Leitsatz (amtlich)

1. Ist die Revisionsbegründungsfrist versäumt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Revisionsbegründung eingereicht wird. Die Anbringung eines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist genügt nicht; für einen derartigen Antrag kann Wiedereinsetzung nicht erlangt werden.

2. Stimmt ein Senat des BFH auf Anfrage eines anderen Senats der Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung zu, wird aber die Anrufung des Großen Senats des BFH erforderlich, weil andere Senate nicht zustimmen, bleibt das Entsendungsrecht des zustimmenden Senats nach § 11 Abs.2 Satz 2 FGO erhalten.

 

Orientierungssatz

1. In seiner Stammbesetzung entscheidet der Große Senat, welche Senate Richter zu seiner Sitzung entsenden können. Über die weiteren Fragen entscheidet der Große Senat in seiner erweiterten Besetzung.

2. Ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH die Zuständigkeit für die Entscheidung des anhängigen Revisionsverfahrens auf einen anderen Senat des BFH übergegangen, so ist dieser andere Senat nunmehr vorlegender Senat i.S. von § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO. Weicht die nunmehr dem anderen Senat zuzurechnende Vorlage auch von der bisherigen Rechtsprechung des ursprünglich zuständigen Senats ab, ist auch dieser Senat entsendungsbefugt.

 

Normenkette

FGO § 11 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, § 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1, § 11 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Entscheidung vom 29.11.1984; Aktenzeichen IV R 86/84)

 

Tatbestand

I. Der IV.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluß vom 29.November 1984 IV R 86/84 (BFHE 142, 417, BStBl II 1985, 218) dem Großen Senat gemäß § 11 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

"Kann bei unverschuldeter Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs.1 Satz 1 FGO) die zur Erlangung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs.2 FGO nachzuholende 'versäumte Rechtshandlung' auch darin bestehen, daß ein Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs.1 Satz 2 FGO) gestellt wird?"

In dem dieser Anfrage zugrunde liegenden Revisionsverfahren hat der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gegen das am 8.Februar 1984 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) am 5.März 1984 Revision eingelegt. Mit einem am 5.April 1984 in Frankfurt/Main als Einschreiben aufgegebenen Schriftsatz beantragte er, die am 9.April 1984 ablaufende Frist zur Revisionsbegründung bis zum 9.Mai 1984 zu verlängern; das Schreiben ist erst am 10.April 1984, einem Dienstag, beim BFH eingegangen. Auf die Verspätung hingewiesen, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, weil er mit dem rechtzeitigen Eingang seines Verlängerungsantrags beim BFH habe rechnen können. Er bat, von der Begründung seiner Revision absehen zu dürfen, bis über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden sei.

Der vorlegende Senat will dem Kläger Wiedereinsetzung mit dem Ziel gewähren, daß sein Antrag auf Fristverlängerung als rechtzeitig gestellt angesehen und sachlich beschieden wird. Er sieht sich hieran jedoch durch Entscheidungen des I., II., III., V., VI. und VIII.Senats gehindert, die bei gleicher Sachlage Wiedereinsetzung nur gewähren, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs.2 FGO die Revisionsbegründung eingereicht wird (Hinweis auf Beschlüsse vom 13.Oktober 1972 I R 99/72, BFHE 107, 107; vom 4.August 1970 II R 48/70, BFHE 99, 355, BStBl II 1970, 666; vom 15.Mai 1981 III R 50/81, nicht veröffentlicht; vom 18.Januar 1979 V R 9-10/78, nicht veröffentlicht; vom 28.Februar 1969 VI R 215/68, BFHE 95, 29, BStBl II 1969, 298; vom 18.Juli 1974 VIII R 21/74, nicht veröffentlicht).

