Leitsatz

Verluste einer EU-/EWR-Betriebsstätte können bei der Bemessungsgrundlage für die Steuer des deutschen Stammhauses berücksichtigt werden, wenn eine Verlustnutzung im Betriebsstättenstaat endgültig nicht möglich ist. Die Berücksichtigung erfolgt phasengleich im Jahr der Verlustentstehung.

 

Sachverhalt

Eine deutsche GmbH unterhielt zwei Betriebsstätten in Frankreich. Diese erwirtschafteten sowohl nach französischen als auch nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften Verluste, die in Frankreich weder durch einen Verlustrücktrag noch durch einen Verlustvortrag genutzt werden konnten. Da die Betriebsstätten zwischenzeitlich aufgegeben wurden, schied eine Verlustnutzung in Frankreich endgültig aus. Die GmbH wollte diese Verluste daher bei der deutschen Steuer berücksichtigen, was vom Finanzamt abgelehnt wurde. Der Einspruch blieb erfolglos.

Rechtlicher Hintergrund: Einkünfte der französischen Betriebsstätte eines deutschen Stammhauses sind nach dem DBA-Frankreich in Deutschland steuerfrei, sie gehen also nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ein. Nach dem EuGH müssen Verluste aus einer EU-/EWR-Betriebsstätte bei der Bemessungsgrundlage des deutschen Stammhauses dennoch berücksichtigt werden, wenn eine Berücksichtigung im Betriebsstättenstaat endgültig nicht mehr möglich ist [1]. Der BFH folgte dem EuGH [2], worauf ein Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung erging [3]. Nach Ansicht der Finanzverwaltung führt weder das Verbleiben von ungenutzten Verlustüberhängen noch die Aufgabe einer ausländischen Betriebsstätte zu endgültigen Verlusten.

 

Entscheidung

Das FG Hamburg folgt dem EuGH und hält eine Verlustberücksichtigung in Deutschland dann für erforderlich, wenn Verluste im ausländischen Betriebsstättenstaat endgültig nicht mehr berücksichtigt werden können. Für die Feststellung der Endgültigkeit wird darauf abgestellt, dass es weder dem inländischen Stammhaus noch einem Dritten möglich ist, die Verluste in Frankreich nach den tatsächlich gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen zu nutzen. Die Möglichkeiten einer Verlustberücksichtigung in Frankreich seien erfolglos ausgeschöpft worden. Ein Verlustvortrag und -rücktrag seien nicht möglich gewesen, ebenso wenig eine Nutzung durch Übertragung des Betriebsstättenvermögens auf einen anderen Rechtsträger. Vielmehr seien die Betriebsstätten aufgegeben worden. Daher dürften die Verluste vom Gewinn im Inland abgezogen werden.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verlustberücksichtigung vertritt das FG Hamburg die Ansicht, dass der Eintritt der Endgültigkeit ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt, so dass die Verluste rückwirkend phasengleich im Jahr ihrer Entstehung zu berücksichtigen sind. Begründet wird dies mit dem Fehlen eines Verlustfeststellungsverfahrens für ausländische Betriebsstättenverluste, mit der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung im Jahr der Verlustentstehung und im Jahr der Endgültigkeit der Verluste, mit einer effektiveren Verlustnutzung im Inland und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

 

Hinweis

Bei der inländischen Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste herrscht erhebliche Unsicherheit. Die Finanzverwaltung wendet das Urteil des EuGH in der Rs. "Lidl Belgium" sehr restriktiv an, der Gesetzgeber ist bislang nicht tätig geworden. Das Urteil des FG Hamburg bringt hier nun etwas Licht ins Dunkel. Es enthält zwei wichtige Grundaussagen: 1. Verluste aus EU-/EWR-Betriebsstätten dürfen (und müssen) dann in Deutschland berücksichtigt werden, wenn eine Verlustnutzung im Betriebsstättenstaat aus tatsächlichen Gründen endgültig nicht möglich ist. 2. Die Verluste werden im Jahr ihrer Entstehung (phasengleich) berücksichtigt. Damit widerspricht das Urteil der Ansicht der Finanzverwaltung, weswegen diese auch Revision zum BFH eingelegt hat (AZ: I R 107/09). Der Weg des FG Hamburg ist jedoch nicht der allein gangbare. Auch das FG Düsseldorf hält die Berücksichtigung endgültiger ausländischer Betriebsstättenverluste für erforderlich, will die Berücksichtigung jedoch erst in dem Jahr vornehmen, in dem die Nichtberücksichtigung im Betriebsstättenstaat endgültig feststeht [4]. Auch dieses Verfahren ist beim BFH anhängig (AZ: I R 100/09). Es wird daher spannend sein zu sehen, wie der BFH entscheiden wird. Vielleicht muss sogar noch einmal der EuGH entscheiden. Betroffene Unternehmen sollten jedoch das Urteil des FG Hamburg zum Anlass nehmen, bereits jetzt zu überprüfen, ob ihnen endgültige Verluste aus EU-/EWR-Betriebsstätten entstanden sind und ob sie diese Verluste ggf. steuerlich geltend machen können. Bei Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist dies auch bei bereits bestandskräftigen Steuerfestsetzungen noch möglich.

 

Link zur Entscheidung

FG Hamburg, Urteil vom 18.11.2009, 6 K 147/08

[1] EuGH, Urteil v. 15.5.2008, Rs. C-416/06 "Lidl Belgium", BStBl 2009 II S. 692

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