Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungswidrigkeit der "Übergangsregelung" für Jubiläumsrückstellungen

 

Leitsatz (amtlich)

Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des StRG 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) insofern gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß, als die darin getroffene Regelung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1992

- die Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums (Jubiläumsrückstellungen) i.S. des § 5 Abs. 4 EStG untersagte und

- für schon gebildete Rückstellungen dieser Art die gewinnerhöhende Auflösung anordnete.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1; AO 1977 § 38; EStG 1990 §§ 2, 5 Abs. 1 S. 1; EStG § 5 Abs. 4, § 52 Abs. 6; HGB § 249 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Dok.-Nr. 0127110; EFG 1995, 724)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 12.05.2009; Aktenzeichen 2 BvL 1/00)

 

Tatbestand

A. Ausgangslage

I. Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betreibt ein Dienstleistungsunternehmen und ermittelt seinen Gewinn gemäß § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Wirtschaftsjahr ist das Kalenderjahr.

Durch Aushang am schwarzen Brett erteilte der Kläger seinen Arbeitnehmern am 18. Dezember 1981 die Zusage, dass sie anlässlich eines Dienstjubiläums

nach 10 Jahren 600 DM,

nach 25 Jahren 1 200 DM und

nach 40 Jahren 2 400 DM

erhalten werden.

Im Hinblick auf diese Zusage bildete der Kläger in seinen Bilanzen ab 1981 auf der Grundlage versicherungsmathematischer Gutachten Rückstellungen, die sich wie folgt entwickelten:

Jahr

Rückstellung in DM

Zuführung in DM

1981

52 729

52 729

1982

52 476

./. 253

1983

54 761

2 285

1984

53 530

./. 1 231

1985

57 167

3 637

1986

60 081

2 914

1987

64 301

4 220

1988

69 290

4 989

Im Anschluss an eine im Jahr 1990 durchgeführte Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die zum 31. Dezember 1988 gebildete Rückstellung in Höhe von 69 290 DM (Vorjahr 64 301 DM + Zuführung 1988: 4 989 DM) nicht an und löste sie unter Berufung auf § 52 Abs. 6 Satz 2 EStG a.F., d.h. in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung des Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224), für den Veranlagungszeitraum 1988 in Höhe von 1/3 (23 096 DM) auf.

Wegen dieser Gewinnerhöhung (und eines anderen, im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen Punktes) fochten die Kläger den Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 2. November 1989 mit Zustimmung des FA im Wege der Sprungklage mit der Begründung an, § 52 Abs. 6 EStG a.F. sei verfassungswidrig.

Die während des Klageverfahrens am 14. Januar 1991 und 24. Mai 1993 ergangenen Änderungsbescheide, die den Streitpunkt unberührt ließen, sind gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahrensgegenstand gemacht worden.

II. Rechtliche Würdigung durch das Finanzgericht (FG)

Das FG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das FA habe zu Recht die Zuführung im Jahr 1988 in Höhe von 4 989 DM zu den vom Kläger gebildeten Jubiläumsrückstellungen nicht anerkannt und die "Altrückstellungen" in Höhe von 64 301 DM zu einem Drittel gewinnerhöhend aufgelöst. § 52 Abs. 6 EStG a.F. verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Das objektive Nettoprinzip sei nicht verletzt, weil sachliche Gründe für eine Abweichung von diesem Prinzip gegeben seien. Entsprechendes gelte für die Einschränkung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes. Das in § 52 Abs. 6 Satz 1 EStG a.F. enthaltene befristete Verbot, Jubiläumsrückstellungen zu bilden, verstoße schon deshalb nicht gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, weil der hiermit verbundene Aufwand bei Eintritt des Jubiläumsfalles uneingeschränkt dem Betriebsausgabenabzug unterfalle. - Auch eine Systemwidrigkeit führe nur dann zu einem Verfassungsverstoß, wenn sie als willkürlich gewertet werden müsse, also ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehle. Davon könne angesichts der finanzpolitischen Erwägungen, die den Gesetzgeber zu einem befristeten Passivierungsverbot veranlasst hätten, nicht die Rede sein.

Auch ein Verstoß des § 52 Abs. 6 Satz 2 EStG a.F. gegen das Rechtsstaatsprinzip (Rückwirkungsverbot; Art. 20 Abs. 3 GG) liege nicht vor: Zum einen sei der die Rückstellung begründende Sachverhalt auf Dauer angelegt und im Zeitpunkt des Erlasses der Neuregelung noch nicht abgeschlossen gewesen. Außerdem ergebe sich aus dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs, dass Rückstellungen, die in der Vergangenheit zu Unrecht gebildet worden oder deren Voraussetzungen weggefallen seien, nicht rückwirkend, sondern in der ersten noch offenen Bilanz gewinnerhöhend aufgelöst werden müssten. Im Übrigen sei bis zu dieser Neuregelung die Bildung von Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt gewesen und in der Literatur kontrovers diskutiert worden. Die Steuerverwaltung habe sie, soweit ersichtlich, durchweg nicht anerkannt. Auch im Streitfall habe sich dies erst nach Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Februar 1987 IV R 81/84 (BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845) geändert. Alsbald danach sei aber schon die Möglichkeit einer Gesetzesänderung diskutiert worden, so dass auch zu diesem Zeitpunkt der Kläger auf den Fortbestand der Rückstellungsbildung nicht habe vertrauen dürfen. Die in § 52 Abs. 6 Satz 2 EStG a.F. vorgesehene Auflösung der Rückstellungen in drei Schritten genüge schließlich auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 724 verwiesen.

III. Revisionsvorbringen und Erwiderung

Die Revision begründen die Kläger weiterhin mit der Verfassungswidrigkeit der §§ 5 Abs. 4, 52 Abs. 6 EStG a.F. Zur Begründung beziehen sie sich auf ein von Prof. X verfasstes Rechtsgutachten (im folgenden: Gutachten), demzufolge die Regelung gegen Art. 3 Abs. 1, gegen Art. 14 Abs. 1 sowie gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt.

