Leitsatz

1. Wird vom Erwerber einer Vertragsarztpraxis ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, spricht dies wie eine Zahlung, die sich ausschließlich am Verkehrswert orientiert, dafür, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis des Übergebers als Chancenpaket ist. Auch in diesem Fall ist in einem durch den Kaufpreis abgegoltenen Praxiswert der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar enthalten (Anschluss an BFH-Urteil vom 9. August 2011, VIII R 13/08, BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875).

2. Der Erwerb einer Praxis als Chancenpaket im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875 kann auch vorliegen, wenn eine Gemeinschaftspraxis (Personengesellschaft) eine Einzelpraxis erwirbt und die Vertragsarztzulassung des Einzelpraxisinhabers vom Zulassungsausschuss einem Gesellschafter der Personengesellschaft erteilt wird. Dies kann auch dann gelten, wenn die Gemeinschaftspraxis nicht beabsichtigt, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen.

 

Normenkette

§ 7 Abs. 1 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GbR, erwarb von S eine Kassenarztpraxis. Gemäß dem Übergabevertrag sollte bei Beendigung der Tätigkeit des S dessen Vertragsarztsitz auf die GbR bzw. einen von der GbR bestimmten Dritten gegen Zahlung eines Übernahmepreises übergehen.

Die GbR und S verpflichteten sich, alles Erforderliche und Dienliche zu unternehmen, damit der Vertragsarztsitz übergehen konnte. Der Praxisstandort des S sollte von der GbR nicht übernommen werden. Laufende Praxisvertragsverhältnisse (insbesondere der Mietvertrag) verblieben allein bei S. Den Personalbestand der Praxis des S hatte die GbR zu übernehmen. Sie übernahm auch das Patientenarchiv des S samt der Archivaufnahmen.

Der Übernahmepreis wurde aufgrund eines Gutachtens nach der Ertragswertmethode ermittelt und lag über dem von dem Gutachter ermittelten Preis. Die Gesellschafterin der GbR M war für drei Monate in der Praxis des S als Schnupperassistentin tätig. Sie wurde vom Zulassungsausschuss im Nachbesetzungsverfahren als Neuinhaberin der Zulassung des S ausgewählt.

In ihren Gewinnermittlungen für die Streitjahre (2004 bis 2006) behandelte die GbR den Übernahmepreis in vollem Umfang als Anschaffungskosten für den Erwerb der Praxis des S. Sie legte der AfA eine dreijährige Nutzungsdauer zugrunde und machte diese auf der Ebene des Gesamthandsvermögens gewinnmindernd geltend. Dagegen vertrat das FA die Auffassung, dass der an S gezahlte Kaufpreis ausschließlich für den Erwerb der Vertragsarztzulassung aufgewendet worden sei. Er entfalle somit in vollem Umfang auf ein nicht abnutz‐ und damit nicht abschreibbares Wirtschaftsgut.

Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Nürnberg, Urteil vom 12.12.2013, 6 K 1496/12, Haufe-Index 6779936, EFG 2014, 1179).

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

1. Nach der Rechtsprechung des BFH können ­Abschreibungen auf den Erwerb einer Vertragsarztzulassung nur dann vorgenommen werden, wenn der Erwerb des Betriebs einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) vorliegt. Dies folgt daraus, dass eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung neben oder statt des Praxiswerts aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht kommt. Auch eine Gemeinschaftspraxis kann eine Einzelpraxis als Chancenpaket erwerben, wenn die Vertragsarztzulassung nur einem ihrer Gesellschafter erteilt wird.

2. Wird dagegen nur das immaterielle Wirtschaftsgut des "mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils" erworben, ist eine Abschreibung nicht möglich. Denn es handelt sich bei der Vertragsarztzulassung um ein nicht abnutz‐ und damit auch nicht abschreibbares Wirtschaftsgut (s. hierzu BFH, Urteil vom 21.2.2017, VIII R 56/14, BFH/NV 2017, 960, BFH/PR 2017, 255).

3. Der BFH hat in der Besprechungsentscheidung klargestellt, unter welchen Voraussetzungen beim Erwerb einer Vertragsarztpraxis ein abschreibbares Chancenpaket oder nur der nicht abnutzbare wirtschaftliche Vorteil aus der Vertragsarztzulassung vorliegt:

a) Zahlt der Erwerber einen Preis i.H.d. Verkehrswerts der Vertragsarztpraxis, indiziert dies die Übertragung der Praxis als Chancenpaket. Dies gilt erst recht, wenn ein Zuschlag zum Verkehrswert gezahlt wird.

b) Wird der Übergang der Vertragsarztzulassung zur Geschäftsgrundlage des Praxisübernahmevertrags gemacht, steht dies der Abschreibung des Praxiswerts nicht entgegen. Dies ist Ausfluss der Regelung des § 103 Abs. 4 SGB V und des Umstands, dass das öffentlich-rechtliche Nachbesetzungsverfahren und die zivilrechtliche Praxisübernahme voneinander unabhängige Rechtsakte sind.

c) Nicht erforderlich ist, dass der Erwerber die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortsetzt. Indiz für den Erwerb des Betriebs als Sachgesamtheit ist jedoch die Übernahme von Mitarbeitern gemäß § 613a BGB und des Inventars.

d) Hängt ...

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