Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine AdV von Vermögensteuerbescheiden wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen das VStG

 

Leitsatz (NV)

1. Es erscheint ausgeschlossen, daß das BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage hin das VStG noch mit Wirkung für die Jahre 1995 und 1996 für nichtig oder unanwendbar erklärt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das VStG rechtfertigen daher keine AdV von Vermögensteuerbescheiden für die Jahre 1995 und 1996.

2. Im Jahre 1996 bestand kein Rechtsschutzbedürfnis für AdV von Vermögensteuerbescheiden für die folgenden Jahre.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3; VStG § 10

 

Tatbestand

Durch Bescheid vom 30. November 1995 setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) Vermögensteuer auf den 1. Januar 1995 -- Hauptveranlagung -- fest. Bei der Berechnung der Vermögensteuer ging das FA von einem steuerpflichtigen Vermögen von ... DM aus. Hiervon entfielen nach Auffassung des FA auf Beteiligungswerte ... DM. Auf diese wandte das FA nach § 10 Nr. 1 Satz 2 des Vermögensteuergesetzes (VStG) den Steuersatz von 0,5 v. H., auf das verbleibende Vermögen in Höhe von ... DM den Steuersatz von 1 v. H. an.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Einspruch ein. Mit diesem machte er in erster Linie geltend, daß das VStG zu einer verfassungswidrigen Besteuerung führe. Zwar habe der Gesetzgeber den Vermögensteuersatz für privates Vermögen auf 1 v. H. angehoben, dabei aber indirekte Geldanlagen in Form eines Geldmarktfonds bzw. eines Rentenfonds weiterhin dem ermäßigten Steuersatz unterworfen. Es sei kein sachlicher Grund bekannt, nach dem es gerechtfertigt sein solle, warum eine direkte Anlage am Geldmarkt (Festgeldanlage) bzw. am Rentenmarkt (Erwerb festverzinslicher Wertpapiere) vermögensteuerlich höher besteuert werden solle, als eine indirekte Geldanlage in einem Geldmarkt- bzw. Rentenfonds. Insoweit liege ein Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes (GG) vor. Darüber hinaus machte er geltend, daß mit der Erhöhung des Vermögensteuersatzes auf 1 v. H. eine konfiskatorische Besteuerung eingesetzt habe. Anfang 1995 seien bei einer Festgeldanlage ca. 5,5 v. H. Rendite zu erzielen gewesen. Nach Abzug der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags, der Kirchensteuer und der Vermögensteuer verbleibe eine Nettorendite von 1,15 v. H. Rechne man mit einer Inflation von ca. 2 v. H., würden nicht nur sämtliche Erträge weggesteuert, sondern auch die Substanz selbst angegriffen. Aber auch ohne Berücksichtigung der Inflation liege die Besteuerung mit der Erhöhung der Vermögensteuer bei 80 v. H. der Erträge. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bei seinem Beschluß vom 22. Juni 1995 den erhöhten Vermögensteuersatz nicht berücksichtigen können, da dieses Gesetz damals nicht zur Beurteilung vorgelegen habe. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung festgestellt, daß die Besteuerung zukünftig nur etwa hälftig zwischen Privaten und dem Staat geteilt werden dürfe. Schon die Ertragsbesteuerung belaufe sich z. Zt. bei seinem Einkommen auf etwa 50 v. H., so daß für die Erhöhung der Ver mögensteuer ab 1997 kein Raum mehr sei. Er beantrage deshalb ausdrücklich die Aufhebung der Vermögensteuerfestsetzung ab 1997.

Darüber hinaus beantragte er, die Vollziehung des Vermögensteuerbescheids auszusetzen, soweit ein Steuersatz von 1 v. H. und nicht von 0,5 v. H. angewandt worden sei.

Durch Bescheid vom 20. Dezember 1995 lehnte das FA die beantragte Aussetzung der Vollziehung nach § 361 der Abgabenordnung (AO 1977) ab.

Durch Bescheid vom 9. Januar 1996 änderte das FA den Bescheid über Vermögensteuer auf den 1. Januar 1995 vom 30. November 1995 und setzte die Vermögensteuer um 10 DM herab. Die Änderung war auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gestützt. Die Festsetzung der Vermögensteuer ab 1997 erfolgte vorläufig nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Begründet wurde dies damit, daß aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 22. Juni 1995 die Vermögensbesteuerung ab 1997 neu geregelt werde. Weiter heißt es in dem Änderungsbescheid: "Vorauszahlungen werden gegebenenfalls gesondert festgesetzt".

