Leitsatz (amtlich)

Für die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu dem Katalogberuf "Ingenieur" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG reicht es nicht aus, daß ein Steuerpflichtiger die Berufsbezeichnung "Ingenieur" nur auf Grund der Übergangsregelung des Art.3 Abs.1 BayIngG führt. Vielmehr ist der betroffene Steuerpflichtige nur dann Ingenieur i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG, wenn er auch schon vor Inkrafttreten des BayIngG die Tätigkeit eines Ingenieurs ausübte.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; IngG BY Art. 3 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat eine abgeschlossene Ausbildung einer technischen Zeichnerin. Nach Abschluß dieser Ausbildung war sie unter anderem in der Konstruktionsabteilung der Firma S GmbH & Co. KG beschäftigt. Sie fertigte dort nach vorgegebenen Angaben Konstruktionszeichnungen für Spritz- und gelegentlich auch für Druckgußformen. Während dieser Zeit besuchte sie vorübergehend eine Berufsaufbauschule, die sie jedoch nicht mit einer Prüfung abschloß. Seit dem 1.Oktober 1967 ist die Klägerin selbständig für verschiedene Auftraggeber tätig. Sie konstruiert Spritzgießwerkzeuge aller Art in eigener Verantwortung. Hierfür werden ihr von den Auftraggebern gelegentlich Teilzeichnungen zur Verfügung gestellt; im übrigen erstellt sie die Konstruktionszeichnungen selbständig.

Mit Schreiben vom 29.Oktober 1974 zeigte die Klägerin der Regierung von Mittelfranken an, daß sie unter der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 27.Juli 1970 --BayIngG-- (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt --GVBl BY-- 1970, 336) eine Tätigkeit ausgeübt habe und beabsichtige, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" weiterhin zu verwenden. Über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" fügte sie Bestätigungen ihrer Auftraggeber bei.

In den Einkommensteuererklärungen 1974 und 1975 behandelte die Klägerin die von ihr erzielten Einkünfte als solche i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm dagegen gewerbliche Einkünfte an und erließ am 14.September 1977 bzw. am 12.Dezember 1977 entsprechende Einkommensteuerbescheide 1974 und 1975 sowie am 21.April 1978 einen Gewerbesteuermeßbescheid 1975.

Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 18 Abs.1 Nr.1 EStG.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom FG in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen tragen dessen Auffassung nicht, die Klägerin habe in den Streitjahren Einkünfte aus Ingenieurtätigkeit erzielt.

1. Nach § 18 Abs.1 Nr.1 EStG in den Fassungen vom 15.August 1974 --EStG 1974-- (BGBl I 1974, 1993, BStBl I 1974, 578) und vom 5.September 1974 --EStG 1975-- (BGBl I 1974, 2165, BStBl I 1974, 733) übt eine freiberufliche Tätigkeit u.a. derjenige aus, der der selbständigen Berufstätigkeit eines Ingenieurs nachgeht. Das EStG 1974/75 bestimmt nicht, worin die Berufstätigkeit eines Ingenieurs im einzelnen besteht. Der erkennende Senat hat jedoch schon in seinem Urteil vom 18.Juni 1980 I R 109/77 (BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118) entschieden, daß die selbständige Berufstätigkeit eines Ingenieurs nur derjenige ausübt, der aufgrund der in den Ingenieurgesetzen vorgeschriebenen Berufsausbildung berechtigt ist, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs.2 FGO), war sie nicht aufgrund einer bestimmten Berufsausbildung, sondern allenfalls aufgrund ihrer praktischen Berufserfahrungen in der Lage, eine Tätigkeit auszuüben, die auch von Ingenieuren ausgeübt wird.

