Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage an EuGH: Nichtberücksichtigung ausländischer Verluste aus Vermietung und Verpachtung gemeinschaftsrechtswidrig?

 

Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH werden die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Widerspricht es Art. 43 und Art. 56 EG, wenn eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person, die hier Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, in Deutschland Verluste aus Vermietung und Verpachtung, die in einem anderen Mitgliedstaat entstehen, bei der Einkommensermittlung nicht abziehen kann?

2. Für den Fall, dass diese Frage zu verneinen ist: Widerspricht es Art. 43 und Art. 56 EG, wenn die erwähnten Verluste nicht im Wege des sog. negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden können?

 

Normenkette

EStG 1987 § 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 21 Abs. 2 S. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 21 S. 2; DBA FRA Art. 3 Abs. 1, 4 S. 1, Art. 20 Abs. 1 Buchst. a S. 1; EGVtr Art. 52, 73b (jetzt Art. 56 EG)

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.05.2001; Aktenzeichen 1 K 1148/01)

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 21.02.2006; Aktenzeichen C-152/03)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt und Streitstand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1987 als gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1987) unbeschränkt steuerpflichtige Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (als Lehrer an einem Gymnasium), wohnten aber in einem in Frankreich belegenen eigenen Einfamilienhaus.

Die Kläger begehren die Berücksichtigung negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wegen der Selbstnutzung des Einfamilienhauses (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1987) im Wege des sog. negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte das unter Hinweis auf § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 ab.

Das Finanzgericht (FG) folgte dem FA und wies die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 als unbegründet ab. Es bezog sich dabei auf das Senatsurteil vom 17. Oktober 1990 I R 182/87 (BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136, dort unter IV.). Eine gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung der Kläger scheide schon deswegen aus, weil Inländer entsprechende Auslandsverluste ebenfalls nicht ausgleichen und hierfür ebenfalls nicht den negativen Progressionsvorbehalt in Anspruch nehmen könnten.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des angefochtenen Steuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der Bemessung des Steuersatzes zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Rechtslage nach deutschem Recht

Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im Tenor genannten Vorlagefragen abhängig. Sofern diese Fragen zu bejahen sind, muss das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und der Klage entsprochen werden. Sind die Fragen zu verneinen, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen: Der negative Nutzungswert aus der Eigennutzung des in Frankreich belegenen Einfamilienhauses der Kläger (§ 21 Abs. 2 Satz 1 EStG 1987) gehört sowohl zu den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen i.S. des Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA-Frankreich) als auch zu den Einkünften i.S. des § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 (1. und 2.a). Er ist abkommensrechtlich steuerfrei und geht deswegen nicht in die Steuerbemessungsgrundlage ein (1.). Seiner Wirkungsweise nach beschränkt § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 den steuermindernden Ausgleich der von der Vorschrift erfassten negativen ausländischen Einkünfte auch im Hinblick auf den negativen Progressionsvorbehalt (2.b).

1. Die negativen Einkünfte der Kläger aus der Eigennutzung ihres in Frankreich belegenen Hausgrundstücks gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1987 gehören zu den Einkünften aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 DBA-Frankreich (vgl. Kramer in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 3 DBA-Frankreich Rz. 17; Wassermeyer, a.a.O., Art. 6 MA Rz. 94, 97). Sie sind deswegen nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich im Inland steuerfrei und gehen insoweit nicht in die Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage zum Ausgleich steuerpflichtiger Einkünfte ein. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seine ständige Rechtsprechung (vgl. z. B. Senatsurteil in BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 23A MA Rz. 57, m.w.N.).

Den dagegen erhobenen Einwänden ist nicht zu folgen. Indem nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich ausdrücklich "von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer … die aus Frankreich stammenden Einkünfte … ausgenommen (werden), die nach diesem Abkommen in Frankreich besteuert werden können", ist letztlich zweifelsfrei, dass darin nicht nur positive, sondern auch negative Einkünfte einbezogen sind. Darauf baut auch die (innerstaatliche) Regelung des § 2a Abs. 3 EStG 1987 auf (vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O.). Schon aus diesem Grunde lässt sich jedenfalls im Verhältnis zu Frankreich ein anderes Regelungsverständnis nicht rechtfertigen, wie dieses in jüngster Zeit vor allem vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof durch dessen Erkenntnis vom 25. September 2001 99/14/0217 E (Internationales Steuerrecht ―IStR― 2001, 754) zur deutsch-österreichischen Abkommenslage und damit zu der von Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich abweichenden Zuordnung des Besteuerungsrechts in Art. 15 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vertreten worden ist. Insbesondere scheidet hiernach eine verfassungs- oder gemeinschaftsrechtskonforme Abkommensauslegung aus (vgl. Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 23A MA Rz. 57 a; FW, IStR 2001, 755; insoweit wohl auch Kessler/Schmitt/Janson, IStR 2001, 729 ff., 731, in Abgrenzung zu Art. 23A Abs. 1 des OECD-Musterabkommens; anders z.B. Laule in Festschrift Juch, 2002, 329 ff., 341 ff.; vgl. auch Vogel, IStR 2002, 91).

