Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung bei Erledigung eines Beschwerdeverfahrens; Ablehnung eines Sachverständigen

 

Leitsatz (NV)

1. Erledigt sich das Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts, einen Sachverständigen nicht wegen Befangenheit abzulehnen, ist über die Kosten des Beschwerdeverfahrens in entsprechender Anwendung des § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden.

2. Der Antrag, einen Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen, kann begründet sein, wenn der Sachverständige in einem Arbeitsverhältnis oder ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Beteiligten steht.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1, §§ 82, 51; ZPO § 406 Abs. 1, § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin unterhielt in den Streitjahren einen Gewerbebetrieb. Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - ) schätzte nach einer Betriebsprüfung die Gewinne für die Streitjahre 1974 bis 1979 und die Umsätze für die Streitjahre 1974 bis 1978. Im Klageverfahren beschloß das Finanzgericht (FG) über die Höhe der Gewinne und Umsätze durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben; zum Sachverständigen bestellte das FG den Oberamtsrat X, tätig bei einem FA für Großbetriebsprüfung in der Stadt, in der auch das beklagte FA liegt. Die Kläger beantragten, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen; sie begründeten den Antrag damit, daß der Sachverständige der Finanzverwaltung angehöre und daß es während des Verwaltungsverfahrens zwischen ihnen und der Finanzbehörde zu Auseinandersetzungen gekommen sei. Das FG lehnte den Antrag ab. Nach Einlegung der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hatte, änderte das FG durch Beschluß vom 22. April 1988 den Beweisbeschluß; es hob die Bestellung des Sachverständigen Oberamtsrat X mit der Begründung auf, dieser sei infolge dienstlicher Belastung in absehbarer Zeit nicht in der Lage, das erbetene Gutachten zu erstellen.

Die Kläger erklären die Hauptsache für erledigt und beantragen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem FA aufzuerlegen.

Das FA beantragt, mit den Kosten des erledigten Verfahrens die Kläger zu belasten.

 

Entscheidungsgründe

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind dem FA aufzuerlegen.

Nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist; ist ein Rechtsstreit dadurch erledigt worden, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben worden ist, so hat nach § 138 Abs. 2 FGO die Finanzbehörde die Kosten zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 FGO liegen hier schon deshalb nicht vor, weil nicht das FA, sondern das FG seine Entscheidung, nämlich den Beweisbeschluß, geändert hat. Auch die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 FGO treffen nach seinem Wortlaut auf den Streitfall nicht zu; denn durch die Änderung des Beweisbeschlusses ist nicht die Hauptsache - der Rechtsstreit über die angefochtenen Steuerbescheide ist noch anhängig -, sondern nur das Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluß des FG, den Sachverständigen nicht wegen Befangenheit abzulehnen, erledigt worden. Jedoch ist die Vorschrift des § 138 Abs. 1 FGO auf diesen Fall entsprechend anzuwenden. Das in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Prinzip muß entsprechend seinem Sinn auch gelten, wenn sich die Beschwerde in einem Verfahren wegen Ablehnung eines Sachverständigen ohne gleichzeitige Erledigung der Hauptsache erledigt hat.

Die Beteiligten haben das Beschwerdeverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hat das FA die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Kläger konnten gemäß § 82 FGO i. V. m. § 406 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aus den selben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen (§ 51 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO), die Ablehnung des vom FG bestellten Sachverständigen beantragen. Die Ablehnung eines Sachverständigen ist schon zu billigen, wenn ein Beteiligter aus seiner Perspektive gesehen besorgt sein kann, daß der Sachverständige nicht objektiv ist, mag er auch tatsächlich objektiv sein (Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 406 Anm. A III; Zöller, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 406 Anm. 8; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 15. April 1975 X ZR 52/73, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 1363). Demnach kann ein Ablehnungsantrag begründet sein, wenn der Sachverständige in einem Arbeitsverhältnis oder ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einer Partei (einem Beteiligten) steht (Wieczorek, a.a.O., 2. Aufl., § 406 Anm. A III a 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 406 Anm. 2 B; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., S. 767; Stein/Jonas, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 406 Anm. I 4; Zöller, a.a.O., 15. Aufl., § 406 Anm. 8; Oberlandesgericht - OLG - Hamburg, Beschluß vom 11. Februar 1983 1 W 4/83, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1983, 412). Für diese Auffassung sprechen auch die Ausführungen des nicht veröffentlichten (NV) Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Juli 1981 IV R 137/78: ,,Wenn das FG meint, das FA hätte sich zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens eines landwirtschaftlichen Fachprüfers der Finanzverwaltung bedienen können, wodurch Zeit und Kosten erspart worden wären, so übersieht es, daß solche gutachtlichen Stellungnahmen eines sachkundigen Beamten der Finanzverwaltung nicht den Beweiswert des Gutachtens eines unabhängigen Sachverständigen besitzen und deshalb von der Gegenpartei in der Regel nicht anerkannt werden." Die gegenteilige Ansicht kann nicht auf die BFH-Entscheidungen vom 30. Juni 1965 VI 248/64 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 537) und vom 18. Februar 1966 VI 326/65 (BFHE 85, 535, BStBl III 1966, 496) gestützt werden, in denen der BFH die Beauftragung eines Fachprüfers der Finanzverwaltung zur Überprüfung des Zustands der Buchführung eines Steuerpflichtigen im finanzgerichtlichen Verfahren für zulässig gehalten hat; denn in beiden Fällen lagen keine Befangenheitsanträge der betroffenen Steuerpflichtigen vor.

Bei dieser Rechtslage waren entsprechend den Grundsätzen des § 138 Abs. 1 FGO - unabhängig davon, ob die Beschwerde letztlich Erfolg gehabt hätte - nach billigem Ermessen die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem FA aufzuerlegen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 121

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