Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzung der Beschwerde nach Ablauf der Begründungsfrist

 

Leitsatz (NV)

1. Es handelt sich nicht um bloße ergänzende Erläuterungen der geltend gemachten Zulassungsgründe, sondern um verspätetes Vorbringen, wenn innerhalb der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lediglich behauptet wird, die erforderliche Darlegung aber erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht wird.

2. Eine bestimmte klärungsbedürftige Rechtsfrage wird nicht dargelegt, wenn es dem BFH möglich wäre, unter Heranziehung des angefochtenen Urteils und der vom Beschwerdeführer zitierten Literaturstelle herauszufinden, welcher Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 20. Juni 1989 ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) am 28. Juli 1989 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 25. August 1989, der beim FG am 28. August 1989 eingegangen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte wegen Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt und ausgeführt: ,,Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache verweise ich auf meinen Antrag wegen Zulassung der Revision vom 19. 6. 1989 . . . Eine ausführliche Begründung werde ich nachreichen."

Am 28. August 1989 ist beim FG ein Schriftsatz dieses Datums zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingegangen, der nach einer Schilderung des Sachverhalts folgende zwei Sätze enthält: ,,Nach den Ausführungen von Tipke/Kruse (Tipke/Kruse, AO, 7. Aufl., § 146 a Tz. A 2, S. 426 F) ist im Schrifttum die Frage des Sachverhalts, der in § 146 a angesprochen wird, strittig. Daraus dürfte sich zweifelsfrei die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache ergeben."

Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1989, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 20. Oktober 1989, hat der Prozeßbevollmächtigte seine Ausführungen im Schriftsatz vom 28. August 1989 ,,ergänzt" und die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache u. a. damit begründet, daß die Entscheidung der Hauptsache von der Rechtsfrage abhänge, welcher Zeitpunkt für den Fristlauf nach § 146 a der Reichsabgabenordnung (AO) maßgeblich ist, wenn der Rechtsstreit prozessual durch übereinstimmende Erledigterklärung beendet wird, die materiell-rechtliche Erledigung der Hauptsache dagegen erst nachträglich durch Erlaß eines entsprechenden Änderungsbescheides eintritt. Diese rechtserhebliche Frage sei, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden. Außerdem macht der Prozeßbevollmächtigte Abweichung des FG von der Rechtsprechung des BFH geltend und rügt Verjährung des Steueranspruchs.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die formellen Anforderungen an ihre Begründung nicht erfüllt sind.

1. Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muß bei einer auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat nach Zustellung der Vorentscheidung dargelegt werden. Hierzu sind substantiierte und konkrete Angaben darüber erforderlich, aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dienen kann (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Das bedeutet, daß der Beschwerdeführer eine bestimmte Rechtsfrage herauszustellen hat, die für den Rechtsstreit erheblich sein kann und im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist (BFH-Beschluß vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858). Keiner der beiden beim FG am 28. August 1989 - und damit innerhalb der Beschwerdefrist - eingegangenen Schriftsätze entspricht diesen Anforderungen.

Mit dem Hinweis darauf, daß nach einer näher bezeichneten Kommentarstelle ,,die Frage des Sachverhalts, der in § 146 a angesprochen wird, strittig" sei, wird allenfalls der allgemeine Rechtsstoff beschrieben, der den rechtlichen Rahmen für die Entscheidung der Streitsache bildet, eine bestimmte klärungsbedürftige Rechtsfrage wird damit nicht herausgestellt. Nicht ausreichend ist es, daß es dem BFH möglich wäre, unter Heranziehung des angefochtenen Urteils und der vom Beschwerdeführer zitierten Literaturstelle herauszufinden, welcher Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Dies ist mit dem in § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO normierten Begründungszwang nicht vereinbar (vgl. Beschluß in BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Auch der Schriftsatz vom 19. Juni 1986, auf den der Prozeßbevollmächtigte zunächst wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache verwiesen hat (zur Zulässigkeit der Bezugnahme auf Schriftsätze des Klageverfahrens s. BFH-Beschluß vom 23. Juni 1967 VI B 16/67, BFHE 89, 117, BStBl III 1967, 531), enthält keine Darlegungen i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Dort wird lediglich für den Fall, daß das FG seiner Entscheidung eine bestimmte Rechtsauffassung zugrundelege, die Zulassung der Revision beantragt.

2. Der nach Ablauf der Begründungsfrist am 28. August 1989 beim BFH am 20. Oktober 1989 eingegangene Schriftsatz muß unbeachtet bleiben. Zwar ist es nicht schlechthin ausgeschlossen, daß nach Ablauf der Beschwerdefrist Vorgebrachtes bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde berücksichtigt wird. Da die Nichtzulassungsbeschwerde nach dem Gesetzeswortlaut ,,in der Beschwerdefrist" zu begründen ist, sind nach Ablauf der Beschwerdefrist jedoch nur noch Erläuterungen und Vervollständigungen der rechtzeitig geltend gemachten Zulassungsgründe möglich. Das setzt voraus, daß innerhalb der Beschwerdefrist den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt ist. Es handelt sich jedoch nicht um bloße ergänzende Erläuterungen der geltend gemachten Zulassungsgründe, sondern um verspätetes Vorbringen, wenn - wie im Streitfall - innerhalb der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lediglich behauptet wird, die erforderliche Darlegung aber erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht wird (BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 1989 V B 4/88, BFH/NV 1989, 791, und vom 14. Februar 1989 V 72/87, BFH/NV 1990, 108, jeweils unter Bezugnahme auf Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 55). Ein Nachschieben von Gründen ist nach Ablauf der Begründungsfrist unzulässig (BFH-Beschlüsse vom 22. September 1967 VI B 25/67, BFHE 90, 101, BStBl III 1967, 787, und vom 21. Juni 1968 III B 58/67, BFHE 93, 503, BStBl II 1969, 36). Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist (§ 56 FGO) sind nicht ersichtlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417010

BFH/NV 1991, 103

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