Leitsatz (amtlich)

Hat der Steuerpflichtige beim FA erfolglos beantragt, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen an die Steuer anzupassen, die sich voraussichtlich für den betreffenden Veranlagungszeitraum ergeben wird, so ist eine einstweilige Anordnung, durch die eine entsprechende Verpflichtung des FA ausgesprochen werden soll, nicht zulässig. Zulässig ist es jedoch, das FA zu verpflichten, bisher festgesetzte Vorauszahlungen einstweilen zu stunden.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; EStG § 35; ZPO § 921 Abs. 2 S. 1, § 926

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) sind nach ihrer Darstellung an der Y-Fonds KG als Kommanditisten mit einer Einlage von 40 000 DM beteiligt. Sie beantragten bei dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) unter Vorlage einer Bescheinigung der Kommanditgesellschaft, die Einkommensteuervorauszahlungen "für den 10. Juni 1974, 10. September 1974 und 10. Dezember 1974 zu streichen bzw. anzupassen"; in dieser Bescheinigung teilte die Kommanditgesellschaft u. a. mit: "Nach den beim Finanzamt ... am 8. Februar 1974 vorgelegten Unterlagen beträgt die Verlustquote ca. 257 % Ihrer Einzahlung. Demnach entfällt auf Ihre Beteiligung ein Verlustanteil für 1974 in Höhe von 102 800 DM, der sich um das Agio von 5 % des Zeichnungsbetrages erhöht." Dementsprechend gaben die Beschwerdeführer als voraussichtlichen Verlustanteil den Betrag von 104 800 DM an.

Durch Verfügung vom 10. Juni 1974 teilte das FA den Beschwerdeführern mit, daß es dem Antrag zur Zeit nicht entsprechen könne. Mit Schreiben vom 27. August 1974 wiederholten die Beschwerdeführer den Antrag mit der Maßgabe, die für 1974 festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen anzupassen; hilfsweise beantragten sie, die festgesetzten Vorauszahlungen zum 10. September und 10. Dezember 1974 zu stunden, weil das Betriebs-FA die vorläufige Bescheinigung über den zu erwartenden Verlust der Kommanditgesellschaft noch nicht erteilt habe.

Das FA lehnte durch die Verfügung vom 16. September 1974 sowohl den Hauptantrag als auch den Hilfsantrag ab. Der von der Kommanditgesellschaft behauptete Verlust sei dem "für die Entscheidung über die voraussichtlichen Einkünfte aus der Beteiligung" zuständigen Betriebs-FA nicht glaubhaft gemacht; der behauptete Verlustanteil könne daher für Zwecke der Festsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen nicht berücksichtigt werden. Da somit die Entstehung eines künftigen Erstattungsanspruches nicht glaubhaft gemacht sei, komme auch eine Stundung nicht in Betracht. Gegen diese Verfügung haben die Beschwerdeführer Beschwerde zur OFD erhoben, über die - ausweislich der Akten - noch nicht entschieden ist.

Beim FG beantragten die Beschwerdeführer, dem FA durch einstweilige Anordnung aufzugeben, die "Herabsetzung auf 0 DM bzw. hilfsweise Stundung der Vorauszahlungen für das III. und IV. Quartal 1974 in Höhe von DM 10 650 ESt, DM 1 066 KiSt und DM 309 Ergänzungsabgabe bis zur endgültigen ESt-Veranlagung zu gewähren". Das FG hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer hätten keine Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht, die den Schluß rechtfertigten, die Entrichtung der festgesetzten Vorauszahlungen bringe den Beschwerdeführern wesentliche Nachteile im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO.

Mit der Beschwerde beantragen die Beschwerdeführer, den Beschluß des FG aufzuheben und das FA durch einstweilige Anordnung zu verpflichten,

a) die Einkommensteuervorauszahlungen 1974 auf 0 DM festzusetzen,

b) hilfsweise, die Vorauszahlungen für das III. und IV. Quartal 1974 in Höhe von 10 650 DM Einkommensteuer, 1 066 DM Kirchensteuer und 309 DM Ergänzungsabgabe bis zur endgültigen Einkommensteuerveranlagung zu stunden.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

I. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Beziehung auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.

