Rz. 41

Werden vom DRSC entwickelte Standards durch das BMJ im Bundesanzeiger bekannt gemacht, wird vermutet, dass die die Konzernrechnungslegung betreffenden GoB beachtet werden. Diese Vermutungswirkung quasi per Dekret auszusprechen, setzte ein hohes Vertrauen in die fachliche Expertise und Qualität aller am Prozess Beteiligten seitens des Gesetzgebers voraus. Ausweislich der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ist der Absatz aufgenommen worden, "um Empfehlungen zu einer stärkeren Durchsetzungskraft zu verhelfen."[1] Die Vermutungswirkung werde allerdings nur bei durch das BMJ bekannt gemachten Standards ausgelöst. Sachlich bedeutet dies zum einen, dass andere Verlautbarungen als die Standards – insb. Interpretationen und Anwendungshinweise – nicht von der Vermutungswirkung betroffen sind.[2] Gleiches gilt für die Veröffentlichung von Standards, wenn diese nicht vom BMJ, sondern vom DRSC selbst oder einem Dritten bekannt gemacht würden.

 

Rz. 42

An kaum einer Regelung von § 342 HGB ist derart viel Kritik geübt worden wie an der GoB-Vermutung von veröffentlichten Standards.[3] V.a. in den Anfangsjahren sind auch schwere verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld geführt worden:[4] Der Gesetzgeber würde (nur) ihm eingeräumte Kompetenzen an ein nicht legitimiertes Privatgremium abtreten, das sich selbst Standards in seinem Sinne schreibe. Auch wenn die Wortgefechte von einst verstummt sind, steht zu vermuten, dass die Kritik in der Sache weiterbestehen dürfte, zumal der Konflikt nicht abschließend durch richterlichen Beschluss in die eine oder andere Richtung entschieden wurde. Auf der anderen Seite hat das DRSC durch seine fachliche Arbeit national und international breite Anerkennung gefunden,[5] sodass etwaige Legitimationsbedenken und -vorwürfe heute kaum mehr geäußert werden.[6]

 

Rz. 43

Feststellen lässt sich, dass die Standards des DRSC nicht allein durch ihre Veröffentlichung zu rechtlich verbindlichen GoB werden (und schon gar nicht zu Rechtsverordnungen).[7] Fraglich ist, ob die vom Gesetzgeber intendierte Vermutungswirkung durch den reinen Akt der Veröffentlichung überhaupt erfolgen kann oder ihnen nicht lediglich "eine starke ‚faktische Bindungswirkung”"[8] zukommt. Ersteres verneint Ballwieser: "Mit der Bekanntmachung durch das Bundesjustizministerium kann keine Vermutung der Richtigkeit der GoB-Anwendung verbunden sein, weil die Anerkennung als GoB in unserem System den Gerichten vorbehalten ist und eine Gerichtsentscheidung nicht vermutet werden kann."[9] Demgegenüber führt Ebke aus, dass es sich bei der im Gesetz genannten Vermutung nicht um eine Tatsachen-, sondern eine Rechtsvermutung handele, die dem deutschen Recht auch vor dem KonTraG nicht fremd gewesen sei.[10] Sie bedeutet, dass die vom DRSC entwickelten Standards aufgrund ihres Entstehungsprozesses bei Bekanntmachung durch das BMJ dem Gesetz zufolge die Vermutung für sich haben, dass die bestehenden GoB für die Konzernrechnungslegung sachgerecht ausgelegt und konkretisiert worden sind.[11] Beisse spricht zutreffend von Fachnormen anstelle von Rechtsnormen.[12]

 

Rz. 44

Die Gesetzesvermutung ist allerdings widerlegbar, wenn auch mit hohem Aufwand, weil dafür der gerichtliche Weg zu beschreiten ist.[13] Die Gerichte sind als Letztinstanz nicht an die in den Standards enthaltene Rechtsnorminterpretation gebunden und können eine andere Rechtsauslegung entwickeln und diese für verbindlich erklären.[14] Die Standards stellen insoweit eine "qualifizierte Vorarbeit für die endgültige Rechtsfindung"[15] dar. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass ein konkreter Streitfall um die Richtigkeit eines DRS, der von den Gerichten rechtskräftig zugunsten des (mittelbar am Prozess beteiligten) Standardsetzers entschieden wird, nicht auf dem ursprünglichen Vermutungsniveau zurückbleiben kann, sondern dann tatsächlich zum GoB wird. Eine Nichtberücksichtigung eines solchen Standards hätte unweigerlich Folgen für das Testat des Abschlussprüfers und schüfe (Rz 46) ggf. Aufgriffsmöglichkeiten im Enforcement.[16]

 

Rz. 45

Fraglich ist, ob dem BMJ die Aufgabe zukommt, vor einer Bekanntmachung eine inhaltliche Prüfung des zu veröffentlichenden Texts vorzunehmen.[17] Weder im Gesetz noch in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses finden sich Aussagen dazu. Es wäre indes kaum mit der Sorgfaltspflicht der öffentlichen Hand zu vereinbaren, wenn nicht zumindest eine Art formelle Plausibilitätsprüfung dahingehend erfolgte, dass die Empfehlungen nicht im Widerspruch zu bestehenden Rechtsnormen stehen (also eine Negativprüfung).[18] Interessant ist die von Kleindiek aufgeworfene Frage, "inwieweit dem BMJ das Recht zusteht, vom privaten Rechnungslegungsgremium verabschiedete Standards zu überprüfen und die Bekanntmachung abzulehnen"[19] – dies insb., wenn eine formal-juristisch saubere Prüfung der Rechtskonformität bestätigt wird und insoweit keine Angriffsfläche bestünde. Da das DRSC kraft Standardisierungsvertrag verpflichtet ist, das BMJ laufend über seine Tä...

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