Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu der Frage, ob ein Wohngebäudekomplex eine oder zwei wirtschaftliche Einheiten i.S. von § 2 Abs. 1 BewG darstellt

 

Leitsatz (NV)

Zwei auf verschiedenen bürgerlich-rechtlichen Grundstücken errichtete Bauteile, die durch einen Gang miteinander verbunden sind und insgesamt nur eine, wenn auch sehr große Wohnung (ca. 500 qm Wohnfläche, mehrere Bäder, Schwimmbad, Sauna) enthalten, stellen auch dann nur eine wirtschaftliche Einheit i.S. des § 2 Abs. 1 BewG und damit ein Einfamilienhaus i.S. von § 75 Abs. 5 BewG dar, wenn sie über jeweils eigenständige Ver- und Entsorgungseinrichtungen (getrennte Strom-, Wasser-, Gas- und Telefonanschlüsse, separate Abwasserkanäle) verfügen.

 

Normenkette

BewG 1965 § 2 Abs. 1, § 70 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Antragsteller, Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb 1978 das Grundstück X-Straße 5 in Y, das er mit einem Wohnhaus bebaute. Durch Art- und Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1980 stellte der Antragsgegner, Beklagte und Revionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Einheitswert auf 133200 DM und die Grundstücksart ,,Einfamilienhaus" fest.

1984 erwarb der Kläger das mit einem Einfamilienhaus bebaute Nachbargrundstück X-Straße 14 hinzu. Er brach das dort vorhandene Gebäude ab und errichtete einen 1985 fertiggestellten Neubau. Dieser und das Gebäude auf dem Grundstück X-Straße 5 sind durch einen Gang miteinander verbunden worden. Durch die gemeinsame Haupteingangstür des Gesamtkomplexes gelangt man in diesen Verbindungsgang, von dem aus beide Baukörper jeweils durch eine selbsttätige Glasschiebetür zugänglich sind. Beide Bauteile dienen der Wohnnutzung durch die Familie des Klägers. Im älteren Bauteil (Grundstück X-Straße 5), der u.a. ein Schwimmbad und eine Sauna beherbergt, sind die Bereiche ,,Wohnen", ,,Essen", ,,Arbeit" und ,,Erholung" angesiedelt. Der jüngere Bauteil (Grundstück X-Straße 7) umfaßt die Schlaf- und Kinderzimmer mit dazugehörigen Bädern sowie das Appartement für die angestellte Hauswirtschafterin, bestehend aus einem Wohn-/Schlafraum, einem Bad und einer Kochnische.

Beide ehemals selbständigen Grundstücke sind sowohl im Liegenschaftskataster als auch im Grundbuch getrennt ausgewiesen. Es sind getrennte Hausnummern vergeben. Auch die Versorgungsleitungen (Strom, Wasser, Gas) sowie die Telefon- und Fernsehkabelanschlüsse sind getrennt verlegt. Entsprechendes gilt für die Abwasserkanäle. Beide Grundstücke verfügen über separate Autoabstellplätze und Garagen.

Das FA beurteilte den Gesamtkomplex als eine wirtschaftliche Einheit und stellte mit dem Art- und Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1986 die Grundstücksart ,,Zweifamilienhaus" und den Einheitswert im Ertragswertverfahren auf 231100 DM fest. Den bisherigen Einheitswertbescheid für das Grundstück X-Straße 7 hob das FA auf den 1. Januar 1986 wegen Wegfalls dieser wirtschaftlichen Einheit auf. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

Im Jahre 1990 gelangte das FA zu der Auffassung, daß der Einheitswert nicht - wie bisher - im Ertragswertverfahren, sondern im Sachwertverfahren zu ermitteln sei. Es führte deshalb auf den 1. Januar 1990 eine Wertfortschreibung durch, mit der es den Einheitswert unter Einbeziehung beider Grundstücke auf 319500 DM erhöhte.