-	Gegen den Gleichheitssatz verstoße die Regelung, weil sie eine Gruppe von Normadressaten, nämlich die Unternehmer, die Jubiläumszusagen erteilt haben, gegenüber anderen Normadressaten --Unternehmern, die aus anderen Gründen Rückstellungen bilden-- trotz übereinstimmender finanzieller Leistungsfähigkeit benachteilige. Außerdem bewirke das Rückstellungsverbot eine Verzerrung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer und eine Schlechterstellung bilanzierender Gewerbetreibender, die rechtlich bindende Jubiläumszusagen erteilt hätten gegenüber solchen, die derartige Zusagen nicht erteilt hätten. Dies sei mit dem finanzverfassungsrechtlichen Begriff der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 2 GG), vor allem mit dem darin vorausgesetzten objektiven Nettoprinzip unvereinbar, das als wesentlicher Bestandteil des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehe. Unabhängig von seinen verfassungsrechtlichen Grundlagen bilde das objektive Nettoprinzip eine Sachgesetzlichkeit des einfachen Rechts, die der Gesetzgeber nicht ohne Not in Einzelfällen durchbrechen dürfe. Entsprechendes gelte für die mit der gesetzlichen Regelung verbundene Durchbrechung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes, der zwar als solcher nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben sei, aber als "selbstgewähltes" Ordnungsprinzip dazu diene, das objektive Nettoprinzip für buchführungspflichtige Gewerbetreibende zu verwirklichen. Insgesamt führe der Ausschluss der mit verbindlichen Jubiläumszusagen verbundenen echten Belastungen eines Unternehmens von der Bilanzierung zu einem unzutreffenden Ausweis des Betriebsvermögens. Darin liege für eine einzige Fallgruppe eine teilweise Änderung der Gewinnermittlungsart (Überschussrechnung nach dem Zufluss-/Abfluss-Prinzip). Für diese Ungleichbehandlung und diesen mehrfachen Systembruch gebe es keinen rechtfertigenden Grund: Haushaltspolitische Zielsetzungen erlaubten zwar Differenzierungen bei der grundsätzlichen Belastungsentscheidung des Steuergesetzgebers oder bei der Gewährung und Beschränkung subventioneller Steuervergünstigungen, nicht aber im Rahmen der Ausgestaltung des objektiven Nettoprinzips. Auch der Gesichtspunkt der Rechtsprechungsänderung legitimiere die Neuregelung nicht. Das BFH-Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 sei als Fortentwicklung einer im Jahre 1965 begründeten und 1983 weitergeführten Judikatur im Anschluss an das einschlägige Schrifttum zu werten. Es handle sich um einen Fall der "besseren Rechtserkenntnis". Dies habe schließlich auch der Gesetzgeber durch die neue Regelung insofern bestätigt, als er der Judikatur nicht voll entgegengetreten sei, sondern lediglich für fünf Jahre einen Aufschub angeordnet habe, um dann ab 1. Januar 1993 wieder zu einer (begrenzten) Abzugsfähigkeit der Jubiläumsrückstellungen zu gelangen.

-	In der "Besteuerung von Scheingewinnen" liege außerdem ein Verstoß gegen die in Art. 14 Abs. 2 GG garantierte Privatnützigkeit des Eigentums.

-	Schließlich bedeute die gewinnwirksame Auflösung von Rückstellungen aus der Zeit vor dem 31. Dezember 1987 eine echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): § 52 Abs. 6 Satz 2 EStG a.F. bewirke eine vollständige Beseitigung des Bilanzansatzes für real existierende Verpflichtungen, ohne dass eine echte Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder der finanziellen Situation des betroffenen Unternehmens einen solchen Wegfall für die Zukunft begründet hätten. Hierfür gebe es keine Rechtfertigung: Weder habe eine ungültige Norm durch eine gültige Vorschrift ersetzt werden müssen noch sei die frühere Rechtslage unklar und verworren gewesen. Auch habe der Kläger mit der rückwirkenden Gesetzesänderung nicht rechnen müssen. Schließlich habe seine Art der Bilanzierung nur im Widerspruch zu einer "rechtswidrigen Verwaltungspraxis" gestanden. Zwingende Gründe des gemeinen Wohls (haushaltspolitische Erwägungen) reichten ebenfalls nicht aus, die Rückwirkung zu legitimieren. Nach der Konzeption des EStG sei der Steuerpflichtige nur gehalten, zur Finanzierung des öffentlichen Haushalts mit seinem "Gegenwartseinkommen" beizutragen. - Aber auch wenn man eine unechte Rückwirkung annehme, sei diese nicht gerechtfertigt, weil das Interesse des Bürgers am Fortbestand der Rechtslage ("wirtschaftlich angemessene Bilanzierung" von Jubiläumsrückstellungen) das Regelungsinteresse des Staates überwiege.

Die Kläger beantragen,

	das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1988 in der Weise abzuändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um eine Rückstellung für Jubiläumszuwendungen in Höhe von 69 290 DM gemindert wird,

	hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 5 Abs. 4, 52 Abs. 6 EStG a.F. dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.

Das FA beantragt,

	die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es hält die §§ 5 Abs. 4, 52 Abs. 6 EStG a.F. unter Bezugnahme auf das FG-Urteil für verfassungsgemäß.

 

Entscheidungsgründe

B. Entscheidungsgründe

Die Vorlage an das BVerfG ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) geboten, weil der Senat die durch das StRG 1990 in § 52 Abs. 6 EStG a.F. getroffene Regelung für Jubiläumsrückstellungen, auf der die streitige Gewinnerhöhung beruht, für verfassungswidrig hält. Wegen des Sachzusammenhangs mit § 5 Abs. 4 EStG a.F. muss diese Vorschrift in die Würdigung miteinbezogen werden.

I. Die gesetzliche Regelung (Entstehung, Bedeutung, Beurteilung)

1. Gesetzestext

§ 5 Abs. 4 EStG a.F. lautete wie folgt:

"Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, wenn das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre bestanden hat, das Dienstjubiläum das Bestehen eines Dienstverhältnisses von mindestens fünfzehn Jahren voraussetzt und die Zusage schriftlich erteilt ist."

Im Zusammenhang damit bestimmt § 52 Abs. 6 EStG a.F.:

"1Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, soweit der Zuwendungsberechtigte seine Anwartschaft nach dem 31. Dezember 1992 erwirbt.

2Bereits gebildete Rückstellungen sind in den Bilanzen des nach dem 30. Dezember 1988 endenden Wirtschaftsjahrs und der beiden folgenden Wirtschaftsjahre mit mindestens je einem Drittel gewinnerhöhend aufzulösen."

(Mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 1999, aufgrund des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 --BGBl I 1999, 402-- ist die Regelung in § 5 Abs. 4 EStG nunmehr wie folgt zusammengefasst:

"Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, wenn das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre bestanden hat, das Dienstjubiläum das Bestehen eines Dienstverhältnisses von mindestens fünfzehn Jahren voraussetzt, die Zusage schriftlich erteilt ist und soweit der Zuwendungsberechtigte seine Anwartschaft nach dem 31. Dezember 1992 erwirbt").

