Rz. 72

§ 323 Abs. 1 Satz 2 HGB regelt eine unbefugte Verwertung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Das Verwertungsverbot geht insoweit über die Verschwiegenheitspflicht hinaus, als es für Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse neben der Verschwiegenheit auch die unbefugte Verwertung durch den verpflichteten Personenkreis (Rz 20) verbietet. Ein Verstoß gegen das Verwertungsverbot stellt somit immer dann auch einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht dar, wenn die verwerteten Umstände zugleich Dritten bekannt werden.

 

Rz. 73

Neben dem Verwertungsverbot gem. § 323 Abs. 1 Satz 2 HGB existieren weitere Verwertungsverbote:

  • § 11 BS WP/vBP verbietet die Verwertung sämtlicher i. R. d. Berufsausübung (also nicht nur Abschlussprüfung) erhaltenen Kenntnisse über Tatsachen und Umstände des Auftraggebers oder Dritte;
  • Art. 14 MMVO regelt das Verbot von Insidergeschäften mit Finanzinstrumenten.
 

Rz. 74

Auch wenn die Vorschrift "nur" von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen spricht, ist dieser Begriff im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift (Rz 7) weit auszulegen, sodass der Umfang sich materiell nicht von den der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen (Rz 46) unterscheidet.[1]

 

Rz. 75

Verwertung stellt jede Form der wirtschaftlichen Nutzung dar, insb. Veräußerung an Dritte, Verwendung als Entscheidungsgrundlage bei Finanzanlagen oder anderen Vermögensdispositionen.[2] Unter das Verwertungsverbot fällt auch die Verwendung von Kenntnissen über die wirtschaftliche Situation des geprüften Unt in einer anderen Abschlussprüfung desselben Abschlussprüfers.

 
Praxis-Beispiel

Der Wirtschaftsprüfer prüft als Abschlussprüfer den Jahresabschluss der prüfungspflichtigen A-GmbH, die wirtschaftlich angeschlagen ist. Der Wirtschaftsprüfer ist außerdem Abschlussprüfer der B-GmbH, die beträchtliche Darlehen an die A-GmbH ausgereicht hat.

Seine Kenntnisse über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der A-GmbH darf der Wirtschaftsprüfer nicht als Abschlussprüfer des Jahresabschlusses der B-GmbH verwerten, d. h., bei der Beurteilung der Werthaltigkeit der Darlehen der B-GmbH darf er sich nur auf die i. R. d. Abschlussprüfung der B-GmbH erhaltenen Informationen und Unterlagen stützen.

 

Rz. 76

Für das Verbot unerheblich ist, ob die Verwertung im Interesse des Abschlussprüfers erfolgt oder ob dem geprüften Unt aus der Verwertung ein Schaden droht. Besteht eine Genehmigung der Verwertung durch die geprüfte Ges., ist es zweifelhaft, ob eine zivilrechtliche Haftung nach § 323 HGB noch besteht, da in der Vorschrift explizit nur "unbefugte" Verwertungen untersagt sind.[3] Soweit allerdings ein Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften nach Art. 14 MMVO vorliegt, kann auch eine etwaige Genehmigung durch die geprüfte Ges. eine Sanktionierung nach Art. 30 MMVO nicht verhindern.

[1] Vgl. Hennrichs, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 323 HGB Rz 42, Stand: 12/2014; Justenhoven/Feldmüller, in Beck Bil-Komm., 13. Aufl. 2022, § 323 HGB Rz 51.
[2] Vgl. Kuhner/Päßler, in Küting/Weber, HdR-E, § 323 HGB Rn 43, Stand: 6/2021.
[3] Zustimmend: Kuhner/Päßler, in Küting/Weber, HdR-E, § 323 HGB Rn 44, Stand: 6/2021; ablehnend: Merkt, in Baumbach/Hopt, Beck HGB-Kurzkomm., 42. Aufl. 2023, § 323 HGB Rn. 5.

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