1 Überblick

 

Rz. 1

Die Vorschriften der §§ 258 bis 261 HGB dienen der Beweiserhebung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und knüpfen an die Beweissicherungsfunktion von Handelsbüchern an. Als selbstständige Vorschrift ergänzt § 258 HGB die Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO. Gerichte können auf der Rechtsgrundlage des § 258 Abs. 1 HGB die Vorlage von Handelsbüchern eines Kaufmanns im Rechtsstreit anordnen. Anders als nach § 142 ZPO bedarf es dazu keiner Bezugnahme auf die Handelsbücher durch eine der Streitparteien. Dies soll den Gerichten den Zugriff auf die Handelsbücher als bedeutende Beweise sichern und die Beweisführung erleichtern und beschleunigen.[1] Die Anordnung auf Vorlage betrifft insb., aber nicht ausschl. die Handelsbücher nicht beweisführender Kaufleute im Rechtsstreit. Unberührt bleiben die Pflichten eines Prozessgegners des Beweisführers zur Vorlage von Urkunden nach §§ 415ff. ZPO.

[1] Vgl. Pöschke, in Staub, Großkommentar Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 2014, § 258 Rn 9; Reich/Szczesny/Voß, in Heidel/Schall, HGB Handkommentar, 2. Aufl. 2015, § 258 HGB Rn 5.

2 Gerichtliche Anordnung zur Vorlegung

2.1 Voraussetzungen, Anordnungsverfahren und Folgen der Nichtvorlage

 

Rz. 2

Die Vorlagepflichten nach gerichtlicher Anordnung gem. § 258 Abs. 1 HGB betreffen Kaufleute in schwebenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einschl. Prozessen des Unterhalts- oder Arbeitsrechts. Sie beschränken sich nicht auf Handelsgeschäfte nach § 95 GVG.[1] Begrenzt ist die Anordnungsberechtigung des Gerichts vom Zeitpunkt der eintretenden Rechtsanhängigkeit bis zum Ende der Zulässigkeit der Beweiserhebung. Unterliegt ein Schiedsverfahren nicht den Vereinbarungen der Parteien, liegt die Beweiserhebung aufgrund § 1042 ZPO im Ermessen des Schiedsgerichts. Der Anwendung von § 258 HGB bedarf es insoweit nicht.[2] Nicht einschlägig ist § 258 HGB für Strafprozesse.[3] Dort gelten eigene Sicherstellungs- und Herausgabevorschriften (§§ 94ff. StPO). Auch bei Finanzgerichten geführte Prozesse unterliegen selbstständigen Vorlegungspflichten (§§ 76 Abs. 1, 85 Satz 2 FGO). Strittig ist die Anwendbarkeit des § 258 HGB bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.[4]

 

Rz. 3

Vorlagepflichtig sind nur Kaufleute, die einer Buchführungspflicht i. S. d. § 238 HGB unterliegen. Nach § 241a HGB buchführungsbefreite Einzelkaufleute kann das Gericht nicht zu einer Vorlage verpflichten.[5] Die Vorlagepflicht nach Gerichtsanordnung gem. § 258 HGB erstreckt sich zudem nur auf Prozessparteien, nicht auf Dritte. Letztere können als Zeugen gehört werden. Auf Einsichtnahme in ihre Handelsbücher besteht nach § 258 HGB kein Recht. Sind Dritte, wie bspw. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, im Besitz der Handelsbücher einer Prozesspartei, sind sie auf Anordnung des Gerichts zur Vorlage der Handelsbücher der Prozesspartei verpflichtet.[6]

 

Rz. 4

Die Befugnis des Gerichts zur Vorlageanordnung nach § 258 Abs. 1 HGB setzt keinen Antrag eines Klägers oder Beklagten voraus. Vielmehr kann die Anordnung von Amts wegen erfolgen. Dem Gericht entsteht aus einem Antrag einer Streitpartei auch keine Verpflichtung zur Anordnung der Handelsbüchervorlage.[7] Unabhängig von einem vorausgegangenen Antrag entscheidet das Gericht über die Anordnung zur Vorlage nach § 258 Abs. 1 HGB im pflichtgemäßen Ermessen. Der Antrag einer Streitpartei erhält aber die Bedeutung eines formellen Beweisantrags, wenn er den Voraussetzungen der §§ 422ff. ZPO genügt.[8] Die pflichtgemäße Ermessensausübung untersagt die Einsichtnahme in die Handelsbücher zum Zwecke einer allgemeinen Ausforschung des vorlegenden Kaufmanns.[9] Ein berechtigtes Interesse des Kaufmanns auf Geheimhaltung hat das Gericht bei seinem abwägenden Ermessen zu berücksichtigen.[10] Zur Vorlageanordnung der Handelsbücher als Beweismittel bedarf es einer bisher nicht bewiesenen Tatsachendarstellung durch mind. eine der Streitparteien, gegen die der Prozessgegner Einwendungen erhebt. Eine Vorlageanordnung muss das Gericht in diesem Falle treffen, wenn nach seinem Ermessen die Vorlage der Handelsbücher zur Klärung der Sachverhaltsdarstellung beiträgt, d. h. sie die Bestätigung einer schlüssigen Tatsachenvorbringung oder erheblicher Einwendungen verspricht.[11] Zum Umfang der Einsichtnahme s. § 259.

 

Rz. 5

§ 258 HGB ist keine Verfahrensvorschrift. Maßgeblich dafür sind die Vorschriften der ZPO. Eine gerichtliche Anordnung kann verfahrenstechnisch durch Beweisbeschluss (§§ 358, 425 ZPO) oder durch prozessleitende Verfügung (§ 273 Abs. 2 Nr. 5, 142 ZPO) erfolgen. Eine verpflichtete Streitpartei kann sie nicht anfechten (§ 355 Abs. 2 ZPO analog).

 

Rz. 6

Das Gericht kann keine Zwangsmittel zur Durchsetzung der Vorlageanordnung erheben. Weder §§ 258ff. HGB noch die ZPO enthalten dazu Regelungen. Legt der Vorlageverpflichtete die Handelsbücher nicht vor, können ihn jedoch Nachteile in der Würdigung der Tatsachenbehauptungen entsprechend § 427 ZPO treffen.[12] Das Gericht kann die Richtigkeit der von der anderen Streitpartei vorgelegten Abzüge aus den Handelsbüchern oder deren Behauptungen zu Inhalt und Beschaffenheit der Handelsbücher annehmen (§ 427 ZPO analog). Die b...

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