Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung der Vollziehung ist bei Bescheiden, die einen Erlaßantrag ablehnen, nicht möglich.

2. Die in einem solchen Fall ergangene Entscheidung eines Gerichts über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung kann nicht dahin umgedeutet werden, daß das Gericht dadurch über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung entschieden habe.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 114

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer ist durch unanfechtbar gewordenen Bescheid des Beschwerdegegners vom 22. November 1963 zur Erbschaftsteuer in Höhe von X DM herangezogen worden. Wegen eines Teilbetrages von ursprünglich Y DM, zuletzt von Z DM, hat der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erlaß der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AO gestellt, den der Beschwerdegegner durch Bescheid vom 12. Februar 1964 ablehnte. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Gleichzeitig mit seiner gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung erhobenen Klage hat der Beschwerdeführer beim FG die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides beantragt. Das FG hat durch Beschluß vom 9. Juli 1970 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, weil eine summarische Prüfung der angefochtenen Beschwerdeentscheidung der OFD keinen Ermessensfehlgebrauch habe erkennen lassen, so daß keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes beständen.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Beschwerdeführer, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG die Aussetzung der Vollziehung der Einziehung der Restschuld aus dem Erbschaftsteuerbescheid vom 22. November 1963 anzuordnen. Der Beschwerdeführer trägt u. a. vor: Soweit in seinem Begehren in dem Verfahren zur Hauptsache eine Verpflichtungsklage erblickt werden sollte, so müsse die Entscheidung des FG vom 9. Juli 1970 in eine Entscheidung gemäß § 114 FGO umgedeutet werden (Beschluß des BFH III B 18/66 vom 18. November 1966, BFH 87, 335, BStBl III 1967, 142).

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Vorinstanz:

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache unter sinngemäßer Anwendung des Abs. 2 Satz 2 bis 4 die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt, der vollzogen werden kann. Das ist bei solchen Bescheiden der Fall, die dem Abgabenpflichtigen eine Leistungspflicht auferlegen oder Grundlage für eine Leistungspflicht sind. Demgegenüber ist aber eine Vollziehung von Bescheiden, durch die die Behörde eine Leistung ihrerseits gegenüber dem Abgabepflichtigen abgelehnt hat, schon begrifflich nicht möglich (ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. Urteil III 325/59 S vom 21. Juli 1961, BFH 73, 497, BStBl III 1961, 446; Beschluß I S 3/66 vom 26. April 1966, BFH 86, 55, BStBl III 1966, 359; Beschluß III B 18/66, a. a. O., und Beschluß III B 7/67 vom 16. Februar 1968, BFH 92, 28, BStBl II 1968, 443).

Soweit der Beschwerdeführer Nachteile von sich abwenden wollte, die er möglicherweise durch die Ablehnung seines Erlaßantrages zu gewärtigen hatte, konnte er dies allenfalls durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO erreichen. Der Beschwerdeführer hat aber weder einen solchen Antrag gestellt noch ist sein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in einen solchen nach § 114 FGO umzudeuten noch kann der Beschluß des FG in eine Entscheidung über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung umgedeutet werden.

Der BFH hat zwar in seinem Beschluß III B 18/66 (a. a. O.) ausgesprochen, daß die von einem Gericht ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung in bezug auf den zulässigen Rechtsbehelf dann als Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Anordnung anzusehen ist, wenn dies dem objektiven Gehalt der Entscheidung entspricht und diese auch gewollt war.

Die Entscheidung des III. Senats weicht jedoch von dem hier zu entscheidenden Fall in tatsächlicher Hinsicht insofern ab, als das FG die Aussetzung der Vollziehung ausgesprochen hatte. Außerdem war berücksichtigt, daß kurz nach Inkrafttreten der FGO das Institut der Aussetzung der Vollziehung und der einstweiligen Anordnung nicht bekannt war.

Die Entscheidung des FG vom 9. Juli 1970 kann nicht in eine Entscheidung über eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO umgedeutet werden. Das FG hat nämlich eindeutig erklärt, daß es über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung befinde und hatte im Rahmen seiner Prüfung die Voraussetzungen des § 69 FGO bejaht. Dies kam auch in der Entscheidungsformel des Beschlusses klar zum Ausdruck. Mit der Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts vorlagen, hat das Gericht die ganz anderen Voraussetzungen des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung indessen nicht geprüft. So hat das FG nicht untersucht, ob durch die Ablehnung des Erlaßantrags für den Antragsteller möglicherweise wesentliche Nachteile entstanden wären, die eine vorläufige Regelung zur Abwendung dieser erheischten. Auch die weiteren im Abs. 3 des § 114 FGO aufgeführten Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind vom FG nicht geprüft worden. Demnach hat das FG antragsgemäß über den Aussetzungsantrag im Rahmen des § 69 FGO befunden, wobei es geprüft hat, ob der ihm dargelegte Sachverhalt die Anwendung dieser Rechtsnorm rechtfertigte. Diese Entscheidung des FG ist wegen ihrer eindeutigen Aussage nicht auslegungsfähig. Sie wäre es allenfalls dann, wenn sie zu irgend welchen Zweifeln, was das Gericht wollte, Anlaß geben würde. Ist jedoch eine Entscheidung getroffen worden, die in ihrem Ausspruch eindeutig ist, so ist eine Umdeutung nicht möglich.

Der Beschluß des FG vom 9. Juli 1970 kann mithin nicht in eine Entscheidung über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung umgedeutet werden.

Es kann aber auch nicht der Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollziehung in einen solchen auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung umgedeutet werden mit der Folge, daß die Sache zurückverwiesen werden müßte, weil das FG über den insoweit anders auszulegenden Antrag noch nicht entschieden hätte. Der BFH hat zwar unter Berufung auf § 249 Abs. 1 Satz 4 AO a. F. und § 238 Abs. 1 Satz 4 AO n. F. ausgesprochen, es sei davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige immer den Antrag habe stellen wollen, der sachdienlich sei (vgl. Urteile IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957, BFH 66, 401, BStBl III 1958, 154; III 103/58 U vom 14. November 1958, BFH 68, 134, BStBl III 1959, 51; I 363/61 vom 2. Oktober 1963, HFR 1964, 177, und VII 229/64 vom 30. März 1965, HFR 1965, 380). Demgegenüber hat es der BFH stets abgelehnt, eine solche Umdeutung bei steuerberatenden Berufen oder Rechtsanwälten vorzunehmen (vgl. Urteile III 342/57 U vom 10. Januar 1958, BFH 66, 310, BStBl III 1958, 119; VI 211/58 vom 27. November 1959, HFR 1961, 39, und II 76/63 vom 24. Juni 1964, HFR 1965, 177). Von solch rechtskundigen Personen kann verlangt werden, daß sie den Rechtsbehelf wählen oder den Antrag stellen, der dem Gesetz entspricht.

Die Beschwerde konnte hiernach keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557279

BStBl II 1970, 813

BFHE 1971, 83

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