1. Der Hauptantrag der Beschwerdeführer, das FA zu verpflichten, die Einkommensteuervorauszahlungen 1974 auf 0 DM festzusetzen, ist schon deshalb vom FG mit Recht zurückgewiesen worden, weil durch eine entsprechende einstweilige Anordnung das Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorweggenommen und dieser endgültig vorgreifen würde (Beschluß des BFH vom 9. Dezember 1969 VII B 127/69, BFHE 97, 575, BStBl II 1970, 222, mit Nachweisen). Durch eine einstweilige Anordnung darf keine Regelung bewirkt werden, zu der die Verwaltungsbehörde erst durch Verpflichtungsurteil verurteilt werden könnte (BFH-Beschluß VII B 127/69). Eine solche Lage würde aber durch die von den Beschwerdeführern in erster Linie erstrebte Regelung geschaffen.

Wenn das FG gemäß dem Hauptantrag das FA verpflichten würde, die Einkommensteuervorauszahlungen 1974 auf 0 DM festzusetzen, so wären damit die Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 1974 endgültig geregelt; die Anordnung entspräche dem Regelungsgehalt eines Urteils, durch das das FA entsprechend verpflichtet würde. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO erlaubt jedoch nur vorläufige Regelungen (BFH-Baschluß VII B 127/69).

Um eine vorläufige Regelung würde es sich auch nicht deshalb handeln, weil die Festsetzung der Vorauszahlungen gemäß § 35 EStG im Verhältnis zur Steuerfestsetzung aufgrund § 25 EStG, §§ 210 b, 211 AO eine vorläufige Maßnahme ist. In dem Beschluß vom 26. Februar 1975 I B 96/74 (BFHE 115, 17, BStBl II 1975, 449) konnte der Senat die Frage offenlassen, ob die Vorläufigkeit der Regelung auf den Anspruch auf Anpassung der Vorauszahlungen bezogen sein müsse oder ob es ausreiche, daß die Festsetzung von Vorauszahlungen im Verhältnis zur Steuerfestsetzung durch Veranlagung vorläufig sei. Diese Frage ist in dem zuerst genannten Sinne zu beantworten.

§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO läßt die "Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" zu. Streitiges Rechtsverhältnis, das die Beschwerdeführer zur Hauptsache verfechten, ist der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen, nicht aber der Streit um die Festsetzung der Einkommensteuer gemäß § 25 EStG, §§ 210 b. 211 AO. Nur von diesem Standpunkt aus bleibt die kraft Verweisung in § 114 Abs. 3 FGO geltende Regelung des § 926 ZPO sinnvoll. Gemäß dieser Vorschrift hat, wenn die Hauptsache nicht anhängig ist, das die einstweilige Anordnung aussprechende Gericht auf Antrag anzuordnen, daß die Partei, die die einstweilige Anordnung erwirkt hat, binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben habe. Die Klage selbst muß die Hauptsache - das streitige Rechtsverhältnis - betreffen (vgl. Beschlüsse des BFH vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633, und vom 6. Oktober 1972 III B 39/71, BFHE 107, 234, BStBl II 1973, 123; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 32. Aufl., § 926 Anm. 3 A).

2. Der Hilfsantrag, mit dem die Beschwerdeführer verlangen, das FA zur Stundung der Einkommensteuer-, Kirchensteuer- und Ergänzungsabgabe-Vorauszahlungen für das III. und IV. Quartal 1974 zu verpflichten, ist nicht schon aus den vorstehend dargelegten Gründen zurückzuweisen. Durch den Hilfsantrag wird eine vorläufige Regelung erstrebt. Das Ergebnis einer Entscheidung über den behaupteten Anspruch auf Anpassung der Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 1974 würde durch die Stundung nicht vorweggenommen. Durch die Stundung würden die Beschwerdeführer nur einstweilen von der Verpflichtung befreit, die Vorauszahlungen für das III. und IV. Quartal 1974 zu entrichten.

