Leitsatz

1. Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine zuvor in Deutschland wohnende Person nach ihrem Wegzug in die Schweiz von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).

2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und Schweizer Steuerbehörden (hier: Konsultationsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des Besteuerungsrechts von Abfindungen an Arbeitnehmer vom 17.3.2010, bekannt gegeben durch das BMF-Schreiben vom 25.3.2010 (BStBl I 2010, 268) nach Maßgabe von Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz (1971) bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). § 2 Abs. 2 AO (i.d.F. des JStG 2010) i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146) ändert daran nichts; § 2 Abs. 2 AO (i.d.F. des JStG 2010) genügt insoweit nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die nach Art. 80 Abs. 1 GG an eine Verordnungsermächtigung zu stellen sind.

3. Die Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 2 KonsVerCHEV ist unbeschadet des in § 25 KonsVerCHEV (i.V.m. Art. 97 § 1 Abs. 9 EGAO i. d. F. des JStG 2010) auf den 1.1.2010 bestimmten Anwendungszeitpunkts für die deutsch-schweizerische Konsultationsverordnung nicht vor dem Zeitpunkt ihres tatsächlichen Inkrafttretens am 23.12.2010 anzuwenden.

4. Der Feststellungsbescheid gemäß § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 ist bezogen auf den Einkommensteuerbescheid ein Folgebescheid.

 

Normenkette

Art. 15 Abs. 1, Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, § 24 Abs. 1, § 25 KonsVerCHEV vom 20.12.2010; § 2 Abs. 2 AO i.d.F. des JStG 2010; Art. 80 Abs. 1 GG; Art. 97 § 1 Abs. 9 EGAO i.d.F. des JStG 2010; § 10a Abs. 4 Satz 1, § 19, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 25 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger wohnte im Streitjahr 2010 bis zum 30.4. im Inland und übte hier eine nichtselbstständige Tätigkeit aus. Am 1.5. verzog er in die Schweiz, wo er eine neue nichtselbstständige Tätigkeit aufnahm.

Das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und seinem seinerzeitigen inländischen Arbeitgeber wurde mit Vertrag vom 16./29.12.2009 aus dringenden betrieblichen Gründen einvernehmlich zum 31.7.2010 beendet. Der Kläger wurde unter Fortzahlung der regulären Bezüge sowie unter Zahlung von Boni für 2009 und 2010 zum 1.1.2010 unwiderruflich freigestellt. Er konnte seinerseits das Arbeitsverhältnis mit 14-tägiger Kündigungsfrist auch vor dem 31.7.2010 beenden. Als Entschädigung für den Verlust des Anstellungsverhältnisses und zum Ausgleich bereits entstandener und der damit in Zukunft verbundenen beruflichen und finanziellen Nachteile vereinbarten die Vertragspartner eine Abfindung in Höhe eines Einmalbetrages von 780.500 EUR. Für den Fall einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung des Klägers sollte sich der Abfindungsbetrag um das ansonsten zwischen dem Beendigungsdatum und dem am 31.7.2010 fällige Grundgehalt erhöhen. Die Versteuerung sollte durch den Arbeitgeber erfolgen.

Die Abfindung wurde im September 2010 gezahlt. Der ehemalige Arbeitgeber behielt darauf 337.990 EUR an LSt und 18.589,45 EUR an SolZ ein. Zuvor war eine vom Kläger angestrebte lohnsteuerliche Freistellung der Abfindung durch das zuständige Betriebsstätten-FA gescheitert.

Im Rahmen der ESt-Erklärung 2010 behandelte der Kläger einen Betrag von 785.194 EUR als nach dem DBA-Schweiz 1971 steuerfreien Arbeitslohn. Das FA behandelte den Betrag demgegenüber als Entschädigung für mehrere Jahre, die in Deutschland als Arbeitslohn nach § 19 i.V.m. § 34 EStG ermäßigt zu versteuern sei. Das Besteuerungsrecht Deutschlands ergebe sich aus Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 und der dazu ergangenen (ergänzenden) deutsch-schweizerischen Konsultationsvereinbarung zur Besteuerung von Abfindungszahlungen vom 17.3.2010, bekannt gegeben durch das BMF-Schreiben vom 25.3.2010 (BStBl I 2010, 268), letztere i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 und § 25 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146). Die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit wurden gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG beim sog. Progressionsvorbehalt berücksichtigt.

Die Klage gegen die hiernach ergangenen Bescheide über ESt und Feststellung der Steuermäßigung nach § 10a Abs. 4 EStG war erfolgreich (Hessisches FG, Urteil vom 8.10.2013, 10 K 2176/11, Haufe-Index 6419688, EFG 2014, 288).

 

Entscheidung

Der BFH folgte dem FG in der "eigentlichen" Streitsache. Das Besteuerungsrecht für die Abfindung verbleibe in der Schweiz und gehe nicht auf Deutschland über. § 24 Abs. 1 Satz 2 und § 25 KonsVerCHEV wolle das zwar entgegen dem Abkommen ändern, halte den notwendigen verfassungsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht stand.

Nur in einem kleinen Punkt wurde die Klage zurückgewiesen: Die Anfechtung der Feststellung der Steuermäßigung nach § 10a Abs. 4 EStG sei unzulässig, weil es sich hierbei um einen bloßen Folgebescheid handele.

 

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