2. Vorgeschichte

a) Gesetzeslage

Bis zum Inkrafttreten des StRG 1990 richtete sich die handelsbilanzrechtliche Behandlung von Jubiläumszuwendungen nach den allgemeinen für Rückstellungen geltenden Regeln. Gemäß § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG) 1965 bzw. nach § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) i.d.F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) waren/sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten als Passivposten anzusetzen. Diese haben "die Aufgabe, Aufwendungen, die erst in einer späteren Periode zu einer in ihrer Höhe und ihrem genauen Fälligkeitstermin am Bilanzstichtag noch nicht feststehenden Ausgabe führen, der Periode ihrer Verursachung zuzurechnen" (so die Definition des Begriffs "Rückstellungen" bei Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, § 4 V. 5. a; vgl. auch Kusterer in Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 1999, § 249 Rz. 3 ff.; Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 29. Aufl. 1995, 249 Rz. 2). Nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) müssen solche Rückstellungen auch in der Steuerbilanz gebildet werden (Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnr. D. 12 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Aufl., 1998, § 9 Rz. 346 ff., 349; Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., 1999, § 5 Rz. 351 ff.). Diese rechtliche Zuordnung von Jubiläumsrückstellungen war zwar überwiegende (vgl. Bordewin, Der Betrieb --DB-- 1988, 413 f.; Döllerer, Betriebs-Berater --BB-- 1988, 238, 241; Offerhaus, Die steuerliche Betriebsprüfung --StBp-- 1987, 112), aber nicht einhellige Meinung (s. z.B. Mathiak, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1987, 253, 256 und 1988, 79, 84; Schmidt, a.a.O., 6. Aufl., 1987, § 5 Anm. 57 "Jubiläumsgeld", jeweils m.w.N. zum Meinungsstand).

b) BFH-Rechtsprechung

Der BFH hatte derartigen Rückstellungen, zunächst im Urteil vom 19. Juli 1960 I 160/59 U (BFHE 71, 264, BStBl III 1960, 347), die Anerkennung mit der Begründung versagt, die Verpflichtung, bei Arbeitnehmer-Jubiläen Zuwendungen zu gewähren, rechtfertige keine Ausnahme von der Regel, Rechte und Pflichten aus schwebenden Verträgen bilanzmäßig nicht auszuweisen. Derartige Zuwendungen seien Teil der künftigen Lohnzahlungen und daher als Aufwand des Jahres zu behandeln, in dem sie getätigt werden.

Im Urteil vom 18. März 1965 IV 116/64 U (BFHE 82, 119, BStBl III 1965, 289) räumte der BFH zwar ein, dass Jubiläumszusagen auch für die vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit erbrachten Dienste geleistet würden, zugleich aber auch zu dem Zweck, den Bedachten für die Zukunft an den Betrieb zu binden, "also die Fluktuation zu vermeiden". Beides werde auch ein gedachter Erwerber berücksichtigen. Infolgedessen sei zwar der Barwert einer solchen Verpflichtung zu passivieren, aber ein in der Regel gleich hoher (in der Zeit von der Zusage bis zur Fälligkeit gleichmäßig abzuschreibender) Aktivposten zu bilden.

In der Folgezeit erkannte der BFH, im Hinblick darauf, dass einerseits derartige Gratifikationen nach arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung (Bundesarbeitsgericht --BAG--, Urteil vom 27. Oktober 1978 5 AZR 139/77, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis --AP--, § 611 BGB, Gratifikationen-Nr. 96, DB 1979, 506, m.w.N.; s. auch BAG-Beschluss vom 16. September 1986 GS 1/82, BB 1987, 265) als Entgelt für in der Vergangenheit gezeigte, wie aber auch für die Zukunft erwartete Betriebstreue anzusehen seien, und es sich andererseits als unhaltbar erwiesen hatte, die Bildung eines immateriellen Wirtschaftsguts "Betriebstreue" zu verlangen (BFH-Urteil vom 23. April 1975 I R 236/72, BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875), im Urteil vom 7. Juli 1983 IV R 47/80 (BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753) die Rückstellungsbildung dem Grunde nach an, verlangte nur hinsichtlich der Höhe Berücksichtigung eines "Fluktuationsabschlages" und hielt schließlich im Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 "in Fortentwicklung" dieser Rechtsprechung die Bildung einer Rückstellung für eine solche ungewisse Verbindlichkeit gemäß § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 152 Abs. 7 AktG (Streitjahre 1970 bis 1975) im Hinblick auf den im Arbeitsverhältnis wurzelnden, für die Vergangenheit begründeten Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers für geboten (ebenso schon die Vorinstanz: FG Hamburg, Urteil vom 8. Dezember 1983 II 174/82, EFG 1984, 339, sowie, im Hinblick auf den am jeweiligen Bilanzstichtag "verdienten Teil" solcher Arbeitnehmeransprüche: BFH-Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, 143, BStBl II 1987, 848; s. im Übrigen auch Brezing, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1987/88, 111, 112 ff.; Döllerer, BB 1988, 238, 240).

Dieser Rechtsprechung wurde in der Literatur überwiegend zugestimmt (Becker, DB 1987, 854; Günkel, Finanz-Rundschau --FR-- 1987, 213; Höfer, BB 1987, 997; Knobbe-Keuk, BB 1988, 1086, 1087; Moxter, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Anmerkungen, Einkommensteuergesetz 1975, § 5, Rückstellungen, Rechtsspruch 20 S. 1 ff.; Offerhaus, StBp 1987, 111, 112 f.; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1987, 568; Söffing, StbJb 1988/89, 121, 131; zweifelnd: Mathiak, StuW 1987, 253, 257; Müller-Gatermann, FR 1987, 228 f.).

Die Verwaltung (Bundesminister der Finanzen --BMF-- vom 28. Dezember 1987, BStBl I 1987, 770) folgte diesem Verständnis der Jubiläumsrückstellungen zunächst und erließ zur Anwendung des BFH-Urteils in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 eine Übergangsregelung, allerdings mit folgendem Zusatz:

"Im Hinblick auf eine mögliche Gesetzesänderung ist es nicht zu beanstanden, wenn in der Steuerbilanz eine Jubiläumsrückstellung nicht oder nicht in voller Höhe ausgewiesen wird, es sei denn, dass die Zusage rechtsverbindlich in schriftlicher Form erteilt ist und dem Berechtigten für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses mindestens ein entsprechender Teil der Zuwendung zusteht."

c) Gesetzgebungsverfahren

Zu den Auswirkungen des BFH-Urteils in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 bemerkte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele in Beantwortung einer entsprechenden Anfrage des Bundestagsabgeordneten Dr. Spöri am 16. Juni 1987 (BTDrucks 11/503, S. 6):

"... Man kann ... annehmen, dass Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen auf dem Wege über Aussetzungen bereits in großem Umfang zu Steuermindereinnahmen geführt haben. Der Arbeitskreis "Steuerschätzungen" hat in seiner jüngsten Sitzung zusätzlich als Risikovorsorge für bisher noch nicht geltend gemachte Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen in den Jahren 1987 und 1988 Steuerausfälle von knapp 1 Milliarde DM berücksichtigt ..."