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, mit der er begehrte, eine getrennte Bewertung beider bürgerlich-rechtlichen Grundstücke durchzuführen und einen niedrigeren Einheitswert für das Grundstück X-Straße 5 festzustellen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Gegen die Vorentscheidung hat der Kläger Revision eingelegt, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Darüber hinaus hat der Kläger beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1990 in Höhe eines anteiligen Einheitswertbetrags von 133000 DM bis zur Zustellung der Entscheidung des BFH im anhängigen Revisionsverfahren II R 96/92 auszusetzen. Zuvor hatte das FA die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unbegründet. Es bestehen keine ernsthaften Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) daran, daß das streitbefangene Bewertungsobjekt nur eine wirtschaftliche Einheit darstellt.

1. Gemäß § 70 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) bildet jede wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens ein Grundstück im Sinne des BewG. Der (Typus-)Begriff der wirtschaftlichen Einheit bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 BewG in erster Linie nach der Verkehrsauffassung. Dabei sind die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen. Es sind also neben objektiven auch subjektive Merkmale maßgebend. Letztere müssen jedoch dann zurücktreten, wenn sie mit objektiven Merkmalen in Widerspruch stehen (BFH-Urteile vom 16. Februar 1979 III R 67/76, BFHE 127, 59, BStBl II 1979, 279, und vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752). Für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit des Grundbesitzes ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob eine Grundstücksfläche ein Grundstück im Sinne des bürgerlichen Rechts ist; eine wirtschaftliche Einheit - d.h. ein Grundstück im Sinne des BewG - kann sowohl mehrere Grundstücke im bürgerlch-rechtlichen Sinne umfassen als auch nur ein Teil eines bürgerlich-rechtlichen Grundstücks sein (Senatsurteil vom 26. Februar 1986 II R 236/83, BFH/NV 1987, 366).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall sind die beiden bürgerlich-rechtlichen Grundstücke mit den aufstehenden Gebäuden bzw. Gebäudeteilen als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen. Dafür sprechen entscheidend sowohl die Verkehrsauffassung als auch die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der Parzellen und Bauteile.

Nach der nach außen hin dokumentiertebn, d.h. in die Tat umgesetzten Zweckbestimmung durch den Kläger dienten am Feststellungszeitpunkt sämtliche bebauten und unbebauten Grundstücksteile (älterer und neuerer Bauteil einschießlich des Verbindungsganges, gemeinsame Grundstücksauffahrt, Terrasse, Garten) ihm und seiner Familie zu Wohnzwecken. Die - einheitliche - Wohnung der Familie des Klägers erstreckte sich über sämtliche Bauteile. Ältere und neuere Teile des Gebäudekomplexes sind - worauf schon das FG zutreffend hingewiesen hat - nach Raumaufteilung und Einrichtung derart aufeinander abgestimmt, daß sie einander funktionell ergänzen und nur in ihrer Zusammenfassung eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne darstellen. Der Kläger selbst hat diesen Zustand so beschrieben, daß im Altbau die Bereiche ,,Wohnen, Essen, Arbeit und Erholung" angesiedelt seien, während der Neubau die Schlaf- und Kinderzimmer sowie das Appartement der Haushaltshilfe beherberge.

Aus diesen Gründen spricht nicht nur die Zweckbestimmung, sondern auch die tatsächliche Übung der einheitlichen und gemeinschaftlichen Nutzung des gesamten Komplexes zu Wohnzwecken des Klägers für das Vorliegen nur einer wirtschaftlichen Einheit. Zwar hat der Kläger in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, daß eine nur vorübergehende Verbindung mehrerer Wirtschaftsgüter zur einheitlichen Nutzung - anders als eine dauerhafte Verbindung - eine wirtschaftliche Einheit aufgrund tatsächlicher Übung nicht zu begründen vermöge (Gürsching/ Stenger, Bewertungsrecht und Vermögensteuergesetz, Kommentr, 9. Aufl., § 2 BewG Rdnr.51.2). Eine nur vorübergehende gemeinschaftliche Nutzung der beiden Bauteile lag indessen im Streitfall nicht vor. Sie läßt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht allein auf seine Behauptung stützen, eine gemeinschaftliche Nutzung beider Gebäudeteile durch ihn sei lediglich bis zum Auszug seiner Kinder geplant. Denn dieser Auszug war zumindest vom Zeitpunkt her am streitigen Stichtag noch nicht absehbar und folglich ungewiß.

