Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des Rechts auf Gehör durch mündliche Verhandlung und Entscheidung trotz Antrag auf Terminsverlegung

 

Leitsatz (NV)

Beantragt ein Steuerpflichtiger unter Vorlage eines ärztlichen Attests sowie mit dem Bemerken, "sollte unsere Anwesenheit von Bedeutung und unerlässlich sein…", eine Terminsverlegung, bedeutet es eine Verletzung des Rechts auf Gehör, wenn das FG dennoch zu dem Termin verhandelt und entscheidet, obwohl die Umstände ergeben, dass der Steuerpflichtige nur für den Fall eines zu erwartenden Obsiegens seine Anwesenheit für entbehrlich hält.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 227 Abs. 1-2

 

Tatbestand

I. In einem Finanzrechtsstreit wegen Einheitsbewertung des Grundvermögens und wegen Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar 1991 und 1993 (bei dem die Bescheide auf den 1. Januar 1991 ein anderes Grundstück betrafen als die Bescheide auf den 1. Januar 1993) lud das Finanzgericht (FG) die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Februar 2001. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) teilte daraufhin dem FG mit Schreiben vom 31. Januar 2001 mit, sie, die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), könnten aus gesundheitlichen Gründen zum Termin nicht erscheinen. Zum Nachweis waren ärztliche Atteste beigefügt. Abschließend hieß es: "Sollte unsere Anwesenheit von Bedeutung und unerlässlich sein, bitte ich hiermit……. um die Vertagung des Termins."

Das FG reagierte auf dieses Schreiben nicht, führte die Verhandlung ohne die Kläger am 14. Februar 2001 durch und wies die Klage ab.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die auf die Einheitsbewertung und den Grundsteuermessbescheid auf den 1. Januar 1993 beschränkt ist, machen die Kläger geltend, in ihrem Recht auf Gehör verletzt zu sein.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Kläger hatten einen Rechtsanspruch auf Aufhebung des Termins. Nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) aufgehoben oder verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Aufhebung oder Verlegung des Termins verzögert wird. Welche Gründe dabei als erheblich i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, richtet sich nach Lage des Einzelfalles, nach dem Prozessstoff und den persönlichen Verhältnissen der Beteiligten bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten (so Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208).

Im Streitfall haben die Kläger einen derartigen erheblichen Grund durch Vorlage der ärztlichen Atteste hinreichend glaubhaft gemacht (§ 227 Abs. 2 ZPO). Dem Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 2001 ist zu entnehmen, dass die Kläger eine Aufhebung oder Verlegung des Termins begehrten. Die Zusätze, mit denen sie ihre Bitte um Aufhebung oder Verlegung des Termins versehen haben, sind nicht dahin zu verstehen, dass sie nur dann eine Terminänderung wünschen, wenn sie auf die Entscheidung noch Einfluss nehmen können, sondern dahin, dass sie auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung Wert legen, sofern das Verfahren nicht ohnehin zu ihren Gunsten ausgeht. Das Schreiben setzt damit die Linie fort, die die Kläger bereits mit ihrer Antwort auf die Anfrage des FG, ob gegen eine Übertragung der Sache auf den Einzelrichter Bedenken bestünden, verfolgt haben. Damals haben sie mitgeteilt, mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden zu sein, sofern die Entscheidung nicht zu ihren Lasten geht. Soweit dem FG gleichwohl Zweifel an der Bedeutung dieser Zusätze verblieben und es diese nicht durch Nachfrage bei den Klägern beseitigen wollte, hätte es den Termin aufgrund der vorgelegten Atteste von Amts wegen aufheben müssen, um das Recht der Kläger auf Gehör zu wahren.

Die dennoch zu dem angesetzten Termin durchgeführte mündliche Verhandlung hat das Recht der Kläger auf Gehör verletzt. Dies stellt gemäß § 119 Nr. 3 FGO einen absoluten Revisionsgrund dar, bei dem die Vorentscheidung ohne weitere Prüfung als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Dabei ist unerheblich, ob die Klage in der Sache Erfolg haben wird.

Gemäß § 116 Abs. 6 FGO kann bei erfolgreicher Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Mai 2001 III B 52/00, BFH/NV 2001, 1419). Davon wird im Streitfall Gebrauch gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 732061

BFH/NV 2002, 938

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