Leitsatz

1. Sog. BIP-gebundene Wertpapiere, die von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten festverzinslichen Schuldverschreibungen nach den Emissionsbedingungen automatisch abgekoppelt worden und mit einer eigenen Wertpapierkennnummer eigenständig handelbar sind, bei denen die Rückzahlung des Nennkapitals ausgeschlossen ist und die Zahlung eines Entgelts von der Entwicklung des argentinischen Bruttoinlandsprodukts sowie anderen variablen Größen abhängig ist, sind keine Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung. Es handelt sich um Kapitalanlagen mit ausschließlich spekulativem Charakter (sog. Vollrisikopapiere).

2. Laufende Kapitalerträge aus solchen BIP-gebundenen Wertpapieren sind gemäß § 52a Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG nach dem 31.12.2008 nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. steuerpflichtig, wenn die Wertpapiere vor dem 15.03.2007 erworben wurden.

 

Normenkette

§ 52a Abs. 8, Abs. 10 Satz 8 EStG, § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F.

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte ursprünglich in festverzinsliche Argentinien-Anleihen investiert. Im Jahr 2005 tauschte er die notleidend gewordenen Anleihen gegen DL‐Bonds 2005 (24-33) Disc. (sog. Discounts), die in US-Dollar (USD) notierten und vom Staat Argentinien emittiert worden waren. Von den Discount-Anleihen wurden nach den Emissionsbedingungen noch im Jahr 2005 DL‐FLR Bonds 2005 (35) IO GDP automatisch getrennt. Sie erhielten eine eigene Wertpapier-Kennnummer und waren getrennt handelbar. Die Erträge aus diesen Wertpapieren waren abhängig von der Entwicklung des sog. "verfügbaren BIP-Überschusses" des Staates Argentinien für das jeweils betrachtete Referenzjahr. Dieser Wert wurde multipliziert mit dem fiktiven Nennbetrag der BIP-gebundenen Wertpapiere des Anlegers.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass die im Streitjahr 2011 aus den BIP-gebundenen Wertpapieren erzielten Erträge i.H.v. 82.528 EUR nach § 52a Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 10 Sätze 6 bis 8 EStG nicht der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. unterlagen, da die Vollrisikozertifikate vor dem 15.3.2007 erworben wurden. Das FA folgte dem nicht und legte die Kapitalerträge der Besteuerung zugrunde. Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 17.2.2016, 2 K 11398/14, Haufe-Index 9576372, EFG 2016, 1347) gab der hiergegen erhobenen Klage statt.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Die BIP-gebundenen Wertpapiere sind für Zeiträume nach der Abkopplung von den Schuldverschreibungen im Jahr 2005 als eigenständige Kapitalanlagen zu beurteilen. Diese Beurteilung weicht nicht von dem BFH-Urteil vom 24.2.2015 (BFH, Urteil vom 24.2.2015, VIII R 54/12, BFH/NV 2015, 1035, BStBl II 2015, 693) ab. Der Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, dass die Schuldverschreibungen und die BIP-gebundenen Wertpapiere wegen ihrer Verbindung im Emissionszeitpunkt stets als einheitliche Kapitalforderung mit variabler Verzinsung zu qualifizieren sind.

2. Die Erträge des Klägers aus den Vollrisikozertifikaten unterlagen nicht der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b Satz 2 EStG n.F. aus der Einlösung von Zinsscheinen und Zinsforderungen, da der Kläger nicht ehemaliger, sondern aktueller Inhaber der Schuldverschreibungen war.

3. Die Kapitalerträge aus den BIP-gebundenen Wertpapieren unterliegen auch nicht der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. Zwar fallen die Erträge aus den Vollrisikozertifikaten an sich unter den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. Dieser erfasst Erträge aus Kapitalforderungen, bei denen – wie im vorliegenden Fall – sowohl die Höhe des Entgelts als auch die Höhe der Rückzahlung von einem ungewissen Ereignis abhängt.

4. Die Übergangsregelung des § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG und § 52a Abs. 10 Satz 8 EStGschließt die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. jedoch aus.

Danach unterliegen Erträge aus Vollrisikozertifikaten nicht der Besteuerung, wenn die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung (a.F.) nicht erfüllt sind und die Papiere vor dem 15.3.2007 erworben wurden. Dies war bei den BIP-gebundenen Wertpapieren der Fall. Da bei diesen weder die Kapitalrückzahlung noch die Höhe eines (Mindest-)Entgelts aus der Kapitalanlage zugesichert worden waren, lagen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. nicht vor. Auch wurden die Vollrisikopapiere durch den Umtausch der Argentinien-Anleihen im Jahr 2005 erworben, sodass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. nach der Übergangsregelung nicht vorlagen. Im Ergebnis waren danach die Erträge aus den Vollrisikopapieren auch nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht steuerbar.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 28.5.2019 – VIII R 7/16

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