Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein durch rechtskräftiges Urteil eines Finanzgerichts festgestellter Einheitswert kann nicht nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO berichtigt werden. Auch Fortschreibung zwecks Fehlerberichtigung in einem solchen Fall nicht in Betracht.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; AO § 222 Abs. 1 Nr. 4, § 225a

 

Tatbestand

Es handelt sich um die Berichtigung des Einheitswerts des der Beschwerdeführerin (Bfin.) gehörigen Grundstücks auf den 21. Juni 1948. Der Einheitswert wurde auf Antrag der Bfin. gemäß § 2 des Gesetzes betreffend Fortschreibungen und Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948 vom 10. März 1949 - Fortschreibungsgesetz - (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes S. 25, Steuer- und Zollblatt - StuZBl - 1949 S. 109, auf 197.200 DM festgestellt. Hierbei ist von dem bei der Einheitsbewertung 1935 angesetzten Mindestwert des Grundstücks (§ 52 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG - von 265.100 RM/DM ausgegangen worden, von dem besondere Abschläge vorgenommen wurden. Der ohne Begründung gebliebene Einspruch der Steuerpflichtigen gegen den Wertfortschreibungsbescheid wurde als unbegründet zurückgewiesen. Ebenso blieb die Berufung der Steuerpflichtigen gegen die Einspruchsentscheidung, die wiederum nicht begründet wurde, ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951, durch das die Berufung als unbegründet zurückgewiesen wurde, ist am 29. November 1951 rechtskräftig geworden. Am 3. Januar 1955 wandte sich die Bfin. an die Oberfinanzdirektion mit der Bitte um Berichtigung des Einheitswerts ihres Grundstücks auf den 21. Juni 1948. Die seinerzeit vorgenommene Bewertung mit 197.200 DM sei unrichtig. Sie sei nach den individuellen Verhältnissen des Grundstücks erfolgt. Nach dem Erlaß des Direktors der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 5. September 1949 (StuZBl 1949 S. 357) in Verbindung mit dem ergänzenden Erlaß des Finanzministers vom 28. September 1949 (StuZBl 1949 S. 367) solle jedoch der Bodenwertanteil am Einheitswert bei völlig zerstörten Gebäuden nach dem typischen Verfahren (Ziff. 6 Buchst. a des Erlasses vom 5. September 1949 und Anlage 2 Tabelle A zu diesem Erlaß) ermittelt werden. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 17/53 S vom 14. Mai 1954 (Slg. Bd. 59 S. 5, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 211) könnte das typische Verfahren zur Ermittlung des Bodenwertanteils in der Regel auch auf Geschäftsgrundstücke angewandt werden, die nach § 52 Abs. 2 BewG bewertet worden seien. Bei Anwendung des typischen Verfahrens sei das Grundstück wie folgt zu bewerten gewesen: Ausgangswert -------------------------------------- 265.100 DM Wert des Grund und Bodens nach Anlage 2 Tabelle A des Erlasses vom 5. September 1949 55 v. H. = ---------------------------------------- 145.800 DM.

Der Unterschied in der Bewertung wirke sich auch auf die Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) aus. Zur Beseitigung der unrichtigen Bewertung müsse die Oberfinanzdirektion gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) das Finanzamt anweisen, auf den 21. Juni 1948 eine Berichtigungsfeststellung vorzunehmen. Evtl. beantrage die Bfin., im Wege der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 gemäß § 225 a AO in Verbindung mit § 4 des Fortschreibungsgesetzes den Einheitswert neu zu ermitteln und auf 145.800 DM festzustellen. Die Oberfinanzdirektion hat den Antrag der Bfin. zurückgewiesen. Da die Einheitsbewertung auf den 21. Juni 1948 auf dem rechtskräftigen Urteil des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951 beruhe, sei § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO nicht anwendbar. Ebensowenig könne die von der Bfin. beantragte nochmalige Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 vorgenommen werden. Gegen diese ablehnende Entscheidung der Oberfinanzdirektion wurde von der Bfin. Berufung eingelegt. In ihrem Falle müsse gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) die fehlerhafte Bewertung des Grundstückes auf den Währungsstichtag berichtigt werden. Das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts stehe der Fehleraufdeckung und Berichtigungsfeststellung nicht entgegen. Auch sei Wertfortschreibung zwecks Fehlerberichtigung auf den 21. Juni 1948 zulässig. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil wurde im wesentlichen wie folgt begründet: Die Berufung sei nach dem Gutachten des Bundesfinanzhofs (Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, BStBl 1951 III S. 107) zulässig, obwohl die Bfin. nicht zuvor im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde an den Finanzminister herangetreten sei. Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI 386/39 vom 26. Juli 1939 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1939 S. 946) könne die Aufsichtsbehörde zu einer Fehleraufdeckung nicht gezwungen werden. Es könne indessen dahingestellt bleiben, ob dieses Urteil jetzt noch anwendbar sei. Denn keinesfalls könne die Oberfinanzdirektion die Berichtigung eines Fortschreibungsbescheids herbeiführen, die sachlich die Abänderung des rechtskräftigen Urteils des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951 bedeuten würde (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 373/33 vom 13. April 1934. RStBl 1934 S. 536). Die Oberfinanzdirektion sei im Verhältnis zum Finanzgericht keine Aufsichtsbehörde. Auch die hilfsweise beantragte berichtigende Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 komme nicht in Betracht. Wenn die Bfin. vielleicht auch mit ihrem Antrag auf berichtigende Wertfortschreibung nicht ohne Grund lange Zeit gewartet habe, weil ihr die vermeintliche Berichtigungsmöglichkeit erst durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Mai 1954 bekanntgeworden sei, so stehe doch auch in diesem Falle die Rechtskraft des Urteils des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951 der Berichtigung des Einheitswerts entgegen. Aus den Urteilen des Bundesfinanzhofs III 135/53 U und III 178/53 U vom 12. März 1954 (Slg. Bd. 58 S. 614, 595, BStBl 1954 III S. 145, 138) ergebe sich überdies, daß ein Steuerpflichtiger nach rechtskräftiger Entscheidung über einen Antrag auf Wertfortschreibung nicht später wegen des gleichen Sachverhalts nochmals Wertfortschreibung von Amts wegen auf den gleichen Zeitpunkt verlangen könne. Darauf ziele aber der Antrag der Bfin. hin. Sie wolle das frühere Bewertungsverfahren wieder aufrollen, das sie durch Nichteinlegen der Rechtsbeschwerde (Rb.) habe rechtskräftig werden lassen. Die Aufrechterhaltung der Rechtskraft sei gerade auf dem Boden des Rechtsstaates geboten. Wenn der Einheitswert des Grundstücks der Bfin. auf den 21. Juni 1948 nach anderen Gesichtspunkten als in einem anderen Falle ermittelt worden sei könne dies nur noch aus Billigkeitsgründen berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil des Finanzgerichts richtet sich die Rb. der Bfin.

