Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB: Rüge von Steuerschätzungen, Überraschungsentscheidung

 

Leitsatz (NV)

1. Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler) sind im Verfahren gegen die Nichtzulassung der Revision grundsätzlich unbeachtlich.

2. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Erlass einer Überraschungsentscheidung erfordert u.a. substantiierte Darlegungen dazu, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und wiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.12.2006; Aktenzeichen 1 K 2161/04)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.

Einen Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht schlüssig dargetan.

Das FG hat die Abweisung der Klage darauf gestützt, die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) vorgenommene Zuschätzung sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden und die Voraussetzungen für einen Vorsteuer- und Betriebsausgabenabzug im Zusammenhang mit den Aufwendungen für die baulichen Maßnahmen an dem Objekt in K seien nicht hinreichend dargetan. Die vom Kläger vorgelegte Gewinnermittlung sei durch die Bargeldverkehrsrechnung des Prüfers widerlegt und zu verwerfen.

a) Soweit der Kläger hiergegen einwendet, das FG habe den Sachverhalt nicht hinreichend erforscht, sein Urteil lediglich auf die Berechnungen des Prüfers gestützt und die vom Kläger vorgenommene eigene Geldmengenverkehrsberechnung ignoriert, ist der gerügte Verfahrensmangel der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht schlüssig dargelegt. Ein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht ergibt sich daraus noch nicht.

aa) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht, das FG habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen weiter aufzuklären, so muss der Beschwerdeführer u.a. substantiiert vortragen, aus welchen genau bezeichneten Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, warum der Beschwerdeführer --jedenfalls wenn er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war-- nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 50 i.V.m. § 120 Rz 70, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--).

bb) An entsprechenden Ausführungen fehlt es im Streitfall. Sie erschöpfen sich vielmehr nach Art einer Revisionsbegründung in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum die vom FG vorgenommene rechtliche Beurteilung und tatsächliche Würdigung des Streitfalles unrichtig sei. Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler) sind im Verfahren gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch grundsätzlich und auch im Streitfall unbeachtlich (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2000 XI B 128/99, BFH/NV 2001, 800).

b) Das Vorbringen des Klägers, das FG habe ohne entsprechenden Hinweis sein Vorbringen nicht gewürdigt, seine Nachweise nicht zur Kenntnis genommen und in dem angefochtenen Urteil überraschend argumentiert, kann als Rüge eines Verstoßes gegen den Gehörsanspruch verstanden werden.

aa) Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 76 und 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991  1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; BFH-Beschlüsse vom 15. März 2002 X B 175/01, BFH/NV 2002, 944, und vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auf naheliegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (vgl. BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329).

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung des FG, der Kläger habe die Herkunft der Mittel für die von ihm bezahlten Sonderausgaben bzw. außergewöhnlichen Belastungen nicht hinreichend belegt, überraschend kam. Die Verfahrensrüge ist jedenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben, denn der Kläger hat nicht dargelegt, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Januar 2000 III B 57/99, BFH/NV 2000, 861).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1786865

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge