Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung des FA gegen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch des Schuldners im Insolvenzverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war.

2. Ein Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch, der aus einer Änderung der Bemessungsgrundlage resultiert, ist insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Besteuerung des für die Lieferung oder sonstigen Leistung vereinbarten Entgelts begründet worden.

 

Normenkette

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1999 § 17 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Urteil vom 05.10.2004; Aktenzeichen 5 K 5439/02)

 

Tatbestand

I. Als Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss vom 12. Februar 2001 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin gab der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für die Schuldnerin im Juni 2002 eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung für das I. Quartal 2002 ab, mit der eine frühere Bemessungsgrundlage gemäß § 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1999 um … € gemindert wurde, was zu einer Überzahlung der Umsatzsteuer in Höhe von … € führte. Gegen den Erstattungsanspruch erklärte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Aufrechnung mit einer Lohnsteuerforderung in gleicher Höhe und erließ einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Aufrechnung nicht gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) verstoße, da der Rechtsgrund für den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch bereits in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden sei.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die von der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe --ungeachtet der Mängel bei der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen-- jedenfalls nicht vorliegen.

1. Die von der Beschwerde bezeichnete Rechtsfrage, "wann der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse insolvenzrechtlich entsteht" bzw. ob er --wie es die Beschwerde meint-- im Zeitpunkt der Überzahlung entsteht, ist nicht klärungsbedürftig, da diese Frage durch die Rechtsprechung des beschließenden Senats geklärt ist.

Für die Frage, ob § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger entgegensteht, ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 der Abgabenordnung (AO 1977) entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich "begründet" sind. Im Insolvenzverfahren des Steuerpflichtigen kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob ein Anspruch zur Insolvenzmasse gehört (vgl. § 35 InsO) oder ob die Forderung eines Gläubigers eine Insolvenzforderung ist (§ 38 InsO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Hierfür können auch zivilrechtliche Umstände maßgeblich sein. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise "begründet" worden ist, dass der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen muss auch der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Schuldners beurteilt werden (ständige Rechtsprechung, Senatsurteile vom 21. September 1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; vom 21. September 1993 VII R 68/92, BFH/NV 1994, 521; vom 17. Dezember 1998 VII R 47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423; vom 1. August 2000 VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).

Der beschließende Senat hat auch bereits entschieden, dass kein Anlass besteht, diese auf der Grundlage der Vorschriften der Konkursordnung (KO) entwickelte Rechtsprechung unter der Geltung der InsO zu ändern, da der in § 3 Abs. 1 KO verwendete Begriff des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens "begründeten Vermögensanspruchs" sich in gleicher Weise in § 38 InsO findet und kein Grund erkennbar ist, diesen Begriff nach dem In-Kraft-Treten der InsO anders auszulegen (Senatsurteile vom 5. Oktober 2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195; vom 16. November 2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296; vom 31. Mai 2005 VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745).

Im Streitfall ist das FG von der --offenbar unbestrittenen-- Tatsache ausgegangen, dass die Änderung der Bemessungsgrundlage in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das I. Quartal 2002 einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens getätigten steuerpflichtigen Umsatz der Schuldnerin betraf. Daher ist auch der Rechtsgrund für den streitigen Erstattungsanspruch bereits in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden, nämlich durch die Besteuerung des für die Lieferung oder sonstigen Leistung vereinbarten Entgelts, durch die der Steuerschuldner einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch erlangt, der auf eine Korrektur der ursprünglichen Umsatzsteuerschuld abzielt (vgl. Senatsurteil vom 4. August 1987 VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707). Dass die entsprechende Berichtigung der Bemessungsgrundlage für den Besteuerungszeitraum vorgenommen wurde, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten war, beruhte auf der umsatzsteuerrechtlichen Sonderregelung des § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1999 und führt nicht etwa zu der Annahme, dass das FA erst in diesem Besteuerungszeitraum, in dem die Berichtigung der früheren Bemessungsgrundlage vorgenommen wurde, den daraus resultierenden Erstattungsanspruch i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO "zur Insolvenzmasse schuldig" wurde (vgl. Senatsurteil vom 4. Februar 2005 VII R 20/04, BFHE 209, 13). Eine "doppelte Zahlung", wie sie die Beschwerde als Rechtsgrund für den Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse geltend macht, hat das FG nicht festgestellt.

2. Im Hinblick auf das Urteil des FG Berlin vom 13. Mai 2003  5 K 5083/01 liegt auch der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht vor. Das FG Berlin hat in jenem Urteil --ausgehend von der Rechtsprechung des beschließenden Senats-- in einem besonders gelagerten Fall entschieden, dass der Rechtsgrund eines bestimmten Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs nicht in der Verrechnung mit der geleisteten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung, sondern in der Zahlung einer nicht geschuldeten Steuer zu sehen sei. Diese Einzelentscheidung erfordert --selbst wenn sie rechtlich nicht zutreffend sein sollte-- keine Revisionsentscheidung im Streitfall zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung durch die FG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1457387

BFH/NV 2006, 369

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