Auf die weitere Frage, ob die Bundesregierung beabsichtige, die allgemeine Anwendung des Urteils durch einen sog. Nichtanwendungserlass oder durch eine Gesetzesänderung zu verhindern, erklärte er:

"Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob sie dem Gesetzgeber eine Gesetzesänderung vorschlagen soll, die der Bildung von Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen die steuerliche Anerkennung versagt. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Bis zur Entscheidung über den möglichen Vorschlag einer Gesetzesänderung wird die Finanzverwaltung die Entscheidung über die allgemeine Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 5. Februar 1987 offen halten."

Eine solche Gesetzesänderung wurde im "Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1990 vom 19. April 1988" vorgelegt, dessen erklärtes Ziel es war, "die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer ... um fast 40 Milliarden DM zu senken". Außerdem sollten "zur Steuervereinfachung und zur gleichmäßigeren Besteuerung Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen in einer Größenordnung von fast 19 Milliarden DM zurückgeführt werden", woraus sich eine Nettoentlastung "um gut 20 Milliarden DM" errechnete. Die finanziellen Auswirkungen wurden für 1990 mit Mindereinnahmen in Höhe von 20,8 Milliarden DM beziffert (BTDrucks 11/2157, S. 3). Zur Behandlung der Jubiläumsrückstellungen sah der Entwurf folgendes vor:

- In § 5 EStG die Einfügung eines neuen Abs. 4 mit folgendem Wortlaut:

"Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, soweit die versprochene Zuwendung den Berechtigten für jeden Fall der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses zusteht und die Zusage rechtsverbindlich in schriftlicher Form erteilt ist."

- Außerdem war in § 52 EStG die Einfügung eines neuen Abs. 6 geplant, danach sollte § 5 Abs. 4 EStG erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden sein, das nach dem 30. Dezember 1988 endet; im Übrigen war folgendes bestimmt:

"In früheren Wirtschaftsjahren gebildete Rückstellungen für Verpflichtungen zur Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums, die nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 erfüllen, sind in den Bilanzen des nach dem 30. Dezember 1988 endenden Wirtschaftsjahrs und der beiden folgenden Wirtschaftsjahre mit mindestens je einem Drittel gewinnerhöhend aufzulösen." (s. BTDrucks 11/2157, S. 5, 23).

Aus der Auflösung solcher Rückstellungen versprach man sich unter dem Gesichtspunkt "Abbau von Steuersubventionen und Sonderregelungen für ein gerechteres und einfacheres Steuersystem (Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen)" für die Rechnungsjahre 1990, 1991 und 1992 Steuermehreinnahmen von insgesamt jeweils 600 Millionen DM (BTDrucks 11/2157, S. 126).

In der amtlichen Begründung heißt es hierzu (BTDrucks 11/2157, S. 140):

"Die Gesetzesänderung stellt sicher, dass Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen nur gebildet werden können, soweit der Berechtigte in jedem Fall der Beendung des Dienstverhältnisses vor Erreichen des Jubiläums bereits am Bilanzstichtag einen Anspruch auf die Zuwendung besitzt. Rückstellungen für Zuwendungen, die dem Berechtigten nur zustehen, wenn das Dienstverhältnis nicht vor dem Jubiläum endet, sollen entgegen der Änderung der Rechtsprechung durch das BFH-Urteil vom 5. Februar 1987 ... nicht mit steuerlicher Wirkung zugelassen werden. Der steuerliche Gewinn soll nicht durch Rückstellungen für Verpflichtungen gemindert werden, deren --unter Umständen in sehr ferner Zukunft liegende-- Verwirklichung im Einzelfall zweifelhaft ist und die sich deshalb wirtschaftlich nicht den vorangegangenen Wirtschaftsjahren zuordnen lassen.

... Die Beschränkung der Rückstellungsmöglichkeit für die Verpflichtung zur Leistung einer Jubiläumszuwendung soll nicht rückwirkend, sondern erst für die Wirtschaftsjahre gelten, die nach dem 30. Dezember 1988 enden. Der Gewinn, der durch eine einmalige Auflösung der bisher mit steuerlicher Wirkung gebildeten Rückstellungen entstünde, kann nach der vorgesehenen Übergangsregelung (... § 52 Abs. 6 EStG) auf das Wirtschaftsjahr der erstmaligen Anwendung und die beiden folgenden Wirtschaftsjahre verteilt werden."

Dieses Gesetzesvorhaben stieß auf Kritik im Schrifttum (Bode/ Grabner, DB 1988, 513; Bordewin, DB 1988, 413 f.; Döllerer, BB 1988, 238, 240 f.; Felix, BB 1988, 1500; Knobbe-Keuk, BB 1988, 1086, 1087 ff.; Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG--, BB 1988, 1089, 1091 ff.), auf Bedenken im Rahmen des Anhörungsverfahrens (Dziadkowski, BTDrucks 11/2536, S. 15) sowie auf Einwände des Rechtsausschusses (BTDrucks 11/2536, S. 30/31). Die endgültige Gesetzesfassung ist im Bericht des Finanzausschusses vom 21. Juni 1988 (BTDrucks 11/2536, S. 47, 77) wie folgt begründet worden:

"Auch mit der Neuregelung der Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen trägt der Finanzausschuss dem Votum des Rechtsausschusses und kritischen Stimmen aus der Anhörung zu der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung Rechnung. Abweichend von der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs schließt die ursprüngliche Gesetzesvorlage Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen grundsätzlich aus. Demgegenüber folgt der Rechtsausschuss der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Er hält es jedoch für geboten, die steuerliche Anerkennung von Jubiläumsrückstellungen in Anlehnung an die Regelung bei den Pensionsrückstellungen von einem bestimmten Grad der Konkretisierung der Verpflichtung abhängig zu machen ... Mit Rücksicht darauf, dass die Bilanzierungspraxis entsprechend der bisherigen langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen nicht zugelassen hat, sollen sich die bis einschließlich 1992 'verdienten' Jubiläumszuwendungen auch künftig bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht auswirken. Der Finanzausschuss hat sich der Empfehlung des Rechtsausschusses in vollem Umfang angeschlossen. Sein Beschluss erfolgte mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen ..."

