Rz. 10

Während latente Steuern vor Einführung des BilMoG nur bedingt von praktischer Bedeutung waren,[1] hat die Einschränkung der Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz sowie die Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F.) zusammen mit der grundlegenden Überarbeitung der Bilanzierungsvorschriften für latente Steuern dazu geführt, dass die Relevanz latenter Steuerabgrenzungen enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Nicht zuletzt deshalb wurde seinerzeit neben der Veränderung des Ansatz- und Bewertungskonzepts – weg vom Timing-Konzept hin zum Temporary-Konzept (§ 274 Rz 17) – in § 274a Nr. 4 HGB (zum Zeitpunkt der Einführung noch § 274a Nr. 5 HGB) eine größenklassenabhängige Befreiungsvorschrift eingeführt, die kleine Ges. i. S. d. § 267 Abs. 1 HGB von der Anwendung des § 274 HGB sowie im Ergebnis damit auch von den notwendigen Anhangerläuterungen des § 285 Nr. 29 und 30 HGB freistellt. Seither unterliegen kleine KapG ebenso wie nichthaftungsbeschränkte PersG und EKfl. bzgl. latenter Steuern ausschl. den für alle Kfl geltenden allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen. Da für die aktiven latenten Steuern im HGB ein Ansatzwahlrecht verankert ist und gleichzeitig eine Gesamtdifferenzbetrachtung, d. h. eine Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern, möglich ist, erscheint die Bedeutung von § 274a Nr. 4 HGB in der Praxis allerdings eingeschränkt (§ 274 Rz 25 ff.). Grund dafür ist, dass die mit dem BilMoG vorgenommenen Ansatz- und Bewertungsänderungen tendenziell eher zu einem Überhang aktiver latenter Steuern geführt haben.

 

Rz. 11

Bzgl. der Bilanzierung latenter Steuern hat der Gesetzgeber aber nicht in allen Bereichen vollständig Klarheit geschaffen. Aus den Vorschriften der §§ 249 Abs. 1 Satz 1, 274 und 274a Nr. 4 HGB nicht klar hervorgehend und auch im Schrifttum bis dato nicht abschließend diskutiert, ist die Handhabung der latenten Steuern außerhalb des § 274 HGB.[2] Weiterhin haben kleine KapG de facto dann "passive latente Steuern" zu ermitteln, wenn diese als Rückstellung gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB anzusehen sind, d. h. die Ansatzkriterien erfüllt werden (§ 249 Rz 23 ff.). Angefacht vom IDW ist daraufhin eine intensive Diskussion über die Bildung einer Rückstellung für passive latente Steuern trotz größenabhängiger Befreiung gem. § 274a Nr. 4 HGB entbrannt.[3] Umstritten ist dabei, ob die Regelung des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB trotz der Inanspruchnahme der Befreiungsoption des § 274a Nr. 4 HGB

  • überhaupt,
  • grds. immer oder
  • nur unter bestimmten Voraussetzungen

zu einem Ansatz passiver latenter Steuern als Rückstellung führt.

Von erheblichem Interesse dürfte eine Ausräumung dieser Unklarheiten insb. für kleine KapG und nicht haftungsbeschränkte PersG sein, da sie für die ordnungsgemäße Aufstellung der überwiegenden Anzahl[4] handelsrechtlicher Jahresabschlüsse verantwortlich sind und eine fehlerhafte Bilanzierung latenter Steuern darüber hinaus zu unzulässigen Gewinnverwendungen führen kann, die haftungsrechtliche Konsequenzen für die gesetzlichen Vertreter haben.

 

Rz. 12

Nach der BilMoG-BgrRegE zu § 274a HGB haben kleine Unt nur noch dann passive latente Steuern zu ermitteln, wenn "gleichzeitig die Tatbestandsvoraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB vorliegen". Weiterhin führt die BilMoG-BgrRegE zu § 274 HGB aus, dass den passiven latenten Steuern zumindest "teilweise der Charakter von Rückstellungen zukommen mag" – bei den quasi-permanenten Differenzen "kann gerade nicht zweifelsfrei vom generellen Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB für den Ansatz von Rückstellungen ausgegangen werden". Begründet wird dies beispielhaft an einer Beteiligung, bei der der Ausgleich nur über deren Verkauf erzielt wird: Danach "würde eine Rückstellung für künftig zu entrichtende Steuern nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht gebildet werden, denn es fehlt an einer rechtlichen Verpflichtung des Kaufmanns zur Entrichtung von Steuern. Auch eine faktische Verpflichtung kann nicht zweifelsfrei angenommen werden."[5]

 

Rz. 13

Die BilMoG-BgrRegE macht u. E. entsprechend zu Recht einen Unterschied zwischen Passivposten nach § 274 HGB und einer Rückstellung nach § 249 HGB.[6] Dies wird durch die Verwendung des Wortes "gleichzeitig" im vorstehenden Zitat zum Ausdruck gebracht. Auch aus der RegBegr zur ursprünglich vorgesehenen Ergänzung des § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB (Vollständigkeit des Ansatzes) um den Posten "latente Steuern", die auf Beschluss des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages nicht ins Handelsrecht übernommen wurde, wird deutlich, dass der Gesetzgeber einen Unterschied sieht: "Die Aufnahme der latenten Steuern in den Satz 1 des § 246 Abs. 1 HGB folgt aus der Tatsache, dass es sich bei diesen weder um VG noch um Schulden oder RAP, sondern um Sonderposten eigener Art handelt."[7] Auch in der Literatur wird festgestellt, dass es sich bei latenten Steuern seit dem BilMoG um einen Posten eigener Art handle, der unabhängig von Rückstellun...

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