Im Vorlagebeschluß wird die Auffassung vertreten, Ziel der Wiedereinsetzung sei es, den Rechtsbehelfsführer voll in den früheren Stand zu versetzen; deshalb müsse ihm auch die Möglichkeit wieder eingeräumt werden, eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist zu erlangen. Anderenfalls werde der Revisionsführer gezwungen, binnen der kurzen Wiedereinsetzungsfrist eine möglicherweise unzureichende Revisionsbegründung anzufertigen, obwohl der Erfolg des Wiedereinsetzungsgesuchs ungewiß ist. Hiergegen würden bereits in den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21.Dezember 1973 I ZR 57/73 (Versicherungsrecht --VersR-- 1974, 656) und des BFH vom 6.Juli 1976 VII R 22/76 (BFHE 119, 230, BStBl II 1976, 627) Bedenken geäußert.

Der Kläger hat der Auffassung des vorlegenden Senats zugestimmt; der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. In seiner Stammbesetzung (§ 11 Abs.2 Satz 1 FGO) entscheidet der Große Senat, welche Senate Richter zu seiner Sitzung entsenden können. Hier sind dies der I., II., III., IV., V., VI. und VIII.Senat.

Der Große Senat ist aufgrund von § 11 Abs.3 FGO angerufen worden. In diesem Fall sind nach § 11 Abs.2 Satz 2 FGO der vorlegende Senat sowie diejenigen Senate beteiligt und entsendungsbefugt, von deren Rechtsprechung abgewichen werden soll.

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 1985 ist die Zuständigkeit für die Entscheidung des anhängigen Revisionsverfahrens am 1.Januar 1985 auf den III.Senat des BFH übergegangen. Dieser Senat ist nunmehr vorlegender Senat im Sinne von § 11 Abs.2 Satz 2 FGO.

Beteiligt sind auch der I., II., V., VI. und VIII.Senat, weil die Vorlage eine Abweichung von ihrer Rechtsprechung enthält. Dabei ist unerheblich, ob die genannten Senate auch gegenwärtig noch für das Rechtsgebiet zuständig sind, zu dem der seinerzeit entschiedene Rechtsstreit gehörte. Da die dem Großen Senat vorgelegte verfahrensrechtliche Frage jederzeit wieder bei ihnen auftreten kann, bleiben sie beteiligte Senate im Sinne von § 11 Abs.2 Satz 2 FGO (BFH-Beschluß vom 21.Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207).

Die nunmehr dem III.Senat zuzurechnende Vorlage weicht auch von der bisherigen Rechtsprechung des IV.Senats ab (Beschluß vom 2.Dezember 1966 IV R 167/66, BFHE 87, 101, BStBl III 1967, 48), so daß auch dieser Senat entsendungsbefugt ist. Daß der Senat, wie die Formulierung der Vorlage zeigt, seine bisherige Rechtsprechung aufgeben will, nunmehr also der Rechtsauffassung des die Vorlage vertretenden III.Senats beipflichtet, beeinträchtigt sein Entsendungsrecht nicht. Ebenso bleibt folgenlos, daß der VIII.Senat der in der Vorlage vertretenen Auffassung auf Anfrage des IV.Senats zugestimmt hat. Eine solche Zustimmung erreicht nur dann ihr Ziel, wenn alle beteiligten Senate der Abweichung zustimmen und dadurch die neue Rechtsauffassung ohne Anrufung des Großen Senats verwirklicht werden kann. Gelingt dies nicht, bleiben die Divergenz und das Entsendungsrecht des zustimmenden Senats erhalten. Der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) vertritt hierzu eine abweichende Ansicht (Beschlüsse vom 18.November 1980 GS 3/79, BSGE 51, 23, und vom 29.Mai 1984 GS 1-3/82, BSGE 57, 23, 25). Diese läßt sich jedoch aus der abweichenden Besetzung der Großen Senate beider Gerichte erklären. Auch das BSG hat diesem Unterschied in anderem Zusammenhang Bedeutung beigelegt und eine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH deswegen verneint (Beschluß vom 10.Dezember 1974 GS 2/73, BSGE 38, 248, 252).

