Leitsatz

1. Ein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Haftungsschuldners unterbrochener Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom FA aufgenommen werden.

2. Macht das FA den noch unerfüllten Haftungsanspruch als Insolvenzforderung geltend, handelt es sich um einen Passivprozess, dessen Aufnahme dem Schuldner verwehrt ist.

3. Wenn der nicht beteiligtenfähige Schuldner den durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreit selbst aufnimmt, ist er aus dem Prozess zu weisen. Seine Prozesshandlungen sind unwirksam.

4. Der Erlass eines Feststellungsbescheids nach § 251 Abs. 3 AO kommt nicht mehr in Betracht, wenn das FA seine Forderung gegenüber dem Schuldner bereits mit einem Haftungsbescheid geltend gemacht hat.

5. Eine Beiladung des im erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligten Insolvenzverwalters kommt im Revisionsverfahren nicht in Betracht.

 

Normenkette

§ 74, § 69, § 251 Abs. 3 AO, § 57 Nr. 1, § 60 FGO, § 85 Abs. 2, § 86, § 87 InsO

 

Sachverhalt

Der vom FA auf Haftung in Anspruch genommene Geschäftsführer einer GmbH geriet während des Rechtsstreits gegen den Haftungsbescheid in Insolvenz. Im Prüfungstermin des Insolvenzverfahrens widersprach der Insolvenzverwalter der vom FA zur Tabelle angemeldeten Forderung. Auch der Schuldner widersprach. Er erklärte gegenüber dem FG die Aufnahme des Rechtsstreits. Hingegen erklärte der Insolvenzverwalter auf Anfrage des FG, den Rechtsstreit nicht aufnehmen zu wollen.

Das FA beantragte, das Klageverfahren einzustellen oder als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Der Schuldner legte gegen dieses Urteil Revision ein; im Revisionsverfahren beantragte das FA, den Insolvenzverwalter zu dem Verfahren beizuladen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Die vom Revisionskläger gegenüber dem FG abgegebene Aufnahmeerklärung sei unwirksam gewesen.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über, der bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens den Schuldner aus seiner Rechtsstellung und damit von seiner Prozessführungsbefugnis verdrängt. Hingegen habe das FA den Rechtsstreit aufnehmen können, da es eine Insolvenzforderung geltend mache und Befriedigung aus der Masse begehre. Das Urteil des FG sei also unter Verstoß gegen § 57 Nr. 1 FGO zustande gekommen, was als Verletzung materiellen Rechts vom BFH ohne diesbezügliche Verfahrensrüge zu berücksichtigen sei.

Der Mangel der Beteiligung des Insolvenzverwalters könne nicht etwa durch dessen Beiladung geheilt werden, weil der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Beteiligter des Rechtsstreits geworden sei und sich diese Stellung und die Stellung als Beigeladener ausschlössen.

 

Hinweis

1. Liegt im Zeitpunkt der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein vom Schuldner angefochtener Steuer- oder Haftungsbescheid vor, wird das anhängige Rechtsbehelfsverfahren unterbrochen (§ 240 ZPO), um dem nunmehr zur Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Schuldners berufenen Insolvenzverwalter, aber auch den konkurrierenden Gläubigern die Prüfung der vom FA festgesetzten Forderung zu ermöglichen. § 180 Abs. 2 InsO sieht dazu im Zusammenspiel mit § 179 Abs. 2 InsO vor, dass derjenige, der eine Forderung im Prüfungstermin bestritten hat, seinen Widerspruch gegen die Forderung durch Aufnahme des Rechtsstreits verfolgen kann. Der Gläubiger der Forderung, also z.B. das FA, wird in der InsO in diesem Zusammenhang nicht genannt. Gleichwohl muss auch ihm nach einem Widerspruch im Prüfungstermin das Recht eingeräumt werden, den Rechtsstreit aufzurufen und eine Entscheidung des FG herbeizuführen.

2. Der Schuldner kann den Anfechtungsstreit hingegen i.d.R. nicht aufnehmen. An seine Stelle in dem Verfahren tritt im Weg eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels der Insolvenzverwalter. § 85 InsO gilt bei Passivprozessen zur Schuldenmasse nicht. Um einen solchen Passivprozess handelt es sich aber i.d.R. bei der Anfechtung eines Steuer- oder Haftungsbescheids. Die Anfechtungsklage wird allerdings zum Aktivprozess, wenn bei einem Obsiegen Steuern zu erstatten sind, wenn also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Steuer- oder Haftungsschuld beglichen worden ist (was nur ausnahmsweise vorkommen wird).

3. Nimmt der Schuldner entgegen dieser Rechtslage den Rechtsstreit selbst auf, ist diese Erklärung unwirksam. Ein vom FG gegen ihn – im Besprechungsfall – erlassenes Urteil verstößt gegen den § 57 Nr. 1 FGO und ist daher vom Revisionsgericht aufzuheben, ohne dass es dafür einer Verfahrensrüge bedürfte. Im Besprechungsfall hatte das FG einen solchen Fehler begangen und der Schuldner gegen dessen Urteil Revision eingelegt; der BFH hat deshalb das Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, wobei es den Schuldner als Revisionskläger behandeln musste, obwohl er nicht der Kläger ist (son...

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