2. Die negativen ausländischen Einkünfte der Kläger können ebenso wenig bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens abgesetzt werden, aufgrund dessen der besondere Steuersatz i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987 bzw. der Steuersatz i.S. des Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 DBA-Frankreich festzusetzen ist. Dem steht § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 entgegen, der im Streitfall den sog. negativen Progressionsvorbehalt ausschließt.

a) Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 dürfen negative ausländische Einkünfte aus der Vermietung oder der Verpachtung unbeweglichen Vermögens oder von Sachinbegriffen, wenn diese in einem ausländischen Staat belegen sind, nur mit ausländischen Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG 1987 abgezogen werden.

Nicht anders als bei Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 DBA-Frankreich gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens i.S. des § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des IX. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. März 1991 IX R 162/85 (BFHE 164, 327, BStBl II 1991, 704) an. Die dagegen gerichteten Einwände der Kläger geben keine Veranlassung, von diesem Urteil abzuweichen, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. auch bereits BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 143/83, BFHE 145, 331, BStBl II 1986, 287; Senatsurteil vom 11. April 1990 I R 63/88, BFH/NV 1990, 705; beide zur vergleichbaren Abkommensrechtslage).

b) Der Senat hat mit dem bereits zitierten Urteil in BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136 entschieden, dass § 2a Abs. 1 Satz 1 (Nr. 4) EStG 1987 ein Verlustausgleichsverbot begründet, das gesetzessystematisch zum Ausschluss der von der Vorschrift erfassten ausländischen Einkünfte bei der Berechnung des Steuersatz-Einkommens i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987 führt. Das gilt auch dann, wenn die Einkünfte nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfrei sind (vgl. ebenso Senatsurteile vom 17. Oktober 1990 I R 177/87, BFH/NV 1992, 174; vom 12. Dezember 1990 I R 127/88, BFH/NV 1992, 104; vom 17. November 1999 I R 7/99, BFHE 191, 18, BStBl II 2000, 605, 608; BFH-Urteil vom 13. Mai 1993 IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100). Daran ist festzuhalten. Die Kläger haben keine tragfähigen Einwände gegen diese Rechtsprechung erhoben; solche werden auch im Schrifttum nicht geltend gemacht (vgl. z.B. Mössner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 2a Rdnr. A 27 ff.; Frenz, daselbst, § 32b Rdnr. A 81 ff.; Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 2a EStG Rz. 27, jeweils m.w.N.).

c) Für den Streitfall folgt daraus: Die negativen ausländischen Einkünfte der Kläger aus der Nutzung ihres in Frankreich belegenen Einfamilienhauses sind gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 DBA-Frankreich bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage für die Höhe des Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987 als steuerpflichtig zu behandeln. § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 verhindert aber deren Berücksichtigung, weil es im Streitjahr an entsprechenden positiven ausländischen Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat fehlt. Die erlittenen ausländischen Verluste können folglich anders als vergleichbare inländische Verluste (zumindest) im Streitjahr nicht im Rahmen des sog. negativen Progressionsvorbehalts ausgeglichen werden.

III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht

Der vorlegende Senat erachtet die danach bestehende unterschiedliche Behandlung einerseits ausländischer negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und andererseits inländischer negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der Ermittlung der Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage bzw. des zu versteuernden Einkommens zur Berechnung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987 als gemeinschaftsrechtswidrig. Sie verstößt seiner Überzeugung nach gegen die in Art. 52 und Art. 73b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ―EGV― (= Art. 43 und Art. 56 nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften ―EG―, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. C-340/173, 1997, 1) garantierten Grundfreiheiten, deren Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist, und widerspricht dessen Rechtsprechung, wie sie in dem Urteil vom 14. Dezember 2000 Rs. C-141/99 "AMID" (Slg. 2000, I-11619) und neuerlich im Beschluss vom 12. September 2002 Rs. C-431/01 "Mertens"(ABlEG 2002, C-289, 5) zum Ausdruck gekommen ist (im Ergebnis ebenso z.B. Schaumburg, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft ―DStJG―, Bd. 24, 2001, 225, 242 ff.; Dautzenberg, Finanz-Rundschau ―FR― 2001, 809; Rädler/Lausterer, Festschrift Welf Müller, 2000, 339; Kessler/Schmitt/Janson, IStR 2001, 729, 734 ff.; Mössner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 2a Rdnr. A 45 ff.; Laule in Festschrift Juch, a.a.O., 329 ff., 345 f.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 23A MA Rz. 57 f.; Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 2a EStG Rz. 12; Gosch in Kirchhof, a.a.O., 2. Aufl., § 2a Rn. 2, 4; Lüdicke in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, 1997, 647, 660 ff.; Krabbe, IStR 1994, 377, 381, jeweils m.w.N.).

