Rz. 23

Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist für am Abschlussstichtag bestehende Außenverpflichtungen des Bilanzierenden anzusetzen, bei denen das Bestehen und/oder die Höhe der Verpflichtung ungewiss ist.[1]

[1] Vgl. ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2001, § 249 HGB Rz 42.

2.1.1 Außenverpflichtung

2.1.1.1 Grundsatz

 

Rz. 24

Die Verpflichtung muss ggü. einem Dritten bestehen. Reine Innenverpflichtungen, die sich der Bilanzierende selbst auferlegt, fallen nicht hierunter. Jedoch werden oftmals Kombinationen aus Drittverpflichtung und Eigeninteresse des Kaufmanns auftreten. In diesen Fällen reicht die Außenverpflichtung aus, die Rückstellungsverpflichtung als ungewisse Verbindlichkeit zu begründen.[1]

 
Praxis-Beispiel

Ein Maschinenbauunternehmen (M) ist wegen Korruptionsverdachts bei Auftragsvergaben von einer Behörde verklagt worden. Der Fall ist in der Öffentlichkeit durch mehrere Zeitungsartikel bekannt gemacht worden.

Durch das eingeleitete Klageverfahren besteht eine Außenverpflichtung des M. Das Eigeninteresse des M, den Fall möglichst rasch und "geräuschlos" zu beenden, um die negativen Folgen für die Außendarstellung des Unt zu minimieren, dürfte mind. genauso gewichtig sein wie die Außenverpflichtung. Es ist gleichwohl eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im Jahresabschluss zu berücksichtigen, da eine Außenverpflichtung besteht.

 

Rz. 25

Derartige Fallkonstellationen des Zusammentreffens von Außenverpflichtung und Eigeninteresse des Bilanzierenden gibt es in vielfältiger Weise, wie nachfolgende exemplarische Aufzählung zeigt:

  • Garantieverpflichtungen: Aus dem Auftragsverhältnis mit dem Kunden besteht eine vertragliche Verpflichtung. Darüber hinaus hat das Unt ein Eigeninteresse an der Erfüllung derartiger Ansprüche, da eine kulante Garantiepolitik als Werbeargument verwendet werden kann.
  • Alle Arten von Kundenbindungsprogrammen, die (derzeitigen oder potenziellen) Abnehmern gewährt werden, um diese an das Unt zu binden.
  • Tarifvertraglich vereinbarte Lohn- und Gehaltssteigerungen, die neben den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern auch den nicht organisierten Mitarbeitern gewährt werden, um die Motivationswirkung über alle Mitarbeiter gleichermaßen zu verteilen.
  • Drohende Inanspruchnahmen aus Patronatserklärungen oder Bürgschaften, die das MU für das TU abgibt, wenn die Geschäftstätigkeit des TU im Interesse des MU liegt.
 

Rz. 26

Die Person des Gläubigers muss allerdings nicht notwendigerweise bekannt sein. Genauso wenig ist es erforderlich, dass der Gläubiger Kenntnis von seinem Anspruch hat.[2] Auch Verpflichtungen, die sich nicht aus einem konkreten Vertrag ergeben (z. B. Verpflichtungen aus Produzentenhaftung), aus unerlaubter Handlung oder aus der Verletzung fremder Schutzrechte sind Außenverpflichtungen (zu faktischen Verpflichtungen vgl. Rz 30).

 

Rz. 27

Zivilrechtlich verjährte Ansprüche sind auch dann rückstellungsfähig, wenn der Schuldner davon ausgeht, von der Einrede der Verjährung keinen Gebrauch zu machen.

[1] A. A. BFH, Urteil v. 8.11.2000, I R 6/96, BStBl 2001 II S. 570. Der BFH sah im Urteilsfall trotz Vorliegens einer gesetzlichen Regelung keine hinreichende Konkretisierung der Außenverpflichtung gegeben.
[2] Vgl. IDW, WPH Edition, Wirtschaftsprüfung & Rechnungslegung, 18. Aufl. 2023, Kap. F Tz 568; IDW, WPg 1994, S. 547.

2.1.1.2 Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Verpflichtungen

 

Rz. 28

Unter Außenverpflichtungen sind sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu verstehen. Privatrechtliche Verpflichtungen entstehen regelmäßig aufgrund vertraglicher Grundlagen (z. B. Kaufvertrag, Gesellschaftsvertrag). Öffentlich-rechtliche Verpflichtungen entstehen auch aus vertraglichen Regelungen (z. B. i. R. e. öffentlich-rechtlichen Vertrags), zumeist aber aus Verwaltungsakten oder aus direkt aus dem Gesetz ableitbaren Verpflichtungen.

 

Rz. 29

Der BFH hat bzgl. der Berücksichtigung von Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen eine zurückhaltende Auffassung, die nach der hier vertretenen Auffassung nur schwer mit dem Gedanken des § 249 HGB in Einklang zu bringen ist. Danach liegt eine rückstellungspflichtige Außenverpflichtung erst dann vor, wenn die maßgebliche Rechtsnorm eine Frist für deren Erfüllung enthält, die am Abschlussstichtag abgelaufen ist.[1] Handelsrechtlich kann diese Sichtweise nicht überzeugen. Wenn eine Rechtsnorm existiert, aus der dem Bilanzierenden Aufwendungen zur Umsetzung dieser rechtlichen Vorgaben erwachsen (z. B. Erfüllung von Umweltschutzauflagen), hat er diese als Verbindlichkeitsrückstellung auszuweisen.

2.1.1.3 Faktische Verpflichtungen

 

Rz. 30

Auch solche Verpflichtungen, bei denen kein rechtlich durchsetzbarer Leistungszwang besteht, sind rückstellungspflichtig. Voraussetzung hierfür ist, dass ein faktischer Leistungszwang für den Bilanzierenden besteht, d. h., er sich der Erfüllung nicht entziehen kann oder will.[1] Die Ursache des faktischen Leistungszwangs besteht zumeist in ges...

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