Leitsatz (amtlich)

1. Werden die Richter des Senats eines Finanzgerichts in Bayern wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil die Richter der Finanzgerichte in Bayern der obersten Dienstaufsicht des Bayer. Staatsministers der Finanzen unterstünden und sie von ihm ernannt und befördert würden, so handelt es sich um Ablehnungsgründe allgemeiner Natur, die die nicht ordnungsmäßige Besetzung der Richterbank betreffen und grundsätzlich nicht in dem durch die Vorschriften der §§ 51, 128 FGO in Verbindung mit den §§ 41 bis 49 ZPO sachlich beschränkten Beschwerdeverfahren verfolgt werden können.

2. Ein allgemeiner Grund kann ausnahmsweise zur Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit unter der Voraussetzung anerkannt werden, daß er sich in der persönlichen Haltung des Richters auf Grund von Tatsachen individuell verdichtet hat.

2. Zwischen dem Irrtum eines Richters und der Befangenheit besteht ein substantieller Unterschied, so daß der Irrtum einen individuellen Ablehnungsgrund nicht zu rechtfertigen vermag.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 128; ZPO §§ 41-42, 45 Abs. 1; Bayer. Gesetz zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung vom 23. Dezember 1965 Art. 2-3

 

Tatbestand

Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung der hauptamtlichen Richter des X. Senats des FG Nürnberg wegen Besorgnis der Befangenheit.

Im Jahre 1961 hat der Bf. in einer Baulandsteuersache Sprungberufung eingelegt und gebeten, den Streitfall zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 172 des Bundesbaugesetzes nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG vorzulegen. Die damalige X. Kammer des FG Nürnberg folgte im Ergebnis diesem Antrag nicht, sondern setzte durch Beschluß vom 26. April 1963 die Entscheidung über die Berufung aus. Im Dezember 1965 wandte sich die Kammer an das Hessische FG in Kassel und bat unter Bezugnahme auf einen in der Zeitschrift "Steuer und Finanzen" (1965, 335) veröffentlichten Erlaß des Hessischen Finanzministers vom 4. Oktober 1965 um Auskunft, auf Grund welcher Überlegungen seine Normenkontrollvorlage an das BVerfG zurückgenommen worden sei bzw. welche Rechtsauffassungen der zuständige Berichterstatter des angerufenen Senats am BVerfG in dem der Zurücknahme vorhergegangenen Schriftwechsel geäußert habe. In dem Erwiderungsschreiben faßte das Hessische FG die Begründung des BVerfG kurz dahin zusammen, daß die behaupteten unsozialen Auswirkungen der Baulandsteuer zahlenmäßig nicht untermauert seien und sich die Belastung der Steuerpflichtigen durch die Beschränkung der Geltungsdauer der Baulandsteuer auf zwei Jahre erheblich gemindert habe. Daraufhin erging unter dem 14. Dezember 1965 an den Bf. folgendes Schreiben:

"Nach mehrfachen Mitteilungen der Fachpresse, u. a. in der Zeitschrift 'Steuern und Finanzen' Heft 13, 1965, Seite 335, hat das Bundesverfassungsgericht die Annahme der Verfassungsbeschwerden, die die Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer betreffen, im Vorprüfungsverfahren nach § 93a Bundesverfassungsgerichtsgesetz abgelehnt. Ich nehme an, daß sich unter diesen abgelehnten Verfassungsbeschwerden auch diejenige des Berufungsführers befindet.

Außerdem sind die von einigen Finanzgerichten eingeleiteten Normenkontrollverfahren (Art. 100 GG) durch Rücknahme der entsprechenden Vorlagen erledigt worden. Diesen Rücknahmen sind nach Sachlage entsprechende Belehrungen seitens des Bundesverfassungsgerichts vorausgegangen. Nach den Erkundigungen des FG Nürnberg lauteten die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegen die Normenkontrollvorlage des Hessischen FG Kassel (vgl. EFG 1963 Seite 417) u. a. :

1. Das FG hätte die behaupteten unsozialen Auswirkungen der Baulandsteuer zahlenmäßig untermauern müssen.

2. Da die Baulandsteuer nur zwei Jahre bestanden habe, mildere sich die Belastung der Steuerpflichtigen erheblich.

Das mit Beschluß des FG Nürnberg vom 26. April 1963 ausgesetzte Berufungsverfahren wird hiermit fortgesetzt.