Von der Rechtsprechung des VII.Senats weicht die Vorlage nicht ab. Dieser hat in seinem Beschluß in BFHE 119, 230, BStBl II 1976, 627 die Rechtsfrage zwar erörtert, ihre Entscheidung aber offengelassen und die Revision aus anderen Gründen verworfen.

Die beteiligten Senate haben bis auf den VI.Senat von ihrem Entsendungsrecht Gebrauch gemacht.

2. Über die weiteren Fragen entscheidet der Große Senat in seiner erweiterten Besetzung.

3. Von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wird abgesehen (Art.1 Nr.2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--). Die Beteiligten konnten sich zur Rechtsfrage äußern; mündliche Verhandlung ist nicht beantragt worden.

4. Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Da der Kläger eine Revisionsbegründung nicht eingereicht hat, müßte die begehrte Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist versagt und seine Revision verworfen werden, wenn nicht auch die Anbringung eines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist als die nach § 56 Abs.2 Satz 3 FGO gebotene Nachholung der versäumten Rechtshandlung angesehen werden kann.

III. Der Große Senat verneint die vorgelegte Rechtsfrage.

1. Eine zum BFH eingelegte Revision bedarf einer Begründung. Nach § 120 Abs.1 Satz 1 FGO muß die Begründung binnen eines Monats nach dem Ablauf der Frist zur Revisionseinlegung abgegeben werden (BFH-Urteil vom 12.Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957); doch kann die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§ 120 Abs.1 Satz 2 FGO).

Wird die Begründung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgegeben, ist die Revision unzulässig (§ 124 FGO) und durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs.1 FGO). Die Fristversäumung ist jedoch unschädlich, wenn dem Revisionsführer gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, daß der Prozeßbeteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs.1 FGO). Sie verlangt weiter (§ 56 Abs.2 FGO), daß der Beteiligte binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft macht und daß er die versäumte Rechtshandlung nachholt; ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

2. Wie im Vorlagebeschluß dargelegt, hat die BFH-Rechtsprechung bisher angenommen, daß Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nur erlangt werden kann, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Revisionsbegründung eingereicht wird und daß dies nicht durch die Anbringung eines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ersetzt werden kann.

Von gleichen Grundsätzen geht auch die Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes aus. Dies ist vom BGH entschieden hinsichtlich der in § 519 Abs.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vorgesehenen Berufungsbegründungsfrist (Beschlüsse vom 12.Juli 1967 VIII ZB 28/67, VersR 1967, 1094; vom 23.Februar 1977 IV ZB 38/75, VersR 1977, 643; vom 28.September 1977 VIII ZB 32/77, VersR 1977, 1101; vom 20.Dezember 1977 VI ZB 5/77, VersR 1978, 349; vom 7.November 1978 VI ZB 8/78, VersR 1979, 180; vom 31.Oktober 1985 V ZB 5/85, VersR 1986, 166), vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist des § 139 Abs.1 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- (Beschlüsse vom 1.Juli 1963 VII C 92.63, nicht veröffentlicht; vom 6.April 1967 II C 102.67, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 139 VwGO Nr.26) und vom BSG hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist in § 164 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG-- (Beschluß vom 18.Februar 1959 9 RV 278/56, Sozialrecht --SozR-- D 1, § 67 SGG Nr.20). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist in § 66 Abs.1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) beiläufig in diesem Sinne geäußert (Urteil vom 11.Dezember 1963 4 AZR 459/62, BAGE 15, 159). Abweichend hat der BGH aus besonderen Gründen lediglich in einem Fall entschieden, in dem Revision beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt war, das Armenrecht aber erst seitens des BGH gewährt wurde (Urteil vom 4.Dezember 1964 Ib ZR 151/63, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1965, 585); im Hinblick auf diese Entscheidung hat er später offengelassen, ob im Revisionsverfahren der Antrag auf Fristverlängerung die Revisionsbegründung ersetzen könne (Beschlüsse vom 22.Mai 1984 VI ZR 49/84, VersR 1984, 761; vom 31.Oktober 1985 V ZB 5/85, VersR 1986, 166).

