Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an eine Verfahrensrüge i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO

 

Leitsatz (NV)

Mängel im Verfahren der Wahl von ehrenamtlichen Richtern begründen i. d. R. keinen Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1; FGO § 23 Abs. 1, §§ 25-27, 116 Abs. 1 Nr. 1, § 119 Nr. 1; ZPO § 41 Nr. 6

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren 1967 bis 1972 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

Die Kläger waren in den Streitjahren Gesellschafter der A-GmbH & Co. KG (KG).

Aufgrund der Feststellungen einer bei der KG durchgeführten Steuerfahndungsprüfung erließ das beklagte FA am 31. Dezember 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte zum Teil Erfolg.

Die Kläger haben gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde und Revision eingelegt. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH durch Beschluß vom 19. August 1987 VIII B 73/86 als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Revision machen die Kläger geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf Verfahrensmängeln i. S. von § 116 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FGO. Das FG sei bei seiner Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil die ehrenamtlichen Richter, die an der Urteilsfindung mitgewirkt hätten, nicht in einem rechtmäßigen Verfahren gewählt worden seien.

Ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel sei darin zu sehen, daß an dem Urteil Richter mitgewirkt hätten, die nach § 51 FGO i. V. m. § 41 Nr. 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vom Richteramt ausgeschlossen seien. Der Vorsitzende Richter am FG und Richter am FG Dr. . . . hätten an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt, obwohl sie an anderen finanzgerichtlichen Verfahren der Kläger mitgewirkt hätten.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die ohne Zulassung eingelegte, auf § 116 Abs. 1 FGO gestützte Revision ist unzulässig.

1. Aus dem Revisionsvorbringen ergibt sich nicht, daß das FG vorschriftswidrig besetzt war.

a) Die Revision macht geltend, § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO sei verletzt, weil die ehrenamtlichen Richter Dr. . . . und . . ., die an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt haben, in einem fehlerhaften und deshalb nichtigen Wahlakt am 12. Januar 1982 gewählt worden seien. Die zur Begründung dieser Rüge vorgetragenen Tatsachen legen einen Verstoß gegen § 116 Abs. 1 Nr. 1, § 119 Nr. 1 FGO nicht schlüssig dar. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Obersten Bundesgerichte führt die unrichtige Anwendung einer Vorschrift, die die Besetzung des Gerichts betrifft, nur dann zu einem Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO, wenn sich der Gesetzesverstoß zugleich als Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetztes (GG) darstellt (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9. Juni 1987 9 CB 36.87, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 219; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. Oktober 1975 1 StR 108/75, BGHSt 26, 206, 210; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, amtlich nicht veröffentlicht). Diese Verfassungsvorschrift verbietet, jemanden seinem gesetzlichen Richter zu entziehen. Sie soll der Gefahr vorbeugen, daß die Justiz durch Manipulierung der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird, insbesondere, daß im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird, gleichgültig, von welcher Seite die Manipulierung ausgeht (BVerwG-Beschluß in NJW 1988, 219, m. w. N.).

Bei Fehlern im Verfahren der Wahl von ehrenamtlichen Richtern ist eine derartige Gefahr der Manipulierung des Ergebnisses des Richterspruchs jedoch nicht ohne weiteres begründet (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Juni 1982 2 BvR 1205/81, NJW 1982, 2368). Der Wahlausschuß trifft für die Bestimmung des gesetzlichen Richters nur eine vorbereitende Entscheidung; auf die Zuteilung des einzelnen ehrenamtlichen Richters zu einem bestimmten Spruchkörper hat er keinen Einfluß. Fehler bei der Wahl der ehrenamtlichen Finanzrichter führen daher nicht schon für sich allein zu einem Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters. Ein Gericht ist vielmehr wegen der Mitwirkung eines ehrenamtlichen Richters, bei dessen Wahl ein Fehler vorgekommen ist, nur dann nicht ordnungsgemäß besetzt i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO, wenn durch den Fehler im Wahlverfahren der Schutzzweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berührt wird. Das trifft nur zu, wenn der Verfahrensfehler so schwerwiegend ist, daß von einer Wahl im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann oder wenn er aufgrund seiner Eigenart das in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Prinzip der Gesetzlichkeit des Richters im Sinne einer sich für jeden einzelnen Rechtsstreit ,,blindlings" ergebenden Entscheidungszuständigkeit verletzen kann (BVerwG-Beschluß in NJW 1988, 219; BVerwG-Urteil vom 9. Februar 1988 BVerwG 9 C 256.96, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 133 Nr. 75). Von dieser Art ist jedoch keiner der von der Revision geltend gemachten Mängel des Wahlverfahrens.

b) Die Kläger meinen, der beim FG . . . bestellte Ausschuß zur Wahl der ehrenamtlichen Richter (§ 23 Abs. 1 FGO) sei bei seiner Sitzung am 12. Januar 1982 nicht beschlußfähig gewesen, weil der als Vertreter der Finanzverwaltung zunächst bestimmte Oberregierungsrat von der Oberfinanzdirektion (OFD) nicht zu der Sitzung erschienen und daraufhin ,,ad hoc" der Leitende Regierungsdirektor als Vertreter der Finanzverwaltung benannt worden sei. Dieser sei jedoch ,,ständiger Vertreter der Finanzämter der OFD beim Finanzgericht" gewesen und habe ,,somit die Funktion eines Parteivertreters des Finanzamtes" ausgeübt. Diese Funktion sei unvereinbar mit den Aufgaben eines Mitglieds des Ausschusses zur Wahl von ehrenamtlichen Richtern.