Im Hinblick auf den Ausgang der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht werden Sie bis 28. Dezember 1965 um Mitteilung ersucht, ob Sie die Berufung noch aufrechterhalten wollen."

Gegen dieses Schreiben wandte sich der Bf. am 17. Januar 1966 und erklärte, er lehne die Richter des FG nach § 51 FGO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 und 2 ZPO wegen Befangenheit ab. Auf den Hinweis des X. Senats des FG Nürnberg (bisherige X. Kammer), nach der Rechtsprechung des früheren Reichsgerichts könne nur ein bestimmter Richter persönlich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, erklärte der Bf., die Ablehnung der Befangenheit beziehe sich auf die namentlich bezeichneten hauptamtlichen Richter A., B. und C. Seinen Ablehnungsantrag begründete er mit dem Hinweis, der Auftrag zur Schaffung unabhängiger FG sei nicht erfüllt, wenn ein Land die FG seines Gebiets der Dienstaufsicht des Landesfinanzministers unterstelle. Dies sei in Bayern geschehen. Dadurch sei ein verfassungswidriger Zustand geschaffen worden. Der in Art. 20 Abs. 2 GG aufgestellte Grundsatz der Dreiteilung der Staatsgewalt sei verletzt. Unabhängigkeit bedeute nicht nur Freistellung von Weisungen, sondern auch Schutz vor mittelbarer Beeinflussung. Eine solche dürfe weder objektiv noch subjektiv möglich sein. Auch dürfe die Öffentlichkeit keinen Grund haben, eine solche Möglichkeit in Betracht zu ziehen und damit die Unabhängigkeit des Richters zu bezweifeln. Nicht nur die richterliche Weisungsfreiheit als solche, sondern auch die psychologischen Voraussetzungen dieser Freiheit seien für die richterliche Unabhängigkeit von entscheidender Bedeutung. Die Voraussetzungen der Befangenheit der in der vorliegenden Sache urteilenden Richter seien gegeben. Aus den Mitteilungen und Maßnahmen, die der BdF über die einzelnen Landesfinanzminister ergriffen habe, um eine schnelle Abwicklung der Restbaulandsteuer 1961/62 herbeizuführen, gehe hervor, daß die Art der Unterrichtung geeignet gewesen wäre, falsche Voraussetzungen über die rechtliche Beurteilung der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer bei den Behörden und Gerichten hervorzurufen. Was der Bf. zum Nachweis seiner Ausführungen im einzelnen ausführt, betrifft jedoch ausschließlich das FG München und nicht das FG Nürnberg.

Die hauptamtlichen Richter des X. Senats des FG Nürnberg haben sich dienstlich dahin geäußert, daß sie sich nicht für befangen halten, auch nicht aus den von dem Bf. ausdrücklich geltend gemachten Gründen.

