Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Schätzung bei ungeklärten Bareinzahlungen eines selbständig tätigen Steuerberaters

 

Leitsatz (NV)

  1. Beruht der Sachaufklärungsmangel auf der unzureichenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen, so verringert sich das Beweismaß entsprechend der Pflichtverletzung auf eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit und die Besteuerungsgrundlagen sind in der Höhe anzusetzen, die der Wirklichkeit am nächsten kommt.
  2. Wurde die Möglichkeit, dass ungeklärte Bareinzahlungen aus bisher unversteuertem Kapitalvermögen stammen könnten, in der mündlichen Verhandlung vom FG angesprochen, so kann das FA auch dann nicht davon ausgehen, dass das Gericht diesen Gesichtspunkt nicht mehr aufgreifen würde, wenn die Beteiligten dieser Sachverhaltswürdigung in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend widersprochen haben. Jedenfalls hat das FG mit dieser Würdigung dem Rechtsstreit nicht eine Wendung gegeben, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten.
 

Normenkette

AO 1977 § 162

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Urteil vom 14.10.2002; Aktenzeichen 17 K 7587/99 E)

 

Gründe

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

Der Senat sieht von einer Darstellung des Tatbestands gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.

1. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aus den benannten Divergenzentscheidungen und der Vorentscheidung gegenübergestellt hat, aus denen sich schlüssig eine Abweichung ergibt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. August 2002 VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606, 1607, m.w.N.). Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) weicht jedenfalls nicht von den Urteilen des BFH ab, die das FA bezeichnet und auf die sich auch das FG zur Begründung seiner Entscheidung bezogen hat.

a) Das FA ist der Auffassung, nach der Rechtsprechung des BFH sei davon auszugehen, dass ungeklärte Zuflüsse auf einem betrieblichen Konto als Betriebseinnahmen behandelt werden können, wenn der Steuerpflichtige nicht an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirke. Danach sei auch dann zu Lasten des "Beweisverderbers" zu entscheiden, wenn dieser nicht die Feststellungslast trage. Diesen dem Urteil des BFH vom 15. Februar 1989 X R 16/86 (BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462) zu entnehmenden Grundsatz stelle das FG in Frage. Das trifft indessen nicht zu. Das FG hat sich gerade auf die Ausführungen des BFH im Urteil in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 gestützt, um seine Schätzungsbefugnis gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO dem Grunde nach darzulegen. Es hat dazu ausgeführt, dass die fehlende Aufklärung des Sachverhalts unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht nach den Regeln der objektiven Beweislast aufzulösen sei. Aus der Nichtbenennung der Darlehensgeber, einem Verhalten, das allein dem Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) zuzurechnen sei, folge vielmehr, dass auch für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden könnten.

b) Entgegen der Auffassung des FA ist der Entscheidung des BFH in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 jedoch nicht zu entnehmen, dass als Schlussfolgerung zu Lasten des Beweisvereitlers stets nur die Würdigung in Betracht käme, unaufgeklärte Kapitalzuführungen beruhten auf nicht versteuerten Betriebseinnahmen. Entscheidend für diese Würdigung waren vielmehr die dem FG in jenem Rechtsstreit zugänglichen Tatsachen und Beweismittel: Einmal nämlich die außergewöhnliche Gestaltung der beiden Einlagevorgänge (Überweisung von einem Festgeldkonto, das nur zehn Tage lang bestand - Einzahlung eines relativ hohen Barbetrags) und zum anderen die widersprüchlichen Angaben zur Herkunft der Gelder (BFH-Urteil in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 zu 5.b bb der Entscheidungsgründe), die bald aus privaten Mitteln, bald aus nichtselbständiger Arbeit und Gewerbebetrieb oder "gewissen Sparguthaben", schließlich aber aus zinslosen Verwandten-Darlehen stammen sollten.

c) Im Streitfall hingegen hat der Kläger, der im Übrigen ―auch anders als im Fall des Urteils in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462― seinen Gewinn nicht durch Betriebsvermögensvergleich, sondern nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt, zu keiner Zeit behauptet, die Gelder seien dem betrieblichen Konto im Wege der Einlage zugeführt worden, die sich bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung aber auch nicht gewinnmäßig auswirken würde (s. nur Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Anm. 584, 4. Überschrift, m.w.N.). Er hat vielmehr stets vorgetragen, die Gelder seien ihm darlehensweise von Bekannten zugewandt worden und daher (ebenfalls) ohne Einfluss auf die Gewinnermittlung geblieben (s. nur Senatsurteil vom 15. November 1990 IV R 103/89, BFHE 162, 567, BStBl II 1991, 228, m.w.N.). Auf dieser Grundlage ist das FG nach einer ausführlichen Würdigung des Sachverhalts und der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zu dem Ergebnis gelangt, dass die Schätzung der Höhe nach keinen Bestand haben kann, weil sie ungeachtet der pflichtwidrigen Weigerung des Klägers, den Sachverhalt aufzuklären, nicht die "Vermutung größtmöglicher Wahrscheinlichkeit" für sich hat.

d) Damit aber hat das FG den für steuerbegründende und -erhöhende Tatsachen geltenden allgemeinen Grundsatz beachtet, der auch dem Urteil des BFH in BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 zu Grunde liegt. Beruht der Sachaufklärungsmangel auf der unzureichenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen, so verringert sich das Beweismaß entsprechend der Pflichtverletzung auf eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit (Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., 2002, § 21 Rz. 216) und die Besteuerungsgrundlagen sind in der Höhe anzusetzen, die der Wirklichkeit am nächsten kommt (vgl. BFH-Urteile vom 31. August 1967 V 241/64, BFHE 89, 472, BStBl III 1967, 686, und vom 10. November 1987 VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278). Nach Auffassung des FG aber kommt die Annahme, der Kläger habe den Betrag von … DM aus verheimlichten Sparguthaben erbracht, der Wirklichkeit am nächsten. Dies hat das FG im Einzelnen begründet.

e) Nach diesen Ausführungen ist eine Entscheidung des Senats über die Revision weder zur Rechtsfortbildung noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

2. Auch die gerügten Verfahrensmängel ungenügender Sachaufklärung und der Verletzung rechtlichen Gehörs greifen nicht durch.

a) Soweit das FA beanstandet, das FG hätte das Vorhandensein von Einkünften aus Kapitalvermögen im Streitjahr gemäß § 76 FGO weiter aufklären müssen, entspricht diese Rüge nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Zwar trägt das FA vor, das Gericht hätte die Vermögenslage des Klägers auch durch eine Vernehmung der entsprechenden Mitarbeiter der Bank aufklären können. Die schlüssige Rüge mangelnder Sachaufklärung erfordert aber u.a. die Darlegung, dass die ungenügende Sachaufklärung bereits vor dem FG gerügt worden sei oder dass eine derartige Rüge nicht möglich gewesen sei (s. etwa BFH-Beschluss vom 13. November 1996 II B 36/96, BFH/NV 1997, 493). Daran fehlt es der Beschwerdebegründung ebenso wie an dem weiteren Erfordernis der Darlegung, was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489) und weshalb die Vorentscheidung auf dem Fehlen dieses Beweisergebnisses beruhen könnte (BFH-Urteil vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443). Auch lässt sich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2002 nicht entnehmen, dass das FA die unterlassene Zeugeneinvernahme oder den Verzicht auf eine sonstige Beweisaufnahme vor dem FG gerügt hätte.

b) Schließlich greift auch die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch Erlass einer Überraschungsentscheidung (§ 96 Abs. 2 FGO; Art. 103 des Grundgesetzes) nicht durch. Eine verbotene Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn ein Urteil ohne vorherigen Hinweis des Gerichts auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren mit den Beteiligten erörtert wurde und der auch nicht nahe liegt. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt dagegen nicht vor, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die bisher nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375, Nr. 1, m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen hat das FG in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt. Wie das FA selbst vorträgt, wurde die Möglichkeit, dass die ungeklärten Bareinzahlungen aus bisher unversteuertem Kapitalvermögen stammen könnten, in der mündlichen Verhandlung vom FG angesprochen. Auch wenn die Beteiligten ―wie das FA weiter vorgetragen hat― dieser Sachverhaltswürdigung in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend widersprochen haben, konnte insbesondere das FA nicht davon ausgehen, dass das Gericht diesen Gesichtspunkt nicht mehr aufgreifen würde. Jedenfalls hat das FG damit dem Rechtsstreit nicht eine Wendung gegeben, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 1977 IV C 21/77, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 108 VwGO Nr. 98, und Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437, zur Darlegung dieser Voraussetzungen).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1200580

BFH/NV 2004, 1367

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