnte dort nicht davon ausgegangen werden, daß die Interessen der Beteiligten in den beiden Unternehmen gleich seien. Die dort zu erörternde Rechtsfrage, ob der oder die Mitunternehmer der Betriebsgesellschaft im Hinblick auf den ihnen gewährten gesetzlichen Minderheitenschutz die Beherrschung der Betriebsgesellschaft durch den anderen Gesellschafter ausschloß, stellt sich im vorliegenden Fall nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70398

BStBl II 1973, 447

BFHE 1973, 492

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