Der X. Senat des FG Nürnberg hat durch Beschluß vom 31. Januar 1967 den Ablehnungsantrag abgewiesen. Er führte u. a. aus: Die Ablehnung aller oder vieler Richter eines Gerichts oder Spruchkörpers sei ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts. Der Bf. habe zwar seinen ursprünglichen Antrag vom 17. Januar 1966, mit dem er alle Richter des FG Nürnberg als befangen abgelehnt habe, auf die nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG zuständigen drei hauptamtlichen Richter des X. Senats unter Namensnennung beschränkt, den auf alle Richter des FG zutreffenden allgemeinen Ablehnungsgrund aber aufrechterhalten. Danach sei jeder einzelne Richter so lange als befangen anzusehen, als er der Dienstaufsicht des Bayerischen Staatsministers der Finanzen unterstehe. Die Ablehnung werde also nicht aus dem persönlichen Verhalten der drei Richter abgeleitet. Mit der Aufrechterhaltung des auf alle Richter des FG zutreffenden allgemeinen Ablehnungsgrundes bezwecke der Bf. in Wahrheit eine Aufhebung bzw. eine Änderung der im Bayerischen Gesetz zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung - AGFGO - vom 23. Dezember 1965 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt - BayGVBl - 1956, 357) enthaltenen Vorschriften über die Dienstaufsicht durch den Bayerischen Staatsminister der Finanzen und gleichzeitig eine Änderung in der Ressortierung der FG. Eine solche Änderung könne aber nur auf dem Gesetzgebungswege, ggf. nach vorheriger Ausschöpfung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfe, herbeigeführt werden. Wenn der Bf. dieses Ziel sachwidrig auf dem Wege über die Ablehnung jedes Richters des FG, d. h. also über einen erzwungenen Stillstand der Rechtsprechung am FG erreichen wolle, so mißbrauche er sein Ablehnungsrecht. Eine auch nur vorübergehende Lähmung der Rechtsprechung stehe außer jedem Verhältnis zu den geltend gemachten allgemein gehaltenen Überlegungen zur Rechtfertigung der Ablehnung. Aus diesen Gründen seien die abgelehnten Richter auch befugt, selbst über den Ablehnungsantrag zu entscheiden. In der Sache selbst habe es der Bf. unterlassen, substantiiert darzutun, daß die von ihm abgelehnten Richter bei ihren Sachentscheidungen durch Organe der Finanzverwaltung beeinflußt worden seien oder daß sie infolge der Unterstellung des FG unter die Dienstaufsicht des Bayerischen Staatsministers der Finanzen dem Bf. gegenüber bewußt oder unbewußt abgeneigt seien. Im vorliegenden Verfahren sei nicht der Bayerische Staatsminister der Finanzen, sondern das FA Prozeßgegner. Im übrigen sei der im GG festgelegte Grundsatz der Trennung der Gewalten auch im Grundsätzlichen nicht streng durchgeführt. Gleichgültig, welchem Ministerium die FG auch unterstellt würden, mindestens für die Personalverhältnisse der Richter würden Organe der Exekutive immer zuständig bleiben.

Mit der Beschwerde macht der Bf. geltend, der X. Senat des FG Nürnberg habe in seinem Schreiben vom 14. Dezember 1965 ohne eigene Rechtsprüfung eine Stellungnahme der höchsten Finanzbehörden des Bundes und des Landes sich zu eigen gemacht, obwohl die von ihnen dargestellte Rechtslage außerordentlich bedenklich erscheine. Der Beschluß des FG vom 14. Dezember 1965 habe den Eindruck hervorgerufen, das Klagebegehren sei auf Grund einer Sachentscheidung des BVerfG aussichtslos. Auf § 93a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) sei in einer Form und Weise Bezug genommen worden, daß dadurch die Möglichkeit von Irrtümern hervorgerufen werde. Der Gleichklang des Inhalts des Schreibens vom 14. Dezember 1965 mit den seit September 1965 erlassenen Ministerialentschließungen, der die Dienstaufsicht über das FG Nürnberg führenden Finanzbehörden, denen offensichtlich eine "praktikable" Lösung der Abwicklung der Baulandsteuer 1961/62 mehr am Herzen liege als eine echte Aufklärung der Betroffenen, müsse die dem Staat gegenüberstehenden Parteien schockieren und ihnen den Glauben an die objektive Unabhängigkeit der Richter nehmen.

Der X. Senat des FG Nürnberg hat durch Beschluß vom 9. März 1967 der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

I.

In Übereinstimmung mit der Auffassung des FG ist eine Ablehnung aller Richter eines Gerichts, eines Senats oder einer Kammer insbesondere dann unzulässig, wenn die Namen der Richter im einzelnen nicht genannt werden. Eine solche Art der Ablehnung ist eine mißbräuchliche Ausnutzung eines an sich begrenzten Rechts, dessen unbegrenzter Gebrauch aber eine Lahmlegung der Gerichte in ihrer Rechtsprechungsfunktion zur Folge haben müßte, was nicht Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts ist (vgl. BVerfGE 11, 1 [5]; 11, 343 [348]; Entscheidung des Reichsgerichts in Zivilsachen - RGZ - vom 15. November 1935, Juristische Wochenschrift - JW - 1936, 810, Nr. 24; RGZ vom 19. August 1935, VII Warn. 152; RGZ vom 17. Juni 1918, VI Warn. 146; Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen - RGSt - 27, 175; 56, 49; RGSt JW 1924, 1252, Nr. 9). Im Streitfall hat aber der Bf., um der Ablehnung seines Antrags aus diesem Grunde zu begegnen, die Ablehnung auf die hauptamtlichen Richter des X. Senats des FG Nürnberg beschränkt, die Namen dieser Richter im einzelnen genannt und erklärt, bei jedem dieser Richter liege die Besorgnis der Befangenheit vor, weil er der Dienstaufsicht des Bayerischen Staatsministers der Finanzen unterliege. Der Vorwurf des Mißbrauchs des Ablehnungsrechts durch Ablehnung aller Richter des FG Nürnberg ohne Namensnennung im einzelnen kann dem Bf. deshalb nicht mehr gemacht werden.