Zu § 52 Abs. 6 heißt es in diesem Zusammenhang (BTDrucks 11/2536, S. 86):

"Mit Rücksicht auf die Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und die Folgen einer steuerlichen Anerkennung bereits verdienter Jubiläumsrückstellungen auf das Steueraufkommen werden Jubiläumsrückstellungen steuerlich erst für Anwartschaften zugelassen, die nach dem 31. Dezember 1992 verdient sind. Bis zu diesem Zeitpunkt verdiente Jubiläumsrückstellungen dürfen auch nicht später mit steuerlicher Wirkung nachgeholt werden. In der Vergangenheit bereits gebildete Jubiläumsrückstellungen sind steuerlich über drei Jahre, beginnend mit der Bilanz des nach dem 30. Dezember 1988 endenden Wirtschaftsjahrs, gewinnerhöhend aufzulösen."

3. Bedeutung der Neuregelung

Die Neuregelung hat unterschiedliche Bedeutung für Jubiläumsrückstellungen, je nachdem, in welchem Zeitraum sie gebildet wurden; sie bedeutet:

- für die Zeit bis zum 31. Dezember 1987: Hinnahme solcher Passivposten;

- für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1992: Rückstellungsverbot, verbunden mit der gesetzlichen Verpflichtung, schon gebildete Rückstellungen in Höhe von mindestens je einem Drittel aufzulösen;

- für die Zeit nach dem 31. Dezember 1992: Zulassung der Rückstellungsbildung für nach diesem Zeitpunkt gegründete Anwartschaften nur unter den Bedingungen des § 5 Abs. 4 EStG a.F.

II. Verfassungsrechtliche Beurteilung

1. Rechtsprechung

Neben der Vorinstanz (s.o. A. II.) haben auch das FG Baden-Württemberg im Urteil vom 24. März 1994 10 K 77/93 (EFG 1994, 870) und das FG Hamburg im Urteil vom 7. Juli 1995 VII 24/93 (EFG 1995, 964) § 5 Abs. 4 bzw. § 52 Abs. 6 EStG a.F. mit folgender Begründung als verfassungskonform angesehen:

- Die Regelung von Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes sei Sache des einfachen Gesetzgebers; ihm sei insoweit ein weiter, hier nicht überschrittener Ermessensbereich eingeräumt.

- Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei im Kern nicht angetastet.

- Unterschiedliche gesetzgeberische Entscheidungen für verschiedene Haushaltsjahre könnten auch durch haushalts- und konjunkturpolitische Gründe sachlich gerechtfertigt sein.

- Schützenswerte Vertrauenspositionen seien im Hinblick auf die bis zum BFH-Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 jahrelang herrschende Verwaltungspraxis der Nichtanerkennung solcher Rückstellungen nicht berührt.

Der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat durch Entscheid vom 9. Dezember 1997 G 403/97 (Österreichische Steuerzeitung --ÖStZ-- Teil B 1998, 119) § 9 Abs. 4 des Österreichischen Einkommensteuergesetzes i.d.F. des StRG 1993 (BGBl I 1993, 818), der die Bildung von Rückstellungen für die "Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienst- und Firmenjubiläums" untersagte, soweit es Zuwendungen anlässlich eines Dienstjubiläums betraf, als verfassungswidrig aufgehoben (zustimmend Kirchmayr, ÖStZ 1998, 86). Dem Gesetzgeber stehe es zwar grundsätzlich frei, im Steuerrecht eine Passivierungspflicht und ein Passivierungsrecht vorzusehen oder (teilweise) zu beseitigen; wenn er aber die Möglichkeit der Passivierung nach einem bestimmten, dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden System gewähre, bedürfe ein Abweichen hiervon einer sachlichen Rechtfertigung. Hieran fehle es hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Jubiläumsgeldern und Treueprämien, die alle für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten geltenden Voraussetzungen erfüllten und für die in § 9 Abs. 1 Nr. 3 EStG die Bildung von Rückstellungen ohne irgendwelche Einschränkungen vorgesehen sei. Den Gesichtspunkt erhöhten Steueraufkommens wertet der VfGH ausdrücklich als unzureichende Rechtfertigung eines solchen "in sich nicht sachlichen Verbots" (a.a.O., S. 123).

2. Literatur

In der Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ganz überwiegend verneint (DStJG, BB 1988, 1089, 1091 f.; Felix, BB 1988, 1500; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 5, Rz. 344, "Jubiläumsrückstellungen"; Knobbe-Keuk, BB 1988, 1086, und in Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, § 4 V. 5. g cc; Küting/Weber, BB 1988, 2280, 2286; Schulze-Osterloh in Festschrift für Friauf, 1996, 833, 840 ff.; Siegel, BB 1989, 182; Slomma, DStZ 1989, 277; Tipke/Lang, a.a.O., § 9 Rz. 349; zweifelnd: Döllerer, BB 1988, 238, 241; Söffing, StbJb 1988/89, 121, 132 f.), und zwar im Wesentlichen mit den im Gutachten ausführlich wiedergegebenen Gründen (s. auch die Zusammenfassung bei Schulze-Osterloh, a.a.O., S. 840 ff.).

Die Gegenmeinung (Lambrecht in Kirchhof/Söhn, a.a.O., Rdnr. E 23; Schreiber in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz. 842; Weber-Grellet in Schmidt, a.a.O., § 5 Rz. 409) macht demgegenüber im Wesentlichen ungeachtet zum Teil "erheblicher systematischer Bedenken" (Lambrecht in Kirchhof/Söhn, a.a.O.) geltend, die Regelung sei nicht willkürlich, weil sie vorrangig dazu diene, den befürchteten erheblichen Steuerausfällen entgegenzuwirken. Der Verstoß gegen das Maßgeblichkeits- und Nettoprinzip sei im Übrigen deshalb verfassungsrechtlich irrelevant, weil bis zur "Rechtsprechungsänderung" im Jahr 1987 derartige Passivierungen nicht in Betracht gekommen seien und im Übrigen die Gewinnminderung im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung erfasst werde, also insoweit nur eine haushaltspolitisch gerechtfertigte zeitliche Verlagerung vorliege (so insbesondere Schreiber in Blümich, a.a.O.).

3. Entscheidungserheblichkeit

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit stellt sich unmittelbar nur hinsichtlich des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F., weil im angefochtenen Bescheid nur gestützt auf diese Vorschrift die Rückstellung im Gesamtbetrag von 69 290 DM (davon 4 989 DM aus dem Streitjahr, 64 301 DM aus früheren Jahren) in Höhe von 23 096 DM gewinnerhöhend aufgelöst wurde. Die darin liegende Rechtsbeeinträchtigung kann nur beseitigt werden, wenn sich ergibt, dass dieser Maßnahme von Verfassungs wegen die gesetzliche Grundlage fehlt.