2. Der erkennende Senat hatte allerdings in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Personen, die zwar das in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgesehene Studium nicht abgeschlossen haben, jedoch aufgrund einer der Übergangsregelungen in den Ingenieurgesetzen auch ohne entsprechende Berufsausbildung berechtigt sind, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen, als Freiberufler i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG und damit nicht als Gewerbetreibende i.S. des § 15 Abs.1 Nr.1 EStG (§ 2 Abs.1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--) zu behandeln sind. Insoweit sind die Rechtsausführungen in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 keine abschließenden. Jedoch irrt das FG, wenn es meint, für die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu dem Katalogberuf "Ingenieur" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG 1974/75 reiche es aus, daß jemand die Berufsbezeichnung "Ingenieur" nur aufgrund der Übergangsregelung des Art.3 Abs.1 BayIngG führt. Die Ingenieurgesetze der Bundesländer können als nicht steuerrechtliche und zudem landesrechtliche Vorschriften den Inhalt des einkommensteuerrechtlichen Begriffs "Ingenieur" nicht unmittelbar festlegen, sondern nur Hinweise für seine Auslegung geben, weil sie das Berufsbild des Ingenieurs prägen. Soweit jedoch die Ingenieurgesetze die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" nur ausnahmsweise in der Form einer Übergangsregelung und unter dem Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung gestatten, ist zu beachten, daß derartige Übergangsregelungen regelmäßig nicht das Berufsbild des Katalogberufes prägen. Schon deshalb ist die Annahme, die Übergangsregelung sei auch für die steuerrechtliche Begriffsbestimmung maßgebend, nicht zwingend. Aus steuerrechtlicher Sicht kann unter dem Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung nur derjenige als "Ingenieur" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG behandelt werden, der es schon vor Inkrafttreten der Ingenieurgesetze war. Es kommt hinzu, daß das in Art.3 Abs.1 BayIngG geregelte Recht zur Fortführung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" nicht auf einer Verleihung (Verwaltungsakt) beruht. Die Anzeige der Klägerin, die von ihr früher gebrauchte Berufsbezeichnung weiterführen zu wollen, besagt aber nichts darüber, ob sie tatsächlich die Voraussetzungen für die Weiterführung der Berufsbezeichnung gemäß Art.3 Abs.1 BayIngG erfüllte. Das FG hätte deshalb prüfen müssen, ob die Klägerin die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu Recht gemäß Art.3 Abs.1 BayIngG weiterführte und ob die Tätigkeit, die sie vor und nach Inkrafttreten des BayIngG ausübte, auch losgelöst von den berufsrechtlichen Vorschriften des BayIngG typisch für den Katalogberuf "Ingenieur" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG war. Bei dieser Prüfung mußte das FG beachten, daß die Tätigkeit eines Ingenieurs i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG auch schon vor Inkrafttreten der Ingenieurgesetze der Bundesländer bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzte, die den Berufsinhaber in die Lage versetzten, in einer gewissen fachlichen Breite und Tiefe technische Werke zu planen und zu konstruieren und die Ausführung des Geplanten leitend anzuordnen und zu überwachen. Solche Kenntnisse und Erfahrungen wurden in erster Linie in den bekannten Studiengängen zum Ingenieurberuf vermittelt. Auch wenn der erfolgreiche Abschluß eines solchen Studienganges in Ermangelung entsprechender berufsrechtlicher Bestimmungen nicht als Voraussetzung für die Zuordnung zum Katalogberuf "Ingenieur" gefordert werden kann, so müßte die Klägerin sich doch zumindest in der Form des Selbststudiums Kenntnisse in allen hauptsächlichen Bereichen der Technik angeeignet haben, die denen vergleichbar sind, die in einem der genannten Ausbildungsgänge damals üblicherweise erworben wurden, um steuerrechtlich als Freiberufler behandelt werden zu können.

3. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin vor Inkrafttreten des BayIngG eine Berufstätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Ingenieur" ausübte. Es hat auch keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin damals über die Kenntnisse verfügte, die üblicherweise in einem anerkannten Ausbildungsgang zum Ingenieurberuf erworben wurden. Die Vorentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist Sache des FG, die fehlenden Feststellungen nachzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61491

BStBl II 1987, 116

BFHE 148, 140

BFHE 1987, 140

BB 1987, 111

BB 1987, 111-111 (S)

DB 1987, 516-517 (ST)

HFR 1987, 127-127 (ST)

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