a) Der Hilfsantrag ist jedoch unbegründet, weil die Beschwerdeführer den behaupteten Anspruch auf Anpassung der Vorauszahlungen - den Anspruch, den sie zur Hauptsache verfechten wollen (Beschluß des BFH II B 2/71, BFHE 102, 240) - nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Eine stattgebende Entscheidung gegen Sicherheitsleistung (§ 114 Abs. 3 FGO, § 921 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ist aus den im Beschluß des BFH II B 2/71 (BFHE 102, 240 Nr. 2 letzter Absatz) dargestellten Gründen nicht möglich. Unter diesen Umständen käme die begehrte Stundung der zum 10. September und zum 10. Dezember 1974 fälligen Vorauszahlungen nur dann in Betracht, wenn glaubhaft gemacht wäre, daß die Steuer, die sich für den Veranlagungszeitraum 1974 voraussichtlich ergeben wird (§ 35 Abs. 2 Satz 2 EStG), nur so hoch sein wird wie die Summe der zum 10. März und zum 10. Juni 1974 fällig gewordenen und bezahlten Vorauszahlungen.

b) Hinsichtlich der Steuer, die sich voraussichtlich für den Veranlagungszeitraum 1974 ergeben wird, beziehen sich die Beschwerdeführer allein auf eine Verlustberechnung der Gesellschaft, deren Kommanditisten sie sind. Die Richtigkeit dieser Verlustberechnung ist umstritten. Tatsachen, die es ermöglichen würden, die Behauptung der Beschwerdeführer über die Höhe des Verlustanteils zu erhärten, sind nicht ausreichend vorgetragen. Weder die Bescheinigung der Kommanditgesellschaft noch die Zwischenbilanz zum 31. August 1974 mit einer den Zeitraum vom 21. Januar 1974 bis 31. August 1974 umfassenden Verlust- und Gewinnrechnung einer "Tochtergesellschaft" der Kommanditgesellschaft, deren Verlust "in wesentlicher Höhe" die Kommanditgesellschaft treffen soll, reicht dafür aus. Sonstige Unterlagen sind aus den Akten nicht ersichtlich.

Zu berücksichtigen ist ferner, daß zu den Besteuerungsgrundlagen, die für die voraussichtliche Höhe der Jahressteuer 1974 maßgebend sind, nicht nur der behauptete Verlust, sondern auch andere Besteuerungsgrundlagen gehören. Zu diesen Besteuerungsgrundlagen haben sich die Beschwerdeführer nicht geäußert. Aus den dem Senat vorliegenden Akten ergibt sich, daß das Einkommen der Beschwerdeführer im Jahre 1969 rd. 129 000 DM, im Jahre 1970 rd. 193 000 DM und im Jahre 1971 unter Berücksichtigung einer Verlustzuweisung von rd. 15 500 DM etwa 165 000 DM (hiervon sind aufgrund eines Einspruches gegen einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid Einkünfte in Höhe von 25 124 DM ausgesetzt) betragen hat. Von dem umstrittenen Verlust für das Jahr 1974 abgesehen haben die Beschwerdeführer keine Angaben über die sonstigen Besteuerungsgrundlagen gemacht, die für die Bemessung der voraussichtlichen Steuer für den Veranlagungszeitraum 1974 erheblich sein könnten. Mangels entsprechender Angaben ist es unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Grundlagen für die Berechnung der Höhe des behaupteten Verlustes nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht sind, und daß die Beschwerdeführer in den vergangenen Jahren erhebliche Einkünfte aus einer anderen Personengesellschaft erzielt haben, nicht möglich festzustellen, daß die Beschwerdeführer aus Anlaß der Veranlagung für 1974 wahrscheinlich mit einer Erstattung der Beträge rechnen können, deren Stundung sie begehren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71121

BStBl II 1975, 778

BFHE 1976, 83

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge