Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Außergewöhnliche Belastung durch Unterhaltsgewährung für mittellose Angehörige?

 

Normenkette

EStG § 33; LStDV § 25; LStR Abschn. 39 Abs. 3 Ziff. 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Frage, ob die Aufwendungen des Steuerpflichtigen (Stpfl.) für den Unterhalt seiner im Jahre 1901 geborenen mittellosen Mutter, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebt, bei der Berechnung der Steuerermäßigung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur mit einem Betrag von 60 DM mtl. berücksichtigt werden können (Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 2 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1948, Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets - Amtl. MittBl. - 1948 S. 64, 75) oder ob ein höherer Betrag angesetzt werden kann. Der Stpfl. ist lediger Angestellter; er bezieht ein Bruttogehalt von mtl. 425 DM. Seine Mutter hatte früher ein Zigarreneinzelhandelsgeschäft, das im Kriege durch Bombenschaden verloren ging; sie bezog im Jahre 1950 eine Angestelltenrente von mtl. 55 DM. Abgesehen von einem gesperrten Guthaben von 500 DM hat sie kein weiteres Vermögen. Der Stpfl. mietete nach seiner Rückkehr aus dem Kriege in X eine Wohnung, die aus einem möblierten und 1 1/2 leeren Zimmern besteht. Die leeren Zimmer wurden mit Gegenständen ausgestattet, die aus dem Bombenschaden gerettet wurden. Zum Teil wurden neue Gegenstände als Ersatz beschafft. Die Gegenstände gehören überwiegend der Mutter. In den gemieteten Räumen führen der Stpfl. und seine Mutter ohne fremde Hilfe einen gemeinsamen Haushalt.

Der Stpfl. beantragte mit Rücksicht auf die Aufwendungen für seine Mutter die Eintragung eines steuerfreien Betrages auf der Lohnsteuerkarte gemäß § 33 EStG i. V. mit § 25 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) vom 16. Juni 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - WiGBl - S. 157, Amtl. MittBl. S. 170, 174, und Bekanntmachung der neuen Fassung der LStDV vom 10. Oktober 1950, Bundesgesetzblatt - BGBl. - S. 697). Er machte geltend, daß die Lebenshaltungskosten seiner Mutter monatlich 150 DM betragen und stellte folgende Berechnung auf:

Angemessener Lebensunterhalt für die Mutter mtl. -------------------- 150,- DM aus der Angestelltenrente der Mutter be= stritten mtl. ------------------- 55,- DM vom Stpfl. mtl. aufzubringen 95,- DM; ab hiervon vom Stpfl. selbst zu tragende Belastung (Mehrbelastungsgrenze) 7 v. H. von 4.248 DM = mtl. ---------- 25,- DM, außergewöhnliche Belastung mtl. 70,- DM. Er beantragte, den Jahresbetrag von 840 DM auf die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1950 zu verteilen (ß 5 Absatz 2 der Verordnung zur überleitung der Lohnsteuer im Kalenderjahr 1950 vom 3. Mai 1950, BGBl. S. 108). Die im Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 2 LStR 1948 vorgesehenen Höchstbeträge seien nicht maßgebend, weil sie eine rechtsunwirksame Einschränkung des § 33 EStG darstellten. Seine Belastung durch den gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter sei wesentlich höher als 60 DM im Monat.

Das Finanzamt teilte dem Stpfl. mit, daß es an die im Abschn. 39 Abs. 3 Ziffer 2 LStR 1948 festgesetzten Höchstbeträge gebunden sei, und daß als angemessener Unterhaltsbeitrag mtl. nur 60 DM berücksichtigt werden könnten. Da Hiervon 55 DM aus der Rente der Mutter bestritten würden, betrage die zwangsläufige außergewöhnliche Belastung des Beschwerdeführers (Bf.) im Sinn des § 33 EStG nur 5 DM mtl. Dieser Betrag übersteige nicht die Mehrbelastungsgrenze des § 25 Absatz 5 LStDV 1950. Die Eintragung eines Freibetrages wegen des Unterhalts der Mutter komme deshalb nicht in Betracht. Das Finanzamt trug mit Verfügung vom 23. Juni 1950 auf der Lohnsteuerkarte nur den vom Stpfl. ebenfalls beantragten Freibetrag für erhöhte Sonderausgaben mit mtl. 19 DM ein.

Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, daß der vom Finanzamt angewendete Höchstsatz des Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 2 LStR 1948 von 60 DM für das Finanzgericht nicht bindend sei, da die Lohnsteuer-Richtlinien nicht Rechtsvorschriften, sondern bloße Verwaltungsanordnungen darstellen, die das geltende Recht nicht abändern können. Es schätzte in freier Beweiswürdigung den für den Lebensunterhalt der unterstützten Mutter notwendigen Betrag auf 90 DM mtl. Von dem als angemessen anzusehenden Betrag von 90 DM mtl. könne ein Betrag von 55 DM aus der eigenen Rente der Mutter bestritten werden; die außergewöhnliche zwangsläufige Belastung betrage für den Stpfl. mtl. 35 DM oder jährlich 420 DM. Durch die Aufbringung dieses Betrages werde die steuerliche Leistungsfähigkeit des Stpfl. insoweit wesentlich beeinträchtigt, als der Betrag die Mehrbelastungsgrenze des § 25 Absatz 5 LStDV 1950 übersteige. Die Mehrbelastungsgrenze sei wie folgt zu berechnen:

Jahresgehalt (12 mal 425 =) --------------- 5.100 DM, abzüglich Pauschbetrag für Werbungskosten ... 312 DM, Gesamtbetrag der Einkünfte ---------------- 4.788 DM, abzüglich Sonderausgaben laut Angabe des Stpfl. ---------------------------------- 598 DM, Einkommen --------------------------------- 4.190 DM. Zumutbare Belastung gemäß § 25 Absatz 5 LStDV 1950 7 v. H. von 4.190 DM = 293 DM. Die dem Stpfl. im Jahre 1950 erwachsene außergewöhnliche zwangsläufige Belastung von 420 DM übersteige die zumutbare Belastung um 126,70 DM. Dieser Betrag sei gemäß § 33 EStG i. V. mit § 25 LStDV 1950 steuerfrei zu belassen. Unter Berücksichtigung des vom Finanzamt für erhöhte Sonderausgaben bereits zugebilligten lohnsteuerfreien Betrages von 130,20 DM ergebe sich ein insgesamt steuerfrei zu belassender Betrag von (130,20 + 126,70 =) 256,90 DM. Dieser Betrag sei auf die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1950 mit monatlich 37 DM zu verteilen, es sei daher mit Wirkung für die Zeit vom 1. Juni 1950 bis 31. Dezember 1950 ein steuerfreier Betrag von 37 DM mtl. einzutragen.

Gegen das Urteil des Finanzgerichts hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt. Er beantragt Wiederherstellung der Entscheidung des Finanzamts.

Der Stpfl. wendet sich insbesondere gegen eine Typisierung der Aufwendungen für den notwendigen Lebensunterhalt von mittellosen Angehörigen. Jede Typisierung von abzugsfähigen Beträgen stelle immer dann eine Nichterfüllung einer Pflicht dar, wenn bei ordnungsmäßiger Erforschung der Fälle (ß 204 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) und bei Zugrundelegung der dargestellten Tatbestände ein für den Stpfl. günstigeres Ergebnis herauskommen würde. Er weist darauf hin, daß sich nach Verkündung des Urteils des Finanzgerichts das materielle, auf den vorliegenden Fall anzuwendende Recht geändert habe. In den LStR 1950 sei ein Milderungserlaß enthalten, der besage, daß ab 1. Januar 1951 eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten nur insoweit anzurechnen seien, als sie mtl. 30 DM übersteigen (Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 4 Sätze 1 bis 3 i. V. mit Absatz 1 der Einführung der Lohnsteuerrichtlinien vom 17. Oktober 1950, Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen - MinBlFin - S. 592). Obwohl die Angelegenheit nicht unmittelbar zum Gegenstand der Rb. gehöre, bitte er um eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs darüber, daß diese Billigkeitsregelung nicht vom Bestehen des Höchstbetrages von 60 DM bzw. 100 DM abhängig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Finanzamtsvorstehers ist begründet.