Die obigen Ausführungen verdeutlichen zugleich auch die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der Gebäudeteile. Mehrere Wirtschaftsgüter gehören wirtschaftlich zusammen, wenn sie in einem objektiven Funktionszusammenhang stehen, der ihre gemeinsame Nutzung gebietet oder doch sinnvoll erscheinen läßt (Gürsching/Stenger, a.a.O., § 2 BewG Rdnr.51.4). Ein solcher Funktionszusammenhang folgt im Streitfall aus dem bereits dargelegten Umstand, daß sich die von der Familie des Klägers genutzten Wohnräume in beiden Gebäudeteilen in funktional-harmonischer Weise zu einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne ergänzen.

Die Verkehrsanschauung bekräftigt dieses Ergebnis. Schon die äußere architektonische Gestaltung des Gesamtkomplexes - die Zusammenfügung aller Bauteile und Außenanlagen zu einem einheitlichen Ganzen (insbesondere einheitliche eingeschossige Flachdachbauweise, einheitliche Fassade, gemeinsamer Haupteingang für beide Gebäudeteile) - erweckt in einem unvoreingenommenen und urteilsfähigen Betrachter den Eindruck, daß es sich bei diesem Komplex trotz seiner von den Häusern gegendüblichen Zuschnitts abweichenden Größe um ein Objekt im Sinne des BewG handele. Dieser Eindruck wird vollends durch die innere Gestaltung und Einrichtung der Räumlichkeiten - die funktionale Ergänzung der in beiden Hauptgebäudeteilen liegenden Wohnräume zu einer einheitlichen Wohnung - bestätigt.

Demgegenüber kommt es entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht nicht mehr darauf an, ob die beiden Hauptgebäudeteile infolge ihrer jeweils eigenständigen Ver- und Entsorgungseinrichtungen mit verhältnismäßig geringem Aufwand voneinander getrennt und einzeln veräußert werden könnten und einer solchen Trennung und Veräußerung auch baurechtliche Hindernisse nicht entgegenstünden (vgl. auch Senatsurteil vom 22.März 1989 II R 44/86, BFH/NV 1990, 487, 488). Ebensowenig kommt es darauf an, ob die beiden Hauptgebäudeteile ohne weiteres in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden könnten (vgl. auch Senatsurteil vom 28. Mai 1986 II R 258/83, BFH/NV 1987, 566, 567).

Angesichts der dargelegten Umstände muß auch der Gesichtspunkt zurücktreten, daß Gesamtgrundstücksgröße und bauliche Gestaltung des streitigen Objekts von der örtlichen Gewohnheit abweichen (vgl. auch BFH-Urteile vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188 unter 3. a, und vom 26. Februar 1986 II R 184/79, BFH/NV 1987, 364, 365). Schon im Hinblick auf die bereits am Stichtag existierende Vielfalt architektonischer Gestaltungen von modernen Wohngrundstücken kommt diesem Gesichtspunkt bei solchen Bewertungsobjekten nur eine eingeschränkte Bedeutung zu. Ebenso muß der Umstand zurücktreten, daß das Objekt kataster und grundbuchmäßig und damit bürgerlich-rechtlich mehr als ein Grundstück umfaßt (Senatsurteil in BFH/NV 1987, 366). Schließlich bedeutet es bei größeren Wohnobjekten nichts Ungewöhnliches und steht der Annahme einer wirtschaftlichen Einheit nicht entgegen, daß Nebeneingänge und mehrere Garagen existieren.

Mit seiner Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem vom Kläger zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen BFH-Urteil vom 15. Oktober 1954 III 148/54 U (BFHE 60, 1, BStBl III 1955, 2). Dabei mag dahinstehen, ob sich der Senat der dort vertretenen, in der Literatur (Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl., § 70 BewG Rdnr.26; vgl. auch Gürsching/Stenger, a.a.O., § 70 BewG Rdnr.14) kritisierten und als durch die neuere Rechtsprechung überholt angesehenen Auffassung anschließen könnte. Denn der vorliegende Streitfall und der der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt sind schon deswegen nicht vergleichbar, weil es dort - anders als hier - um verschiedenartige Nutzungen (Wohn- und freiberufliche Nutzung) der zu beurteilenden Gebäudeteile ging.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419179

BFH/NV 1993, 642

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