II.

Nach § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, welchem der abgelehnte Richter angehört. Ist das Gericht durch das Ausscheiden der abgelehnten Richter beschlußunfähig geworden, entscheidet das im Instanzenzuge zunächst höhere Gericht. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift hätte verfahrensrechtlich über die Ablehnung der hauptamtlichen Richter des X. Senats der BFH zu entscheiden gehabt. Der X. Senat hat unter Berufung auf den Beschluß des BVerfG 2 BvR 36/60 vom 22. Februar 1960 (BVerfGE 11, 1 [5]) selbst entschieden, weil er den Antrag des Bf. als einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts angesehen hat. Die Frage, ob dies zulässig war, kann jedoch im Streitfall dahingestellt bleiben. Durch die Beschwerdeentscheidung des BFH ist der Mangel, falls ein solcher vorgelegen haben sollte, als geheilt anzusehen. Im übrigen hat der Bf. das angewandte Verfahren nicht gerügt.

III.

Eine Ablehnung eines Richters ist nur zulässig, wenn gegen ihn berechtigte Ablehnungsgründe vorgebracht werden. Werden gleichzeitig mehrere oder alle Richter eines Senats oder einer Kammer unter namentlicher Benennung abgelehnt, so muß ein berechtigter Ablehnungsgrund gegen jeden einzelnen Richter vorgebracht werden. Die Ablehnung kann nach § 42 Abs. 1 ZPO entweder darauf gestützt werden, daß der Richter von der Ausübung seines Amts ausgeschlossen sei, als auch auf die Besorgnis seiner Befangenheit. Während es sich in den Fällen der Ausschließung nach § 41 ZPO um fest umrissene klare Tatbestände handelt, ist der Tatbestand der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vom Gesetzgeber im einzelnen begrifflich nicht erläutert worden. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist unter Befangenheit ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache beeinträchtigt. Da es sich hierbei um einen inneren Zustand im Menschen handelt, ist er für einen Dritten nicht unmittelbar einsichtig und feststellbar und kann deshalb in der Regel auch nicht unmittelbar bewiesen werden. Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO mußte sich daher darauf beschränken, zu verlangen, es müsse ein Grund vorhanden sein, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Der einen Richter Ablehnende muß danach einen vernünftigen Grund für die Annahme haben, daß sich der Richter aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von falschen Rücksichten leiten lasse (vgl. RGSt 55, 57; 60, 44; 61, 69; RGSt JW 1912, 943). Ein Umstand ist deshalb nach § 42 ZPO dann kein Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn er individuell nicht begrenzt, sondern so allgemeiner Natur ist, daß er seine Besonderheit und Eigenart für den einzelnen verloren hat. Es können deshalb Umstände, wie die Staatsangehörigkeit des Richters, seine Rassenzugehörigkeit, seine Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht, seine Zugehörigkeit zu einer Konfession oder zu einer politischen Partei wegen ihrer Allgemeinheit grundsätzlich nicht als Ablehnungsgrund geltend gemacht werden (vgl. im einzelnen Wieczorek, Zivilprozeßordnung, 1957, 1. Buch, Anmerkung B II b zu § 42). Ein allgemeiner Grund kann aber ausnahmsweise zur Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit unter der Voraussetzung anerkannt werden, daß sich der allgemeine Grund zu einem individuellen Grund verdichtet hat. Damit dies angenommen werden kann, müssen in der persönlichen Haltung des Richters einzelne Tatsachen vorliegen, die als individuelle Ablehnungsgründe anerkannt werden können (vgl. RGSt Deutsche Richterzeitung - DRiZ - Rechtsprechung 31/627, 781, und im übrigen Wieczorek, a. a. O.). Die von dem Bf. unter Berufung auf Art. 2 und 3 Bay. AGFGO (a. a. O.) geltend gemachten Ablehnungsgründe, daß die Richter der FG in Bayern der obersten Dienstaufsicht des Bayerischen Staatsministers der Finanzen unterstünden und sie von ihm zum Richter ernannt und befördert würden, sind grundsätzlich allgemeiner Natur, betreffen alle Richter in Bayern und beschränken sich deshalb nicht individuell auf einen einzelnen Richter, somit auch nicht auf die einzelnen hauptamtlichen Richter des X. Senats des FG Nürnberg. Allgemeine Einwendungen dieser Art haben eine Verletzung des GG zum Gegenstand, betreffen die nicht ordnungsmäßige Besetzung der Richterbank und können grundsätzlich nicht in dem durch die Vorschriften der §§ 51, 128 FGO in Verbindung mit §§ 41 bis 49 ZPO sachlich beschränkten Beschwerdeverfahren verfolgt werden.