Mit verfassungskonformer Auslegung kann nicht geholfen werden, weil der mögliche Wortsinn als Grenze jeder Auslegung (Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Rz. 111; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 322) unmissverständlich ist. Auch für Rechtsfortbildung ist kein Raum.

Die Möglichkeit, dass das BVerfG die den angefochtenen Steuerbescheid im streitigen Punkt tragende Regelung trotz Verfassungswidrigkeit zeitweise für weiterhin anwendbar hält, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich (BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 1 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, 659, unter B. I.).

Nicht im Streit steht, inwieweit die in § 5 Abs. 4 EStG für die Bildung von Jubiläumsrückstellungen vorgesehenen Einschränkungen einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil sie für das Streitjahr noch nicht gelten.

III. Meinung des Senats zur Verfassungsfrage

Die Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung des StRG erweist sich nach Überzeugung des vorlegenden Senats im Streitfall in zweifacher Weise als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar

- zum einen in der völligen Nichtanerkennung der Bildung von Jubiläumsrückstellungen i.S. des § 5 Abs. 4 a.F. EStG für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1992 mit der Folge im angefochtenen Bescheid, dass die Zuführung in Höhe von 4 989 DM für das Streitjahr bei der Bemessungsgrundlage nicht gewinnmindernd berücksichtigt wurde;

- zum anderen in der anteiligen Auflösung der in früheren Jahren gebildeten Rückstellung, die sich in einer weiteren Gewinnerhöhung in Höhe von 18 107 DM auf die streitige Steuerfestsetzung auswirkte.

Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 BVerfGG ist deshalb Verfahrensaussetzung und Vorlage geboten (s. dazu auch o. unter B.I.3.):

1. Die vorgenannte Regelung verstößt mit ihrem für den Streitfall bedeutsamen Inhalt nach den Kriterien der "neuen Formel" (seit BVerfG-Beschluss vom 7. Oktober 1980 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88 st. Rspr. - s. z.B. Beschluss vom 17. Juli 1995 1 BvR 892/89, BStBl II 1995, 810, unter II.; weitere Nachweise bei Birk, Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz. 440 f.; Osterloh in Sachs, Grundgesetz, Art. 3 Rz. 13 f.) insofern gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als sie eine Gruppe von Normadressaten, nämlich diejenigen, die, wie der Kläger, für die Zeit zwischen 1988 und 1992 Jubiläumsrückstellungen gebildet haben, im Vergleich zu anderen Normadressaten benachteiligt: sowohl gegenüber Steuerpflichtigen, die derartige Rückstellungen außerhalb dieses Zeitraums gebildet haben, als auch gegenüber Normadressaten, die innerhalb dieses Zeitraums gleichartige Rückstellungen gebildet haben, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Der Unterschied zu den Normadressaten der ersten Fallgruppe ist ein rein zeitlicher, der zur zweiten Fallgruppe (etwa zu Steuerschuldnern, die Rückstellungen für Verpflichtungen aus Treueprämien gebildet haben, die nicht an ein Dienstjubiläum gebunden sind) ein sachlich nicht relevanter, weil Jubiläumsrückstellungen sämtliche Voraussetzungen erfüllen, die gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB (früher § 152 Abs. 7 AktG a.F.) zur Bildung solcher Passivposten berechtigen und verpflichten, d.h.:

Es handelt sich um (betrieblich veranlasste) dem Grunde nach nicht mit Sicherheit, aber doch mit Wahrscheinlichkeit bestehende oder entstehende, in ihrer Höhe unsichere, am Bilanzstichtag wirtschaftlich verursachte Verbindlichkeiten, aus denen nach den zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verhältnissen der Steuerschuldner wahrscheinlich in Anspruch genommen wird (s. allgemein dazu: BFH-Urteile vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550, unter II. 7.; vom 8. Juli 1992 XI R 50/89, BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910; vom 6. Dezember 1995 I R 14/95, BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406, unter II.1., und vom 17. Dezember 1998 IV R 21/97, BFHE 187, 552, unter 3.; s. auch Knobbe-Keuk, a.a.O., § 4 V.5.c sowie zur identischen österreichischen Rechtslage: Österr. VfGH, in ÖStZB 1998, 119, unter 6.2.1.). Demgemäß hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 nicht etwa eine völlig neue Rechtslage geschaffen, sondern (in einem "letzten Schritt") die höchstrichterliche Rechtsprechung überwiegend der Meinung im Schrifttum zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB angepasst (so auch Schulze-Osterloh in Festschrift für Friauf, a.a.O., S. 840 f., m.w.N.; s. im Übrigen zur Zuordnung von Jubiläumsrückstellungen zu den allgemeinen Verbindlichkeitsrückstellungen schon BFH in BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753, unter 1.; ausführlich und auch hinsichtlich der Höhe generell uneingeschränkt BFH in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845, unter 1. b und 2.; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 5 Rdnr. E 18; Schulze-Osterloh, a.a.O., S. 842 f.; Österr. VfGH in ÖStZB, 1998, 119, 122, unter 6.2.2., jeweils m.w.N.).

Auch der Gesetzgeber des StRG 1990 selbst hat einen die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund nicht erkennen lassen, im Gegenteil: Die uneingeschränkte Duldung von Jubiläumsrückstellungen bis zum Veranlagungszeitraum 1987 einschließlich und ihre ausdrückliche (in § 5 Abs. 4 EStG nur an bestimmte zusätzliche Voraussetzungen geknüpfte) Billigung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 bestätigen, dass auch der gesetzlichen Regelung die prinzipielle Gleichwertigkeit von Jubiläumsrückstellungen und sonstigen Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten zu Grunde liegt (s. im Übrigen auch die Zitate unter B.I.2.a).

