Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensmangel

 

Leitsatz (NV)

1. Der Antrag auf Fristverlängerung, der am letzten Tag der gesetzten Frist beim FG eingeht, macht die Ausschlußfrist gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht hinfällig. §79 b Abs. 3 FGO ist auf die Ausschlußfrist i. S. des §65 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht entsprechend anwendbar.

2. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht gerügt werden, das FG habe die Klageschrift nicht sachgerecht ausgelegt und sie zu Unrecht nicht für eine genügende Bezeichnung des Klagebegehrens i. S. von §65 Abs. 1 Satz 1 FGO ausreichen lassen.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 79b Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Mitglied einer Rechtsanwaltssozietät. Seine Einsprüche gegen die Bescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte 1990 bis 1992 der Sozietät vom 6. September 1995 wurden mit Einspruchsentscheidung des FA vom 27. Dezember 1995 zurückgewiesen. Aufgrund des Ergebnisses einer Außenprüfung erließ das FA am 8. Januar 1996 gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Feststellungsbescheide 1991 und 1992. Der Kläger legte dagegen mit Telefax vom 13. Februar 1996, eingegangen beim FA am selben Tag, Einspruch ein.

Mit Telefax vom 29. Januar 1996, das am gleichen Tage beim Finanzgericht (FG) einging, hatte der Kläger Klage "wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte 1990 bis 1992, Sozietät S, S und M, hier: Feststellung des Gewinns bzw. der Sonderbetriebsausgaben RA S erhoben. Die Klage richtet sich gegen die Bescheide des beklagten Finanzamtes vom 06. 09. 1995 und den Einspruchsbescheid vom 27. 12. 1995."

Der Kläger begründete seine Klage nicht. Mit Verfügung vom 10. Juni 1996 setzte ihm der Berichterstatter gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehres bis zum 31. Juli 1996. Innerhalb der gesetzten Frist kam der Kläger dieser Aufforderung nicht nach. Am 31. Juli 1996 ging per Telefax ein Antrag auf Verlängerung der Ausschlußfrist um zwei Wochen ein, dem das FG nicht entsprach.

Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger gegen den in der Sache am 26. August 1996 ergangenen Gerichtsbescheid rechtzeitig Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe. Die Klage sei jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Kläger innerhalb der ihm nach §65 Abs. 2 FGO gesetzten Ausschlußfrist den Gegenstand des Klagebegehrens nicht hinreichend bezeichnet habe.

Seine hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde stützt der Kläger auf Verfahrensmängel. Er habe mit Schriftsatz vom 14. August 1996 im einzelnen und beziffert vorgetragen, in welchem Umfang die Feststellungsbescheide angegriffen würden. Diesen Vortrag hätte das FG nicht gemäß §79 b Abs. 3 FGO zurückweisen dürfen. Er, der Kläger, habe die Verspätung durchaus genügend entschuldigt. Deshalb sei nicht nachvollziehbar, wieso das FG die beantragte kurze Fristverlängerung nicht gewährt habe. Außerdem habe das FG in den Gründen seiner Entscheidung nicht ausgeführt, inwiefern die Zulassung des klägerischen Vortrags aus dem Schriftsatz vom 14. August 1996 die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger einen Verfahrensmangel entsprechend den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO bezeichnet hat. Denn jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet.

1. Das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §96 Abs. 2 FGO) wurde vom FG nicht verletzt. Es hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens, dessen Angabe zu den "Muß"-Erfordernissen ordnungsgemäßer Klageerhebung gehört (§65 Abs. 2 Satz 2 FGO), die am 31. Juli 1996 ablief, nicht bezeichnet hat. Zwar hat der Kläger am letzten Tag der Ausschlußfrist beim FG per Telefax beantragt, die ihm gesetzte Frist um zwei Wochen zu verlängern. Der Antrag auf Fristverlängerung, der am letzten Tag der gesetzten Frist beim FG eingeht, macht die Ausschlußfrist gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO jedoch nicht hinfällig (BFH- Beschluß vom 9. Juni 1995 VII B 20/95, BFH/NV 1996, 50).