Nach § 12 Ziffer 2 EStG werden freiwillige Zuwendungen und Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen beim Geber weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen, auch wenn diese Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhen. Dem Empfänger der Zuwendungen ist der zugewendete Betrag nicht zuzurechnen, wenn der Geber unbeschränkt steuerpflichtig ist (ß 22 Ziffer 1 Buchstabe c Satz 2 EStG). Die Aufwendungen eines Stpfl. für gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen gelten danach grundsätzlich als Lebenshaltungskosten, die der Geber nicht abziehen kann und die der Empfänger nicht zu versteuern braucht. Dieser Grundsatz ist aber eingeschränkt durch die im § 33 EStG enthaltene Generalklausel, wonach auf Antrag außergewöhnliche Belastungen, die dem Stpfl. zwangsläufig erwachsen und seine steuerliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen, durch Ermäßigung der Einkommensteuer berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung findet bei Arbeitnehmern, bei denen die Voraussetzungen des § 33 EStG vorliegen, in der Weise statt, daß "ein vom Finanzamt zu bestimmender Betrag" vom Arbeitslohn abgezogen wird (ß 41 Absatz 1 Ziffer 4 EStG). Das Finanzamt hat den vom Arbeitslohn abzuziehenden Betrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen (ß 41 Absatz 2 EStG).

Ob die Voraussetzungen für eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG gegeben sind und in welcher Höhe der Stpfl. eine Ermäßigung beantragen kann, sind Rechtsfragen, die der Nachprüfung der Finanzgerichte unterliegen.

Die erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 33 EStG ist, daß eine außergewöhnliche Belastung vorliegt, d. h. daß dem Arbeitnehmer größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Arbeitnehmer gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und des gleichen Familienstandes erwachsen (ß 25 Absatz 2 LStDV 1950). Bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen sind die Fälle, in denen Steuerpflichtigen eine Unterstützung mittelloser Angehöriger obliegt, sehr zahlreich. Man muß daher davon ausgehen, daß eine solche Unterstützung nur dann eine außergewöhnliche Belastung bildet, wenn sie sich als besonders drückend erweist. Diesen heutigen Verhältnissen trägt der Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 2 LStR 1948, an dessen Stelle mit Wirkung vom 1. Januar 1950 die Anordnung in Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 2 LStR vom 17. Oktober 1950 (LStR 1950, MinBlFin S. 592, 608) getreten ist, Rechnung. Diese Anordnung lautet:

"Sind die Unterhaltsleistungen nicht in dieser Weise (d. i. durch gerichtliche Entscheidung) festgelegt, gewährt aber der Stpfl. einem Angehörigen, für den er Kinderermäßigung nicht erhält, den vollen Unterhalt durch Aufnahme in den eigenen Haushalt, oder lebt er zusammen mit dem Unterhaltsempfänger in demselben Haushalt, so können die tatsächlichen Aufwendungen nur bis zu 60 DM mtl. berücksichtigt werden. Dieser Betrag erhöht sich auf 100 DM mtl., wenn der Unterhaltsempfänger nicht zum Haushalt des Stpfl. gehört."

Wenngleich diese Anordnung keine der Gerichte bindende Vorschrift darstellt, so ist doch anzuerkennen, daß sie sich im Rahmen des § 33 EStG, § 41 Absatz 1 Ziffer 4 EStG hält.