IV.

Im Streitfall muß deshalb die Prüfung darauf erstreckt werden, ob sich der geltend gemachte allgemeine Grund, daß der Bayerische Staatsminister der Finanzen die Dienstaufsicht über die Präsidenten der bayerischen FG ausübe, bei jedem einzelnen hauptamtlichen Mitglied des X. Senats zu einem individuellen, die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigenden Grund verdichtet hat. Um dies in ausreichendem Maße beurteilen zu können, muß auf den Aussetzungsbeschluß vom 26. April 1963, bei dem die beamteten Richter A. und B. mitgewirkt haben, zurückgegriffen werden. In dem Aussetzungsbeschluß wurde ausgeführt, es bestehe, auch ohne daß von dem FG Nürnberg ein Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG beantragt werden müsse, die Möglichkeit einer Sachentscheidung des BVerfG über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer. Der Ausgang des Verfahrens vor dem BVerfG sei unter diesen Umständen von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die beim FG anhängige Sprungberufung. Da wichtige Interessen des Bf. einer Aussetzung des Verfahrens nicht entgegenstünden, seien die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 264 AO a. F. gegeben. Aus dieser Begründung zu dem Aussetzungsbeschluß läßt sich, auch wenn dem Antrag des Bf. auf Einleitung eines Normenkontrollverfahrens nicht gefolgt wurde, einwandfrei entnehmen, daß die damalige X. Kammer des FG Nürnberg nach Ergehen des Urteils des BVerfG eine Sachentscheidung in der Sprungberufungssache treffen wollte. Nach diesem Beschluß erging in der Baulandsteuersache 1961/62 als erste an den Bf. gerichtete Äußerung der damaligen X. Kammer das Schreiben vom 14. Dezember 1965, das unmittelbar den Anlaß des Ablehnungsantrags gab. Dieses Schreiben hatte den verfahrensmäßigen Zweck, dem Bf. mitzuteilen, das ausgesetzte Berufungsverfahren werde hiermit fortgesetzt. Die Begründung über die Fortsetzung des Verfahrens ist in den Absätzen 1 und 2 des Schreibens vom 14. Dezember 1965 zu sehen. Im ersten Absatz wird auf die mehrfachen Mitteilungen in der Fachpresse Bezug genommen, nach denen die Annahme der Verfassungsbeschwerden, die die Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer betreffen, im Vorprüfungsverfahren nach § 93a BVerfGG abgelehnt worden seien. Dabei wird insbesondere auf den in der Zeitschrift "Steuern und Finanzen" abgedruckten Erlaß des Hessischen Finanzministers vom 4. Oktober 1965 hingewiesen. Dieser Erlaß gibt u. a. die für den oberflächlichen Leser mißverständliche Äußerung des BdF wieder und enthält die Weisung an die FÄ, nunmehr über die Einsprüche im Sinne einer Bejahung der Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer zu entscheiden. Der Hessische Finanzminister weist am Schluß seines Erlasses aber auch darauf hin, abzuwarten, wie der BFH zur materiellen Frage über die Rechtsbeschwerden entscheiden werde. Es handelt sich dabei um einen an sich selbstverständlichen Hinweis, daß die Rechtsprechung an die Auffassung der Finanzverwaltung nicht gebunden ist und selbständig und unabhängig davon die materielle Rechtmäßigkeit der Baulandsteuersache nachzuprüfen habe. Der Hinweis der damaligen X. Kammer auf diesen Erlaß dem Bf. gegenüber kann für diesen im Hinblick auf die letzterwähnte Äußerung des Hessischen Finanzministers kein Beweis dafür sein, die Kammer wolle in Abweichung von der ihr durch das GG gegebenen unabhängigen Stellung zugunsten einer verwaltungsfreundlichen Auffassung die Berufung in praktikabler Weise zu einem raschen Abschluß bringen. Außer auf den Erlaß des Hessischen Finanzministers weist die damalige X. Kammer auf die Mitteilungen in der Fachpresse hin. In diesem Hinweis liegt die Feststellung der Kammer, daß ihr über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden nach § 93a BVerfGG durch das Bundesverfassungsgericht kein authentisches Material vorliege. Um Zweifel darüber auszuschließen, ob die Mitteilungen in der Fachpresse die Bescheide des BVerfG richtig wiedergegeben haben, verweist die damalige X. Kammer den Bf. ausdrücklich auf den Bescheid des BVerfG, den dieser in seiner eigenen Beschwerdesache von dem BVerfG wohl erhalten habe. Damit hat die damalige X. Kammer die Aufmerksamkeit des Bf. auf das entscheidende authentische Material gelenkt, anhand dessen er die Richtigkeit der Mitteilungen in der Fachpresse nachzuprüfen in der Lage war. Durch Vorlage dieses Bescheides hätte der Bf. jederzeit Unrichtigkeiten oder Ungenauigkeiten in den Mitteilungen der Fachpresse, auf die sich zu stützen die damalige X. Kammer mangels anderer erreichbarer Unterlagen gezwungen sah, dieser gegenüber jederzeit richtigstellen können.