1. Die direkten Steuern fallen als solche nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft (EuGH-Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C-107/94 "Asscher", Slg. 1996, I-3089, 3124). Allerdings müssen die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere unter Berücksichtigung der Grundfreiheiten, ausüben (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Oktober 1999 Rs. C-294/97 "Eurowings", Slg. 1999, I-7447, 7473).

2. Im Streitfall könnten infolge der Nichtberücksichtigung der ausländischen negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung die Niederlassungsfreiheit des Art. 52 EGV (= Art. 43 EG) und damit zugleich die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 73b EGV (Art. 56 EG) verletzt sein.

a) Es liegt auf der Hand, dass durch die Nichtberücksichtigung der negativen Einkünfte die Eigennutzung des eigenen Hauses, sofern dieses im Ausland belegen ist, gegenüber einer entsprechenden Nutzung im Inland benachteiligt wird. Den negativen ausländischen Einkünften wird die Einbeziehung in die Einkommensteuer- bzw. in die Steuersatz-Bemessungsgrundlage im Gegensatz zu positiven ausländischen Einkünften, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfrei sind, aufgrund des Auslandsbezuges explizit verweigert. Eine europarechtlich geschützte grenzüberschreitende Betätigung darf jedoch grundsätzlich weder behindert noch wirtschaftlich weniger attraktiv gemacht werden. Im Einzelnen wird auf die bereits zitierte EuGH-Rechtsprechung Bezug genommen (vgl. EuGH-Urteil vom 28. Oktober 1999 Rs. C-55/98 "Vestergaard", Slg. 1999, I-7641 ff., im Hinblick auf den erschwerten Abzug von Betriebsausgaben, die im Ausland angefallen sind; EuGH-Urteil in Slg. 2000, I-11619 "AMID", und EuGH-Beschluss in ABlEG 2002, C-289, 5 "Mertens" zur Verrechnung inländischer mit ausländischen Verlusten).

b) Gründe, welche ausnahmsweise eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

aa) Das betrifft zunächst die Überlegung, dass der Quellenstaat die Verluste in späteren Veranlagungszeiträumen durch Verlustvortrag berücksichtigen könne. Denn zum einen ist nicht gesichert, ob überhaupt jemals verrechenbare Gewinne erzielt werden, und zum anderen resultieren aus der Nichtberücksichtigung der Verluste für den Steuerpflichtigen jedenfalls Zins- und Liquiditätsnachteile.

bb) Die mögliche Gefahr einer doppelten Verlustnutzung rechtfertigt die Benachteiligung schon deswegen nicht, weil die Verhinderung steuerlicher Mindereinnahmen ohnehin nicht "als zwingender Grund des Allgemeininteresses anzusehen ist" (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 16. Juli 1998 Rs. C-264/96 "ICI", Slg. 1998, I-4695, 4723).

cc) Schließlich ist der Gesichtspunkt der kohärenten Besteuerung (vgl. dazu z.B. EuGH-Urteile vom 28. Januar 1992 Rs. C-204/90 "Bachmann", Slg. 1992, I-249 Rn. 28, und Rs. C-300/90 "Kommission gegen Belgien", Slg. 1992, I-305) nicht geeignet, die Schlechterstellung Gebietsfremder bei der Verlustberücksichtigung zu legitimieren.