Diese Anordnung ist eine nähere Umschreibung des Begriffs der Außergewöhnlichkeit der Belastung. Sie bedeutet, daß als außergewöhnliche Belastung für die Unterhaltsgewährung an mittellose Angehörige, die mit dem Stpfl. in einem gemeinsamen Haushalt leben, nur ein Betrag von 60 DM anzuerkennen ist. Was der Arbeitnehmer darüber hinaus aufwendet, stellt keine außergewöhnliche Belastung dar; der überschießende Betrag bildet vielmehr nichtabzugsfähige Lebenshaltungskosten (ß 12 Ziffer 2 EStG). Wie auch in dem Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs IV 52/50 U vom 4. Juli 1950 (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen - Bay.FMBl. - 1950 S. 427) ausgeführt ist, kann bei der Lohnsteuer auf eine gewisse Typisierung nicht verzichtet werden. Eine solche Typisierung ist auch zulässig für die Anwendung des Begriffs der außergewöhnlichen Belastung. Es ist nicht richtig, daß die Typisierung immer dann die Nichterfüllung einer Pflicht der Finanzverwaltung darstellt, wenn bei ordnungsmäßiger Erforschung der Fälle (ß 204 Absatz 1 AO) und bei Zugrundelegung der dargestellten Tatbestände ein für den Stpfl. günstigeres Ergebnis herauskommen würde. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung erfordert, daß neben den Interessen des einzelnen auch die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt werden. Die Finanzgerichte haben zu prüfen, ob der durchschnittlich angesetzte Betrag von 60 DM sich im Rahmen von Recht und Billigkeit hält. Es ist zuzugeben, daß der Betrag von 60 DM sich an der unteren Grenze dessen bewegt, was nach wirtschaftlichen Erfahrungen für den Unterhalt einer im gemeinsamen Haushalt lebenden Person notwendig ist. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, daß insbesondere einem ledigen Stpfl., der mit seiner Mutter in einem gemeinschaftlichen Haushalt lebt, durch den gemeinschaftlichen Haushalt auch Vorteile erwachsen. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß sehr viele Arbeitnehmer, die nur über ein geringes Einkommen verfügen und die ebenfalls mittellose Angehörige zu unterstützen haben, wirtschaftlich nicht in der Lage sind, höhere Beträge als 60 DM mtl. aufzuwenden. Endlich kommt in Betracht, daß nach der grundsätzlichen Regelung des Einkommensteuergesetzes Lebenshaltungskosten bei Ermittlung des Einkommens nicht abzugsfähig sind. Wenn hiernach die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates auf Grund des Artikels 108 Absatz 6 des Grundgesetzes den früher auf 80 RM festgesetzten Betrag (zu vgl. Abschn. 44 LStR 1940) auf 60 DM herabgesetzt hat - für Unterhaltsempfänger, die nicht zum Haushalt des Stpfl. gehören, wurde der Betrag auf 100 DM erhöht -, so bewegt sich diese Anordnung nach Auffassung des Senats im Rahmen von Recht und Billigkeit.

Was die Zwangsläufigkeit der Belastung betrifft, so sind die Vorbehörden zutreffend davon ausgegangen, daß die Rente der Mutter in Höhe von 55 DM auf den Betrag anzurechnen ist, der als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommt. Da der hiernach verbleibende Betrag von (60 DM - 55 DM =) 5 DM die Mehrbelastungsgrenze nicht übersteigt, sind die Voraussetzungen für eine Steuerermäßigung wegen Unterhaltsgewährung an die Mutter nach § 33 EStG beim Stpfl. nicht gegeben.

Die Entscheidung des Finanzgerichts hat den Begriff der außergewöhnlichen Belastung im Sinne des § 33 EStG verkannt. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Der vom Finanzamt wegen erhöhter Sonderausgaben festgesetzte steuerfreie Lohnbetrag von 19 DM ist wiederherzustellen.

Dem Antrage des Stpfl., zu der mit dem gegenwärtigen Rechtsstreit nicht unmittelbar im Zusammenhang stehenden Frage der Rechtsgültigkeit der Anordnung im Abschn. 39 Absatz 3 Ziffer 4 Sätze 1 bis 3 EStR 1950 Stellung zu nehmen, kann der Senat nicht entsprechen, zumal diese Anordnung erst vom 1. Januar 1951 an wirksam ist (Absatz 1 der Einführung LStR 1950), während es sich hier um die Lohnsteuer 1950 handelt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407187

BStBl III 1951, 85

BFHE 1952, 228

BFHE 55, 228

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