Entscheidungsstichwort (Thema)

Pauschalrückstellung für Gewährleistungsverpflichtungen

 

Leitsatz (NV)

Pauschalrückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen sind zu bilden, wenn die Inanspruchnahme des Unternehmers nach den betriebsindividuellen und branchenüblichen Erfahrungen wahrscheinlich ist. Es kommt auf die aus der Sicht des Unternehmens zu erwartende tatsächliche, nicht auf eine nach der Einschätzung der Vertragspartner mögliche Inanspruchnahme an. Das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip fordert nicht, dass bei mehreren Schätzungsalternativen die pessimistischste zu wählen ist.

 

Normenkette

EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3a

 

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Divergenz

a) Die behauptete Divergenz zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Oktober 1982 IV R 39/80 (BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104) ist nicht schlüssig dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Eine Divergenz liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) in den Gründen des angefochtenen Urteils einen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt hat, der die Entscheidung trägt und der von einem ―ebenfalls tragenden― allgemeinen Rechtssatz in einer Entscheidung des BFH abweicht. Nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung ist zwangsläufig mit der Aufstellung eines abstrakten divergierenden Rechtssatzes durch das FG verbunden. Divergenz liegt insbesondere nicht vor, wenn das FG von der Rechtsauffassung des BFH ausgeht und diese lediglich fehlerhaft auf die Besonderheit des Streitfalles anwendet (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 6. April 1995 VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137, und vom 25. November 1999 I B 34/99, BFH/NV 2000, 677).

Dem Vortrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) kann allenfalls entnommen werden, dass das FG die Rechtsprechung des BFH fehlerhaft angewendet hat. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das FG die Schätzung der Pauschalrückstellung unter Berücksichtigung der gesamten Umsätze und der Gewährleistungsverpflichtungen im Gewährleistungszeitraum von fünf Jahren zusammengefasst und daraus nach den Vorgaben des BFH-Urteils eine durchschnittliche Gewährleistungsquote ermittelt hat (unter 3.c und f der Gründe des FG-Urteils).

b) Soweit die Klägerin geltend machen wollte, das FG habe die im Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 18. August 1933 VI A 736/33 (RStBl 1933, 1205) aufgestellten Rechtssätze nicht beachtet, rechtfertigt das keine Zulassung wegen Divergenz (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 30. September 1993 IV B 182/92, BFH/NV 1994, 641). Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung scheidet aus den nachfolgenden Gründen aus.

2. Grundsätzliche Bedeutung

Die von der Klägerin gegen die Rechtsprechung des BFH zur Bewertung von Pauschalrückstellungen bei Gewährleistungsverpflichtungen vorgetragene Kritik erfordert keine erneute Entscheidung zu dieser Rechtsfrage.

a) Der BFH hat die Möglichkeit einer Pauschalrückstellung für Gewährleistungsverpflichtungen seit jeher anerkannt. Diese richtet sich nach der Wahrscheinlichkeit der künftigen Inanspruchnahme; das Wahrscheinlichkeitsurteil ist auf die betriebsindividuellen oder branchenüblichen Erfahrungen der Vergangenheit ―bis zur Aufstellung der Bilanz des jeweiligen Streitjahres― zu stützen; die bloße Möglichkeit der Inanspruchnahme genügt nicht (vgl. ―für Einzel- und Pauschalrückstellungen― BFH-Urteile vom 30. Juni 1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263, und vom 17. Februar 1993 X R 60/89, BFHE 170, 397, BStBl II 1993, 437, sowie ―für Pauschalrückstellungen― u.a. BFH-Urteile in BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104, und vom 22. November 1998 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359, zu II.2.d der Gründe, m.w.N.; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft ―EuGH― vom 14. September 1999 Rs. C-275/97, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1999, 1645; zu Einzelrückstellungen bei Gewährleistungsverpflichtungen BFH-Urteile vom 30. April 1998 III R 40/95, BFH/NV 1998, 1217, und vom 28. März 2000 VIII R 77/96, BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227, zu II.2.b der Gründe, m.w.N.). § 6 Abs. 1 Nr. 3 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) hat die vergangenheitsbezogene Ermittlung der Rückstellungen auf der Grundlage der tatsächlichen Abwicklung der Gewährleistungsverpflichtungen nunmehr gesetzlich geregelt. Die Regelung geht ―wie die bisherige Rechtsprechung― davon aus, dass der Unternehmer erfahrungsgemäß nur hinsichtlich eines Teils der Summe der Gewährleistungsverpflichtungen in Anspruch genommen wird (vgl. u.a. auch Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 6 Rz. 404, m.w.N.). Eine weitere Entscheidung des BFH wäre deshalb auch nicht mehr richtungsweisend (zur Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung bei ausgelaufenem Recht vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 35, m.w.N.).