Vor diesem Hintergrund erweist sich die zeitweilige Ungleichbehandlung des gleichen Lebenssachverhalts aus der Sicht der betroffenen Normadressaten als willkürlich. Ein rechtfertigender Grund für die Differenzierung ist nicht erkennbar.

a) Bei der in diesem Zusammenhang erforderlichen Gewichtung kommt es entscheidend auf den objektiven Norminhalt, nicht auf die Einschätzung des Gesetzgebers an (generell zur Maßgeblichkeit objektiven Normverständnisses: BVerfG-Beschluss vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106, 121, BStBl II 1989, 938, 943; Larenz, a.a.O., S. 316 ff.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Rz. 82 ff., jeweils m.w.N.). Aus diesem Grunde ist es für die verfassungsrechtliche Beurteilung der im Steuerreformgesetz 1990 für Jubiläumsrückstellungen getroffenen Sonderregelung unbeachtlich, dass sie der Gesetzgeber im Rahmen des § 52 EStG bei den "Anwendungsvorschriften" getroffen hat. Ganz abgesehen davon, dass es für "Überleitungsvorschriften" keinen verfassungsrechtlichen "Sonderstatus" gibt, erschöpfte sich diese Regelung ihrem wirklichen Inhalt nach --wie zuvor dargelegt-- nicht etwa in der (durch Rechtsprechungsänderung veranlassten) Anpassung an eine gewandelte rechtliche Situation (z.B. durch die Anordnung befristeter Fortgeltung einer bisher geübten Rechtsanwendung), sondern wirkte unmittelbar gestaltend auf die Rechtslage ein.

b) Wegen des letztlich maßgeblichen objektiven Regelungsgehalts einer Norm (s. zuvor unter a) fällt auch der Umstand nicht entscheidend ins Gewicht, dass der Gesetzesentwurf insgesamt der "Steuervereinfachung" sowie dem Abbau von "Steuervergünstigungen" und "Sonderregelungen" dienen sollte (BTDrucks 11/2157, S. 1; s. auch o. unter B.I.2.c). Bedeutsam ist allein, dass die Neuregelung zum einen --schon wegen ihrer jeweils unterschiedlichen Auswirkung auf drei Perioden (s.o. unter B.I.3.)-- keineswegs vereinfachend wirkte, zum anderen Grundfragen der Gewinnermittlung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG bzw. der hierfür in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG festgelegten Modalitäten betraf (dazu nachstehend unter 2.), also nicht als Sozialzweck- oder Lenkungsnorm, sondern als Fiskalzwecknorm zu qualifizieren ist (Tipke/Lang, a.a.O., § 4 Rz. 19 ff.). Im Übrigen aber würde auch eine abweichende sachliche Zuordnung letztlich keine andere verfassungsrechtliche Beurteilung erlauben (s. dazu näher unter 2.).

c) Der dem Gesetzgeber besonders im Steuerrecht zugebilligte Generalisierungs- und Typisierungsspielraum (z.B. BVerfG-Beschluss vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518), der für belastende Regelungen ohnedies eingeengt ist (BVerfG-Beschluss vom 26. April 1978 1 BvL 29/76, BVerfGE 48, 227, 239), rechtfertigt die Ungleichbehandlung schon deshalb nicht, weil diese nicht etwa in der Vernachlässigung individueller Besonderheiten zugunsten einer allgemeineren Betrachtungsweise, sondern darin liegt, dass der gleiche Sachverhalt in drei aufeinander folgenden Zeiträumen unterschiedlich gestaltet wird. Auch handelt es sich nicht um die Bewältigung von Lebenssachverhalten, die sich massenhaft wiederholen (wie etwa im Bereich der Lohnsteuererhebung: BVerfG in BVerfGE 48, 227, 239; s. dazu auch FG Münster, Vorlagebeschluss vom 11. Juni 1999 4 K 5776/98 E, EFG 1999, 977, 981, m.w.N.). Vielmehr sind für Finanzverwaltung und Finanzgerichte keine besonderen Schwierigkeiten erkennbar, die Bildung von Jubiläumsrückstellungen im Einzelfall dem Grunde und der Höhe nach auf ihre Berechtigung zu prüfen (so auch der Österr. VfGH in ÖStZB 1998, 119, 123 unter 7.3.).

d) Die zur Begründung des zeitlich begrenzten Rückstellungsverbots und Rückstellungsauflösungsgebots angeführten haushaltsrechtlichen Erwägungen (s.o. unter B.I.2.c) für sich allein sind nicht geeignet, die gleichheitswidrigen Differenzierungen zu rechtfertigen, zumal diese außerdem auch noch gegen spezielle Ausformungen des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (dazu näher unter 2. und 3.); ebenso auch Österr. VfGH in ÖStZB 1998, 119, 123, unter 7.3. a.E.).

2. Die zeitweilige Ausgrenzung der Jubiläumsrückstellungen aus der geltenden Passivierungsregelung für Verbindlichkeitsrückstellungen verstößt gegen das für das Steuerrecht (zur bereichsspezifischen Anwendung des Gleichheitssatzes: BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, unter C.II. 1. a; Osterloh in Sachs, a.a.O., Art. 3 Rz. 37, m.w.N.) aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot der Belastungsgleichheit. Danach wird dem Steuergesetzgeber zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes ein weitreichender Gestaltungsspielraum zugestanden, aber zugleich aufgegeben, nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig i.S. der Belastungsgleichheit umzusetzen (BVerfG-Entscheidungen in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, unter C.II. 1.d; vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1999, 44, unter I.2.; vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, HFR 1999, 292, unter I.1. sowie vom 29. Oktober 1999 2 BvR 1264/90, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1999, 494, 496 unter II., und vom 10. November 1999 2 BvR 2861/93, UR 1999, 498, 499 f., unter II.; s. auch Vorlagebeschlüsse des erkennenden Senats vom 24. Februar 1999 X R 171/96, BFHE 188, 69, BStBl II 1999, 450, unter B. V. 2.c und des FG Münster in EFG 1999, 977, 980, unter 3.; ebenso Kirchhof, StuW 1984, 297, 312).

Vor allem wegen Verstoßes gegen dieses Folgerichtigkeitsgebot hat das BVerfG folgende steuerrechtliche Regelungen als verfassungswidrig angesehen:

- den völligen Ausschluss der Verlustrechnungen in § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. (in BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44);

- die Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigungen i.S. des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG a.F. (in BVerfGE 99, 280, HFR 1999, 292);

- den Ausschluss eines selbständigen Heileurythmisten von der Befreiungsregelung Heilhilfsberufe i.S. des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- (in UR 1999, 494, 496);

- die Rechtsformabhängigkeit der Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Leistungen gemäß § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG (in UR 1999, 498, 499 f.).

Dasselbe Verfassungsverständnis liegt der Erkenntnis des Österr. VfGH (in ÖStZB 1998, 119) und dem Vorlagebeschluss des FG Münster (in EFG 1999, 977; Az. des BVerfG: 2 BvL 7/99) zu Grunde.

In den drei zuletzt genannten Entscheidungen hat das BVerfG Systemgerechtigkeit sogar für Vergünstigungsregelungen eingefordert. Umso mehr muss dies gelten, wenn es --wie im Streitfall-- um die Vereinbarkeit von Fiskalzwecknormen mit Art. 3 Abs. 1 GG geht.