Gegenüber der die Revisionsbegründung als nachzuholende Rechtshandlung verlangenden Rechtsprechung sind Bedenken des Inhalts geäußert worden, daß der Revisionsführer wegen der Kürze der Wiedereinsetzungsfrist zur Anfertigung einer unzulänglichen Revisionsbegründungsschrift genötigt sein könne und daß er eine Begründung ausarbeiten müsse, obwohl der Erfolg seines Wiedereinsetzungsantrags ungewiß sei (BGH-Beschluß in VersR 1974, 656; BFH-Beschluß in BFHE 119, 230, BStBl II 1976, 627). Der vorlegende Senat hat sich diese Bedenken zu eigen gemacht und ausgeführt, daß das Wesen der Wiedereinsetzung darin bestehe, den Rechtsbehelfsführer voll in den früheren Stand zu versetzen und damit auch die Situation wiederherzustellen, in der er noch einen Fristverlängerungsantrag stellen konnte. Derartige Auffassungen werden auch im Fachschrifttum geäußert (Vollkommer, Deutsche Richterzeitung --DRiZ-- 1969, 244; Schumann bei Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20.Aufl., § 236 Rdnr.9). Der Große Senat schließt sich dem nicht an.

3. Als Wiedereinsetzung ist die gerichtliche Entscheidung anzusehen, durch die eine versäumte und nachgeholte Prozeßhandlung als rechtzeitig fingiert wird (BVerwG bei Buchholz, 310, § 139 VwGO Nr.26). Sie kann erst getroffen werden, wenn die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden ist. Deshalb sieht § 238 Abs.1 ZPO vor, daß das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung mit demjenigen über die nachgeholte Prozeßhandlung verbunden wird, wenn das Verfahren zunächst auch auf den Wiedereinsetzungsantrag beschränkt werden kann; dies gilt gemäß § 155 FGO auch für den Steuerprozeß.

Demgemäß kann nach Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung Wiedereinsetzung nur in der Weise gewährt werden, daß die nachgeholte Revisionsbegründung wegen der Erfüllung der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen als zulässig bezeichnet wird. Dagegen ist es nicht möglich, dem Revisionsführer vor Nachholung der Revisionsbegründung Wiedereinsetzung mit der Folge zu gewähren, daß die erst später abgegebene Begründung zulässig wird. Die FGO kennt wie die ZPO keinen isolierten Wiedereinsetzungsantrag; Wiedereinsetzung kann vielmehr nur in Zusammenhang mit einer nachgeholten Prozeßhandlung beantragt und bewilligt werden (vgl. BGH-Beschluß in VersR 1979, 180). Deshalb kann auch im Revisionsverfahren die versäumte Begründungsfrist nicht mittels einer wiedereinsetzenden Gerichtsentscheidung wiedereröffnet und gegebenenfalls noch zugunsten des Revisionsführers verlängert werden. Vielmehr ergibt sich aus § 56 Abs.2 FGO, daß Wiedereinsetzung erst nach Abgabe der Revisionsbegründung gewährt werden kann und daß die Wiedereinsetzungsfrist an die Stelle der Revisionsbegründungsfrist tritt. Hat der Revisionsführer keine Revisionsbegründung abgegeben, kann er daher Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Revisionsbegründungsfrist nicht erlangen.

4. § 120 Abs.1 Satz 2 FGO gibt dem Revisionsführer die Möglichkeit, durch einen vor Fristablauf gestellten Antrag eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist herbeizuführen. Es ist denkbar, daß der Revisionsführer schuldlos diese Möglichkeit versäumt; der vorlegende Senat hat dies für den Streitfall angenommen. Doch kommt eine gesonderte Wiedereinsetzung hinsichtlich des versäumten Antrags auf Fristverlängerung nicht in Betracht; der Revisionsführer kann auch auf diesem Wege nicht die Wiedereröffnung der Revisionsbegründungsfrist erreichen.