Der Schwerpunkt des Vorwurfs des Bf. liegt aber darin, daß die damalige X. Kammer die Stellungnahme der höchsten Finanzbehörden des Bundes und des Landes "ohne eigene Rechtsprüfung" sich zu eigen gemacht habe. Daß diese Behauptung des Bf. unrichtig ist, ergibt sich auch ohne Kenntnis der Akten des FG unmittelbar aus dem 2. Absatz des Schreibens vom 14. Dezember 1965. Darin wird ausdrücklich auf "Erkundigungen des FG Nürnberg" Bezug genommen. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, beziehen sich diese auf Nachforschungen bei dem Hessischen FG in Kassel. In dem Abs. 2 des Schreibens vom 14. Dezember 1965 werden die Bedenken des BVerfG gegen die Normenkontrollvorlage dieses Gerichts in zwei Punkten zusammengefaßt. Daraus konnte der Bf. unschwer entnehmen, daß sich die damalige X. Kammer mit den Mitteilungen in der Fachpresse und mit dem Erlaß des Hessischen Finanzministers nicht zufrieden gegeben hat, sondern daß es ihr darauf ankam, sich authentisches Material zu beschaffen. Zu diesem Zweck hat es sich aber nicht, wie nach den Ausführungen des Bf. vermutet werden müßte, an den Bayer. Staatsminister der Finanzen oder an eine diesem nachgeordnete Verwaltungsdienststelle gewandt. Damit hat die damalige X. Kammer auch einwandfrei bewiesen, daß sie an Äußerungen und Weisungen der obersten Bundes- und Landesfinanzbehörden, die nur für die nachgeordneten Verwaltungsdienststellen bestimmt waren, nicht interessiert war und sich an sie auch nicht gebunden gefühlt hat.