Zu den selbstgesetzten Maßstäben, an die sich der Gesetzgeber zur Wahrung der Belastungsgleichheit zu halten hat, gehören im Bereich der Einkommensteuer vor allem die in § 2 EStG festgelegten Grundzüge der Entstehung und Bemessung der Steuerschuld: D.h. neben der Festlegung des Belastungsgrundes, der Ausgestaltung der Einkünfteerzielungstatbestände (§ 38 der Abgabenordnung --AO 1977--) in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG auch die Fixierung der Einzelheiten für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage in § 2 Abs. 2 bis 7 EStG (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44, unter II.1.; vorlegender Senat in BFHE 188, 69, BStBl II 1999, 450, unter B.V. und VI.; FG Münster in EFG 1999, 977).

Grundlegende Bedeutung in diesem Zusammenhang kommt der in § 2 Abs. 2 EStG für die verschiedenen Einkunftsarten festgelegten Art der Einkünfteermittlung zu und dem in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG verankerten Prinzip der Maßgeblichkeit der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die Steuerbilanz (Maßgeblichkeitsgrundsatz).

Keiner Klärung bedarf hier das überaus umstrittene Problem der Tragweite des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (s. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II., S. 611 ff.; Tipke/Lang, a.a.O., § 9 Rz. 307 ff.; Weber-Grellet in Schmidt, a.a.O., § 5 Rz. 26 ff., jeweils m.w.N.). Für die Verfassungsprüfung im Streitfall (s. dazu auch Schulze-Osterloh in Festschrift für Friauf, a.a.O., S. 836 f.) ist von der noch immer geltenden Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB auszugehen; dies bedeutet, dass

- alle Rückstellungen aus ungewissen Verbindlichkeiten, die den hierfür geltenden handelsrechtlichen Anforderungen entsprechen, steuerrechtlich zu berücksichtigen sind, und die Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen hierunter fallen (s. dazu näher o. unter B.I.2.a und III.1.);

- der Gesetzgeber des StRG 1990 sich diese Erkenntnis ebenfalls zu eigen gemacht hat, wie die Behandlung der bis einschließlich 1987 gebildeten Rückstellungen gleichermaßen belegt wie die ab Veranlagungszeitraum 1993 hierfür geltende Regelung (s.o. unter B.II.3.);

- die völlige Nichtberücksichtigung solcher Rückstellungen in der Zwischenzeit ebenso einen Systembruch im zuvor umschriebenen Sinne darstellt wie die angeordnete gewinnerhöhende Auflösung für schon gebildete Rückstellungen dieser Art;

- die zur Begründung für diese Ausnahmeregelung angeführten haushaltsrechtlichen Erwägungen als sachlich ungeeignete Rechtfertigungsversuche anzusehen sind, weil sie nicht zu erklären vermögen, warum

- gerade die von der Systemdurchbrechung betroffenen Steuerschuldner die Folgen einer solchen haushaltspolitischen Entscheidung zu tragen haben,

- der Ausgleich der Haushaltsdefizite nicht vorrangig in dem für die Systematik des EStG und verfassungsrechtlich grundsätzlich weniger problematischen Bereich außerfiskalischer Steuervergünstigungen versucht wurde (im Ergebnis ebenso Schulze-Osterloh in Festschrift für Friauf, a.a.O., S. 840, unter Berufung auf den Beschluss des BVerfG vom 17. Januar 1957 1 BvL 4/54 BVerfGE 6, 55, 80; vgl. auch Österr. VfGH in ÖStZB 1998, 119, 123, unter 7.3. a.E., m.w.N.).

Im Streitfall hat der durch einen sachlichen Grund nicht gerechtfertigte Systembruch dazu geführt, dass die Einkommensteuer der Kläger für 1988 im angefochtenen Bescheid infolge der streitigen Hinzurechnung zum Gewinn (23 096 DM) zu hoch festgesetzt wurde, indem hinsichtlich der nicht anerkannten Zuführung in Höhe von 4 989 DM eine dem Streitjahr zuzuordnende Gewinnminderung unberücksichtigt blieb (§ 52 Abs. 6 Satz 1 EStG a.F.) und im Übrigen, in Höhe der Rückstellungsauflösung von 18 107 DM (§ 52 Abs. 6 Satz 2 EStG a.F.), der Gewinn erhöht wurde, ohne dass dem --in diesem Veranlagungszeitraum jedenfalls-- ein entsprechender Wertzuwachs zugrunde lag.

Die Nichtberücksichtigung der Zuführung im Jahr 1988 verstößt gegen das System der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, weil die in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften vorgenommene Passivierung ohne sachlichen Grund rückgängig gemacht wurde, und die Auflösung der bisher gebildeten Rückstellungen, weil eine solche Maßnahme nur durch den Fortfall einer solchen Verbindlichkeit gerechtfertigt wäre (§ 249 Abs. 3 Satz 2 HGB).

3. In der zuvor umschriebenen Einwirkung auf die Steuerfestsetzung im angefochtenen Bescheid liegt zugleich eine Verletzung des dem Grundschema der Einkommensbesteuerung in § 2 EStG zugrunde liegenden Nettoprinzips, demzufolge nur das Nettoeinkommen (Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen) besteuert wird (BVerfG in BVerfGE 99, 280, HFR 1999, 292, unter II.1.a; Tipke/Lang, a.a.O., § 4 Rz. 113 ff.; Österr. VfGH in ÖStZB 1998, 119, 121 unter 3.) und damit ein Verstoß gegen das hierdurch garantierte Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Diesem Verfassungsverstoß kann nicht mit dem Hinweis auf die Lehre vom formellen Bilanzenzusammenhang begegnet werden (so aber das angefochtene FG-Urteil S. 20/21), weil diese Lehre (ungeachtet der systematischen und verfassungsrechtlichen Einwände, der sie sich ihrerseits ausgesetzt sieht - vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Rz. 127 vor §§ 172 bis 177 AO; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Rz. 103 und § 176 AO Rz. 8, m.w.N.) nur unrichtige Bilanzansätze betrifft.

4. Inwieweit das temporäre Verbot der Bildung von Jubiläumsrückstellungen und das hiermit verknüpfte Gebot der Auflösung solcher Rückstellungen außerdem noch weitere Verfassungsverstöße enthält, lässt der Senat dahingestellt. Die zuvor dargelegte Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG allein reicht aus, die Vorlage zu rechtfertigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422710

BFH/NV 2000, 512

BStBl II 2000, 131

BFHE 189, 479

BFHE 2000, 479

BB 2000, 347

DB 2000, 400

DStR 2000, 233

DStRE 2000, 176

DStZ 2000, 263

HFR 2000, 268

HFR 2000, 368

StE 2000, 82

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