Es bedarf keiner Entscheidung, ob das FG dem Fristverlängerungsantrag des Klägers noch hätte entsprechen können (zur Zulässigkeit der Verlängerung der Ausschlußfrist: vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §65 Rz. 63). Da es nicht zu der beantragten Verlängerung der Ausschlußfrist für die Bezeichnung des Klagebegehrens gekommen ist, wäre für den Kläger die Rechtsfolge des Ergehens eines Prozeßurteils nur unter der Voraussetzung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§65 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. §56 FGO) vermeidbar gewesen. Im Streitfall kam eine Wiedereinsetzung jedoch nicht in Betracht, weil der Kläger weder in seinem Telefax vom 31. Juli 1996 noch in seinem Schreiben vom 14. August 1996 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat (§56 Abs. 1 FGO). Der im Schreiben vom 15. November 1996 gestellte Wiedereinsetzungsantrag des Klägers bezog sich ausschließlich auf die von ihm möglicherweise versäumte Frist nach §90 a Abs. 2 Nr. 3 FGO, innerhalb der er nach Ergehen des Gerichtsbescheids Antrag auf mündliche Verhandlung stellen mußte, damit dieser als nicht ergangen galt (§90 a Abs. 3 FGO).

Die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung ohne Antrag (§56 Abs. 2 Satz 4 FGO) lagen ebenfalls nicht vor. Ist ein ausdrücklicher Wiedereinsetzungsantrag nicht erforderlich, weil die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist, sind in dieser Frist die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorzutragen (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 329, m. w. N.; Beschluß vom 1. Juni 1992 V B 57/92, BFH/NV 1993, 249). Dies hat der Kläger in seinem Schreiben vom 14. August 1996 nicht getan.

2. Soweit nach der Beschwerde auch §79 Abs. 3 FGO verletzt sein soll, geht die Rüge schon deshalb ins Leere, weil das FG sein Urteil nicht auf diese Vorschrift gestützt hat. Im übrigen ist §79 b Abs. 3 FGO nicht auf die Ausschlußfrist i. S. des §65 Abs. 2 Satz 2 FGO entsprechend anwendbar (vgl. BFH- Beschluß vom 14. März 1995 VIII B 155/94, BFH/NV 1995, 908). Denn §79 b Abs. 3 Satz 1 FGO bezieht sich ausschließlich auf die nach §79 b Abs. 1 FGO gesetzte Frist zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren der Kläger sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach §79 b Abs. 1 FGO soll den rechtzeitigen Eingang einer minimalen Klagebegründung gewährleisten, welche gemäß §65 Abs. 1 Satz 3 FGO nicht zu den zwingenden Voraussetzungen einer Klage gehört (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 1997 IV R 84/95, BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462). Wird die Ausschlußfrist nach §65 Abs. 2 Satz 2 FGO versäumt, die sich ausschließlich auf die "Muß"-Erfordernisse einer Klage i. S. des §65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezieht, und sind auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben, so fehlt es an einer notwendigen Prozeßvoraussetzung. Die Klage ist endgültig unzulässig (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §65 FGO Tz. 7 S. 25) und daher durch Prozeßurteil abzuweisen.

3. Soweit der Kläger sinngemäß rügen wollte, das FG habe seine Klageschrift nicht sachgerecht ausgelegt und sie zu Unrecht nicht für eine genügende Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens i. S. von §65 Abs. 1 Satz 1 FGO ausreichen lassen, könnte diese Rüge bereits deshalb nicht durchgreifen, weil nach der Rechtsprechung des BFH die fehlerhafte Anwendung prozessualer Vorschriften grundsätzlich als materiell-rechtlicher Fehler (sog. error in iudicando) zu beurteilen ist (BFH-Beschlüsse vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448; vom 18. März 1994 III B 458/90, BFH/NV 1994, 882; vgl. auch Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Rz. 25 ff.).

4. Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne weitere Begründung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67480

BFH/NV 1998, 1362

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