Im letzten Absatz des Schreibens vom 14. Dezember 1965 ersucht die damalige X. Kammer den Bf. um Mitteilung, ob er die Berufung aufrecht erhalten wolle. Eine solche Aufforderung braucht nicht von vornherein für bedenklich angesehen zu werden. Im Streitfall lag zwischen dem Aussetzungsbeschluß vom 26. April 1963 und dem Schreiben vom 14. Dezember 1965 über die Fortsetzung des Verfahrens ein Zeitraum von über 2 1/2 Jahren. Während eines so langen Zeitraums können in der Person eines Steuerpflichtigen immer Umstände eintreten, die ihm Veranlassung geben könnten, das Verfahren nicht mehr fortzusetzen. Die Aufforderung als solche, sich über die Aufrechterhaltung der Berufung zu äußern, ist unter solchen Umständen eine nicht zu beanstandende sinnvolle prozessuale Handlung. Im Streitfall hat sich aber die damalige X. Kammer auf die Aufforderung, sich zu äußern, nicht beschränkt und auch nicht auf die Aufforderung, die Zurücknahme der Berufung im Hinblick auf den langen inzwischen abgelaufenen Zeitraum zu erwägen, was ebenfalls unbedenklich gewesen wäre, sondern "im Hinblick auf den Ausgang der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht". Ein solcher Hinweis könnte, wenn er ohne den Zusammenhang mit den vorausgegangenen Ausführungen isoliert beurteilt wird, so ausgelegt werden, daß der Ausgang der Verfahren vor dem BVerfG aus sachlichen Gründen erfolglos gewesen sei und daß sich deshalb die Zurücknahme der Berufung wegen ihrer Aussichtslosigkeit empfehle. Der Bf. glaubt, daß nur in diesem Sinn die Aufforderung sich zu äußern, verstanden werden könne. Werden aber die Eingangsworte im letzten Absatz des Schreibens vom 14. Dezember 1965 im Zusammenhang mit den Abs. 1 und 2 dieses Schreibens gesehen, müssen sie so verstanden werden, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer noch offen ist, und daß darüber auch entschieden werden muß, wenn das Verfahren fortgesetzt wird. Vom objektiven Standpunkt aus gesehen, ist bei einer solchen Auslegung der ergangene Hinweis nicht zu beanstanden. Aber selbst dann, wenn die Richter der damaligen X. Kammer, insbesondere der Verfasser des Schreibens vom 14. Dezember 1965, der hauptamtliche Richter B., der Meinung gewesen wären, das BVerfG habe im Verfahren nach § 93a BVerfGG die Beschwerden als offensichtlich unbegründet bezeichnet, so hätten sich die Richter der damaligen X. Kammer unzweifelhaft subjektiv in einem Irrtum befunden. Zwischen dem Irrtum eines Richters und der Befangenheit eines Richters besteht aber ein substantieller Unterschied. Eine subjektiv irrige Auffassung ist deshalb noch kein hinreichender Grund, die Besorgnis der Befangenheit der urteilenden Richter anzunehmen. Dafür, daß die Richter der X. Kammer über eine möglicherweise irrtümliche Beurteilung des Ausgangs der Verfahren vor dem BVerfG hinaus auch die Absicht gehabt hätten, nicht sachlich über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Baulandsteuer zu entscheiden, sondern unabhängig von ihrer richterlichen Überzeugung oder im klaren Gegensatz dazu den Bf. zu einer für die Finanzverwaltung praktikablen Lösung zu veranlassen, hat der Bf. keine einzelnen Tatsachen angeführt. Der offenbar versehentliche Hinweis auf Vorgänge beim FG München ginge jedenfalls vollständig fehl. Im Streitfall ist aber von besonderer Bedeutung, daß weder der Bayer. Staatsminister der Finanzen noch eine ihm nachgeordnete Bayer. Finanzverwaltungsbehörde der damaligen Kammer gegenüber in irgendeiner Form tätig geworden ist. Von einer Entschließung des Bayer. Staatsministers der Finanzen ist deshalb nie die Rede, sondern immer nur von dem Erlaß des Hessischen Finanzministers, der aber keinesfalls eine Dienstaufsicht über das FG Nürnberg auszuüben berechtigt ist. Schließlich ist der hauptamtliche Richter C bis zur Beschlußfassung über den Ablehnungsantrag mit der Sache überhaupt noch nicht befaßt gewesen. Der Antrag des Bf., die Richter des X. Senats des FG Nürnberg wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist deshalb in vollem Umfang unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412695

BStBl II 1968, 12

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