Sie rügt Rechtsirrtum. Art. 19 Abs. 4 GG greife auch gegenüber rechtskräftigen Urteilen des Finanzgerichts ein. Die Auswirkung des Einheitswerts auf den 21. Juni 1948 auf die Vermögensabgabe nach dem LAG sei ein ausreichender Grund für die berichtigende Wertfortschreibung auf den Währungsstichtag.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Der Senat tritt den Ausführungen des Finanzgerichts bei. Die Ansicht der Bfin., daß die Oberfinanzdirektion ohne Rücksicht auf das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951 nach Art. 19 Abs. 4 GG genötigt sei, einen Bewertungsfehler aufzudecken und das Finanzamt zur Vornahme einer Berichtigungsfeststellung anzuweisen, ist rechtsirrig (Urteil des Bundesfinanzhofs III 157/54 U vom 30. Juni 1956, BStBl 1956 III S. 216). Die Rechtsprechung unabhängiger Finanzgerichte fällt auch nicht unter den Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG. Die genannte Bestimmung bezweckt nicht, die Rechtsprechung gegen die Rechtsprechung zu mobilisieren. Der mit Art. 19 Abs. 4 verfolgte Rechtszweck ist vielmehr lediglich auf einen lückenlosen gerichtlichen Schutz als solchen gerichtet und will nicht etwa eine zusätzliche gerichtliche Instanz aufpfropfen (Bonner Kommentar Art. 19 II 4 e S. 13). Es kann hiernach keine Rede davon sein, daß unter Beiseiteschiebung der Rechtskraft eine Berichtigungsfeststellung hätte eingeleitet werden müssen.

Aus gleichem Grunde entfällt auch die Vornahme einer berichtigten Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948. Im übrigen kann grundsätzlich eine Wertfortschreibung nur auf einen dem letzten vorangegangenen Feststellungszeitpunkt folgenden Zeitpunkt vorgenommen werden. Die nur ganz ausnahmsweise vom Senat zugelassene Möglichkeit einer nochmaligen Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 (vgl. die obenangeführten Urteile des Bundesfinanzhofs vom 12. März 1954) ist im Streitfall nicht gegeben. Es liegt bei der Bfin. derselbe Sachverhalt wie bei der früheren Wertfortschreibung vor, die durch das Urteil des Finanzgerichts vom 19. Oktober 1951 bestätigt wurde. Es wäre der Bfin. unbenommen geblieben, gegen dieses Urteil des Finanzgerichts Rb. mit dem Antrag einzulegen, den Einheitswert für ihr Grundstück auf anderer Grundlage zu ermitteln, da die vorgenommene Bewertung unzutreffend sei. Die Bfin. hat jedoch von der Einlegung der Rb. damals Abstand genommen. Der Umstand, daß der Bundesfinanzhof später in einem anderen Falle die Bewertung nach typischen Merkmalen für zulässig erachtet hat, rechtfertigt noch nicht die von der Bfin. nunmehr gewünschte berichtigte Wertfortschreibung auf den Währungsstichtag. Insbesondere kann der Bfin. auch darin nicht beigetreten werden, daß allein die Auswirkung auf die Vermögensabgabe nach dem LAG die berichtigte Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 zulässig mache

 

Fundstellen

Haufe-Index 408684

BStBl III 1957, 98

BFHE 1957, 253

BFHE 64, 253

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