Dieser Ansicht kann der Senat nicht folgen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich aus dem Umstand, daß Leitender Regierungsdirektor . . . ständig die FÄ des Bezirks der OFD in Rechtsstreitigkeiten vor dem FG zu vertreten hatte, die Besorgnis ergeben soll, er werde im Wahlausschuß einen sachfremden Einfluß auf die Wahl der ehrenamtlichen Richter ausüben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß D . . . keinen Einfluß darauf hatte, welcher ehrenamtliche Richter mit welcher Streitsache befaßt werden würde.

c) Unschlüssig ist auch die Rüge, die Vorschlagsliste der ehrenamtlichen Richter (§ 25 FGO) sei nicht ordnungsgemäß, weil in ihr überdurchschnittlich viele Vertreter von Gewerkschaften benannt seien. § 25 FGO schreibt nicht vor, daß in der Vorschlagsliste der ehrenamtlichen Richter alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig zu berücksichtigen sind. Der Senat kann offenlassen, ob die Vorschrift des § 36 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), nach der die Vorschlagsliste für Schöffen, die bei der Verhandlung und Entscheidung in Strafsachen mitwirken, ,,alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen" soll, auf die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Finanzrichter sinngemäß anzuwenden ist. Selbst wenn man dies bejahte, könnte ein Verstoß gegen diese bloße Sollvorschrift keinen Einfluß auf die Ordnungsmäßigkeit der Wahl haben (vgl. BFH-Beschluß vom 4. März 1987 II R 47/86, BFHE 149, 23, 24, BStBl II 1987, 438).

d) Auch die weitere Rüge der Revision, die ehrenamtlichen Richter seien nicht unmittelbar, geheim und mit Stimmzetteln gewählt worden, legt keinen zur Nichtigkeit der Wahl führenden Mangel dar.

Das Gesetz schreibt in § 26 FGO nicht vor, daß die Wahl der ehrenamtlichen Richter in der gleichen Weise vorzunehmen sei, wie die der Richter zum Präsidium nach § 4 FGO i. V. m. § 21 b Abs. 3 GVG und der Wahlordnung für die Präsidien der Gerichte vom 19. September 1972 (BGBl I 1972, 1821). Dem in § 26 Abs. 1 FGO enthaltenen Wort ,,wählt" ist zu entnehmen, daß das Gesetz lediglich ein nicht vom Zufall abhängiges Ergebnis will (z. B. nicht ein Auslosen), sondern eine Wahl als bewußte individuelle und konkret-personenbezogene Entscheidung der Mitglieder des Wahlausschusses (Kissel, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1985, 490). Diesem Erfordernis ist dadurch genügt, daß der Wahlausschuß seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, aus der vom Präsidenten des FG aufgestellten Vorschlagsliste mit 271 Namen einstimmig 102 bestimmte Personen, darunter auch Dr. . . . und . . ., die an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben, in das Amt eines ehrenamtlichen Richters zu berufen (Beschluß in BFHE 149, 23, 24, BStBl II 1987, 438; BGH-Urteil vom 19. Juni 1985 2 StR 197/85, 2 StR 98/85, NJW 1985, 2341).

e) Die ,,Niederschrift über die Wahl der ehrenamtlichen Richter des Finanzgerichts" brauchte - entgegen der Ansicht der Revision - nicht von allen Mitgliedern des Wahlausschusses unterschrieben zu werden; es genügte - mangels einer entgegenstehenden Vorschrift -, daß der Präsident des FG als Vorsitzender des Wahlausschusses (§ 23 Abs. 2 Satz 1 FGO) sie unterschrieb (Beschluß in BFHE 149, 23, 25, BStBl II 1987, 438).

f) Die Kläger machen ferner geltend, auf der Wahlliste seien unter dem Abschnitt ,,Bemerkungen" die Namen der vorgeschlagenen Personen handschriftlich mit einem Vermerk versehen, welchem Senat sie zugeteilt werden sollten. Dabei seien zunächst diejenigen Personen ausgesucht worden, die bereits in der abgelaufenen Wahlperiode ehrenamtliche Richter gewesen seien. Die Reihenfolge ergebe sich aus den Geschäftsverteilungsplänen 1976 und 1982.

Auch dieser Vortrag enthält keine schlüssige Verfahrensrüge. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die vorgetragenen Tatsachen die Ordnungsmäßigkeit der Wahl beeinträchtigen sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die erwähnten Vermerke unverbindliche Vorüberlegungen zur Eignung waren und als solche nicht die Zuständigkeit des Präsidiums beeinträchtigen konnten, vor Beginn des Geschäftsjahres für jeden Senat eine Liste mit mindestens zwölf Namen aufzustellen und die Reihenfolge zu bestimmen, in der die ehrenamtlichen Richter heranzuziehen sind (§ 27 FGO).

2. Die Rüge, an der angefochtenen Entscheidung des FG hätten Richter mitgewirkt, die nach § 41 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 51 FGO vom Richteramt ausgeschlossen seien, weil sie an finanzgerichtlichen Entscheidungen in anderen Verfahren der Kläger beteiligt gewesen seien, ist nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO zu begründen.

Nach dem klaren Wortlaut des § 41 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 51 FGO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts in solchen Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Die Vorschrift soll verhindern, daß in einem mehrinstanzlichen Verfahren derjenige bei der Nachprüfung mitwirkt, der die nachzuprüfende Entscheidung erlassen hat. Ein ,,früherer Rechtszug" liegt nicht vor, wenn der Richter in einem anderen Verfahren desselben Beteiligten an der Entscheidung mitgewirkt hat, selbst wenn der frühere Prozeß für den jetzigen erheblich sein mag (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl., § 41 Anm. 2 F).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416561

BFH/NV 1990, 511

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