Eine Anwendung des § 56 FGO würde voraussetzen, daß neben der Revisionsbegründungsfrist auch eine gesetzliche Frist für die Anbringung eines Verlängerungsantrags läuft (vgl. dazu Gräber, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1969, 440, 442; ders., Finanzgerichtsordnung, § 56 Anm.4; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Bd.3 Tz.10018). Doch sieht das Gesetz in § 120 FGO eine Frist nur für die Revisionsbegründung, nicht für den Verlängerungsantrag vor (entsprechend BGH-Beschlüsse in VersR 1978, 349, 350, und 1979, 180, 181 zu § 233 ZPO; BVerwG bei Buchholz, 310, VwGO, § 139 Nr.26 zu § 60 VwGO). Der Revisionsführer hat lediglich Gelegenheit, während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist ihre Verlängerung zu beantragen; dieser Antrag ist nicht die vom Revisionsführer erwartete und von ihm versäumte Prozeßhandlung.

Die abweichende Auffassung erscheint schon deswegen unannehmbar, weil es der Revisionsführer sonst vielfach in der Hand hätte, ob er die Frist für die Revisionsbegründung oder diejenige für die Anbringung des Verlängerungsantrags als versäumt bezeichnet; im ersten Fall müßte er die Revisionsbegründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist einreichen, während er im zweiten Fall nur einen Fristverlängerungsantrag einzureichen hätte und nach Gewährung der Wiedereinsetzung die verlängerte Frist für die Revisionsbegründung in Anspruch nehmen könnte. Tatsächlich ist für eine derartige Verlängerung kein Raum. Tritt nämlich, wie hervorgehoben, die Wiedereinsetzungsfrist an die Stelle der Revisionsbegründungsfrist, kann die Revisionsbegründungsfrist nicht mehr verlängert werden; eine Verlängerung der Wiedereinsetzungsfrist ist nicht vorgesehen.

5. Gegen dieses Ergebnis läßt sich nicht einwenden, daß das Wesen der Wiedereinsetzung darin bestehe, den Rechtsbehelfsführer voll in den früheren Stand zu versetzen und damit auch die Lage wiederherzustellen, in der er noch einen Fristverlängerungsantrag stellen konnte. Die Rechtsstellung eines Prozeßbeteiligten, der die Revisionsbegründungsfrist versäumt hat und deshalb Wiedereinsetzung erlangen will, ist von Gesetzes wegen dadurch beeinträchtigt, daß ihm im Interesse der Prozeßbeschleunigung zur Nachholung der Prozeßhandlung nur die verkürzte Wiedereinsetzungsfrist zur Verfügung steht. Insofern kann durch Gewährung von Wiedereinsetzung die frühere Rechtslage nicht in vollem Umfang wiederhergestellt werden. Dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß der Revisionsführer bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist von diesem Nachteil verschont bleiben soll.

Das Gesetz nimmt in Kauf, daß der Revisionsführer eine Rechtsmittelbegründung anfertigen muß, ohne Gewißheit über den Erfolg seines Wiedereinsetzungsantrags zu haben; diese Situation kann auch in anderen Wiedereinsetzungsfällen bestehen, insbesondere im Falle der versäumten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die innerhalb der Beschwerdefrist zu begründen ist (§ 115 Abs.3 FGO).

IV. Der Große Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage demnach wie folgt:

Gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur erlangt werden, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Revisionsbegründung nachgeholt worden ist; die Nachholung eines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist genügt nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61139

BStBl II 1987, 264

BFHE 148, 414

BFHE 1987, 414

DB 1987, 872-873 (ST)

DStR 1987, 227-228 (ST)

HFR 1987, 252-253 (ST)

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