Im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung der negativen Einkünfte infolge des Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich ergibt sich dies daraus, dass der Grundsatz der Kohärenz jedenfalls dann nicht zur Rechtfertigung der Verweigerung einer steuerlichen Vergünstigung gegenüber Gebietsfremden herangezogen werden darf, wenn die steuerliche Kohärenz auf der Grundlage eines mit einem anderen Mitgliedstaat geschlossenen bilateralen Abkommens gewährleistet wird (s. EuGH-Urteil vom 11. August 1995 Rs. C-80/94 "Wielockx", Slg. 1995, I-2493, dort Rn. 24 f.). In diesen Fällen wird die steuerliche Kohärenz gerade nicht auf der Ebene der Einzelperson, sondern auf einer anderen Ebene hergestellt, nämlich auf derjenigen der Gegenseitigkeit der in den Vertragsstaaten anwendbaren Vorschriften.

Der Kohärenzgedanke greift aber auch nicht im Hinblick auf die Benachteiligung Gebietsfremder den Steuersatz betreffend. Das deutsche Steuerrecht könnte es hiernach zwar erfordern, ausländische Verluste nur bei demjenigen Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, der auch im Inland sein Welteinkommen zu versteuern hat. Denn etwaige positive Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den Folgejahren aus ausländischen Quellen erzielt, ließen sich in jenen Jahren im Rahmen des Progressionsvorbehalts nur erfassen, wenn zugleich entsprechende steuerpflichtige inländische Einkünfte anfielen und wenn Deutschland im Rahmen der dann gegebenen beschränkten Steuerpflicht den Progressionsvorbehalt anwenden würde. Im Übrigen wären solche positiven Einkünfte ―nur― in dem anderen Mitgliedstaat (hier in Frankreich) als Ansässigkeitsstaat zu versteuern, blieben im Inland aber unberücksichtigt (vgl. Lüdicke in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, a.a.O., 647, 662 f.). Die Kohärenz als Rechtfertigungsgrund erfordert jedoch, dass ein in der Gegenwart gewährter Steuervorteil in unauflösbarem Zusammenhang damit steht, dass dasselbe Steuersubjekt die vorläufig aufgeschobene Steuer zu einem späteren Zeitpunkt an denselben Steuergläubiger zahlt (vgl. z.B. EuGH-Urteile in Slg. I-1995, 2493 "Wielockx", dort Rn. 24 f.; in Slg. 1999, I-7641 ff. "Vestergaard"; Rädler/Lausterer in Festschrift W. Müller, a.a.O., 337, 360, m.w.N.). An einem solchen unmittelbaren Zusammenhang fehlt es hier.

c) Die Vermeidung eines unerwünschten Verlustausgleichs ließe sich deswegen nur dann legitimieren, wenn die betreffenden in- und ausländischen Sachverhalte gleichbehandelt würden. Dies ist nach Maßgabe der dargestellten Rechtslage in Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich und in § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987 aber nicht der Fall. Der Umstand, dass gebietsfremde und gebietsansässige Personen unter den gegebenen Umständen ―negative Einkünfte aus einem im Ausland belegenen Einfamilienhaus― im Inland gleichbehandelt werden, ändert daran nichts.

3. Soweit der Senat die Rechtslage in der Vergangenheit anders beurteilt hat (vgl. Urteile in BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136; in BFH/NV 1992, 174 ―dort insoweit allerdings nicht abgedruckt―; vom 12. Dezember 1990 I R 176/87, BFH/NV 1991, 820), hält er hieran in Anbetracht der zwischenzeitlichen Entwicklung des Europarechts und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH nicht länger fest. Einer zuvorigen Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim VIII. Senat des BFH, der sich im Urteil vom 29. Mai 2001 VIII R 43/00 (BFH/NV 2002, 14) der bisherigen Auffassung des erkennenden Senats angeschlossen hat, bedarf es nicht. Der Senat ist nach Art. 234 Abs. 3 EG aufgrund seiner gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegenüber den nationalen Regelungen verpflichtet, das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten; dieses Ersuchen stellt keine abweichende Sachentscheidung dar.

IV. Vorlage an den EuGH

Der Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb gemäß § 74 FGO aus und legt dem EuGH folgende Fragen gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor:

1. Widerspricht es Art. 43 und Art. 56 EG, wenn eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person, die hier Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, in Deutschland Verluste aus Vermietung und Verpachtung, die in einem anderen Mitgliedstaat entstehen, bei der Einkommensermittlung nicht abziehen kann?

2. Für den Fall, dass diese Frage zu verneinen ist: Widerspricht es Art. 43 und Art. 56 EG, wenn die erwähnten Verluste nicht im Wege des sog. negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden können?

 

Fundstellen

Haufe-Index 921342

BFH/NV 2003, 680

BStBl II 2003, 795

BFHE 2003, 73

BFHE 201, 73

BB 2003, 890

DB 2003, 857

DStR 2003, 685

DStRE 2003, 639

HFR 2003, 566

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