b) Soweit die Klägerin geltend macht, die Gewährleistungsbürgschaften vermittelten ein besseres Bild von der Vermögenslage als ihre tatsächliche Inanspruchnahme aus den Gewährleistungsverpflichtungen in der Vergangenheit, weist sie nur auf das Gewährleistungsrisiko hin, das nach Einschätzung ihrer Auftraggeber besteht. Es kommt jedoch auf die aus der Sicht des Unternehmens zu erwartende tatsächliche, nicht auf eine nach der Einschätzung der Vertragspartner mögliche Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen an.

Die Ansicht der Klägerin, das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip fordere, bei mehreren Schätzungsalternativen die pessimistischste zu wählen, teilt die Rechtsprechung nicht; sie geht vielmehr davon aus, dass für die Bildung einer Rückstellung mehr Gründe für als gegen eine Inanspruchnahme sprechen müssen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl 1985, 44; BFH-Beschluss vom 22. April 1998 IV B 107/97, BFH/NV 1999, 162; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz. 377, m.w.N.). Die Klägerin hätte deshalb zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage vortragen müssen, wo und von wem gewichtige neue Gesichtspunkte vorgetragen worden sind, die die Fortführung dieser Rechtsprechung ernstlich in Frage stellen (zur Streitfrage vgl. u.a. Gschwendtner, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1994, 257, 265, m.w.N.). Solche Gesichtspunkte enthält auch das nach Ansicht der Klägerin von der Rechtsprechung "vergessene" Urteil des RFH vom 18. August 1933 VI A 736/33 (RStBl 1933, 1205) nicht. Das Urteil verwies die Sache an das FG zurück, damit dieses die Haftungsgefahr weiter aufkläre. Gegenstand dieser Aufklärung ist ―wie in der Rechtsprechung des BFH zwischenzeitlich geklärt ist― die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen.

c) Hinsichtlich der Frage, ob eine durch mehrjährige Bürgschaften abgesicherte Gewährleistungsverpflichtung in Höhe dieser Absicherung die Realisierung der Forderung des Bauunternehmers gegen seine Auftraggeber verhindere, verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227, aus dem sich ergibt, dass Gewährleistungsverpflichtungen die mit der Leistungserstellung durch das Unternehmen verbundene Gewinnrealisierung unberührt lassen (vgl. dazu auch Gschwendtner, DStZ 2000, 646, m.w.N.); die mit der Gewährleistung am Bilanzstichtag verbundenen Risiken sind durch Bildung einer Rückstellung zu erfassen. Die schlüssige Darlegung der fortbestehenden grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hätte eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung und den im Schrifttum vertretenen Ansichten erfordert.

d) Auch soweit die Klägerin einen Verstoß des angefochtenen Urteils gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) rügt, hat sie keinen Zulassungsgrund "dargelegt". Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH führt die bloße Behauptung, eine Vorschrift sei verfassungswidrig, nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, sofern diese nicht offenkundig ist. Vielmehr ist für die Darlegung eine substantiierte, an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientierte rechtliche Auseinandersetzung erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1996 II B 82/96, BFH/NV 1997, 254; vom 3. April 2001 VI B 224/99, BFH/NV 2001, 1138; vom 3. September 2001 XI B 154/00, BFH/NV 2002, 203). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 970203

BFH/NV 2003, 1313

DStRE 2003, 1139

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