Durch Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 1996 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Über die anschließend erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Den beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag, die Vollziehung des Vermögensteuerbescheids in Höhe von ... DM auszusetzen, hat das FG als unbegründet zurückgewiesen. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheids auf den 1. Januar 1995. Einen Verstoß gegen Art. 3 GG, wie ihn der Antragsteller rüge, vermöge das FG nicht zu erkennen. Die Regelung in § 10 Nr. 1 VStG entspreche dem Gleichheitsgrundsatz. Sog. privates Vermögen werde mit 1 v. H. und sog. produktives Vermögen mit 0,5 v. H. besteuert. Die Beschwerde hat das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Gegen diesen Beschluß des FG richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit dem er unter Wiederholung seines Vorbringens im Einspruchsverfahren sein Antragsziel weiterverfolgt.

Das FA beantragt, unter Hinweis auf die eindeutige Gesetzeslage, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Zutreffend hat das FG das Vorliegen ernst licher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheids unter dem Gesichtspunkt der vom Antragsteller vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die ihm zugrundeliegende Norm (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, m. w. N., und vom 27. November 1991 III B 115/91, BFH/NV 1992, 304), die die begehrte Aussetzung der Vollziehung rechtfertigten (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), verneint.

1. In seinem Beschluß vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655) hat sich das BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer befaßt und sich dabei auch mit der vom Antragsteller heraus gestellten Frage einer u. a. aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Belastungsgrenze auseinandergesetzt. Nach der Auffassung des BVerfG darf die Vermögensteuer nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt und aus den üblicherweise zu erwartenden Erträgen gezahlt werden kann.

Hieraus sind jedoch für den Streitfall keine Folgerungen zu ziehen. Der Senat hat im Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, daß er keine weitergehende Entscheidung trifft, als vom BVerfG zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782, 785). Das BVerfG hat die Anwendbarkeit des VStG trotz des von ihm festgestellten Grundrechtsverstoßes für das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung laufende und für das folgende Kalenderjahr bestehen lassen und dies mit der Gewährung einer stetigen Veranlagung der Vermögensteuer gerechtfertigt. Es erscheint danach ausgeschlossen, daß das BVerfG nunmehr auf eine Verfassungsbeschwerde oder eine Vorlage nach Art. 100 GG hin das VStG aus den vom Antragsteller geltend gemachten verfassungsrechtlichen Erwägungen noch mit Wirkung für die Jahre 1995 und 1996 für nichtig oder unanwendbar erklärt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers rechtfertigen demnach nicht die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheids für die Jahre 1995 und 1996.

2. Soweit der Antragsteller darüber hinaus Aussetzung der Vollziehung des Vermögensteuerbescheids für die Folgejahre, auf die er sich erstreckt, begehrt, besteht für diesen Antrag (zumindest derzeit) kein Rechtsschutzbedürfnis. Wie bereits erwähnt, ist das geltende VStG kraft des verfassungsrechtlichen Spruches nur noch bis zum 31. Dezember 1996 anwendbar. Lediglich für den Fall, daß sich der Gesetzgeber zu einer Neuregelung der Vermögensteuer entschließt, hat das BVerfG entschieden, daß er dann für längstens fünf Jahre Übergangsregelungen treffen darf, die auch eine teilweise Fortgeltung der bisherigen Vorschriften anordnen können. Die Weitererhebung von Vermögensteuer für die Zeit nach dem Ablauf des Jahres 1996 bedarf daher in jedem Fall einer gesetzgeberischen Entscheidung. Solange diese nicht getroffen ist, besteht kein Anlaß für eine Aussetzung der Vollziehung des Vermögensteuerbescheids, der insoweit im Hinblick auf eine etwaige Neuregelung für die Jahre ab 1997 für vorläufig erklärt wurde mit dem Zusatz, daß gegebenenfalls eine gesonderte Festsetzung von Vorauszahlungen erfolgen werde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421769

BFH/NV 1997, 270

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